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Die Rückseite der Reeperbahn

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Mein Foto
Name: Matthias Wagner
Standort: Hamburg, Germany

Schreiberling




05 März 2010

Udo Lindenberg wird immer präsenter



Manche dürften an der Wachsversion von Udo Lindenberg vor allem die Tatsache schätzen, dass sie nicht so was wie „Keine Panik!“ nuscheln kann. Ich zum Beispiel.

Die Figur ist die jüngste Errungenschaft des Hamburger Panoptikums am Spielbudenplatz, nur wenige Meter entfernt von Lindenbergs Stern auf der Reeperbahn. Verantwortlich für die erschreckend lebensechte Nachbildung des sog. „Panikrockers“, der seit vielen Jahren in der Atlantic-Bar ungestraft verhaltensauffällig werden darf, indem er absichtlich Likör verschüttet, ist die Bildhauerin Saskia Ruth.

Die Kleidung des wächsernen Udo – samt Hut und Sonnenbrille – wurde übrigens vom Original höchstpersönlich getragen und dann gespendet. Sie ist also durch und durch mit Udos DNS imprägniert, und wer die Figur stibitzt oder auch nur den hässlichen Hut, der könnte Lindenberg klonen.

Doch wer will das schon.

Foto: Panoptikum


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26 Februar 2010

Der Sandalenbuddha

Im 112er-Bus auf der letzten Bank hinten links, wo ich immer gern sitze, weil ich dort den linken Fuß schön hochstellen und mich überhaupt recht bequem und breitbeinig hinfläzen kann, da sitzt schon einer. Ich setze mich daneben.

Augenblicks hüllt mich seine Dunstglocke ein. Es ist ein Mix aus dieses Jahr noch nicht geduscht und letztes Jahr auch nicht.

Aus dem Augenwinkel sehe ich seine struppigen langen, mit Grau durchwirkten Haare, die trägt er auf dem Kopf genauso wie vorne im Gesicht, seine Jacke hat Weltkriegspatina.

Den linken Fuß – das finde ich rührend vertraut – hat er schön hochgestellt, etwa so, wie ich es tun würde. Allerdings trage ich gemeinhin feste Schuhe, zumal im Winter, und seine fahlgelben Füße stecken barfuß in halb zerfallenen Sandalen.

Ein bemitleidenswertes Wesen, dessen Äußeres nicht mit der buddhaesken, ja geradezu sandalesken Ruhe in Einklang zu bringen ist, die es ausstrahlt. Doch der Mann strahlt noch mehr aus, und das kann meine Nase nun schlicht nicht mehr ertragen.

Ich setze mich zwei Reihen weiter nach vorne. An der Haltestelle Reeperbahn steigt ein großer Mann afrikanischer Provenienz zu, sein dicker Stoffmantel mit dem Riesenkragen wirkt edel. Zielsicher steuert er (natürlich) die Rückbank an, setzt sich – und steht zwei Sekunden später wieder auf, um mir gegenüber Platz zu nehmen, obwohl er jetzt rückwärts fahren muss. Ich schmunzle, aber natürlich weiß er nicht warum.

So sorgt der struppige ungeduschte Sandalenbuddha die ganze Zeit für Verkehr im Bus, obwohl er nichts weiter tut, als ganz hinten links schön den Fuß hochzustellen und ansonsten sinnierend aus dem Fenster in eine wenig verheißungsvolle Zukunft zu starren.

Seine Barfüßigkeit erinnert mich an den Frühling, und das ist doch ein recht schönes Gefühl.


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17 Februar 2010

Rubens ist tot



Wieder ein Kiezoriginal weniger.

Nach Stefan Hentschel, Käse-Renate, Opa Edi und Domenica hat es nun auch den Maler Erwin Ross erwischt.

Bis zuletzt hat der 83-Jährige – Kampfname: Rubens von der Reeperbahn – in seinem Atelier Bilder produziert. Seine saftigen Porträts draller Nackter zieren flächendeckend den Kiez. Auch die gespreizten Beine, durch die man die Ritze an der Reeperbahn betritt, sind sein Werk, und zwar sein berühmtestes.

Ross’ malte Frauen immer so, wie Klischeemachos sie sich vorstellen: üppig, kurvig, verspielt und mit sinnlichem Blick.

