Heute hat mir Sibylle Berg mal wieder ein Newsletter geschrieben. Der Betreff der Mail lautete: „das wird wieder 2 mal kommen,weil ist noch nicht repariert“. Und das stimmte auch. Es lagen knapp drei Stunden dazwischen. (Ich habe trotzdem beide Mails aufgehoben; ich kann einfach nichts wegschmeißen.)
Frau Berg ist eine Schweizer Schriftstellerin, der seit Jahren meine Bewunderung gilt, seit ich mal eine Lesung von ihr besuchte. Ich erlebte sie im damaligen Mojo Club (einst zu finden unter der gloriosen Adresse Reeperbahn 1), wobei mich nicht nur das, was sie las, zur Bewunderung hinriss, sondern auch die Art, wie sie saß.
Frau Berg nämlich ruhte, während sie sprach und rauchte, die ganze Zeit auf ihrem rechten untergeschobenen Bein. Selbiges hatte sie mit gymnastischer Gelenkigkeit, die man ihrem ranken, schmalen, wenn nicht gar hageren Körper auch durchaus zugetraut hatte, rechtwinklig abgeknickt unter ihren linken Oberschenkel geschoben.
Dies ist ebenso bequem wie orthopädisch bedenklich. Doch wenn ich das tue – und ich tue das gern, zum Beispiel in dieser Sekunde, denn es stabilisiert irgendwie die Sitzhaltung –, dann halte ich es nur kurze Zeit durch. Nach wenigen Minuten bereits beginnt ein Kribbeln im Unterschenkel, schiebt sich schleichend hoch zum Knie, und schon ist mir beinah unbemerkt das halbe Bein weggedrusselt.
Dann fluche ich, stelle das Bein zum Auftauen ab, schiebe nunmehr das andere zwecks Sitzstabilisierung unter den Oberschenkel mit dem tauben Ding untendran, und nach wenigen Minuten wiederholt sich das Beinchenwechseldich. So geht das bisweilen einen ganzen Abend lang.
Frau Berg hingegen sitzt die ganze Lesung lang stoisch auf ihrem rechten Bein, ohne dass sie es je herausziehen muss – und ohne dass es ihr danach einfach abfällt. Dafür bewundere ich Frau Berg sehr.
Heute, in ihrem Newsletter, informiert sie mich über ihr Musical „Wünsch dir was“, das am 29. September in Zürich Premiere hat. Sie zitiert sogar einen Song daraus, und der geht so:
Du hast doch immer so geträumt,
von etwas, das viel größer ist,
und hast dann morgens schon geweint
über all den tristen Mist.
Der Stapel Rechnungen im Müll,
in der Nacht lagst du starr still.
Nie würdest du den Oscar kriegen,
nie einmal um die Welt rumfliegen,
du gehst zur Arbeit früh um acht,
hast du das früher mal gedacht,
als du von Lady Di geträumt,
die deine Sachen dir nachräumt.
Was ist das schon, das kleine Leben,
ein Haufen Stunden voller Müll,
du drehst dich um und greifst den Menschen,
der aus Versehen bei dir ist,
du kraulst den Bauch und weißt dann eben,
dass du doch sehr glücklich bist.
Erst Mist und Müll, und am Ende wartet das kleine Glück: So kenne ich Frau Berg gar nicht, sondern eher umgekehrt.
„ansonsten“, schreibt sie abschließend, „wünsche ich euch ein ereignisreiches wochenende und grosse möpse, eure langgesichtige frau berg“. Das hat sie bestimmt alles getippt, während sie auf ihrem rechten Bein saß, welches garantiert kein bisschen einschlief.
Ich bewundere Frau Berg.
PS: Vor allem für den hochgeschätzten schwäbischen Blogdichter Poodle dürfte übrigens die Tatsache von höchstem Interesse sein, dass in Frau Bergs Stück ein böser Pudel namens Ralf sein Unwesen treibt.
Foto: Katja HoffmannLabels: kneipe, lesung, promis, reeperbahn, sibylle berg, sprache, st. pauli