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Die Rückseite der Reeperbahn

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Mein Foto
Name: Matthias Wagner
Standort: Hamburg, Germany

Schreiberling




17 Januar 2010

Mit gutem Gewissen

Der Franke und ich flanieren durch den Penny-Markt in Ottensen und nehmen die Wochenware in Augenschein. USB-Kartenleser, Schischuhe, Toilettensitze, Konserven: so’n Zeug.

„Hier gibt es nichts“, sage ich erleichtert zum Franken, denn das Wesen der Flanage besteht bekanntlich darin, Kaufanzreizen zu widerstehen, und wo gar keine sind, fällt das besonders leicht.

„Wonach suchst du überhaupt?“, fragt der Franke, aber nur rhetorisch. „Nach gar nichts“, sage ich, „aber hier gibt es ja auch nichts.“

Als wir gerade auf gewohnt geschmeidige Weise an der Kassenschlange vorbei gen Ausgang wieseln wollen, spricht uns von der Seite ein Penny-Verkäufer an. Er schwenkt zwei brikettartige Etwasse.

„Meine Herren!“, ruft er in gespielter Aufregung, „Sie haben noch beide Hände frei – und ich habe hier zwei Päckchen Vogelfutter!“ Er hat uns anscheinend als Flaneure enttarnt und versucht diese merkantil betrübliche Sachlage nun zugunsten seines Arbeitgebers zu verändern.

„Denken Sie an die Vögel!“, ruft er und schwenkt die Futterbriketts, „denken Sie an Ihr Gewissen!“

„Wir denken dran“, sagt der Franke knapp.

„Ganz fest“, sekundiere ich.

Und schon haben wir es wieder mal geschafft, den Ausgang zu erreichen, ohne das Wesen der Flanage verraten zu haben. Fast bin ich ein bisschen gerührt.



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15 November 2009

An einem ganz normalen Sonntag

Vor der Fischmarktbude steht eine weißhaarige und -häutige Schaufensterpuppe, deren Kopf und Haare sich kaum abheben vom Hintergrund. Ich zücke die Kamera.

„Fünf Euro pro Foto“, scherzt der hinzutretende Budenbesitzer, der gerade am Abbauen ist. „Nur wenn mich die Dame selbst darum bittet“, kontere ich in einem extremst raren Anfall von Schlagfertigkeit, der deshalb auch sofort verbloggt werden muss, um mich hinfort daran zu erinnen, dass ich es wirklich einmal war: schlagfertig.

Jedenfalls komme ich um die fünf Euro herum, denn die Dame bleibt stumm. Im Gegensatz zu diesem schmerbäuchigen Riesen bei Penny an der Reeperbahn, der seine Halbglatze mit kragenlangen fettigen Ringellöckchen zu kompensieren versucht. Er steht in der Kassenschlange und wird von einem alten Graukopf mit Schiebermütze und drei Tetrapacks unterm Arm angesprochen.

Es ist nicht zu hören, was der Alte sagt, doch klar ist: Er möchte angesichts seiner überschaubaren Einkäufe gern vorgelassen werden. Was der schmerbäuchige Riese antwortet, ist drei Schlangen weit zu hören. „Die Antwort ist ein ganz klares Nein!“, schnappt er. Dabei schaut er schräg unter sich. „Ein ganz klares Nein!“

Der Alte murmelt etwas und trottet den Gang hinab, ans Ende der Schlange – vorbei an dem Mittdreißiger mit Bandana und Ziegenbärtchen, der gerade einen unrasierten Mann in seinem Alter anspricht. „Sach ma, kann ich das ma kurz in deinem Wagen zwischenlagärn?“

Umstandslos wuchtet er seine Einkäufe in den Wagen des Fremden, ohne eine Antwort abzuwarten. Der Überrumpelte ist hilflos, denn er telefoniert gerade. Wortfetzen wehen herüber „… Ware angekommen … überprüft … das ist bei der Ware so … kümmer mich drum …“

Pennygeschichten. Solche Dialoge hört man bei Edeka nie. Vor allem nicht innerhalb von drei Minuten.


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05 August 2009

Mal wieder Brötchenprobleme

Heute bei Penny – die Filiale verschweige ich lieber – mustert die Verkäuferin missmutig die durchsichtige Brötchentüte des Kunden vor mir.

Es sind viele Semmeln drin, verschiedene Sorten gar, die Kassenfrau kann das Wirrwarr durch puren Augenschein nicht recht auflösen. Was also tut diese Pragmatikerin?

Sie öffnet die Tüte, greift herzhaft hinein, sortiert dort, im Tüteninnern, die Backwaren in hell und dunkel und tippt dann die unterschiedlichen Preise ein.

Warum dann allerdings drüben an der Selbstbedienungstheke Greifzangen an Ketten hängen, mit denen die Kundschaft die Brötchen rausholen soll wie Plüschteddys aus der Glasbox aufm Dom, das ploppt im Schatten dieses verblüffenden Ereignisses als große Frage auf.

„Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, Verehrteste: Brötchen kann man übrigens nicht waschen“, sage ich keineswegs zur Verkäuferin, denn das wäre ja wohl der Text des betroffenen Kunden vor mir gewesen.

Die Schweinegrippe inkubiert übrigens bis zu vier Tage.

PS: Ja, ich habe dieses Foto schon mal verbloggt, und zwar am 15. Januar 2007.


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17 April 2009

Fundstücke (46)



Die Features dieses Handys (s. Hervorhebung) sind nur auf den ersten Blick fantastisch.

Beim näheren Hinsehen nämlich stellt sich heraus, dass man im Grunde ständig telefonieren muss, damit der Akku sich nicht rasend schnell entleert. Und ohne Flatrate geht so was immens in die Kosten.

Doch für Vieltelefonierer und Fans magischer Technik ist das Teil ein Muss, ganz klar.

(Entdeckt bei Penny in Ottensen.)


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06 Januar 2009

Fernsehtipp

Die praktisch immer geöffnete Pennyfiliale an der Reeperbahn kommt hier im Blog öfter vor.

Warum das notwendigerweise so sein muss, zeigt die Spiegel-TV-Reportage „Auf der Reeperbahn nachts um 11 – Ein Supermarkt in Hamburg St. Pauli“ recht anschaulich.

Der erste Teil läuft heute Abend um 23:10 Uhr (wieder mal) auf Vox.


Foto: Spiegel TV

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06 November 2008

O du nölige

Bei Penny. „Nenn mir ein Wort mit vier tz“, fordert der Franke mich unvermittelt auf.

„Weiß nicht“, muffle ich, erschüttert und fasziniert von der scheußlichen Weihnachtsdeko, die uns umgibt wie ein terroristischer Anschlag. Meine geistige Trägheut freut den Franken, denn jetzt kann er glänzen. Das tut er auch.

