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27 Januar 2008

Der blutende Finger

Er ist höchstens 20, seine Augen wurden zu kleinen Schlitzen im Lauf der Samstagnacht, seine Lippen sind wie aufgespritzt.

Doch das Auffälligste an ihm ist sein Stahlhelm.

Vielleicht ist es ein Relikt der Wehrmacht, vielleicht auch ein Bundeswehrhelm, damit kenne ich mich nicht aus. Jedenfalls trägt er ihn ohne jede Scham. Denn das, was er seinen Begleitern – einem dicken Irokesenpunk und einem hageren Graubart mit einem Sechserpack Adelskroner – zu sagen hat, das sagt er auch dem Rest der Pennykundschaft, so laut bricht das alles aus ihm heraus.

Es geht um seinen Finger. Der blutet nämlich, und den hält er jetzt dem Kassierer eine Spur zu dicht vor die Nase. „Bei euch liegen Glasscherben im Regal!“, blafft der Stahlhelm, „was sagsten dazu? Warum liegen bei euch Glasscherben im Regal, hä?“

Er ruft es mit einer Mischung aus Empörung und Genuss, irgendwie freut er sich über den Zwischenfall und das Blut, das in einer dünnen Rinne an seinem Handgelenk hinunterläuft und im Ärmel verschwindet.

„Ich verklag euch!“, ruft er, „in Amerika ginge das!“

Der Kassierer bleibt ungerührt, er beobachtet lieber den Irokesen, der ihm gerade 1,83 Euro in kleinstmöglichen Münzen vorzählt und zweimal von vorne anfangen muss. „Wir sind aber nicht in Amerika“, murmelt er dann doch, ohne den Stahlhelm anzuschauen.

„Die haben Glasscherben im Regal!“, triumphiert der dicklippige Helmträger lautstark und beschreibt mit seinem hochgereckten Arm einen Halbkreis für uns, das Publikum, damit wir auch alle seinen blutenden Finger sehen können.

„Nu lass man“, sagt leise der Hagere mit dem Bier, und das wirkt. Alle drei trollen sich nach draußen, und als ich kurz darauf ebenfalls die Reeperbahn betrete, spielt der blutende Finger längst keine Rolle mehr.

Dafür hat das Adelskroner stark an Bedeutung gewonnen.

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5 Comments:

Blogger ramses101 said...

Wenn Sie den korrekten Konjunktiv schon nicht lobend erwähnen, muss ich das wohl machen.

10:39  
Anonymous German Psycho said...

Höchst vergnüglich, was Sie wieder im besten Pennymarkt überhaupt erleben durften. Ich muß da unbedingt mal wieder hin. Einfach nur, um die Atmosphäre zu genießen. Und ein paar Glassplitter.

Wollen Sie mit? Ich leihe Ihnen auch meinen alten Stahlhelm.

12:39  
Blogger T(O)mmY! said...

ich hab in besagtem penny auch schon so manchen schlimmen finger gesehen...

13:25  
Anonymous dein_Koenig said...

Wer nicht alles nen Stahlhelm besitzt, schon ein musthave? ;-)

Der Typ wäre bestimmt ein Foto oder zwei wert gewesen...

17:10  
Blogger Matt said...

dein_koenig, klar ist das ein must have, aber höchstens für die Koch-Crowd!

GP, mit Ihnen gehe ich jederzeit überall ein, gerne auch in Stahlgewitter.

ramses, ich höre die Ironie in Ihrem Ton und spüre leisen Zweifel am „ginge“ des Unterschichtvertreter. Natürlich kann ich das nicht beweisen, doch sofern mein Gedächtnis mich nicht trügt (was es zugegebenermaßen nicht selten tut), so war es so wie geschildert. Sie wissen ja: Dies hier ist ein Hort der Wahrheit und Tugend.

22:43  

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