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Die Rückseite der Reeperbahn

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Mein Foto
Name: Matthias Wagner
Standort: Hamburg, Germany

Schreiberling




30 April 2009

Nur noch Boxershorts

Der Promoter, der mich zur einstündigen Massage ins East Hotel (Foto) eingeladen hatte, sagte vorher am Telefon irgendetwas von „nur oben rum freimachen“.

Pustekuchen.

Hätte ich gewusst, dass ich einer Ganzkörpermassage (hinten wie vorne) entgegenging, wären unbedingt Boxershorts erste Wahl gewesen.

Und nicht dieser körperbetonte, mir irgendwie plötzlich tangaverwandt erscheinende Winzslip, den ich zu meinem Missbehagen erblickte, als ich mir die Jeans abstreifte.

Die außergewöhnlich attraktive Masseurin verkniff sich aber jede Bemerkung.


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29 April 2009

Ein beglückendes 0:0

Wenn Champions League läuft und ich mich für ein Spiel interessiere, dann gehe ich in ein Restaurant im Millerntorhochhaus an der Reeperbahn, direkt gegenüber vom Mandarin Kasino, wo die abgebildete Lampe hängt.

Dort, in diesem Restaurant, haben sie eine lichtarme Großbildleinwand aufgespannt, und Marcel Reifs Stimme ist ein Murmeln im Hintergrund – die Ahnung einer Moderation zwischen Gläserklirren und Tischgesprächen.

Ich weiß nicht einmal, wie das Restaurant heißt, das ist mir peinlich. Andererseits esse ich dort auch nie etwas, sondern rette mich mit einem einzigen Grauburgunder, den sie hier Pinot Grigio nennen, über die rund 115 Minuten, die heutzutage ein Champions-League-Spiel samt Halbzeitpause dauert.

Man toleriert mich trotz dieser durchschaubaren Taktik. Sie wissen: Das Restaurant wäre niemals voll an einem Dienstagabend, also ist auch ein Grauburgundergast hochwillkommen.

Messi trifft nicht, Ballack kriegt Gelb, alles endet in einem erregenden 0:0. Draußen hat es inzwischen geregnet, und ich stelle fest, dass mein Fahrradschloss nicht eingerastet war, weil der Laternenmast zu dick war für die Länge der Kette.


Jeder hätte das Fahrrad klauen können, was auch im Schnitt alle drei Jahre passiert. Doch die doofen Diebe vom Kiez waren unaufmerksam. Und so etwas reicht schon, um einen Abend auf St. Pauli als beglückend zu klassifizieren.

Das ist hiermit geschehen.


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28 April 2009

Dafür gibt es keine Entschuldigung



Wir setzten mit der Fähre über zum „König der Löwen“-Zelt.

Als Chris Norman irgendwann zur Akustikgitarre griff und „If you think you know how to love me“ spielte, wurde mir aus Gründen, für die ich nicht willens bin mich zu entschuldigen, ganz warm ums Herz.

Mir fielen Funny van Dannens Zeilen ein: „Gib es zu, du warst im Nana-Mouskouri-Konzert/Ich war auch da und du hast geweint.“ Es war so ähnlich, jawohl.

Doch während mir mittig das Herz aufging, keimten weiter oben Mordfantasien – wegen der Leute, die anfingen mitzuklatschen. Etwas Dumpfes, Mechanisches entwertete meine kitschige, kindliche, sentimentale, nostalgische Minute.

Da ich eh schon zoombedingt nur wacklig mitfilmte, konnte ich mich leider nicht hinstellen und mit schroffen Worten ein sofortiges verbindliches Mitklatschmoratorium anordnen. Somit ist das Klatschen mit auf dem Film, für immer und ewig.

Und wer mir jetzt mit einem „Was, haha, du magst Chris Norman …?“ dumm kommen zu müssen glaubt, wird sofort standrechtlich exkommuniziert.

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26 April 2009

Schöneberger Nächte sind lang



Ein Konzert von Antony & The Johnsons (Foto) ist ohne Zweifel das Sakralste, was man als Agnostiker erleben kann – vielleicht gerade deshalb, weil Antony alle Sünden verkörpert, welche das Christentum besonders verdammt: Promiskuität, homosexuelle Liebe, Verwischung der Geschlechter.

