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> Unter Druck - Medien in Zeiten des Umbruchs
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KÄUFLICHE BLOGGER Schwitzende Swinger Von Marc Pitzke, New York Blogger rühmen sich, die Anti-Elite der Medienbranche zu sein. Doch längst haben die Revoluzzer begonnen, sich mit Konzernen zu arrangieren. Schon gibt es erste Fusionen der einstigen Todfeinde. New York - "Time"-Chefredakteur Jim Kelly hatte geladen, und die Crème de la crème der Presseszene war angetanzt. Schulter an Schulter drängten sie sich in Kellys Apartment, Bierflaschen und Cocktailgläser im Anschlag: Bill Keller, der Herr der "New York Times", Hendrik Hertzberg vom "New Yorker", CNN-Quotenretter Anderson Cooper und andere. Der Ehrengast war ein anderer: Andrew Sullivan, der konservativ-schwul-katholisch-HIV-positive Blog-Pionier, der nach fünf Jahren Einzelkampf im Internet seine Web-Wallungen jetzt an "Time" verkauft hat. Die "Time"-Sullivan-Fusion ist eine der ersten Ehen zwischen etablierten Medien und ihren angeblichen Todfeinden, den Bloggern. Sullivan kassiert nun Lizenzgebühr in unbekannter Höhe. Und Kelly hofft, dass Sullivans "unverkennbare, individuelle Stimme" der Anfang einer "Blog-Gemeinde auf Time.com ist". Klatsch, Tratsch, ätzender Kommentar "Ausverkauf!", schallte es prompt aus dem New Yorker Medienblog "Gawker", das sich rühmt, als Stachel im Fleisch des Establishments zu bohren. Doch auch die "Gawker"-Schreiber waren an jenem Abend in die Höhle des "Time"-Löwen gekommen, wenn auch misstrauisch und besorgt um ihre Unabhängigkeit. "Dies war die Party, wo sich teure Anzüge (Bill Keller) und billige Handtaschen (wir) zu einem einzigen, schwitzenden Medien-Gruppenfick trafen", nörgelte "Gawker"-Autorin Jessica Cohen. Zeichen der Zeit. Zwar rühmen sich die Blogger, mit ihren "Web-Tagebüchern" voller Klatsch und ätzendem Kommentar eine Medienrevolution losgetreten zu haben. Doch längst haben beide Seiten begonnen, sich miteinander zu arrangieren. Gerade "Gawker" ist ein Beispiel, dass aus subversivem Herumtippen ein Geschäft werden kann. Längst ist Gawker Media ein richtiger Verlag, der neben dem bissigen "Gawker" noch 13 weitere Blogs produziert - etwa die Klatsch-Pages "Wonkette" (aus Washington) und "Defamer" (aus Hollywood) und, Geschäft ist Geschäft, das Softporno-Blog "Fleshbot". An die 4000 Dollar am Tag, hat das "New York Magazine" ausgerechnet, dürfte "Gawker" mit Anzeigen verdienen. Mehrere "Gawker"-Blogs haben Verträge mit Yahoo! abgeschlossen und liefern dem Portal Inhalte zu. "Wir sind kleiner, als alle denken. Das Anzeigengeschäft deckt nur unsere Rechnungen", widerspricht Gaby Darbyshire, Entwicklungsdirektorin für Gawker Media. "Erwarte nicht, mit Bloggen reich zu werden." Über konkrete Geschäftszahlen will sie nicht reden. Willkommen im Salon Vom hobbyhaften Bloggen daheim im ungemachten Bett kann aber keine Rede mehr sein. Gawker Media residiert in den großzügigen Räumen von Meetup.com, einer erfolgreichen Internet-Firma, die Gruppentreffs organisiert. Und bald wird das Unternehmen in brandneue Büros in Soho umziehen: einen Blogger-"Salon" mit Sofas und einer Bar, damit der harte "nine-to-five job" (Darbyshire), zu dem das Bloggen geworden sei, angenehmer wird.
"Es gibt 100 verschiedene Wege, deine Firma auszuverkaufen", sagt Darbyshire dazu nur und fügt, ganz die gelernte Anwältin, schnell hinzu: "Wir haben keine Pläne, Gawker in absehbarer Zukunft zu verkaufen." Die Frage ist aber berechtigt. Im Oktober 2005 ging das Blog-Konglomerat Weblogs an Time Warner - für angeblich 25 Millionen Dollar. Kommt einem bekannt vor: Firmen mit minimalem Profit wechseln für enorme Summen den Besitzer. "Dies ist wie der Beginn des Internets", sagt Darbyshire. In der Tat erinnert der Blogger-Hype an den ersten Web-Boom: Aus einer anfangs völlig unorganisierten Informationsmasse kristallisiert sich eine Elite heraus. Vorteile für beide Seiten "New York Magazine" ließ die Blogger-Szene von Clay Shirky analysieren, einem Professor an der New York University. Der fand heraus, dass es eine sehr kleine, doch sehr populäre "A-List" von Blogs gibt ("Gawker", das Politblog "Daily Kos", das Techblog "Engadget"), die inzestuös verlinkt sind und so auf hohe Visits kommen. Die Mehrheit der 30,2 Millionen Blogs, die die Blog-Searchsite "Technorati" heute zählt, landet abgeschlagen auf der der "C-List": Winzige, bedeutungslose Privatblogs - ein Wust von redundantem "white noise" (Darbyshire). Fest steht aber, dass die erfolgreichsten Blogs zum neuen Establishment mutieren. Gerade stand die "Gawker"-Belegschaft für "Vanity Fair" Porträt, das Hausblatt der Medien-Hautevolée. Meldungen vom Tod der Blogs scheinen indes ebenso verfrüht wie die vom Tod der etablierten Massenmedien. Stattdessen, prophezeit Darbyshire, dürften sich beide Seiten am Ende miteinander einrichten. Schon jetzt gebe es eine "starke Symbiose" - die Blogs fungierten als Stichwortgeber für die Massenmedien, die wiederum den Blogs Reibungsmaterial lieferten. "Wenn alle die Vorteile dieses Arrangements erkennen würden", sagt sie, "stünden wir uns nicht so feindlich gegenüber."
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