Alarm in Entenhausen
Die Entenmutter mit ihren zehn Küken gehört eindeutig nicht mitten auf die Clemens-Schultz-Straße. Das wird mir sogleich klar, als ich die Bäckerei mit den Sonntagsbrötchen verlasse und die Bescherung sehe. Wo kommen die überhaupt her? Weit und breit kein Teich noch Tümpel.
Ein Passantin mit zum Glück parierendem Hund schirmt die fehlgeleiteten Vögel nach hinten ab, wo bereits eine Kolonne Sonntagsfahrer Ungeduld ausdünstet, angeführt und in Schach gehalten indes von einer sichtbar gerührten Mittelklassewagenlenkerin. Die Enten müssen in den Park, nach Planten un Blomen, so viel ist klar. Das wird tüftelig, denn zwei selbst sonntags stark frequentierte vierspurige Straßen gilt es zu überwinden.
Angesichts dieser nur im Team zu bewältigenden Aufgabe findet sich spontan eine Schicksalsgemeinschaft, der auch ich anzugehören die Ehre habe. Sie besteht aus der Dame mit Hund, einem gemütlichen Schnauzbartträger mit Balkanakzent, der weiterhin hochentzückten Mittelklassewagenlenkerin, die inzwischen geparkt hat und mitsamt ihrer Freundin – Conny, zufällig aus Frankfurt zu Gast – der Entenrettung höchste Priorität einräumt. Eigentlich waren die beiden ja auf dem Weg in die Kunsthalle, wo es ein gutes Frühstück geben soll, doch wat mutt, dat mutt.
Es ist übrigens interessant, wie man als Hüter einer Entenfamilie plötzlich mit den Augen der Schutzbefohlenen in die Welt schaut. Plötzlich scheint aus jeder zweiten Passage ein yetigroßer Hund hervorzustürmen (was ist eigentlich aus dem Leinenzwang geworden, Herr Innensenator?!), und diese lautlos uns entgegenrollenden, ultraschmalen, aber immens hohen Dinger mit nichtsahnenden Menschen obendrauf (sog. „Fahrräder”) nerven ungemein.
Uns gelingt es dennoch irgendwie, die Enten auf den Bürgersteig zu drängen, was immerhin den Verkehrsfluss im Viertel wieder begünstigt. Doch der Gehweg ist eng, die Entenmutter, um die sich die Küken halbkreisförmig scharen, zeigt deutliche Anzeichen aufkeimender Panik. Manchmal versucht sie zur Seite auszubrechen, doch mal der Schnauzbart, mal ich, mal eine der Frauen wissen das jeweils sanft, doch bestimmt zu unterbinden.
Inzwischen haben sich uns auch ein ungefähr 12-jähriges Mädchen namens Lotte (Foto), eine etwa 40-jährige Radlerin und ein so weißhaariger wie solariumsgebräunter Ruheständler angeschlossen. Die illustre, die Gesamtbevölkerung in ihrer Alters- und Milieustruktur verblüffend genau abbildende Rettungstruppe nähert sich mitsamt ihren Schützlingen jetzt der ersten großen Hürde. Sie heißt Budapester Straße und brüllt vor Verkehr.
Der wird kurzerhand gestoppt. Rauf auf die Straße, Blickkontakt zu den Automobilisten und mit breiten Armen entschuldigende Stoppgesten wedeln – die Verblüffung der auf freie Fahrt eingestellten freien Bürger weicht nur in der ersten Reihe dem offenbar genetisch bedingten Entzücken beim Anblick der Vogelfamilie. Dahinter aber geht das Gehupe los. Wir ertragen es mit gandhiesker Gleichmut. Geschafft.
Übers Heiligengeistfeld geht es gut voran. Eins der Küken verschwindet zwar fast zwischen den obszön weit auseinanderliegenden Streben eines Gullydeckels, doch es rettet sich in letzter Sekunde. Puh. Jetzt aber die Glacischaussee; das nächste Problem mit vier Spuren. Wir bringen erneut den Verkehr mit den inzwischen bewährten Mitteln minutenlang zum völligen Erliegen, und die Entenarmada watschelt nervös durchs Spalier.
Nur noch wenige zehn Meter bis zum Parkeingang. Daisy Duck scheint allmählich das rettende Wasser zu riechen, oder ist es die nun doch überhandnehmende Panik? Jedenfalls setzt sie zum Watschelsprint an, der die vor Eifer und Schutzbedürfnis fast platzenden kleinen Wollknäuel in ihrem Gefolge unter höchsten Stress setzt.