Atzventzkrantzkertzen!“, triumphiert er in einer Lautstärke, welche Pennykunden verschüchtert darüber nachdenken lässt, das nächste Mal besser zu Aldi zu gehen. Sie wissen ja nicht, dass der Franke auch dort regelmäßig seine sonischen Duftmarken zu setzen weiß.

Atzventzkrantzkertzen also. Wer ist da eigentlich als erster drauf gekommen, irgendein Komiker? Der Franke jedenfalls nicht von alleine, es gibt 80 Treffer bei Google.

Später erhalte ich eine Spammail mit dem Betreff: „Ihre Anfrage nach Kunsttannen“, und beim Thailänder in der Taubenstraße servieren sie zum Likör
einen wohl weihnachtsmäßig gemeinten Langhaarschrat mit Wallebart.

Diese ganze Atzventzzeit ist von höchst zweifelhafter Provenienz, wenn ihr mich fragt.


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26 Oktober 2008

Das Ensemble des Todes



Seit Wochen müssen sie der absolute Hit bei Penny in Ottensen sein, sonst wären sie längst aus dem Sortiment verschwunden: Grablampen.

Allerdings konzentriert Penny sich voll auf das Modell „Grablampe mittel“, als gäbe es nicht auch eine ungestillte Sehnsucht nach S oder XXL.

Um diese Lücken im Sortiment zu verschleiern, hat Penny den Grablampen seit neuestem ein Gespenst von 24 Zentimetern Höhe zur Seite gestellt. Grundsätzlich gar nicht mal unsinnig; schließlich gehören Gespenster ebenfalls jener Sphäre an, die Grablampen gemeinhin zu erhellen versuchen.

Doch warum lacht das terrakottafarbene Gespenst halloweenesk auf und wedelt mit der Rute? Im Angesicht von „Grablampen mittel“ ist das pietät-, geschmack- und würdelos.

Anders gesagt: Gefällt mir richtig gut.


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04 Oktober 2008

Die Frage aller Fragen

Wahrscheinlich steht die Verpflichtung zu dieser Frage im Arbeitsvertrag sämtlicher Pennyverkäufer. Wer bei Penny an der Kasse sitzt, muss sie stellen, unabhängig vom Wert des Einkaufs oder der Reputation des Kunden.

Jeder vollendete Bezahlvorgang muss mit dieser Frage abgeschlossen werden, sonst Abmahnung. So weit, so gut. Als aber heute die Pennyverkäuferin dem Obdachlosen, der lediglich einen Tetrapak billigsten Rotweins aufs Band gelegt hatte, die in ihrem Arbeitsvertrag festgelegte Frage stellte, wurde das Surreale dieser Vorschrift doch sehr evident.

Sie blickte hoch zu dem Obdachlosen, der nach seinem Tetrapak griff, und fragte sie, die Frage aller Fragen.

Sie lautet: „Kassenbon?“

Der Mann schüttelte Kopf und Bart und ging hinaus. Genau wie ich wenig später, mit der gleichen Frage als Echo zwischen den Ohren – und vier Frühstücksbrötchen in der Tasche.

Vielleicht sollte man ihn sich wirklich mal geben lassen, den Kassenbon, und nachmittags mit einem angebissenen Brötchen wiederkommen: „Sorry, das war nicht gut, ich möchte es umtauschen, hier ist der Kassenbon.“

Eventuell nächsten Sonntag.



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03 September 2008

Die Folgen der Wohnlage

Liegt es an mir, oder hat wirklich alles auf dem Kiez einen anzüglichen Subtext?

Entdeckt bei Penny, Reeperbahn.

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23 Juli 2008

Keilriemen statt Spaghetti

Bei Penny an der Reeperbahn (Foto).

Die Frau in der Schlange vor mir legt nur zwei Produkte aufs Laufband: diverse Packungen Spaghetti und einige Liter Milch. Nach dem Nudelscan ruft sie plötzlich: „Halt!“.

Sie will lieber erst mal schauen, ob überhaupt ihr Geld reicht. Eindringlich und umständlich investigiert sie ihre Börse. „Ich habe zehn Euro“, sagt sie dann zur Kassenfrau. „Und einen im Wagen.“

Nicht nur das exakte Wissen über ihr im Auto deponiertes Vermögen erstaunt. Entweder sie hat nur zufällig nicht mehr dabei als volle elf Euro; oder sie ist zwar zum Auffüllen der Nahrungsvorräte zu abgebrannt, fährt aber aus Gründen wohlgesetzter Priorität noch immer trotzig Auto – Motoren- statt Olivenöl, Keilriemen statt Spaghetti.

Allerdings bleibt das letztlich ungeklärt. Nudeln und Milch kosten sie am Ende genau 9,92 Euro. Sie muss nicht mal raus zum Handschuhfach.

Übrigens darf beim momentanen Spritpreis derjenige am höchsten frohlocken, der sich gar kein Auto leisten kann.


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26 April 2008

Fundstücke (37)

Nannte man so etwas früher nicht schlicht und einfach „Kokain“?



Und brauchte man dafür früher nicht schlicht und einfach eine Kreditkarte und einen Rasierspiegel?



(Entdeckt bei Penny in Ottensen.)

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07 April 2008

Eine poröse graue Masse



Abends bevölkern noch merkwürdigere Menschen den Penny an der Reeperbahn als vormittags. Es sind Gestalten, wie sie im Film „Blade Runner“ durch die Straßen wanken.

Schmutzige Punkpärchen stehen am Eingang und fragen: „Möchtest du uns was schenken?“ Zwischen den Regalen schlurfen obdachlose alte Männer mit löchrigen Mützen herum. Betrunkene lehnen murmelnd an den Ständen, mit toten Kippen zwischen den Lippen. Wir sind hier in Deutschland, dem Land des Aufschwungs.

Vor mir an der Kasse steht ein vielleicht 60-Jähriger. Seine verdreckte Ballonseidenjacke wird ausgebeult von einem Rücken, der ihm in Paris einen Job als Glöckner einbrächte. Oben trägt er Glatze, darunter hängen die talgglänzenden Haare kraftlos auf dem schuppenverschneiten Kragen. Auch in seinen wuchernden weißen Koteletten hängen die Reste abgestorbener Hautzellen. Doch am schlimmsten sehen seine Hände aus.

Sie glühen nicht nur feuerrot; ihre schrundigen, mit langen gelben Nägeln verzierten Finger sind zudem an den Rändern mit einer porösen grauen Masse bewachsen; vielleicht eine Bakterienkolonie, die sich hier aus Erfahrung sicher wähnt vor Attacken durch Hygieneartikel.

