Das Maffay-Missverständnis
In Gerhard Henschels hochamüsantem Roman „Der dreizehnte Beatle“ las ich heute den Satz: „Meine Zunge schmeckte wie ein Kniestrumpf“, und das erinnerte mich aus bestimmten Gründen an den Blog-Eintrag von gestern.
Die abgebildete Spinne verwehrte uns heute mit einem voluminösen Netz beinah den Ausstieg aus dem U-Bahn-Fahrstuhl am Rödingsmarkt, den wir nach dem Fitnesstraining gern benutzen, um uns nicht ächzend die vielstufigen Treppen hinanschleppen zu müssen.
Die Strecke der U3 führt von dort aus über nur drei Stationen nach St. Pauli, doch es gibt in ganz Hamburg keine schönere Fahrt. Es geht an der Speicherstadt entlang, dann ragt stolz die Kehrwiederspitze gen Himmel, auf der anderen Elbseite sehen wir das kühn geschwungee Musicalhaus für den „König der Löwen“, wir passieren zwei Prunkschiffe, die dauerhaft hier vor Anker liegen, die schneeweiße Cap San Diego und den moosgrün leuchtenden Segler Rickmer Rickmers, ehe wir an den Landungsbrücken nach rechts abknicken und mit einem Bild des alten Elbtunnels auf der Retina in die U-Bahnröhre eintauchen, die hochführt zur Reeperbahn.
Apropos Cap San Diego: Dort verbrachte ich mal einen denkwürdigen Abend, den ich ob seiner Denkwürdigkeit bereits einmal bei den höflichen Paparazzi geschildert habe. Doch leider fiel er einem gewaltigen Servercrash zum Opfer, wovon sich die verdienstvolle Website noch immer nicht recht erholt hat. Deshalb gibt es die Story jetzt exklusiv in diesem Blog:
Es herrscht Trubel auf dem Museumsschiff Cap San Diego im Hamburger Hafen. Peter Maffay präsentiert sein neues Album, eingespielt mit Menschen aus aller Welt, darunter der US-amerikanische Blues-Musiker Keb' Mo'. Vom Management habe ich telefonisch die lose Zusage, mit Maffay ein Interview führen zu können, alleine, „so irgendwann ab 22 Uhr“. Nun, nach Präsentation und Buffet, gilt es, im Tohuwabohu den richtigen Menschen zu erwischen, der mit mir Maffay findet.
Irgendwann finde ich eine hochblonde Mitarbeiterin seines Büros. Vielmehr: Sie findet mich. Ob ich noch einen Wunsch hätte, fragt sie. Ja, ich suche Peter Maffay. Der ist noch oben, sagt sie, und wird am Tisch von Keb' Mo' erwartet, kommen Sie, ich bringe Sie zum Tisch von Keb' Mo'. Wir gehen hoch, am Tisch kein Keb' Mo', kein Maffay. Warten Sie, sagt sie, ich hole Keb' Mo'. Entschuldigung, nicht nötig, sage ich, ich möchte sowieso Peter Maffay sprechen.
Sag mal, fragt sie einen Kollegen, weißt du, wo Keb' Mo' ist? Wahrscheinlich im Salon, sagt er. Kommen Sie, flüstert sie, wir gehen hoch in den Salon. Im Salon gedämpfte Stimmung und kein Keb' Mo'. Aber Peter Maffay, gerade im Interview. Klappt ja wunderbar. Ich nehme Platz im Vorraum und warte, dass ich drankomme.
Die Blonde trollt sich. Ich verfolge zufrieden den Aufmarsch der Kollegen, die nach mir dran sein werden. Nach zehn Minuten kommt sie zurück, in heller Aufregung. Wild gestikuliert sie vom Treppenabsatz herüber. Kommen Sie! Kommen Sie! brüllt sie flüsternd, ich habe Keb' Mo'! Ich stehe auf, gehe einige Schritte auf sie zu, sage: Entschuldigung; aber sie läuft erregt die Treppe hinab, weiter wie von Sinnen winkend – klar, schließlich hat sie Keb' Mo'!
Zögernd gehe ich zum Absatz, bange um den Platz in der Schlange. Ich bin der nächste bei Maffay, flüstere ich hinunter, ich darf meinen Platz in der Schlange nicht aufgeben. Sie: Keb' Mo' ist hier unten, kommen Sie, ich setze mich solange auf Ihren Platz! Aber ich möchte Keb' Mo' nicht sprechen, barme ich, ich will nur Peter Maffay sprechen!
Sie bleibt stehen. Ihr Winken gefriert, sie erstarrt geradezu, Erkenntnis bahnt sich ihren Weg, wenngleich mühsam. Ja, drei Meter entfernt von mir ist jetzt alles schiere blonde Fassungslosigkeit. Aber vorhin, heult sie, wollten Sie doch noch Keb' Mo'! Nein, flüstere ich verzweifelt treppab, ich wollte Maffay, immer nur Maffay! Sie hebt die Arme, wirft sie durch die Luft und jault im Abdampfen diesen Satz, den ich nie mehr vergessen werde: Ich mache dieses Spielchen nicht mehr mit!