Dafür kann man auch schon mal extra nach Berlin fahren, in den Admiralspalast. Wir sitzen auf dem Balkon. Zwei Reihen vor uns streitet sich Herbert Grönemeyer im Stehen mit einer blonden Frau, die aussieht wie Nina Hoss und es wahrscheinlich auch ist.

Es geht hin und her, am Ende scheinen sie sich zu einigen und sitzen schließlich friedlich in einer Reihe, wenn auch nicht nebeneinander. Vielleicht ging es einfach nur darum, wer die Getränke holen sollte. Wenn ja, dann hat Hoss gewonnen.

Nach dem Konzert versacken Dr. K., Xóchil und ich in einer langen Schöneberger Nacht, und ich frage mich, ob es für eine Künstlerin wirklich eine angemessene Art ist, den Tag, an dem ihr langersehntes Debütalbum erscheint, mit zwei haarlosen bebrillten Endvierzigern zu verbringen, die ihr von gestörten Vater(bzw. Mutter-)beziehungen und der säkularen Gottesdefinition in Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ erzählen.

Immerhin lief sie nicht schreiend davon, und das auch erst um drei Uhr morgens.


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25 April 2009

Ohne Worte (37): Kreideleiche



Entdeckt auf dem Spielbudenplatz.


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24 April 2009

Ein getränkelastiger Abend



Den Weißwein im Mandarin Kasino an der Reeperbahn gießt der Barkeeper stillos in einen Plastikbecher.

„Das ist aber stillos“, sage ich, wie es ist, und zwar quer durch den erstaunlich erträglich lauten 60er-Wave-Mix der kalifornischen Band Airborne Toxic Event.

„Ja“, grinst der Barmann selbstgewiss und gießt weiter ein, „das ist völlig stillos.“ Nachdem ich den ersten Schluck genommen habe, muss ich jedoch sagen: Ich lag falsch. Diesen Wein aus einem Plastikbecher zu süffeln, ist keineswegs stillos – sondern völlig angemessen.

Neugierig blättere ich in der Getränkekarte, um Traube, Herkunftsgebiet und Jahrgang der Plörre herauszufinden. Dort steht allerdings nur „Weißwein“. Auch das: nichts weniger als kongenial. Das Getränkekonzept im Mandarin ist zweifellos durchdacht und homogen.

Nach dem Konzert gehe ich zum Kiosk im Millerntorhochhaus, weil ich Puffbrause kaufen will, einen Prosecco in Blechdosen mit Tittenbild vorne drauf, der exklusiv nur auf dem Kiez erhältlich ist. Feine Sache, vor allem als Gastgeschenk, und morgen geht es ja nach Berlin, wo man dergleichen nicht bekommt, zumindest nichts, wo außen unverhohlen „Puffbrause“ draufsteht.

Doch vielleicht war es ein Fehler, in genau diesen Kiosk zu gehen, denn der Betreiber ist offenkundig nahöstlicher Herkunft und wurde möglicherweise puffbrausenskeptisch sozialisiert. Und in der Tat: Das Produkt führt er nicht.

Allerdings kommt er mir plötzlich nachgelaufen. „An der Tankstelle gibt’s das“, ruft er, „das habe ich in der Zeitung gelesen!“

Danke für den Titt… äh Tipp. Zumal er stimmt.



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23 April 2009

Das Hinternargument

Der Franke will zu Kieser. Ich bin entsetzt.

Immerhin: Dass Mr. Wachsende Wampe überhaupt anfängt, körperliche Ertüchtigung als Option zu erwägen, gehört zu den größten Sensationen seit Entdeckung des Turiner Grabtuchs.

Gleichwohl liebäugelt er mit dem falschen Anbieter – und das auch nur aus Bequemlichkeit, weil nämlich eins dieser monothematischen (Rücken!) Quälstudios bei ihm in Eimsbüttel um die Ecke liegt.

„Geh da nicht hin!“, beschwöre ich ihn. „Qual, Askese und Selbstkasteiung erwarten dich dort!“ Stichhaltige Argumente, die selbst ein Franke kognitiv verarbeiten können müsste, doch er bleibt seltsam still.

Plötzlich fällt mir ein, dass er ja als Katholik sozialisiert wurde, also gewissermaßen zu den Miterfindern der Selbstgeißelung gehört. Vielleicht erweckt Kieser einfach bittersüße Kindheitserinnerungen in ihm.

„In meinem Fitnessclub“, locke ich ihn gleichwohl, „kannst du schönen Frauen auf den Hintern starren und danach gepflegt saunieren, und zwar gemischt! Na?“ Außerdem sehen die Flaschenregale dort schön aus (Foto).