Ein gruseliger Anblick. Als der Mann sich mit seiner linken Hand auf dem Band abstützt und so meinem Artikel – einem kleinen Karton mit Gefrierbeuteln – sehr nahekommt, zucke ich innerlich zusammen. Was natürlich lächerlich ist: Die Beutel, in die ich demnächst Lebensmittel unterzubringen gedenke, sind ja im Karton und somit außer Gefahr, kontaminiert zu werden.

Trotzdem rücke ich die Packung unauffällig etwas weiter weg Richtung Fließbandrand, allerdings mit einem befriedigenden Gefühl der Scham. Wie muss es Notärzten gehen, die jemand wie ihn bei Bedarf wiederbeleben müssen – mit Mund-zu-Nase-Beatmung und allen Schikanen?

Als er dem Kassierer mit seiner schrundigen, rotgrauen Hand das centgenau abgezählte Kleingeld hinhält, wird mir erst bewusst, was er einkauft. Es ist nicht etwa die erwartbare Flasche Wodka oder Doppelkorn. Sondern erstaunlicherweise eine Gebäck- und Waffelmischung sowie ein Tetrapack Ice Tea (Geschmacksrichtung: Pfirsich).

Der Kassierer ist Afrikaner und trägt ein Schild mit dem Namen Boateng. So heißt auch ein Spieler des HSV. Ich frage ihn nur deswegen nicht, ob sie miteinander verwandt sind, weil es mir peinlich wäre, der Hundertste zu sein, der ihn das fragt.

Später erlegt Ms. Columbo im Bad den ersten Moskito des Jahres.

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05 März 2008

Aus dem Hirn eines Irren

Wir flanieren durch den Pennyladen in Ottensen, wo ich damals über Mittag die Schokolade in der Kühltruhe versteckte, doch das wochenaktuelle Angebot ist kreuzerbärmlich.

Ich meine: Wen will Penny mit einem Handrührer für Farbeimer becircen?

„Alle Zeichen stehen auf Frustkauf!“, flucht der Franke. Als ich einwende, Penny sei ja wohl als unmittelbare Ursache für dieses zwar kapitalismusfreundliche, ansonsten aber recht charakterlose Gefühl kaum der richtige Laden, um ihm sofort nachzugeben, reagiert er überraschend.

„Nein!“, ruft er nämlich, „ich muss Penny sofort mit einem Frustkauf bestrafen!“


Diese Logik entspringt unzweifelhaft dem Hirn eines Irren. Gleichwohl setzt der Franke sie sofort in eine Handlung um, und wenige Sekunden später legt er eine Fünferpackung Snickers aufs Kassenband.

Wovon ich später nicht einen einzigen kreuzerbärmlichen Riegel abkriege.


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10 Februar 2008

Das möglicherweise bedeutsame Plattenbruchstück



Bei Penny schenkte ein leicht derangierter junger Mann der Kassiererin jenen Cent, den sie ihm gerade rausgegeben hatte. „Ein Glückscent“, sagte der Mann.

Lächelnd bedankte sich die Kassiererin und deponierte das Geldstück neben der Kasse. Die darauffolgende Kundin, eine adrett gekleidete und gut 70-jährige Greisin, die aus der Pennykundschaft herausstach wie eine Rose aus einem Distelbeet, hatte 5,01 Euro zu zahlen – aber denkst du, die Kassierin wäre auf die Idee gekommen, ihr den Cent zu erlassen und mit dem gerade geschenkt bekommenen zu verrechnen?

Keine Chance. Sie ließ die Dame lieber solange zittrig in der Börse wühlen, bis die endlich eine passende Winzmünze gefunden hatte. So kommen wir als Gesellschaft, als Sozialsystem, als Solidargemeinschaft keinen Millimeter weiter, so viel ist sicher.

Mittags lustwandelten Ms. Columbo und ich durch den verfrühten Frühling. Im Schlachthofviertel stießen wir auf eine Brache, wo mehrere zerbrochene Langspielplatten im Dreck lagen.


Eine davon stammte von den Pet Shop Boys, und das Bruchstück sah verblüffenderweise aus wie eine grobe antike Landkarte der Vereinigten Staaten von Amerika.

Was das zu bedeuten hat, weiß ich aber auch nicht.


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27 Januar 2008

Der blutende Finger

Er ist höchstens 20, seine Augen wurden zu kleinen Schlitzen im Lauf der Samstagnacht, seine Lippen sind wie aufgespritzt.

Doch das Auffälligste an ihm ist sein Stahlhelm.

Vielleicht ist es ein Relikt der Wehrmacht, vielleicht auch ein Bundeswehrhelm, damit kenne ich mich nicht aus. Jedenfalls trägt er ihn ohne jede Scham. Denn das, was er seinen Begleitern – einem dicken Irokesenpunk und einem hageren Graubart mit einem Sechserpack Adelskroner – zu sagen hat, das sagt er auch dem Rest der Pennykundschaft, so laut bricht das alles aus ihm heraus.

Es geht um seinen Finger. Der blutet nämlich, und den hält er jetzt dem Kassierer eine Spur zu dicht vor die Nase. „Bei euch liegen Glasscherben im Regal!“, blafft der Stahlhelm, „was sagsten dazu? Warum liegen bei euch Glasscherben im Regal, hä?“

Er ruft es mit einer Mischung aus Empörung und Genuss, irgendwie freut er sich über den Zwischenfall und das Blut, das in einer dünnen Rinne an seinem Handgelenk hinunterläuft und im Ärmel verschwindet.

„Ich verklag euch!“, ruft er, „in Amerika ginge das!“

Der Kassierer bleibt ungerührt, er beobachtet lieber den Irokesen, der ihm gerade 1,83 Euro in kleinstmöglichen Münzen vorzählt und zweimal von vorne anfangen muss. „Wir sind aber nicht in Amerika“, murmelt er dann doch, ohne den Stahlhelm anzuschauen.

„Die haben Glasscherben im Regal!“, triumphiert der dicklippige Helmträger lautstark und beschreibt mit seinem hochgereckten Arm einen Halbkreis für uns, das Publikum, damit wir auch alle seinen blutenden Finger sehen können.

„Nu lass man“, sagt leise der Hagere mit dem Bier, und das wirkt. Alle drei trollen sich nach draußen, und als ich kurz darauf ebenfalls die Reeperbahn betrete, spielt der blutende Finger längst keine Rolle mehr.

Dafür hat das Adelskroner stark an Bedeutung gewonnen.

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05 November 2007

Brat Kartoffeln, aber pronto!

Korinthenkacken ist Volkssport auf der Rückseite der Reeperbahn. Heute kriegt das die Fertigessenfirma Marena zu spüren.