Immerhin ist mein Platz noch frei, ein Glück. Ich habe weitere zehn Minuten Zeit, über die Tücken menschlicher Kommunikation nachzudenken, ohne freilich zu letzten Schlüssen zu kommen. Ah, jetzt ist Maffay frei, er stellt sich an die Theke zu seinen Mitarbeitern für einen Sekt zwischen zwei Interviews. Ich stelle mich dazu, warte auf die Chance, ihn zum Gespräch zu bitten, ohne dem Freundeskreis unhöflich in die Parade zu fahren.
Plötzlich beugt sich sein Manager zu mir herüber und flüstert: Sagen Sie, woran ist eigentlich das Gespräch mit Keb' Mo' gescheitert … ?
Später, auf dem Weg zu Fuß nach Hause in die Seilerstraße, fühle ich mich echt schlecht. Keb' Mo' wahrscheinlich auch.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Space travel is boring“ von Sun Kil Moon, „San Francisco“ von Caterina Valente und „57th minute of the 23rd hour“ von Galliano.
Die abgebildete Spinne verwehrte uns heute mit einem voluminösen Netz beinah den Ausstieg aus dem U-Bahn-Fahrstuhl am Rödingsmarkt, den wir nach dem Fitnesstraining gern benutzen, um uns nicht ächzend die vielstufigen Treppen hinanschleppen zu müssen.
Die Strecke der U3 führt von dort aus über nur drei Stationen nach St. Pauli, doch es gibt in ganz Hamburg keine schönere Fahrt. Es geht an der Speicherstadt entlang, dann ragt stolz die Kehrwiederspitze gen Himmel, auf der anderen Elbseite sehen wir das kühn geschwungee Musicalhaus für den „König der Löwen“, wir passieren zwei Prunkschiffe, die dauerhaft hier vor Anker liegen, die schneeweiße Cap San Diego und den moosgrün leuchtenden Segler Rickmer Rickmers, ehe wir an den Landungsbrücken nach rechts abknicken und mit einem Bild des alten Elbtunnels auf der Retina in die U-Bahnröhre eintauchen, die hochführt zur Reeperbahn.
Apropos Cap San Diego: Dort verbrachte ich mal einen denkwürdigen Abend, den ich ob seiner Denkwürdigkeit bereits einmal bei den höflichen Paparazzi geschildert habe. Doch leider fiel er einem gewaltigen Servercrash zum Opfer, wovon sich die verdienstvolle Website noch immer nicht recht erholt hat. Deshalb gibt es die Story jetzt exklusiv in diesem Blog:
Es herrscht Trubel auf dem Museumsschiff Cap San Diego im Hamburger Hafen. Peter Maffay präsentiert sein neues Album, eingespielt mit Menschen aus aller Welt, darunter der US-amerikanische Blues-Musiker Keb' Mo'. Vom Management habe ich telefonisch die lose Zusage, mit Maffay ein Interview führen zu können, alleine, „so irgendwann ab 22 Uhr“. Nun, nach Präsentation und Buffet, gilt es, im Tohuwabohu den richtigen Menschen zu erwischen, der mit mir Maffay findet.
Irgendwann finde ich eine hochblonde Mitarbeiterin seines Büros. Vielmehr: Sie findet mich. Ob ich noch einen Wunsch hätte, fragt sie. Ja, ich suche Peter Maffay. Der ist noch oben, sagt sie, und wird am Tisch von Keb' Mo' erwartet, kommen Sie, ich bringe Sie zum Tisch von Keb' Mo'. Wir gehen hoch, am Tisch kein Keb' Mo', kein Maffay. Warten Sie, sagt sie, ich hole Keb' Mo'. Entschuldigung, nicht nötig, sage ich, ich möchte sowieso Peter Maffay sprechen.
Sag mal, fragt sie einen Kollegen, weißt du, wo Keb' Mo' ist? Wahrscheinlich im Salon, sagt er. Kommen Sie, flüstert sie, wir gehen hoch in den Salon. Im Salon gedämpfte Stimmung und kein Keb' Mo'. Aber Peter Maffay, gerade im Interview. Klappt ja wunderbar. Ich nehme Platz im Vorraum und warte, dass ich drankomme.
Die Blonde trollt sich. Ich verfolge zufrieden den Aufmarsch der Kollegen, die nach mir dran sein werden. Nach zehn Minuten kommt sie zurück, in heller Aufregung. Wild gestikuliert sie vom Treppenabsatz herüber. Kommen Sie! Kommen Sie! brüllt sie flüsternd, ich habe Keb' Mo'! Ich stehe auf, gehe einige Schritte auf sie zu, sage: Entschuldigung; aber sie läuft erregt die Treppe hinab, weiter wie von Sinnen winkend – klar, schließlich hat sie Keb' Mo'!