Richtig überzeugt ihn das alles aber noch immer nicht. Er stopft sich weiter wortlos löffelweise lavaheiße Lasagne in den Schlund, während die Option Kieser über ihm schwebt wie ein Damoklesschwert, das er für ein Origamiflorett hält.

„Da kann man dreimal kostenlos trainieren“, nuschelt er zwischen Blattnudeln und Hackfleischbrocken. „Mensch, Franke, Probetraining besorge ich dir auch!“, weise ich ihn erbarmungslos zurecht.

Doch alles vergeblich: Der Standortvorteil ist für ihn ein Killerargument. Läge die Hölle in Eimsbüttel und böte Hanteltraining mit gleichzeitigem Gegrilltwerden: Er unterschriebe sofort den Vertrag, Hauptsache, er hätte es von dort nur zwei Minuten nach Hause.

Vielleicht sollte ich ihm also die Sache mit der körperlichen Ertüchtigung einfach komplett ausreden. Denn so wie er isst, verbraucht er schon genug Kalorien. Und Muskelaufbau ist bei seiner spezifischen Art der Messer- und Gabelhandhabung ebenfalls eine gleichsam beiläufige Nebenwirkung.

Nur an den Hintern schöner Frauen mangelt es in seiner Welt. Vielleicht ein Ansatzpunkt, den ich noch mal vertiefen sollte, als letzte Rettung vor Kieser.


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21 April 2009

Neulich im Zug von Berlin nach Hamburg

Kontrolleur: „Noch jemand zugestiechen?“
Mein Nachbar, ein fülliger Mann, der bereits an der vorletzten Station zugestiegen war, nämlich in Wittenberge: „Ich bin schon in Wittenberge zugestiegen.“
Kontrolleur (patzig): „Schullijung, dass ich nich gleich doa woahr. Mir höm nämlich möhrere Woachen.“
Ein schönes Beispiel für präventives Angepisstsein, das mir dennoch etwas überempfindlich vorkam. Beispielsweise wäre auch eine deutlich deeskalierendere Gesprächsfortführung wie diese denkbar gewesen: „Widdenberche? E scheenes Gaff. Gänsefleisch drozzdem de Fohrgorrde zeiche?“

Doch so kam es nicht, sondern anders. Gleichwohl gibt es entlastende Fakten, die man zugunsten des Kontrolleurs anführen muss.

So war der Arme zum Zeitpunkt seiner nur scheinbar grundlos schroff geführten Kommunikation noch Gefangener im fremden und seltsamen Mehdornland. Und dieser Zustand muss zuletzt auf Bahnangestellte gewirkt haben wie Leipzig 1988.

Der füllige Wittenberger jedenfalls sank nach diesem Anpfiff muffelnd in sich zusammen wie ein beleidigter Mollusk und sagte gar nichts mehr.


Am Freitag fahren wir übrigens wieder nach Berlin. Wir freuen uns schon.

Foto: Hauptbahnhof Hamburg, U-Bahnstation



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20 April 2009

Fundstücke (47)

Manche Geschichten glaube ich einfach nicht. Selbst wenn sie –hüstel – in der Mopo stehen.

Trotzdem würde ich gern mal Fotos der Tatbeteiligten sehen. Vor allem von der Friseurin, dieser Caligula aus Kaluga.

(Entdeckt in der Samstagsausgabe.)


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Die Stille vor dem Sturm







Es duftet noch nicht nach gerösteten Mandeln. Keine Schreie lustvoller Todesangst wehen herüber von der Achterbahn. Das Riesenrad steht still und starr, und die Autoscooter träumen von elektrischen Schafen.

High Noon auf dem Dom. Drei Stunden vor Eröffnung herrscht hier eine Atmosphäre wie im Overlook Hotel im Winter. Na gut, nicht ganz; immerhin ist es warm. Warm und still.

Wir laufen zwischen den schlafenden Fahrgeschäften und Verkaufswagen hindurch, alle Jalousien sind geschlossen. Und ohne Menschen drinnen, drauf und davor, ohne das ganze Tohuwabohu des Doms, das um 15 Uhr losbrechen wird, hat selbst ein Zuckerwarencaravan eine gewisse Würde.

Selbst wenn er rosa ist.


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19 April 2009

Ohne Worte (36): Blattschuss



Entdeckt in der Hein-Hoyer-Straße.