Der Hersteller offerierte uns heute bei Penny eine Nahrungsmittelpackung letztlich unklaren Inhalts. Draußen drauf stand nämlich in hartem Kommisston lediglich der Befehl „Brat Kartoffeln“, wobei Marena versehentlich das Ausrufezeichen vergessen hatte und uns zudem noch unziemlich duzte.

Ja, klar briete ich mir Kartoffeln, Marena, so ich denn welche hätte! Doch woher nehmen?

Also brat sie dir doch selber – so du welche hast.

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27 August 2007

Gegensätze zicken sich an

Noch immer herrscht auf der Welt nicht immer umfassende Harmonie. Auch auf St. Pauli begegnete mir heute früh gegen 11 nicht überall eitel Sonnenschein.

Bei Penny zum Beispiel war – wie auch vorgestern bei Spar – der Getränkeautomat unpässlich. Die davor stehenden Herren in durchweg legerer Optik reagierten auf diesen Umstand keineswegs begeistert.

„Das iss der Hammä hiä!“, formulierte einer von ihnen deutliche Kritik an der Penny-Geschäftsführung. Seine äußere Aufmachung vertuschte geschickt die Tatsache, dass es der Menschheit bereits vor längerer Zeit gelungen war, Hilfsmittel wie Rasierer oder Friseurscheren zu erfinden.

Auch Waschmaschinen waren in der Welt dieses aufgewühlten Herrn nasen- und augenscheinlich ein rares Gut. Unter anderem deshalb dürfte er es künftig nicht leicht haben, einen Job als Vorstandsvorsitzender zu finden.

Auf der Rückfahrt traf ich am Hamburger Berg auf ein Paar, welches in nicht näher bestimmbarer Beziehung zueinander stand; es war aber auf jeden Fall eine von Gefühlen dominierte.

„Du Lutschä!“, charakterisierte die nur leicht bekleidete Frau ihren Gesprächspartner, und mir schienen darin schon beinah Anzeichen von Missbilligung mitzuschwingen. Auch er kam wohl zu einem ähnlichen Schluss und versuchte ihre Einschätzung zeitnah zu korrigieren.

„Dann steck ihn dir doch rein!“, riet er ihr gut zu, „dann kriegst du endlich mal wieder einen rein!“ Möglicherweise wollte er der Diskutantin damit gewisse Insiderkenntnisse ihrer privatesten Lebensumstände andeuten, woraus man wohl eine gute Bekanntschaft der beiden rückschließen darf.

Vielleicht standen sie gar in einer romantischen Beziehung; der vertrauliche Ton ihres Gesprächs legte das zumindest nahe. Und wie man weiß, ist es wichtig für das Leben als Paar, abweichende Standpunkte von Zeit zu Zeit offen und ehrlich zu thematisieren.

Diese beiden taten am Hamburger Berg also durchaus das Richtige: Sie arbeiteten engagiert an möglichst umfassender Weltharmonie. Als mir das bewusst wurde, fühlte ich mich selbst gleich viel harmonischer.

Es wirkt also schon.

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06 August 2007

Kein Lamm, nirgends

Der Angestellte der Tankstelle am Spielbudenplatz will mir auf den 12er-Kasten Warsteiner kein Pfand geben. Diese Konfiguration, wird mir kühl beschieden, hätte man nicht im Angebot, ergo erfolge auch keine Rücknahme. Nur die Flaschen könne ich dalassen.

Das versuche ich auch, doch der zuständige Automat ruckelt und piept zwar eifrig, folgt aber seiner einzigen Bestimmung hienieden nicht: Flaschen zu schlucken und dafür einen Bon auszuspucken. Streik also nicht nur bei der Bahn.

Frustriert packe ich den Kasten draußen auf den Gepäckträger des Fahrrads und schlendere über den Flohmarkt – in der Hoffnung, die Kiste geklaut zu bekommen und somit diese Last ohne weitere Mühe, aber auch ohne Erlös los zu sein. Doch heute streiken selbst die Diebe.

Später versuche ich, Lammfilets zu kaufen, weil Ms. Columbo vom Fischmarkt aus irgendwelchen Gründen Bohnen heimbrachte. Und was kann man zu Bohnen schon essen außer Lamm? Also muss ich los.

Doch die Frustrationsserie reißt nicht ab. Bei Penny: kein Lamm. Bei Lidl: dito. Da wohnen wir schon in einem Viertel mit gefühlt mehr als 50 Prozent kleinasiatischer Bevölkerung, der doch wohl eine deutliche Lammaffinität unterstellt werden darf – und der hiesige Einzelhandel setzt dennoch voll auf Huhn und Schwein.

Vorm Lidl-Markt schläft übrigens ein besoffener Teenager im Stehen und hat sich zur Unterstützung seines vegetativen Nervensystems, das neben der Atmung auch seine aufrechte Haltung sichern soll, an einen Pfosten gelehnt.

Während er also dalehnt und sanft schwankend schläft, dreht er sich in Höhe der Körpermitte eine Zigarette. Ganz erstaunlich.

Heute Abend gab es dann übrigens weder Lamm noch Bohnen, sondern Käse und Salat. Auch lecker.

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12 Juni 2007

Besessen von Pennytüten!

Das Oberteil der rauchenden jungen Frau, die uns auf der Treppe zur U-Bahn St. Pauli begegnet, ist keineswegs maßgeschneidert, und das rotgelbe Material des Kleidungsstücks wirkt irgendwie künstlich. Nein, sie trägt nicht gerade American Apparel.

Doch erst beim näheren Hinsehen sehen wir es: Die Frau hat Löcher in die unteren Ecken einer großen Plastiktüte von Penny geschnitten und sie sich dann kopfüber angezogen.

„Nicht unoriginell“, sage ich anerkennend zu Ms. Columbo, „nur eventuell etwas kalt im Winter.“ Die rauchende Frau braucht das aber nicht zu kümmern: Zum Glück haben wir ja gerade Klimakatastrophe.

Diese kleine unwichtige Begebenheit – Achtung: Jetzt wird es sehr selbstbezüglich! – will ich zu Hause natürlich verbloggen, weil es auf der Rückseite der Reeperbahn nun mal so Sitte ist, kleine unwichtige Begegnungen zu verbloggen und so dem rechtmäßigen Vergessen zu entreißen.

Leider habe ich zur Illustration keine abknipsbare Pennytüte zur Hand. Deshalb google ich in der Bildersuche nach diesem Begriff – und sitze genau 0,06 Sekunden später schockiert blinzelnd vom Bildschirm, als erzählte mir gerade jemand, der Papst habe soeben eine Bank in Stockholm überfallen.