Die Härte des Sexgeschäfts, den Schmuddel, die emotionale Verrohung, die auf dem Kiez ja auch zu Hause sind, hat er stets rausgehalten aus seinen Bildern. Stattdessen verkörpern sie das Versprechen auslebbarer Lust – und zugleich die Chance, dass die porträtierte Sexbombe dir irgendwann zwei Kinder schenkt und ihr glücklich werdet im Treppenviertel mit Elbblick.

Seit dem 12. Februar ist Ross nicht mehr da. Seine Nackten aber werden es noch lange sein.



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15 Februar 2010

Fundstücke (66)



Dieser reizvolle Veranstaltungshinweis findet sich auf dem Monatsprogramm des Sommersalons am Spielbudenplatz – ein Killerargument für einen baldigen Besuch.

Außerdem kann man im Rahmen der Veranstaltung „SCHEISSE AUSSEHEN – SCHEISSE TANZEN“ seine hässlichste Klamotte gegen ein Astra tauschen.


Ich wühl schon mal im Kleiderschrank.


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06 Februar 2010

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (22)



Entdeckt an der Reeperbahn


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28 Januar 2010

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (20): Die Rückseite der Reeperbahn …



… bei minus 10 Grad.


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21 Januar 2010

Ihr habt es nicht anders gewollt



All ihr Haustür-, Autoreifen-, Zäune-, Bäume- und Büschebepinkler hier auf dem Kiez habt anscheinend noch immer nicht mitgekriegt, dass ihr euch die 40 Euro Bußgeld fürs öffentliche Ingangsetzen eurer eingebauten Sprinkleranlage auch ersparen könntet.

Nämlich durch – tataaaa! – das Benutzen einer öffentlichen Toilette.

Ja, so was gibt es, da staunt ihr. Zum Beispiel an der Reeperbahn gegenüber der Davidwache, an der Rückseite der Bratwurstinstitution Lukullus. Vorne auffüllen, hinten ablassen: ist doch eigentlich ganz simpel.

Durch schriftliche und – Analphabetismus ist unter euch ja gewiss weit verbreitet – auch grafisch-visuelle Hinweise versucht die Fassade euch diese simple Handlungsabfolge nahezubringen. Der heutige Blogeintrag soll die Botschaft nun weiter vertiefen und verankern. In eurem Interesse.

Denn ab sofort führe ich standardmäßig eine Heckenschere mit. Wenn ihr wisst, was ich meine.


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15 Januar 2010

Erotisch wie ein Nacktmull

Auf dem Kiez wird das Jammern über den Niedergang des Rotlichtmilieus immer lauter.

Es käme nur noch Pinneberger Partyvolk, heißt es, doch keiner wolle mehr zu den Huren; die Koberer quatschten sich vergeblich die Münder fusslig; es herrsche tote Hose beim Tabledance.

Alles bestimmt richtig. Doch woran liegt’s? Vielleicht, lieber Kiez, nicht nur an den leeren Taschen des Zielpublikums; vielleicht hast du ja auch ein selbstgemachtes Problem mit deiner Außenwirkung.

Nehmen wir doch mal paradigmatisch diese Oben-ohne-Bar an der Reeperbahn, die uns mithilfe der abgebildeten Auslage von den unwiderstehlichen Reizen ihres Angebotes überzeugen möchte.

Was draußen versprochen wird, muss drinnen mindestens zur Hälfte zu einem Drittel gehalten werden, das weiß hier jeder. Doch die Strumpfhose hat maximal die erotische Strahlkraft eines Nacktmulls mit Neurodermitis. Wie müsste wohl eine Stripperin beschaffen sein, die weniger als halb so rattenscharf ist wie dieses Stück Reiz(los)wäsche …?

Es trägt auch nicht zu ihrer Wirkung bei, dass sie offenbar seit Uwe Seelers Abschiedsspiel nicht mehr gewaschen wurde. Und auch die Idee, sie an allen vier Enden mit Reißzwecken zu fixieren und diese dann dekadenlang dem gemütlichen Verrosten anheimzustellen, wirkt nur eingeschränkt aufgeilend.

Natürlich: Nicht alle Erotikangebote auf der Reeperbahn wissen so erschütternd wenig über die männliche Libido. Doch die Mehrzahl hat vermarktungstechnisch enorm Luft nach oben.

In unserer Oben-ohne-Bar ginge wahrscheinlich schon die Sonne auf, wenn man das erbarmungswürdige Strumpfhöschen rausnähme und der Leihstellerin zurückgäbe.