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17 April 2009

Wie ich mal einen Verkäufer glücklich machte

Als mir damals der Hi-Fi-Händler nach dem Kauf des DVD-Recorders freudestrahlend eröffnete, er habe niemals damit gerechnet, das Gerät „noch mal zu diesem Preis loszuwerden“, da verloren die ganzen guten Testergebnisse mit einem Schlag jeden Glamour.

Mein höfliches, von leichter Verkrampfung im Nacken geprägtes Nicken garnierte ich damals mit einem Lächeln, das unwillkürlich ins Säuerliche abglitt, während der Verkäufer beim Zurückgeben meiner EC-Karte kopfschüttelnd vor sich hin gluckste.

Und jetzt, wo der Recorder, dessen Garantie bereits vor einiger Zeit ablief, gerade dabei ist kaputtzugehen, fällt mir das alles wieder ein, als wäre es gestern gewesen.

Ich glaub, ich geh jetzt schlafen.


PS: Das Bild? Na ja, hat halt auch was mit Filmen zu tun. Es zeigt den Teppichboden des Abatonkinos im Univiertel.

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Fundstücke (46)



Die Features dieses Handys (s. Hervorhebung) sind nur auf den ersten Blick fantastisch.

Beim näheren Hinsehen nämlich stellt sich heraus, dass man im Grunde ständig telefonieren muss, damit der Akku sich nicht rasend schnell entleert. Und ohne Flatrate geht so was immens in die Kosten.

Doch für Vieltelefonierer und Fans magischer Technik ist das Teil ein Muss, ganz klar.

(Entdeckt bei Penny in Ottensen.)


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15 April 2009

Ein Beitrag, für den es eine gute Entschuldigung gibt

So eine grippale Matschbirne macht einen völlig kirre. Ich wollte heute entkräftet früher nach Hause gehen – und verpasste stattdessen den regulären Beginn des Feierabends.

Irgendwann wunderte ich mich über die leeren Büros um mich herum, und erst in diesem Moment diffundierte Erkenntnis durch die innere Wattewand bis an die Ränder meines Bewusstseins:

Ein verdammter Virus hatte mich dazu gebracht, Überstunden zu machen!

Wahrscheinlich handelt es sich dabei um einen genetisch veränderten Vertreter, dessen Entwicklung von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände finanziert wurde.

Gegen diese romanfähige Theorie (schade, dass Michael Crichton nicht mehr lebt!) spricht eigentlich nur die Symptomatik meiner grippalen Matschbirne, die nicht im Interesse des Verbandes sein kann.

Na ja, wahrscheinlich sind sie mit dem Virus erst im Betastadium, und die Version 2.0 sorgt dann sogar für nebenwirkungsfreie Wochenendarbeit unter fröhlichem Pfeifen ohne Lohnausgleich.

Dieser Beitrag ist übrigens nur mit besagter Matschbirne zu entschuldigen, zumal das Foto kein Virus, sondern eine Stechmücke zeigt, deren Überreste ich an der Wand einer Kieztoilette entdeckt habe.


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14 April 2009

Noch so'n Spruch, Penisbruch!

An der Reeperbahn ballt sich eine feuchfröhliche Gruppe aus gewiss 20 Briten, alle uniform in kanariengelbe T-Shirts gekleidet.

Die Hemdchen sind beflockt mit dem Spruch „Grim Reeperbahn“, und darin stecken kompakte, pralle Gestalten, mit denen man auch ohne die Trikotwarnung eher keine Händel begänne.

Zurzeit sind sie zwar laut, aber friedlich. Wir stehen alle gemeinsam brav bei Rot an der Fußgängerampel, als vom kupfernen Empire Riverside Hotel (Foto) her ein Notarztwagen mit aufgeregtem Tatütata die Davidstraße heruntergeprescht kommt.

Die Briten finden das sofort interessant und bebrabbeln den unerhörten Zwischenfall lautstark. Einer hat sogar eine Ferndiagnose parat.

Attention!“, ruft er, „Cock injury!

Ob er mit dieser große Erheiterung hervorrufenden Vermutung nur seine Vorurteile reproduziert oder sich wirklich schon leidvoll auskennt mit ortspezifischen Missgeschicken: Wir werden es nie erfahren.

PS: „Missgeschick“ liefert übrigens einen meiner herzallerliebsten Wortdreher – nämlich „Schissgemick“.