Da, der Teich! Die Alte bricht durchs Ufergebüsch, ihre Küken stolpern, klettern, wackeln hinterher, und plötzlich sind alle im Wasser: eine adrenalinüberflutete Entenmama mit ihren zehn Winzlingen, denen nun auch über den heutigen Tag hinaus eine Zukunft beschert sein dürfte.
Für uns alle ein außergewöhnlich schönes Sonntagserlebnis. Wir tauschen Mailadressen, plaudern noch ein wenig, gehen ein Stück gemeinsam und verabschieden uns dann voneinander, fast wie Freunde.
Erst als ich in die Seilerstraße einbiege, dämmert mir: Wir hätten eigentlich die Feuerwehr rufen müssen; die kümmert sich ja professionell um so was. Und sie ist vor allem eins: versichert. Ein von uns verursachter Auffahrunfall beim mutwilligen Stauen einer Hauptverkehrsstraße hätte bei der Assekuranz sicherlich Stirnrunzeln hervorgerufen.
So aber fühlt er sich verdammt gut an, dieser Sonntag. Und zwar nur deshalb, weil wir die Sache selbst in die Hand genommen haben. Wie Jack Bauer in „24“.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Vögel (via Andreas)
1. „Surfin' bird“ von The Trashmen
2. „Blackbird“ von The Beatles
3. „Bird on the wire“ von Leonard Cohen
Ein Passantin mit zum Glück parierendem Hund schirmt die fehlgeleiteten Vögel nach hinten ab, wo bereits eine Kolonne Sonntagsfahrer Ungeduld ausdünstet, angeführt und in Schach gehalten indes von einer sichtbar gerührten Mittelklassewagenlenkerin. Die Enten müssen in den Park, nach Planten un Blomen, so viel ist klar. Das wird tüftelig, denn zwei selbst sonntags stark frequentierte vierspurige Straßen gilt es zu überwinden.
Angesichts dieser nur im Team zu bewältigenden Aufgabe findet sich spontan eine Schicksalsgemeinschaft, der auch ich anzugehören die Ehre habe. Sie besteht aus der Dame mit Hund, einem gemütlichen Schnauzbartträger mit Balkanakzent, der weiterhin hochentzückten Mittelklassewagenlenkerin, die inzwischen geparkt hat und mitsamt ihrer Freundin – Conny, zufällig aus Frankfurt zu Gast – der Entenrettung höchste Priorität einräumt. Eigentlich waren die beiden ja auf dem Weg in die Kunsthalle, wo es ein gutes Frühstück geben soll, doch wat mutt, dat mutt.
Es ist übrigens interessant, wie man als Hüter einer Entenfamilie plötzlich mit den Augen der Schutzbefohlenen in die Welt schaut. Plötzlich scheint aus jeder zweiten Passage ein yetigroßer Hund hervorzustürmen (was ist eigentlich aus dem Leinenzwang geworden, Herr Innensenator?!), und diese lautlos uns entgegenrollenden, ultraschmalen, aber immens hohen Dinger mit nichtsahnenden Menschen obendrauf (sog. „Fahrräder”) nerven ungemein.
Uns gelingt es dennoch irgendwie, die Enten auf den Bürgersteig zu drängen, was immerhin den Verkehrsfluss im Viertel wieder begünstigt. Doch der Gehweg ist eng, die Entenmutter, um die sich die Küken halbkreisförmig scharen, zeigt deutliche Anzeichen aufkeimender Panik. Manchmal versucht sie zur Seite auszubrechen, doch mal der Schnauzbart, mal ich, mal eine der Frauen wissen das jeweils sanft, doch bestimmt zu unterbinden.
Inzwischen haben sich uns auch ein ungefähr 12-jähriges Mädchen namens Lotte (Foto), eine etwa 40-jährige Radlerin und ein so weißhaariger wie solariumsgebräunter Ruheständler angeschlossen. Die illustre, die Gesamtbevölkerung in ihrer Alters- und Milieustruktur verblüffend genau abbildende Rettungstruppe nähert sich mitsamt ihren Schützlingen jetzt der ersten großen Hürde. Sie heißt Budapester Straße und brüllt vor Verkehr.
Der wird kurzerhand gestoppt. Rauf auf die Straße, Blickkontakt zu den Automobilisten und mit breiten Armen entschuldigende Stoppgesten wedeln – die Verblüffung der auf freie Fahrt eingestellten freien Bürger weicht nur in der ersten Reihe dem offenbar genetisch bedingten Entzücken beim Anblick der Vogelfamilie. Dahinter aber geht das Gehupe los. Wir ertragen es mit gandhiesker Gleichmut. Geschafft.