Zögernd gehe ich zum Absatz, bange um den Platz in der Schlange. Ich bin der nächste bei Maffay, flüstere ich hinunter, ich darf meinen Platz in der Schlange nicht aufgeben. Sie: Keb' Mo' ist hier unten, kommen Sie, ich setze mich solange auf Ihren Platz! Aber ich möchte Keb' Mo' nicht sprechen, barme ich, ich will nur Peter Maffay sprechen!
Sie bleibt stehen. Ihr Winken gefriert, sie erstarrt geradezu, Erkenntnis bahnt sich ihren Weg, wenngleich mühsam. Ja, drei Meter entfernt von mir ist jetzt alles schiere blonde Fassungslosigkeit. Aber vorhin, heult sie, wollten Sie doch noch Keb' Mo'! Nein, flüstere ich verzweifelt treppab, ich wollte Maffay, immer nur Maffay! Sie hebt die Arme, wirft sie durch die Luft und jault im Abdampfen diesen Satz, den ich nie mehr vergessen werde: Ich mache dieses Spielchen nicht mehr mit!
Immerhin ist mein Platz noch frei, ein Glück. Ich habe weitere zehn Minuten Zeit, über die Tücken menschlicher Kommunikation nachzudenken, ohne freilich zu letzten Schlüssen zu kommen. Ah, jetzt ist Maffay frei, er stellt sich an die Theke zu seinen Mitarbeitern für einen Sekt zwischen zwei Interviews. Ich stelle mich dazu, warte auf die Chance, ihn zum Gespräch zu bitten, ohne dem Freundeskreis unhöflich in die Parade zu fahren.
Plötzlich beugt sich sein Manager zu mir herüber und flüstert: Sagen Sie, woran ist eigentlich das Gespräch mit Keb' Mo' gescheitert … ?
Später, auf dem Weg zu Fuß nach Hause in die Seilerstraße, fühle ich mich echt schlecht. Keb' Mo' wahrscheinlich auch.
Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Space travel is boring“ von Sun Kil Moon, „San Francisco“ von Caterina Valente und „57th minute of the 23rd hour“ von Galliano.
8 Comments:
Wieder mal eine tolle Geschichte aus der bunten Welt des Musikbusiness. Vielen Dank! Aber die Tatsache, dass das nicht nur ein besonders lustiger, sondern auch ein besonders langer Eintrag ist und dass er als solcher nur der bisherige Höhepunkt einer seit Wochen andauernden Entwicklung ist, wirft doch so langsam eine Frage auf: Wie schaffst Du das alles? Das fragen die Menschen, die Dich und Deine auch an dieser Stelle schon manifesten unzähligen Interessen persönlich kennen, ja wohl schon lange, aber dieser immer opulenter werdende Weblog setzt dem Ganzen doch die Krone auf. Letztlich bleibt nur eine logische Erklärung für Deinen Aktivitäts-Overkill: Du hast einen Deal mit dem Herrn der Hölle gemacht, der Dir täglich vier bis fünf Extrastunden Lebenszeit zukommen lässt. Möchte nur nicht wissen, was Du ihm dafür versprechen musstest ...
Noch was: Die Inhaltsangabe des Buches auf der HoCa-Website klingt ja superlustig. Werde gleich in der Mittagspause losgehen und es mir besorgen.
Ach, den Herrn mit dem lustigen Pferdefuß habe ich reingelegt. Er wollte meine „Seele“. Klar, habe ich gesagt und in mich hineingekichert. Denn er war offenbar noch nicht auf dem neusten Stand und wusste nicht, dass es die gar nicht gibt. Guter Deal.
Nach seinem Debüt Anfang/Mitte der Neunziger - und weit bevor er lieber in seichteren Gewässern und durch Lippes Geld-oder-Liebe-Schmonzette schwomm - war ich mal großer Keb' Mo'-Fan. Jetzt macht er mit Maffay? Herrje. Abermals ein feiner Text. Respekt!
Die Maffay/Keb'Mo'-Koop ist schon eine Weile her. Das kann man ihm nicht mehr vorwerfen, glaube ich.
Des Rätsels Lösung:
Matt schläft nie. Außerdem tapeziert er seine Wohnung nicht und muß kein Auto zum Tanken oder zur Waschanlage fahren.
Und da kommen dann in Summe schon einge Stündchen zusammen, in denen er seine alten CDs bei E-BAy verticken und den Blog füllen kann.
Hey, diesen Blog zu lesen, dauert nicht viel länger, als ihn zu schreiben. Und dann noch das Kommentareschreiben - auch der feine Herr Axel scheint mit Frau und Kindern nicht vollends ausgelastet zu sein ... ;-)
Villeicht ist das der Unterschied. Matt braucht nur solange zum Schreiben, wie ich (und andere) zum lesen.
Kommentare gehen im Gegensatz dazu richtig schnell....
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