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13 April 2009

Ohne Worte (35): Das Goode an Winterhude






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Die übliche Mützenamnesie

Fern vom Kiez, in Barmbek auf dem Flohmarkt, stelle ich fest, dass ich Hirni wieder mal meine Mütze zu Hause vergessen habe.

Wenn man sich gerade frisch die Platte geschoren hat und draußen die Sonne alles gibt, was Mitte April in Nordeuropa möglich ist, bedeutet das Fehlen einer Mütze Alarmstufe Rot. Ich könnte die Glatze auch gleich in den Strahl eines Flammenwerfers halten.

Lege mir also eine Hand auf den Kopf, was mit Sicherheit bescheuert aussieht, während ich die Flohmarktstände systematisch nach Mützen abscanne. Stoße auf alles Mögliche, aber nicht auf Kopfbedeckungen – Ausnahme: ein immens pinkes Teil, mit dem ich aussähe wie die Karikatur eines Mannes, der in der Zeitschrift hinnerk Kontaktanzeigen studiert.

Nein, weitersuchen, immer weitersuchen. Erspähe einen exorbitanten Büstenhalter in Pastellblau, dessen irgendwie dehnbar wirkende Einzelkörbchen ich mir sicherlich überzwängen könnte. Doch Ms. Columbo rät ab. Auch der nur wenige Meter weiter entdeckte Wehrmachtshelm löst bei ihr kaum Begeisterung aus.

Die Sonne lacht und brennt. Eine Lampenschirmlösung rückt immer näher, zumal inzwischen auch meine abwechselnd auf dem Kopf liegenden Hände sonnenbrandgefährdet sind. Allmählich verliert sogar die Vorstellung vom Erwerb der pinken Mütze immer mehr an Schrecken. Aber wo war noch mal der Stand?

Entdecke plötzlich eine dummerweise nur halbgeschlossene türkise Kappe mit rosa Palmen und aufgedruckten Verhöhnungen wie „Tropical life“ und „Heavenly Beach“. Schlage verzweifelt und wider besseres Wissen zu, nachdem ich die Händlerin flackernden Blicks von 4 auf 2,50 Euro runtergehandelt habe.

Im Weggehen – und natürlich nicht die eine entscheidende Minute früher – sehe ich direkt am Nachbarstand dann das Basecap meiner Träume: ein schwarzes blick- und strahlendichtes Modell mit nur einem vernachlässigbaren Manko: der Aufschrift „Der Schuh des Manitu“. Kaufe sie fahrig ebenfalls (1,50 Euro).

Der Tag ist gerettet – und der Gesamtbestand meiner Mützen jetzt auf rund 20 angewachsen. Sie stapeln sich alle hier zu Hause. Also da, wo ich sie garantiert nie brauche.

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11 April 2009

Pädophilie am Bau

Im selben Gebäudekomplex in der Simon-von-Utrecht-Straße, in dem das Hospiz untergebracht ist, residiert auch ein Verlag, der eine Sadomasozeitschrift mit dem kongenialen Namen „Schlagzeilen“ herausbringt. Und an der Fassade rechts davon ist das abgebildete Relief zu sehen.

Jeden Freitag kommen wir auf dem Weg zum Einkauf daran vorbei, und schon hundertmal stolperte ich mental darüber, ohne mir je über den Grund bewusst zu werden. Heute aber plötzlich doch.

Fazit: Die Szenerie irritiert deshalb so sehr, weil sie offensichtlich pädophil ist. Und an der Außenfassade selbst eines Kiezgebäudes darf man so etwas – bei aller schulterzuckenden Toleranz, die unser Viertel prägt – nicht unbedingt vermuten.

Nehmen wir den kahlen Mann. Er trägt eine Art Soutane und ist somit wohl ein Geistlicher, wahrscheinlich katholisch. Er schaut uns ertappt an. Und womit? Mit Recht.

Denn gerade greift er mit rechts einem nackten (!) kleinen (!!) Jungen (!!!) an die Brust, während seine Linke den armen Tropf brutal fixiert. Der Junge reißt ob des sich vollziehenden Missbrauchs panisch die Augen auf, während er die rechte Hand auf des Unholds Knie stützt – oder den Kerl wegzustoßen versucht, das bleibt im Dunkeln.

