Rothkos heimliche Nackte, enttarnt
Vorm Besuch der Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle hatte ich gelesen, dass Mark Rothko es nach seiner surrealistischen Phase – also nach dem Zweiten Weltkrieg – peinlich vermieden habe, Figuren auf seinen Bildern vorkommen zu lassen. Stattdessen konzentrierte er sich konsequent auf die suggestive Kraft gestapelter Farben.
Umso verblüffter bin ich, als mir auf seinem Gemälde „Nr. 12, 1949“ im Übergang zwischen dem orangen und lila Farbblock ein liegender Akt auffällt.
Die in Weiß gehaltene Nackte dreht uns den Rücken zu. Sie liegt auf der rechten Seite, das linke Bein ausgestreckt über dem angewinkelten rechten. Deutlich ist die Taille zu erkennen, der Hintern, der Übergang zum Oberschenkel, die schmalere Region ums Knie herum, die Wölbung der Wade.
Die langen Haare der Frau sind rotblond und fallen ihr schwerkraftgetreu über den Rücken. Eine echte Sensation: Rothko war selbst 1949 noch figürlich! Aufgeregt erzähle ich Ms. Columbo von meiner Entdeckung.
Ich fühle mich wie Schliemann in den Trümmern von Troja und bin sicher: Man muss hinfort die Rothko-Exegese in eine Zeit vor und nach der sogenannten Wagner-Entdeckung einteilen. Euphorisiert von dieser Aussicht zücke ich in aller Heimlichkeit die treue Digitalkamera.
Doch hier in der Kunsthalle ist das Fotografieren verboten, und so träge und lethargisch das Wachpersonal sich auch zu geben vermag, im entscheidenden Moment steht es doch stets da und ist streng mit mir.
Trotzdem wage ich einen ersten Knipsversuch. Leider wird er stark beeinträchtigt durch einen urplötzlich den Raum betretenden Uniformierten. Das Motiv erweist sich später zu Hause als nicht nur diagonal völlig verrutscht; der Bildausschnitt betont mehr den Fußboden als das Gemälde, und unscharf ist das Ganze zudem.
Das alles weiß ich natürlich im Angesicht von „Nr. 12, 1949“ noch nicht, ahne es aber schon ein Stück weit. Also folge ich aus durchweg niederen Beweggründen Mark Rothkos Tipp zum Umgang mit seinen Werken („Der ideale Abstand des Betrachters zum Bild beträgt 45 Zentimeter“) und schaufle unbemerkt von den herumschnürenden und heimlich hellwachen Museumslethargikern zwei weitere Fotos auf die SD-Karte.
Sie taugen erfreulicherweise als Beweis (s. hervorgehobenes Bilddetail), und nun darf gern die Rothko-Geschichte umgeschrieben werden. Sofern ein so fachkundiger wie einflussreicher Exeget Blogs liest und hier auf diese Enthüllung stößt.
Allerdings ist Nachruhm ja auch was sehr Schönes. Siehe Schliemann.
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