Vielleicht wird man dabei ja ganz in der Nähe fündig, etwa in der Seniorenwohnanlage Am Elbpark – und muss nicht mal hoch bis zum Ohlsdorfer Friedhof.

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31 Dezember 2009

Falsche Signale

Sie sieht aus wie 90 plus, und wahrscheinlich ist sie das auch. Hutzelig, krumm und ohne Gebiss sitzt sie im Rollstuhl vor der Postfiliale an der Ecke, vor der die Fenster der parkenden Autos hübsch mit Schnee gepudert sind.

Gerade war sie am Geldautomaten, jetzt kommt sie zentimeterweise auf mich zugeruckelt. In der linken Hand, die auf ihrem Bauch liegt, hält sie die komplette Januarrente, und zwar in Form einer unbestimmten Anzahl von 50-Euro-Scheinen.

Das Geld leuchtet rot im weißen Licht des Kiezwinters. Ich weiß nicht genau, ob die Gefahr, an der Reeperbahn ausgeraubt zu werden, statistisch signifikant größer ist als in Altenmark an der Alz. Aber ich weiß, dass eine circa 90-Jährige im Rollstuhl mit einem Bündel rötlich leuchtender 50-Euro-Scheine vorm Bauch nicht gerade entmutigende Signale an potenzielle Diebe sendet.

„Sie sollten Ihr Geld lieber wegstecken“, empfehle ich. Ihr Rollstuhl ist inzwischen zum Stillstand gekommen. „Ich weiß“, sagt sie mit zahnarmem Lächeln und brüchiger Uromastimme, „das ist gefährlich.“

Sie beginnt mit zittrigen Fingern die Scheine in die Börse zu friemeln. Es klappt nicht, man müsste ihr tatkräftig helfen. Man müsste ihr die Börse und die Scheine abnehmen und …

Ich bin aber dann doch lieber Brötchenholen gefahren. Schließlich will ich Silvester auf German Psychos Party verbringen – und nicht auf der Davidwache.

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25 Dezember 2009

Bousdoukos hat auch eine ruhige Seite

Die automatische Damenstimme in der U3 betont unsere Haltestelle irgendwie komisch.

„Nächste Station: Sankt P…AU…li“, flötet sie. Beim Diphtong hebt sie die Stimme, und zwar anzüglich. „Als wenn sie sagen wollte: ,Sie wissen schon …'“, analysiert Ms. Columbo. Ganz genau. Ein vokales Augenzwinkern. Die Hochbahn weiß eben, was sie dem Kiez schuldig ist.

Rund um die Reeperbahn herrschte heute überwiegend Feiertagsruhe. Allerdings haben wir die Herbertstraße dahingehend nicht überprüft. Allweihnachtlich sollen sich dort ja die Entrechteten und Geknechteten besonders ballen, um sich für – sagen wir – 150 Euro temporär die Einsamkeit abkaufen zu lassen.

Wir hingegen taperten quer durch die Stadt, um im Mundsburgkino Fatih Akins „Soul Kitchen“ zu gucken. Ein Film, der wirkt, als hätte er sich an einem Aufputschmittel verschluckt, so penetrant ballert er uns mit bedeutsam gemeinter Musik zu, so überdreht ramentert das Ensemble durch die Kulissen; vor allem Adam Bousdoukos
als bandscheibenvorfallgeschädigter Gastronom.

Übrigens war Bousdoukos am Dienstag, als ich mit dem Franken und Kramer beim Mercadoitaliener speiste, ebenfalls aufgetaucht und goutierte mit ein paar Freunden die hervorragenden (weil selbstgemachten) Nudeln. Allerdings machte er privat weit weniger Krach als im Film, und wäre mir „Soul Kitchen“ am Dienstag bereits bekannt gewesen, so hätte ich Bousdoukos dafür sicher ausdrücklich belobigt.

Denn kaum etwas ist mir unangenehmer, als wenn man mich beim Lasagneessen mit Deppenleerzeichen (Foto) oder Lärm behelligt, der über das eh schon dezibelintensive Geplapper und Gelaber Kramers und des Franken hinausgeht.

Zusätzlich erträglich wäre höchstens eine Damenstimme, die „Sankt P…AU…li“ flötet, doch in der U-Bahn esse ich so gut wie nie Lasagene, vor allem keine selbstgemachte.