Jedenfalls lässt die Szene bei näherem Betrachten wenig Interpretationsspielraum: Hier schreitet ein pädophiler Pfarrer entschlossen zur Tat. Doch warum prangt dieses schändliche Tun weithin sichtbar auf einer St. Paulianer Klinkerfassade, neben Hospiz und Sadomasopostille?

Bescheidwisser werden in den Kommentaren um Aufklärung ersucht. Sonst wird auch unser nächster Weg zum Einkauf wieder getrübt sein von erfolglosem Gegrübel. Und das kann keiner wollen.

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10 April 2009

Das Wort zu Ostern

Ein Ausflug führt uns nach Wandsbek, weil dort das einzige Kino Hamburgs steht, in dem Larry Charles’ agnostisches Dokupamphlet „Religulous“ läuft. Doch was tut man nicht alles, um dem Karfreitag die Würde zu nehmen.

Unterwegs stießen wir auf das abgebildete Grafitto, dessen Botschaft eine unbedingt unterstützenswerte ist. Gleichwohl bleiben Restzweifel, ob die empfohlene Methode zum natürlichen Aussterben der Nazis führen wird.

Doch wenn sich alle dran hielten, führte das zumindest zu einer ernsten Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität. Endlich mal ein Zölibat, das auch wir vorbehaltlos unterstützen können.

Nach „Religulous“ fiel mir ausgerechnet auf dem Kinoklo ein kleiner Aphorismus ein, der auch nicht paradoxer ist als das meiste, was Bibel und Koran so verzapfen. Er lautet:


Gäbe es Gott wirklich, hätte er uns nicht den Verstand gegeben, uns seiner Nichtexistenz bewusst zu werden.

Jetzt kann Ostern kommen.



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09 April 2009

Sag mir, wo die Dealer sind



Früher standen hier manchmal Männer herum, die den Tag zu vertrödeln schienen, aber jenen wachen, leicht unsteten Blick hatten, den nur Dealer haben.

Sie schauten dich kurz an, und dann wussten sie, ob sie mit dir ins Geschäft kommen konnten oder nicht.

Dealer sind gute Psychologen; ihre Fähigkeiten könnten bei Polizeiverhören von Nutzen sein. Doch damit überdehnte man sicherlich den Resozialisierungsgedanken.

In letzter Zeit sieht man hier, am Westende der S-Bahnstation Reeperbahn und nur wenige hundert Meter entfernt von der Davidwache, keine Dealer mehr.

Vielleicht verschwinden sie auch einfach, wenn sie mich sehen. Schlechtes Karma.

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08 April 2009

Beschwörung

Die neue Praktikantin sitzt am ältesten iMac des Büros und starrt mit der gleichen Sehnsucht auf den Bildschirm wie einst die Menschen im blockierten Berlin gen Himmel, wo die Rosinenbomber im Anflug waren.

Auf ihrem prähistorischen iMac-Monitor ist allerdings kein Rosinenbomber zu sehen, sondern bloß das Bild eines MacBook Pro. Aber was heißt schon „bloß“.

„Meinst du“, fragt sie träumerisch und ohne den Blick abzuwenden, „es materialisiert sich, wenn ich es nur lange genug anstarre?“

Ich erzähle ihr vom Syrer, der unterm Einfluss fernöstlicher Irrlehren fest daran glaubt, irgendwann fliegen zu können, wenn er nur noch ein paar Dekaden meditiert, und als ich nach Hause komme, gerieren sich Himmel, Luft und Mond überm Kiez schon ausgesprochen frühlingshaft.

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07 April 2009

Tannenzapfenzupfen (11)

(Foto via FHS Holztechnik)

So, heute gibt es eine neue Ausgabe peinlicher bis grauenhafter Sprachunfälle, deren Konsum schlimmere Folgen hat als acht Wochen „Counter Strike“ am Stück. Diese Serie trägt den Namen ihres ersten Eintrags (nämlich „Tannenzapfenzupfen“). Wie immer gilt dabei das bewährte Motto: Ohren zu und durch.

1. Was gibt es Altehrwürdigeres als Neckermann? Höchstens Klosterfrau Melissengeist. Doch sogar Neckermann hat sich jetzt mit einem mutigen Ruck ins 21. Jahrhundert vorgekämpft. In seinem heutigen Schreiben an mich lobt sich der Traditionsversand selbst, und zwar mit der unwiderstehlichen Argumentationstrias: „Mehr Fashion! - Mehr Living! - Mehr Technik!“ Eine erstaunliche Hipnessexplosion – und drei gute Gründe, um doch wieder zu Amazon zu wechseln.