Was da nämlich als Suchergebnis vor meinen ungläubigen Augen die komplette Monitorfläche füllt, ist eine seitenlange Sammlung von Fotos aus diesem Blog

O Mann, ich bin ganz offensichtlich besessen von Pennytüten! Und mit diesem Beitrag lindere ich nicht gerade die Symptome.

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18 März 2007

Ganz viel Gouda – aber wozu?

Manchem hier missfallen ja meine sonntäglichen Ausflüge zum Penny-Markt an der Reeperbahn, doch auch heute habe ich es wieder getan. Und immer erlebt man was.

Der Mann trägt Siebentagebart und Pferdeschwanz, und er wuchtet nur ein einziges Produkt aufs Kassenband, das aber reichlich: Gouda. Das holländische Exportgut, welches im Alter durchaus zu einem genussreichen Lebensmittel heranzureifen in der Lage ist, was man ihm in der bedrückenden Mittelmäßigkeit seiner jungen Jahre kaum zugetraut hätte, ist abgepackt in etwa halbpfündige Portionen keilförmigen Zuschnitts.

Es sind genau 22 Stück. Ich weiß es deshalb so genau, weil ich hinter ihm stehe und die Kassiererin sie durchzählt. 22 Packungen Gouda. Macht mehr als fünf Kilo.

„Bestimmt“, theoretisiert Ms. Columbo später zu Hause, „gab es die im Sonderangebot, und er friert sie ein.“ Mir hingegen schweben spontan – keine Ahnung warum – sexuelle Verwendungsarten vor, alternativ auch ein Fondue. Wahrscheinlich aber stimmt das alles nicht.

Gegen das Sonderangebot zum Beispiel spricht eine Beobachtung auf dem Heimweg. Ich sehe den Goudamann noch mal am Hamburger Berg, wie er die Käsemasse in den Kofferaum seines Kleinwagens packt. Nummernschild: Winsen an der Luhe.

Das widerlegt Ms. Columbos Theorie: Niemand fährt 40 Kilometer von Winsen an der Luhe nach Hamburg, um auf St. Pauli billigen Gouda zu kaufen. Abgehakt. Einen genauen sexuellen Verwendungszweck für 22 Päckchen Gouda vermag ich allerdings auch nicht anzugeben; selbst eine imaginierte Verflüssigung des Milchproduktes hilft meiner Fantasie nicht entscheidend auf die Sprünge.

Und Fondue? Nein, falscher Käse. Jedenfalls fährt er davon, der bezopfte Siebentagebart, um in Winsen an der Luhe irgendwas zu veranstalten mit ganz viel Gouda.

Der Fall wird ein Rätsel bleiben. Auf ewig.

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30 Januar 2007

Guido wollte auch mal was sagen

Heute stellt sich doch wahrhaftig FDP-Chef Guido Westerwelle vors Mikro und behauptet, die Einführung eines Mindestlohns gefährde Arbeitsplätze. Ach ja? Mit diesem Argument, Westerwelle, ließe sich auch die Beibehaltung der Sklaverei rechtfertigen.

Denn führte nicht die Einführung eines Mindestlohnes für Sklaven dazu, dass sich die Sklavenhalter leider, leider von den bisher kostenlosen Zwangsarbeitern trennen müssten?

Dem Topverdiener Westerwelle ist die Gewinnspanne der Unternehmen im Zweifelsfall aber wichtiger als ein menschenwürdiges Leben. Deshalb sollen sich nach Guidos Gusto viele Menschen weiter für zwei Euro fünfzig pro Stunde als Halbsklaven verdingen müssen.

Nun, wer das okay findet, der mag ihn das nächste Mal wählen. Hier auf St. Pauli, so viel ist sicher, wird er damit nicht punkten. Viele hier wissen nicht einmal, wie man „Lohn“ buchstabiert.

Zum Beispiel diese orangehaarige Punkerin bei Penny. Im Eingangsbereich streitet sie mit einem Sicherheitsmann. Sie soll gehen, aber sie will nicht gehen. Gut, dann Polizei, sagt der Sicherheitsmann. Dann eben Polizei, sagt die Punkerin und zieht freudlos an der Kippe.

Als die Streife kommt, erklärt sie, sie habe noch nie hier geklaut oder sonstwie Ärger gemacht. „Nur weil ich einen Iro hab, habe ich Hausverbot. Das können die doch nicht machen. Ich will hier einkaufen wie jeder andere auch.“

Aber Hausrecht ist Hausrecht, die Kriterien sind frei definierbar, und eins davon kann eben auch ein Irokesenschnitt sein, sorry. Hätte die Punkerin einen menschenwürdig bezahlten Job, könnte sie sich den Sparmarkt in der Paul-Roosen-Straße leisten. Dort wird man auch nicht wegen seines Aussehens als Kunde abgelehnt.

Selbst Westerwelle würde dort bedient.
Denke ich mal.

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23 Januar 2007

Kiez-TV, überall

Nein, natürlich sind die Hamburger Kollegen von Spiegel TV nicht reisefaul. Sie würden protestlos in Timbuktu drehen und ohne zu schmollen in Schmalkalden. Doch die interessantesten Themen finden sie nun mal im unmittelbaren Einzugsgebiet meines Blogs.

Just ist die dreiteilige Sat1-Horrorshow über den Penny-Laden an der Reeperbahn ausgelaufen. Und gestern zeigte Vox eine mehr als zweistündige Dokumentation über die Esso-Tankstelle am Spielbudenplatz.

Diese Tanke ist nicht gerade mein Wohnzimmer, aber immer wieder Anlaufstelle bei nächtlichen Notlagen. Wo bekommt man morgens um zwei noch einen Sixpack Bier oder die rettende Klorolle? Natürlich nur dort.

Beide Filme verdeutlichten die komplette Durchalkoholisierung unserer Nachbarschaft. Ohne Sprit geht hier offenbar keiner mehr vor die Tür, und sobald er dort ankommt, gibt es in der Regel Ärger; zum Glück steht dann wenigstens eine Spiegel-TV-Kamera parat, weil sie vorher doch nicht nach Schmalkalden oder Timbuktu verbracht wurde.

Meist sind die auftretenden Torkler, Zausel und Trantüten aber einfach nur schrullige Suffköppe mit schwerer, vor allem schwer hanseatischer Zunge. Ein äthanolbeeinträchtigter Partyjunge etwa lallte den Spiegel-TV-Leuten im Tankstellenfilm folgenden großartigen Satz über eine benachbarte Disco ins Mikro: „Das Doggs is kagge. Die Türsteher ham Mundgeruch.“

Ich kann das nicht beurteilen, so nah bin ich noch nie einem dieser vierschrötigen Herren gekommen. Falls das doch einmal geschehen sollte, kann ich ihm das einzig wahre Mittel gegen Mundgeruch empfehlen: einen Zungenschaber (Abb.). Ich hoffe, der Vierschröter nimmt es dann als guten Rat und nicht persönlich.