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05 Dezember 2009

Fundstücke (62): Lose Zusammengekehrtes

Neulich bewarb sich ein freier Autor bei mir. Seine Fähigkeiten als Sprachästhet versuchte er per Mail mit folgendem Wortquas herauszustellen:

„Hiermit generiere ich Ihnen Abdruckrechte zur Berichterstattung meines Interviews.“

Das war natürlich zum Davonlaufen (Beispielfoto, mit den Beinen von Ms. Columbo), und eigentlich sollte in einem solchen Fall die goldene Regel gelten: Nicht mal ignorieren. Das tat ich dann auch.

Ungefähr am gleichen Tag beteiligte sich eine weitere Combo am so berüchtigten wie bockelharten Wettbewerb um den ekligsten Bandnamen der Welt. Sie hofft auf eine Weltkarriere mit dem Einfall The toten Crackhuren Im Kofferraum. Die Chancen sind m. E. eher gemischt.

Dazu passt ein ganz bisschen ein Flohmarktdialog, den ich unlängst auf dem Schlachthofgelände genießen durfte.

Händler: „Wie kann ich Ihnen helfen?“

Kunde (vergnügt): „Mir ist nicht mehr zu helfen. Sagt meine Frau.“

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29 November 2009

Nichts wie raus

Die beiden jungen Blondinen, die kurz nach Mitternacht in Altona unseren S-Bahnwagen betraten, lachten und scherzten. Zwei fröhliche Teenager auf dem Weg in die Nacht.

Es war keineswesgs abzusehen, dass eine der beiden sich unmittelbar vor Erreichen der Station Reeperbahn exorbitant erbrechen würde, und zwar in mehreren kräftigen Schüben, die gelbrot und lautstark auf den Boden pladderten.

Noch während dies in unserer unmittelbaren Nähe geschah, hielt die Bahn, und selten zuvor in unserer HVV-Geschichte war das Aussteigen von einem derartigen Gefühl der Erleichterung geprägt wie diesmal.

Mein Mitgefühl galt den uns entgegenbrandenden Massen, die nun nichtsahnend hineindrängten. Ihr Schicksal war besiegelt, daran war nichts mehr zu ändern.

Die beiden Kreuztaler Anwälte haben mit dieser ganzen Geschichte übrigens nicht das Geringste zu tun.

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26 November 2009

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (14)



Der Fetischshop Boutique Bizarre an der Reeperbahn.


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25 November 2009

In Wind, Wetter und aller Ruhe

Es gibt kaum einen lächerlicheren Anblick als Menschen, die mit aufgespanntem Schirm Fahrrad fahren.

Einhändig karriolte heute ein älterer Herr dergestalt die Straße lang, während der hanseatische Sprühregen ihn gleichwohl von allen Seiten einnässte, und zwar hämisch.

Menschen, die mit aufgespanntem Schirm Fahrrad fahren, müssen Zugezogene sein. Hamburger tun so etwas nicht. Hamburger ziehen sich einfach wetteradäquat an, in jeder Situation, auch und vor allem, wenn sie Fahrrad fahren wollen.

Andererseits kann nicht jeder Dödel, der bei Sturm mit offenem Schirm die Straße betritt, ein Zugezogener sein. Dafür sieht man zu viele dieser hilflosen Trottel mit wild um sich schlagenden Schirmen ringen, und dafür liegen dieser Tage viel zu viele logischerweise zerfetzte Schirme im Rinnstein.

Doch es geht auch anders. Heute Abend sah ich auf der Reeperbahn einen Radfahrer im hochgeschlagenen Trenchcoat, der hielt kurz an, um sich in Wind, Wetter und aller Ruhe eine Pfeife anzuzünden, statt einen Schirm aufzuspannen. Dann radelte er weiter, kleine Rauchwolken in die Kieznacht pustend wie Emma, die Lok von Jim Knopf.

Ich werde es zwar nie beweisen können, aber das war mit Sicherheit kein Zugezogener.


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16 November 2009

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (13)

Was vom Mojo Club …



… und was vom Fischmarkt übrigblieb:

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15 November 2009

An einem ganz normalen Sonntag

Vor der Fischmarktbude steht eine weißhaarige und -häutige Schaufensterpuppe, deren Kopf und Haare sich kaum abheben vom Hintergrund. Ich zücke die Kamera.