Vielleicht hatte sich Neckermann vom „Zukunftstrainer“ Sven Gábor Jánszky beraten lassen. Der Mann nämlich weiß, wie man uns Nerds & Geeks zeitgeistkompatibel ansprechen muss:


2. „Ich habe diese Methode ,Leadership-Trend-Cycle' genannt. Ihre Besonderheiten: Statt auf unkonkreten Mega-Trends basiert sie auf einer intensiven Analyse der realen Trend-Cycle von Unternehmen, nutzt structural holes zur kreativen Ideengenerierung und setzt final auf die Ausbildung von Intrapreneuren zur Umsetzung der gefundenen Ideen.“
Diesem Mann zahlte ich am liebsten eine Abwrackprämie fürs Sprachzentrum oder wenigstens für seine strukturellen Löcher, doch das Problem wird sein: Er denkt, das sei alles noch gar nicht schrottreif. Wie twittert der weise St. Burnster so schön: „die größte innovation im deutschen mediengeschäft wäre eine firma, die nicht mit anglizismen um sich wirft.“


3. Die beliebte Rubrik „Eklige Bandnamen“ erhält allmonatlich Zuwachs. Diesmal verdient es auch der Promotext der vorgestellten Muckertruppe, ausführlich zitiert zu werden:
Fickscheisse entstand aus den Elementen Celine Dion und Shania Twain und wurde perfektioniert aus hemmungslosen Lagerfeuersessions von Tom Jones und Gott Hasselhoff. Ein lautes Gebrüll von Goleo dem Bären vollendet das Konstrukt Fickscheisse."
Wer steckt ihnen eigentlich, dass man Scheiße mit ß schreibt? Ich stelle mir übrigens gerade vor, der Bassist von Fickscheisse bewürbe sich in einigen Jahren auf eine Festanstellung, sagen wir bei der Volksbank Querblöken. Und dann fragt ihn der Abteilungsleiter, wo er denn eigentlich seine im Bewerbungsbrief betonte musische Ader ausgelebt habe. Hach, schön.

4. Zum Abschluss eine paar gewohnt schiefe Bilder, und schon ist „Tannenzapfenzupfen (11)“ wieder Geschichte: „Bass und Gitarre stehen Spalier, doch da sich das Tanzbein nicht von allein in die Disko trägt, schiebt sich immer wieder ein knackiger Beat aufs Parkett.“ Aber wer trägt denn jetzt das Tanzbein in die Disko? Fortsetzung folgt, das ist so sicher wie das Kramen in der Küche.

Was bisher geschah: 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1





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06 April 2009

Höflichkeit auf Hessisch

Beim Besuch im Ex-Heimatdorf stieß ich an einer Haustür auf den abgebildeten Beweis hessischer Gastfreundschaft.

Wie ich eingestehen muss, bin ich mit diesen Leuten sogar verwandt. Aber dafür können wir ja beide nichts.


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04 April 2009

Macken über Macken

Die Zugleiterin im ICE hat eine ganz besondere Art zu sprechen. Sie kittet den Schlussbuchstaben des einen Worts unerwartet an den Anfang des nächsten.

Weil sie merkt, dass daran irgendetwas nicht ganz richtig ist, schickt sie die kleine Sprechpause, die eigentlich zwischen die Wörter gehört, einfach vorweg.

Sie sagt also so was wie: „Berli Nostbahnhof“.

So hat eben jeder seine Macken, sogar der neue UMTS-Stick. Dieses kleine Wunderding zum Unterwegs-am-Laptop-Surfen besitzt keinen Auswurfknopf für die SIM-Karte, und da sie nur eine Winzigkeit übersteht, wenn man sie ordnungsgemäß eingeschoben hat, braucht man eine Pinzette, um sie wieder rauszuholen.

Die Pinzette war natürlich nicht Bestandteil des Lieferumfangs; ja, über ihre Notwendigkeit informiert mich die Bedienungsanleitung mit keinem Wort. „Kann ich bitte noch mal deine Pinzette haben?“ ist während unserer Reise zum Dorf eine Frage, an die sich Ms. Columbo allmählich gewöhnt hat, wenn auch eher widerwillig.