Übers Heiligengeistfeld geht es gut voran. Eins der Küken verschwindet zwar fast zwischen den obszön weit auseinanderliegenden Streben eines Gullydeckels, doch es rettet sich in letzter Sekunde. Puh. Jetzt aber die Glacischaussee; das nächste Problem mit vier Spuren. Wir bringen erneut den Verkehr mit den inzwischen bewährten Mitteln minutenlang zum völligen Erliegen, und die Entenarmada watschelt nervös durchs Spalier.
Nur noch wenige zehn Meter bis zum Parkeingang. Daisy Duck scheint allmählich das rettende Wasser zu riechen, oder ist es die nun doch überhandnehmende Panik? Jedenfalls setzt sie zum Watschelsprint an, der die vor Eifer und Schutzbedürfnis fast platzenden kleinen Wollknäuel in ihrem Gefolge unter höchsten Stress setzt.
Da, der Teich! Die Alte bricht durchs Ufergebüsch, ihre Küken stolpern, klettern, wackeln hinterher, und plötzlich sind alle im Wasser: eine adrenalinüberflutete Entenmama mit ihren zehn Winzlingen, denen nun auch über den heutigen Tag hinaus eine Zukunft beschert sein dürfte.
Für uns alle ein außergewöhnlich schönes Sonntagserlebnis. Wir tauschen Mailadressen, plaudern noch ein wenig, gehen ein Stück gemeinsam und verabschieden uns dann voneinander, fast wie Freunde.
Erst als ich in die Seilerstraße einbiege, dämmert mir: Wir hätten eigentlich die Feuerwehr rufen müssen; die kümmert sich ja professionell um so was. Und sie ist vor allem eins: versichert. Ein von uns verursachter Auffahrunfall beim mutwilligen Stauen einer Hauptverkehrsstraße hätte bei der Assekuranz sicherlich Stirnrunzeln hervorgerufen.
So aber fühlt er sich verdammt gut an, dieser Sonntag. Und zwar nur deshalb, weil wir die Sache selbst in die Hand genommen haben. Wie Jack Bauer in „24“.
Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Vögel (via Andreas)
1. „Surfin' bird“ von The Trashmen
2. „Blackbird“ von The Beatles
3. „Bird on the wire“ von Leonard Cohen
Labels: planten un blomen, st. pauli, tiere
14 Comments:
Pulitzer Preis verdächtig in den Kategorien Public Service, Breaking News Reporting, National Reporting, Breaking News Photography.
Mindestens.
Diesmal muß es doch klappen!
"Mach doch mal was mit Tieren..."
:o)
*seufz* *aufblick*
Helden, wahre Helden im Alltag!
:)
Nur Politiker kann man mit solch heldenhaften Taten nicht werden. Dafür braucht es Hosenanzüge und flexible Mundwinkel, sowie angebundene Hände an der Hosenanzugsnaht.
Ja, dieses Clark-Kent-Gefühl, ach … Wobei ich gestehen muss: Das Betreiben eines Blogs und das Bedürfnis nach täglicher Aktualisierung hat schon manch eher skurrile Handlungsoption in den Vordergrund gedrängt. So auch gestern.
Trotz skurriler Handlungsotion bist du (m)ein Held, denn wie meine Mutter schon sagte: "Wenn du einem Lebewesen das Leben rettest, rettest du die ganze Welt."
Tiere um uns - was wären wir ohne sie?
lange keine so schöne Geschichte mehr gelesen. Danke dafür. Und Grüße an die Entenmutter.
Schöne Aktion, schöner Bericht.
Tolle Geschichte. Und das auch noch mit einer Jack Bauer KomponEnte. Unschlagbar.
Hallo I absolutely adore your site. You have beautiful graphics I have ever seen.
»
...and the oscar goes to...a real story...about humans and ducks...fantastic! ;) würd der Bayer sagen. Klasse geschichte, toll zu lesen. Wenn kein Author... Berufswahl neu bedenken! Gruß Dominik
Danke, Dominik! Als Journaillenschreiberling gelte ich wohl nicht als Autor in deinem Sinne. Aber ich überleg's mir!
Nett. Da heisst es nur noch: Daumendrücken, daß die Kleinen weder den Eichhörnchen noch den Ratten zum Opfer fallen, wie das ja leider meist der Fall ist.
Das gehört ja wohl eindeutig
hier hin - die Entenpolizei.
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