Der Penny-Fuchser
Es fehlen Bananen fürs Frühstück, und das um kurz vor halb zehn abends. Last exit: Penny, Reeperbahn. Wer noch nie eine Kiezfreakshow erlebt hat, kriegt sie hier jeden Abend für lau.
Der Laden ist gut gefüllt. Er scheint eine Sammelstelle für Heimatlose zu sein. Oder Ort einer Castingshow für einen Romero-Film. Ein Mann mit fettiger Johannes-B.-Kerner-Frisur und brutalem, leicht bäuerischem Zug um den Mund umklammert vorm Bauch eine Plastiktüte, als drehte er ihr den Hals um. Er scheint nichts kaufen zu wollen, er schaut nur. Ich bin recht froh, nicht Gegenstand seines Interesses zu sein.
Er mustert mich nur kurz und wittert weiter. Ich will nicht wissen, was sich in seiner Tüte befindet. Als ich zur Kasse komme, steht er wieder vor mir, und ich wechsle unauffällig die Schlange.
Beim Hinausgehen kommt mir einer mit Pferdegebiss entgegen. Seine Frisur erinnert fern an jene, welche die Bay City Rollers einst für einen kurzen Sommer etablierten und die in abgewandelter Form Rod Stewart bis heute trägt. Der Mann ist spindeldürr, das Substanziellste an ihm scheinen die stumpfsilbernen Ohrringe zu sein. Er taumelt an mir vorbei und dreht kurz den Kopf, um noch einen Fluch Richtung Ausgang zu schicken; dabei sehe ich, dass seine graugelben Zähne schwarze Ränder haben.
Draußen erwarte ich erfahrungsgemäß irgendjemand, dem der Ärger des Fluchenden galt. Doch nur die übliche Zombiearmada schlurft dumpf vorüber. Männer mit verbogenen Körpern, dürre Männer, unrasierte, die meisten umschlottert von tarngrünen Parkas, ihre Jeans sind verdreckt, oft tragen sie zerfranste Schiebermützen. Sie schauen schräg, mit dunkler, verhaltener Panik im Blick. Irgendwann wird sie hervorbrechen, das ist unvermeidbar, und es wäre nicht gut, dann in der Nähe zu sein.
Als ich mein Fahrrad vom Pfosten schnalle, tritt einer heran und sagt: „Hasse ma’n Hunni? Dann ma’ich Feierahmd.“ Mit Bedauern bescheide ich das abschlägig. Er erinnert physiognomisch an den TV-Mann Ulrich Kienzle, nur ist sein fetter grauschwarzer Schnurrbart wirrer, und ich kann mich nicht gegen die aufblitzende Vorstellung wehren, wie die längsten dieser Haare ihm beim Hackfleischessen in den Mund geraten.
„Oder’n büschen Kloingeld?“ Sein rechtes Auge ist blutunterlaufen, der ebenso blutergussschwarze Tränensack darunter reicht ihm fast bis an den Nasenflügel. Ich hantiere weiter am Fahrrad. An einem Stoffband um seinen Hals baumelt ein Handy. Es scheint neu zu sein. Seine speckige Hose wird von Trägern hochgezogen bis zu den Rippenbögen.
Er steht ganz nah vor mir. Zu nah. „Beinah“, raunt er, „hätt ich auf dein Fahhad auffepasst.“ Ich ziehe die Kette vom Pfosten, halte sie hoch und sage: „Das hat die hier schon erledigt, danke.“ Er stiert mich an, der Bluterguss unter seinem Auge scheint zu pulsieren. „Meinste“, fragt er, ohne zu lächeln, „die hätt ich nich aufgekricht?“
Als ich wegfahre mit meinen Ökobananen (Penny hat Ökobananen!), frage ich mich, woher er sein Handy hat. Und wozu er es braucht.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Heimatlose
1. „Only a hobo“ von Bob Dylan
2. „Me and Bobby McGhee“ von Kris Kristofferson
3. „Heute hier, morgen dort“ von Hannes Wader
Der Laden ist gut gefüllt. Er scheint eine Sammelstelle für Heimatlose zu sein. Oder Ort einer Castingshow für einen Romero-Film. Ein Mann mit fettiger Johannes-B.-Kerner-Frisur und brutalem, leicht bäuerischem Zug um den Mund umklammert vorm Bauch eine Plastiktüte, als drehte er ihr den Hals um. Er scheint nichts kaufen zu wollen, er schaut nur. Ich bin recht froh, nicht Gegenstand seines Interesses zu sein.
Er mustert mich nur kurz und wittert weiter. Ich will nicht wissen, was sich in seiner Tüte befindet. Als ich zur Kasse komme, steht er wieder vor mir, und ich wechsle unauffällig die Schlange.