Manche Menschen schneiden sich übrigens erst dann die Nasenhaare, wenn sie ihnen beim Essen in der Nudelsoße hängen. Auch das finde ich eine durchaus beachtenswerte Macke; allerdings ist mir die einer „Berli Nostbahnhof“ sagenden Zugbegleiterin entschieden lieber, so lange sie eine Pinzette dabei hat, die sie mir im Bedarfsfall leihen kann.

Wie auch immer: Ich glaube, ich brauche doch bald ein iPhone.

PS: Wer errät, wo das heutige Schienenfoto aufgenommen wurde, bekommt eine Pinzette mit rosa Schleifchen drumherum als Ostergeschenk.



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03 April 2009

Auch noch feige

Keine Ahnung, warum immer mir so was passiert. Aber gestern ächzte neben mir auf der Matte im Fitnessstudio einer, der original nach Hühnermist roch.

Am autoolfaktorischen Design müssen manche Menschen echt noch schrauben. Das Problem aber ist: Sie wissen nichts davon, weil sich keiner traut, es ihnen zu sagen.

Und wenn’s ihnen keiner sagt, dann riechen sie zeitlebens nach Hühnermist, finden deshalb keine Freundin, weshalb ihnen erst recht niemand sagen kann, dass sie nach Hühnermist riechen und deshalb keine Freundin finden.

Es ist eine Krux.

Im Grunde sind Männer wie der Ächzer neben mir auf halbseidene Angebote aus dem Internet angewiesen. Solche wie das folgende, das mir gerade als Beziehungsbewerbungsspam ins Postfach flatterte.

Eine gewisse „Sonja“ schreibt: „Ich lebe das einzigartige Mädchen aus Russland, jetzt ich in der Regelung - Sowjetisch. Mein Alter 27. Ich war ein erregter August, 1982.


Lauter Killerargumente.

Übrigens habe auch ich mich nicht getraut, dem Menschen neben mir von seinen Duftdefiziten zu erzählen. Ich habe nur meine Matte ein wenig weiter weggerückt.

Die Welt ist schlecht – und das Foto von heute völlig unpassend: Der Fernsehturm ist nicht mal in der Nähe des Fitnessclubs.

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02 April 2009

Ohne Worte (34): Kiezimpressionen



Davidstraße, mit gespiegelten Deckenlampen des Restaurants Copper House


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01 April 2009

Der direkte Weg



Jährlich sterben 2,7 Millionen Bäume nur für den Werbemüll, der uns unverlangt in die Briefkästen gestopft wird. Das musste ich heute der Zeitschrift „Natur + Kosmos“ entnehmen.

Darob ausgesprochen nachdenklich ging ich zu den Containern an der Budapester Straße, wo ich leere Flaschen abgeben wollte. Zu meinem Entsetzen waren allerdings die Altglasbehälter verschwunden. Nur die für Papier standen noch da.

Zwei Männer holten gerade verschnürte Papierstapel aus einem Transporter und quetschten sie unter roher Gewalt in die bereits überquellenden Container. Ich schaute mir verstohlen die Stapel im Transporter näher an. Es waren Abertausende originalverpackter Werbeprospekte.

Die des umständlichen peu-à-peu-Ausfahrens wohl müden Männer waren allem Anschein nach auf den pfiffigen Gedanken gekommen, den Plunder der Einfachheit halber direkt ab Druckerei dem Recycling zuzuführen.

Eine rundum nachvollziehbare Verhaltensweise: Zwar sterben die 2,7 Millionen Bäume trotzdem, doch sowohl die mit dem Verteilen vergeblich betrauten Fahrer als auch wir, die täglich still fluchenden Briefkastenentmüller, sparen so in beträchtlichem Maße Arbeits- und Lebenszeit.

Am Ende dieses beifälligen Gedankens kehrte allerdings meine Verzweiflung über die fehlenden Glascontainer zurück. Es standen schon Hunderte von Flaschen herum, die ratlose Menschen mit ähnlicher Gemütsverfassung dort zurückgelassen hatten.

Was tun? Nach kurzem Überlegen stellte ich mit ordnungsgemäß roten Ohren meine Tasche dazu. Einer der Prospektentsorger schaute mich an. Ich wich seinem Blick aus und fuhr mittelschnell davon.

Dabei hätte ich allen Grund gehabt, vorwurfsvoll zurückzuschauen. Doch so etwas gelingt mir nur schwer. Ich fühle mich sogar automatisch schuldig, wenn mich ein Polizist ansieht. Vor allem, wenn ich weiß, dass er auf der Davidwache stationiert ist.


(Symbolfoto)


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