Das zweitbeste Zitat verantwortete Henry Hübchen, der brockenartige Koberer vom Moulin Rouge an der Reeperbahn. Man nennt ihn Inkasso-Henry, sein grollendes Organ kennt jeder Mann, der mal den Fehler machte, ohne weibliche Begleitung die Meile zu erbummeln.

Inkasso-Henry jedenfalls, der an der Tanke seinen Mercedes waschen ließ, steuerte dem Stammbuch der Kiezweisheiten ein doppelköpfiges Credo bei: „Ein Auto muss sauber sein. Eine Frau muss sauber sein.“

Bei einem von beiden hülfe übrigens in bestimmten Regionen ein Zungenschaber.

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15 Januar 2007

Russenpranken bei der Brötchenprobe

Bei Penny sehe ich einen bulligen, einsneunzig großen und russisch brabbelnden Schnauzbartträger, wie er mit bloßen Händen in der Brötchenkiste wühlt. „Entschuldigen Sie“, spreche ich ihn mit hoffentlich deutlichen Zeichen des Ekels an, „eigentlich sind dafür diese Zangen da.“ Ich zeige ihm eine.

Er schaut düster, murmelt unwirsch „Ja, ja“, greift nach der Zange und versucht damit sein Glück. Allerdings ist er ganz offensichtlich kein gelernter Uhrmacher. Derweil tritt sein Kumpel an die nächste Kiste und langt mit Riesenpranken prüfend, wägend und eins ums andere verwerfend mitten hinein ins Backwerk.

Ich gebe auf. Das ganze Prinzip ist falsch. Offene Lebensmittel sind ungeeignet fürs Selbstbedienungsprinzip. Ich meine: Hier kaufen die gleichen Leute ein, die vorhin mitten im Reeperbahn-Passantenstrom an der Litfasssäule ihr Wasser abschlugen, und dabei hielten sie etwas ganz anderes in Händen als Brötchen.

Natürlich will ich der russischen Fraktion nicht a priori unhygienische Verhaltensweisen unterstellen, doch in diesem Fall lautet mein Motto: Vorsicht ist die Mutter des Immunsystems. Und solange ich nicht genau weiß, was sie in der letzten Stunde alles antatschten, möchte ich lieber in nichts beißen, welches zuvor ihrer taktilen Prüfung nicht standhielt.

Mit der Zange fische ich mir desillusioniert ein paar Brötchen von ganz hinten hervor, dort, wo höchstens Wladimir Klitschko mit bloßen Händen hinreichen könnte. Weiterer Vorsatz für 2007: Wieder öfter in anständige Bäckereien gehen.

PS: Es gibt das Problem der verschmähten Brötchenzangen übrigens schon länger.

PPS: Hat eigentlich letzten Montag jemand die Spiegel-TV-Reportage über den Penny-Laden aufgezeichnet? Würde ich mir gerne mal ausleihen.

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14 November 2006

Negerkuss als Bumskopf

Unbemerkt hat sich Schmalhans bei uns zum Küchenmeister aufgeschwungen, zumindest was das Dessert angeht. Keine Schokolade mehr da, nicht mal Erdbeerjoghurt. Und bei mir keine Bereitschaft, noch schnell zu Penny auf der Reeperbahn zu laufen – was nicht ausschließlich abendlicher Faulheit zuzuschreiben ist, sondern vor allem der mangelnden Sachkompetenz Pennys in punkto Süßigkeiten.

Bei Penny, mal ehrlich, kauft man doch nur das allerdings sehr passable Klopapier „Happy End“. So füge ich mich in mein temporäres Schicksal als frustrierter Süßschnabel und schleiche moderat missmutig hinüber in die Prinzenbar, wo John Vanderslice im Angesicht von Stuckengeln ein Konzert spielt.

Und was passiert? Nach dem dritten Stück fragt der Mann, ob es eigentlich schon spät genug für „candy“ sei. Das Publikum, inklusive mir, bejaht ahnungsvoll, woraufhin der vergötterungswerte Künstler anfängt, Schüsseln voller Süßigkeiten zu verteilen, darunter Schokoladenplätzchen mit ganzen Nüssen und Exemplare jenes Schaumgebäcks, welches in Zeiten, als man die Abkürzung „pc“ noch für einen Rechner hielt, als Negerkuss bekannt und beliebt war.

So komme ich doch noch zu meinem Dessert und muss an eine alte Weisheit denken: Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her. Im Zuge meiner Recherchen zum Negerkuss, der mittlerweile unter dem Tarnnamen „Schokokuss“ eine erneut erfolgreiche Existenz aufgebaut hat, stoße ich auf weitere Bezeichnungsvarianten, wovon mir am meisten die aus dem Bayerischen Wald behagt.


Dort nennt man das Süßgebäck nämlich „Bumskopf“.

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17 September 2006

Unheimliche Begegnung der fetten Art

Heute mittag warte ich, wie immer mal wieder sonntags, im Penny-Markt Reeperbahn in der Kassenschlange. Ganz gegen meine sonstigen Gewohnheiten stehe ich vor statt hinter meinem Einkaufswagen, ich weiß auch nicht warum.

Plötzlich sehe ich, wie ein Wagen herrenlos links an mir vorbeirollt; es ist offenbar meiner. Noch ehe ich ihn zu fassen bekomme, touchiert er sanft das Gesäß meines Vordermanns, der ordnungsgemäß hinter statt vor seinem Einkaufswagen steht. Der dreht sich rechtschaffen erstaunt um, doch ich schaue rechtschaffen erstaunt zurück, denn ich weiß ja selber nicht, was los ist.

Also drehe ich mich ebenfalls um – und erblicke das Gesicht eines bulligen Menschen mutmaßlich türkischer Provenienz, dessen Stirn von einem düsteren Ingrimm umwölkt ist. Offenbar hat es den Herrn über Gebühr gestört, mich vor statt hinter meinem eigenen Einkaufswagen vorzufinden. Doch statt dieses Ungemach mündlich zu thematisieren, entschied er sich ohne Umschweife für die nonverbale Variante: Wagen wegschieben, ins Gesäß meines Vordermanns.

Ein Affront für mich, ganz klar. Eine Reaktion ist vonnöten. Die äußerlichen Merkmale des Wagenwegschiebers – grauschwarzer Stoppelbart, verwachsene Augenbrauen von werwolfhafter Buschigkeit, 100 Kilo Lebendgewicht – lassen in mir jedoch schlagartig die Überzeugung reifen, es könne von erheblichem Vorteil sein, mich möglichst widerspruchslos in die neue Sachlage zu fügen.