Beim Hinausgehen kommt mir einer mit Pferdegebiss entgegen. Seine Frisur erinnert fern an jene, welche die Bay City Rollers einst für einen kurzen Sommer etablierten und die in abgewandelter Form Rod Stewart bis heute trägt. Der Mann ist spindeldürr, das Substanziellste an ihm scheinen die stumpfsilbernen Ohrringe zu sein. Er taumelt an mir vorbei und dreht kurz den Kopf, um noch einen Fluch Richtung Ausgang zu schicken; dabei sehe ich, dass seine graugelben Zähne schwarze Ränder haben.
Draußen erwarte ich erfahrungsgemäß irgendjemand, dem der Ärger des Fluchenden galt. Doch nur die übliche Zombiearmada schlurft dumpf vorüber. Männer mit verbogenen Körpern, dürre Männer, unrasierte, die meisten umschlottert von tarngrünen Parkas, ihre Jeans sind verdreckt, oft tragen sie zerfranste Schiebermützen. Sie schauen schräg, mit dunkler, verhaltener Panik im Blick. Irgendwann wird sie hervorbrechen, das ist unvermeidbar, und es wäre nicht gut, dann in der Nähe zu sein.
Als ich mein Fahrrad vom Pfosten schnalle, tritt einer heran und sagt: „Hasse ma’n Hunni? Dann ma’ich Feierahmd.“ Mit Bedauern bescheide ich das abschlägig. Er erinnert physiognomisch an den TV-Mann Ulrich Kienzle, nur ist sein fetter grauschwarzer Schnurrbart wirrer, und ich kann mich nicht gegen die aufblitzende Vorstellung wehren, wie die längsten dieser Haare ihm beim Hackfleischessen in den Mund geraten.
„Oder’n büschen Kloingeld?“ Sein rechtes Auge ist blutunterlaufen, der ebenso blutergussschwarze Tränensack darunter reicht ihm fast bis an den Nasenflügel. Ich hantiere weiter am Fahrrad. An einem Stoffband um seinen Hals baumelt ein Handy. Es scheint neu zu sein. Seine speckige Hose wird von Trägern hochgezogen bis zu den Rippenbögen.
Er steht ganz nah vor mir. Zu nah. „Beinah“, raunt er, „hätt ich auf dein Fahhad auffepasst.“ Ich ziehe die Kette vom Pfosten, halte sie hoch und sage: „Das hat die hier schon erledigt, danke.“ Er stiert mich an, der Bluterguss unter seinem Auge scheint zu pulsieren. „Meinste“, fragt er, ohne zu lächeln, „die hätt ich nich aufgekricht?“
Als ich wegfahre mit meinen Ökobananen (Penny hat Ökobananen!), frage ich mich, woher er sein Handy hat. Und wozu er es braucht.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Heimatlose
1. „Only a hobo“ von Bob Dylan
2. „Me and Bobby McGhee“ von Kris Kristofferson
3. „Heute hier, morgen dort“ von Hannes Wader
Labels: musik, penny, reeperbahn, typen
8 Comments:
Hi,
seit Penny aufgemacht hat, ist es bei Lidl eindeutig ruhiger geworden. Man kann also da jetzt angst(da vieren-)frei einkaufen. Leider laufen dementsprechend weniger Leute rum über die man sich noch das ganze Wochenende amüsieren kann.
hendrik
Na, um die Cops zu rufen, wenn du versuchst, ihm sein Stoffband zu mopsen ... Aber ey, das war mein Vadder, der will nur Spielen.
Interessante Berichte aus meiner zweiten Heimat, die Hansestadt Hamburg.
eigentlich habe ich meinen heutigen abend bereits in fieser mordlust untergehen sehen, nachdem ich mich tatsächlich den halben tag mit monströs debilen fachidioten rumschlagen mußte, bzw. kunden, doch beim lesen ihres artikels brach ich in schalendes gelächter aus. danke!
ach so, die sache mit dem handy liegt doch auf der hand - es war bestimmt das von dem fluchenden...
Ad
Ja, ad, das wäre eine Erklärung und würde die Geschichte schön abrunden.
Es ist wirklich erstaunlich, daß die Kunden (?) des Pennymarktes sich tatsächlich zu keiner Tageszeit, an keinem Wochentag, zu keiner Jahreszeit, zu unterscheiden scheinen.
Der Amokläufer mit Plastiktüte, der Flucher, die osteuropäischen Arbeiter (die die absolute Oberschicht stellen), die verwirrten Abhängigen - ein buntes Gemisch (fast) aller Kiezbewohner. Und ab und an bekommt man wirklich Angst. Wie Sie treffend bemerkten: Wenn der Wahnsinn hervorbricht, möchte man nicht in der Nähe sein. Zumindest nicht ohne Axt.
Den handytragenden Bettler hingegen müssen Sie mir bei Gelegenheit mal zeigen, bitte! Ich versichere Ihnen, daß er Sie nie wieder belästigen wird...
Besten Dank für das Hilfsangebot. Vielleicht könnten wir das erweitern auf die trampelige Nachbarin, den unfreundlichen Kioskverkäufer („Zafer’s Call Shop“!) und dreiviertel aller Hamburger Busfahrer? Wäre Ihnen sehr verbunden.
Das ist genau das was ich hier in der Provinz vermisse...
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