Also drehe ich mich offensiv wortlos wieder um, umfasse den Bügel meines Einkaufswagens und genieße mit sorgsam kaschierter Schnippischkeit die Vorzüge einer kleinmütig, aber weise vermiedenen Eskalation. Sie hätte was weiß ich für Folgen haben können, und von denen liest man gemeinhin am nächsten Tag in Mopo und BILD, Rubrik: Polizeimeldungen. Das muss ja nicht sein.

Außerdem wartet zu Hause Ms. Columbo auf Klopapier und Brötchen. Und nicht auf einen Blogger mit Nasenbluten.

PS: Das heutige Foto zeigt keinen Ersatzplaneten für Pluto, sondern die neue Illumination des Reeperbahnmittelstreifens: eine ins Gras eingelassene Lampe, die von unten die Bäume anstrahlt.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs übers Einkaufen
1. „Down in the mall“ von Warren Zevon
2. „Shopping cart“ von Schneider TM
3. „Hush little baby“ von The Weavers

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18 August 2006

Ein Scanner macht Witze

Bei Penny in der Bahrenfelder Straße zieht die Kassiererin ächzend einen Wandschrank fürs Bad über den Scanner. Es piepst, und auf dem Display steht: 250 Gramm Tomaten. Gesamtpreis: 69 Cent.

Unverzüglich bricht Heiterkeit aus in allen Schlangen. Ich empfehle der Wandschrankkundin kichernd, auf Zahlung zu bestehen und rasch zu entschwinden. Kundin und Kassiererin nehmen es als Scherz. Da ist mir ein echter Schenkelklopfer gelungen. Beider Wangen röten sich vor Glucksigkeit.

Der Franke, herkunftstypisch praktisch veranlagt, macht auf eventuelle Probleme bei einem späteren Umtausch aufmerksam. Auch das ist witzig. Ein Chef hastet herbei und reguliert die Situation, zuungunsten der Wandschrankkundin und des halben Pfunds virtueller Tomaten. Alles lacht und freut sich.

Was sich während der WM schon andeutete, wird bei Penny in der Bahrenfelder Straße neu und eindrucksvoll bestätigt: Wir haben doch Humor! Zum Glück sind sogar ein paar langgewandete Kopftuchmatronen anwesend, die das hoffentlich deutlichst mitkriegen.

Tomaten sind übrigens genau genommen kein Gemüse, sondern Obst. Weil sie nämlich – Klugscheißermodus an – die essbare Frucht einer Pflanze sind, und so ist Obst definiert.

Das weiß ich aus der FAS vom letztem Sonntag, aber der Artikel ist online kostenpflichtig. Tja.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Obst im weitesten Sinne
1. „Strange fruit" von Billie Holiday
2. „Under the cherry moon" von Prince
3. „Peach pickin' time in Georgia“ von Jimmie Rodgers

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28 März 2006

Der Penny-Fuchser

Es fehlen Bananen fürs Frühstück, und das um kurz vor halb zehn abends. Last exit: Penny, Reeperbahn. Wer noch nie eine Kiezfreakshow erlebt hat, kriegt sie hier jeden Abend für lau.

Der Laden ist gut gefüllt. Er scheint eine Sammelstelle für Heimatlose zu sein. Oder Ort einer Castingshow für einen Romero-Film. Ein Mann mit fettiger Johannes-B.-Kerner-Frisur und brutalem, leicht bäuerischem Zug um den Mund umklammert vorm Bauch eine Plastiktüte, als drehte er ihr den Hals um. Er scheint nichts kaufen zu wollen, er schaut nur. Ich bin recht froh, nicht Gegenstand seines Interesses zu sein.

Er mustert mich nur kurz und wittert weiter. Ich will nicht wissen, was sich in seiner Tüte befindet. Als ich zur Kasse komme, steht er wieder vor mir, und ich wechsle unauffällig die Schlange.

Beim Hinausgehen kommt mir einer mit Pferdegebiss entgegen. Seine Frisur erinnert fern an jene, welche die Bay City Rollers einst für einen kurzen Sommer etablierten und die in abgewandelter Form Rod Stewart bis heute trägt. Der Mann ist spindeldürr, das Substanziellste an ihm scheinen die stumpfsilbernen Ohrringe zu sein. Er taumelt an mir vorbei und dreht kurz den Kopf, um noch einen Fluch Richtung Ausgang zu schicken; dabei sehe ich, dass seine graugelben Zähne schwarze Ränder haben.

Draußen erwarte ich erfahrungsgemäß irgendjemand, dem der Ärger des Fluchenden galt. Doch nur die übliche Zombiearmada schlurft dumpf vorüber. Männer mit verbogenen Körpern, dürre Männer, unrasierte, die meisten umschlottert von tarngrünen Parkas, ihre Jeans sind verdreckt, oft tragen sie zerfranste Schiebermützen. Sie schauen schräg, mit dunkler, verhaltener Panik im Blick. Irgendwann wird sie hervorbrechen, das ist unvermeidbar, und es wäre nicht gut, dann in der Nähe zu sein.

Als ich mein Fahrrad vom Pfosten schnalle, tritt einer heran und sagt: „Hasse ma’n Hunni? Dann ma’ich Feierahmd.“ Mit Bedauern bescheide ich das abschlägig. Er erinnert physiognomisch an den TV-Mann Ulrich Kienzle, nur ist sein fetter grauschwarzer Schnurrbart wirrer, und ich kann mich nicht gegen die aufblitzende Vorstellung wehren, wie die längsten dieser Haare ihm beim Hackfleischessen in den Mund geraten.

„Oder’n büschen Kloingeld?“ Sein rechtes Auge ist blutunterlaufen, der ebenso blutergussschwarze Tränensack darunter reicht ihm fast bis an den Nasenflügel. Ich hantiere weiter am Fahrrad. An einem Stoffband um seinen Hals baumelt ein Handy. Es scheint neu zu sein. Seine speckige Hose wird von Trägern hochgezogen bis zu den Rippenbögen.

Er steht ganz nah vor mir. Zu nah. „Beinah“, raunt er, „hätt ich auf dein Fahhad auffepasst.“ Ich ziehe die Kette vom Pfosten, halte sie hoch und sage: „Das hat die hier schon erledigt, danke.“ Er stiert mich an, der Bluterguss unter seinem Auge scheint zu pulsieren. „Meinste“, fragt er, ohne zu lächeln, „die hätt ich nich aufgekricht?“

Als ich wegfahre mit meinen Ökobananen (Penny hat Ökobananen!), frage ich mich, woher er sein Handy hat. Und wozu er es braucht.


Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Heimatlose
1. „Only a hobo“ von Bob Dylan
2. „Me and Bobby McGhee“ von Kris Kristofferson
3. „Heute hier, morgen dort“ von Hannes Wader


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03 März 2006

Die Fundstücke des Tages (9)

1. Das neue Preisrätsel. Die dritte Mail, die mir sagt, in welchem öffentlichen Gebäude ich diese spacige Wandlampe entdeckt habe, gewinnt einen liebevoll zusammengestellten CD-Sampler. Und welche Folgen so ein Unikat auf die soziale Kompetenz des Gewinners haben kann, beweist gerade der altruistische Kiezpiratenopa.

2.
Es ist schon frustrierend: Die meisten Googler landen zurzeit auf meiner Seite, weil sie den Suchbegriff rache an der ex oder Abwandlungen davon eingeben. Dabei habe ich noch nie ein solches Sujet behandelt und gedenke dies auch künftig nicht zu tun. Diese fehlgeleiteten Googler wissen offenbar wenig über Suchterminologie. Wenn sie wirklich exakt diese Wortkombination finden wollten, müssten sie Anführungsstriche drumherum platzieren. Natürlich kommen in meinem Blog irgendwo, irgendwann die vier Worte „rache“, „an“, „der“ und „ex“ mal vor, aber niemals gemeinsam in Reih und Glied. Leute, die sich wirklich ernsthaft für Racheakte an früheren Lebensabschnittspartnern interessieren, vielleicht sogar zunehmend verzweifelt nach methodischer Inspiration für entsprechende Pläne suchen, erleben daher auf meiner Seite eine weitere bittere Produktenttäuschung. Möglicherweise trägt genau das zum endgültigen Verlust ihrer sozialer Kontrolle bei. Ich möchte das nicht. Das täte mir leid. Daher kann ich nur an euch appellieren, ihr Charles Bronsons da draußen in der wilden Weite des Webs: Lernt endlich googeln! Euer Leben wird erfüllter sein. Doof ist nur: Nach diesem Eintrag finden sie noch leichter hierher. Es gibt einfach kein richtiges Leben im falschen.

3.
Im Pennymarkt an der Reeperbahn tuten die Strichcodescanner derart schrill und panisch, als läse man ihnen gerade Passagen aus Dieter Bohlens Memoiren vor. Die armen Menschen an der Kasse. Acht Stunden am Tag sitzen sie im Sperrfeuer panischer Strichcodescanner, und abends sollen sie einfach so nach Hause gehen, ohne amoklaufend auf dem Kiez Touristen niedermähen zu dürfen. Wer sich professionell um das Wohl von Legebatterienhühnern kümmert, sollte dringend auch Pennyverkäufer als schützenswerte Art in den Blick nehmen. Ehrlich jetzt.

4.
„Warum klamüsert user denn im Netz rum? Weil man im sogenannten Real Life die Mitbürger nicht wegklicken kann.“ Kommentiert Acidmoon in einem Beitrag von webseeings.

5.
Dieser frischentdeckte Kiezplan aus lauter kleinen Bannern und anderem Schnickschnack ist recht amüsant und für Besucher meines Viertels sogar ganz nützlich. Aaaber, meine Herren Programmierer, warum habt ihr zwischen Reeperbahn und Simon-von-Utrecht eigentlich die Seilerstraße unterschlagen? Setzen, Sex!

Ex cathedra: Die Top 3 der anzüglichsten Songs

1. „Gimme some lovin'“ von G. Love & Special Sauce
2. „Boys want sex in the morning“ von Uncle Bonsai
3. „Cylea“ von Christian Redl

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26 Dezember 2005

Die Fundstücke des Tages (2)

1. Ich weiß nicht, ob ich mir und meinem Blog dafür eine Kerbe in den Colt ritzen darf, aber die berüchtigte Bruchbude mit dem hochgestochenen Namen Hotel Hohenzollern gibt es nicht mehr. Dort, in der Clemens-Schulz-Straße, klafft neuerdings statt des Schandflecks eine geröllhaltige Baulücke, wodurch die Adresse deutlich gewonnen hat. Ach, ich ritze mir und meinem Blog einfach eine Kerbe in den Colt.

2. Im Penny-Markt heißt das Klopapier allen Ernstes „Happy End“.


3. Zwei Kalauerideen während des Fitnesstrainings: Das Leben von Altkanzler Schröder könnte man verfilmen unter dem Titel „Der Mann, den sie Gerd nannten“. Und der US-Rasenmäherverband möge sich doch bitte folgenden Namen geben: „Brothers in Lawn“ …


4. Heute erprobte ich mich in der charmant bescheuerten neuen Disziplin kinetische Fotografie. Statt jedoch die Kamera hochzuwerfen, sie irgendetwas knipsen zu lassen und optional wieder aufzufangen, schüttelte ich sie wild, während ich einen Weihnachtsbaum in der Mönckebergstraße passierte. Ergebnis: schon sehr kinetisch.


Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Te amo corazon“ von Prince, „The reputation of Ross Francis“ von My Latest Novel und „The days of Pearly Spencer“ von David McWilliams.

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01 Dezember 2005

Der schwarze Riese

Auf der Reeperbahn gibt es einen neuen Discounter, einen Penny-Markt. Natürlich hat er sieben Tage die Woche geöffnet, sonst würde er hier ausgelacht.

Früher war in diesem Gebäude das Bayrisch-Zell untergebracht, eine auf hemdsärmelig und bierselig getrimmte Amüsierbrachialität mit weißblau gestrichener Fassade und ständig hervorbrechender „Oans, zwoa, gsuffa!“-Beschallung.


Als Koberer für diesen pseudo-urbayerischen Laden war ein schwarzer Riese tätig. Physiognomisch eine verblüffend treffsichere Mischung aus Gerald Asamoah und Roberto Blanco versah der Mann seinen Dienst mit verständlichem Missmut.

Sein von jeglichen Spuren der Hoffnung befreitetes „Wolle Se ma reinschaue?“ klingt mir noch recht gut im Ohr. Dazu schlenkerte der stets tadellos gekleidete Mann auf ungelenk herrische Weise den rechten Arm, was ich stets als einladende Geste deutete. Ganz sicher bin ich mir aber nicht.


Was er wohl jetzt macht, wo das Bayrisch-Zell einem Penny-Markt weichen musste? Wie beurteilt die Agentur für Arbeit sein Qualifikationsprofil?


Abends beim Konzert von Elbow in der Fabrik entstand das Foto. Oben in der Bar entdeckte ich diese ruhige Ecke, während drumherum die Schallwellen Purzelbäume schlugen. Leider hatte ich meine Ohrstöpsel vergessen und musste ein Papiertaschentuch zerknüllen.


Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Meeting across the river“ von Bruce Springsteen, „Heart of glass“ von Blondie im Justus-Köhncke-Remix und „Scene of the crime“ von Les Sybarites.


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