„Fünf Euro pro Foto“, scherzt der hinzutretende Budenbesitzer, der gerade am Abbauen ist. „Nur wenn mich die Dame selbst darum bittet“, kontere ich in einem extremst raren Anfall von Schlagfertigkeit, der deshalb auch sofort verbloggt werden muss, um mich hinfort daran zu erinnen, dass ich es wirklich einmal war: schlagfertig.

Jedenfalls komme ich um die fünf Euro herum, denn die Dame bleibt stumm. Im Gegensatz zu diesem schmerbäuchigen Riesen bei Penny an der Reeperbahn, der seine Halbglatze mit kragenlangen fettigen Ringellöckchen zu kompensieren versucht. Er steht in der Kassenschlange und wird von einem alten Graukopf mit Schiebermütze und drei Tetrapacks unterm Arm angesprochen.

Es ist nicht zu hören, was der Alte sagt, doch klar ist: Er möchte angesichts seiner überschaubaren Einkäufe gern vorgelassen werden. Was der schmerbäuchige Riese antwortet, ist drei Schlangen weit zu hören. „Die Antwort ist ein ganz klares Nein!“, schnappt er. Dabei schaut er schräg unter sich. „Ein ganz klares Nein!“

Der Alte murmelt etwas und trottet den Gang hinab, ans Ende der Schlange – vorbei an dem Mittdreißiger mit Bandana und Ziegenbärtchen, der gerade einen unrasierten Mann in seinem Alter anspricht. „Sach ma, kann ich das ma kurz in deinem Wagen zwischenlagärn?“

Umstandslos wuchtet er seine Einkäufe in den Wagen des Fremden, ohne eine Antwort abzuwarten. Der Überrumpelte ist hilflos, denn er telefoniert gerade. Wortfetzen wehen herüber „… Ware angekommen … überprüft … das ist bei der Ware so … kümmer mich drum …“

Pennygeschichten. Solche Dialoge hört man bei Edeka nie. Vor allem nicht innerhalb von drei Minuten.


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06 November 2009

Modeirrtümer des 21. Jahrhunderts (2)



Heterogenität ist ein wichtiger Freakfaktor auf dem Kiez, das bestätigt sich tagtäglich.

Heute Abend zum Beispiel traf ich beim Konzert einen glatzköpfigen Mann, der hatte sich auf dem Kopf mit Hilfe eines breiten, komplett umlaufenden Stofftuchs seine hochgestellte Brille festgezurrt, auf der oben ein blinkendes Fahrradrücklicht befestigt war.

Seines Freaktums schien er sich dennoch nicht bewusst zu sein. Und warum auch? Schließlich wurde er keinesfalls geächtet oder geschmäht, wie es zweifellos zum Beispiel in Alsenbrück-Langmeil der Fall gewesen wäre, sondern war trotz Blinklicht bestens in eine vielköpfige Sozialgemeinschaft eingebunden, mit der er frohgemut zechte und schäkerte.

Auf die Frau, die an der S-Bahn Reeperbahn vor mir die Rolltreppe betrat, traf der
Freakfaktor der Heterogenität ebenfalls zu. Ihr knielanger Pelz wirkte in den Augen eines Laien (= moi) verteufelt echt. Doch wenn das wirklich der Fall war: Was brachte sie bloß auf die kuriose Idee, diesen wahrscheinlich im vierstelligen Eurobereich angesiedelten Echtpelz mit weißen Michael-Jackson-Gedächtnissocken und Turnschuhen zu kombinieren?

Auch die in Militärtarnoptik gemusterte Tasche links kontrastierte schroff mit dem Mantel, während die goldene rechts sich farblich allenfalls an den Teint der unbedeckten Waden anschmiegte, nicht aber an die Fußbekleidung.

Während ich mit meinem Fahrrad hinter ihr hochtransportiert wurde, friemelte ich die Kamera hervor, um diesen denkwürdigen Anblick zu verewigen, versemmelte aber die Deaktivierung des Blitzes. Mir war das enorm peinlich, doch die Pelzdame merkte zum Glück nichts.

Trotzdem, ich muss vorsichtiger sein.

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03 November 2009

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (12)



Eingangs der herbstvernebelten Reeperbahn, an der Hausnummer 1, sieht es zurzeit ein wenig aus wie am Ground Zero anno 2001. Nur dass hier gerade das so hässliche wie traditionsreiche Gebäude, in dem einst der Mojo Club legendär wurde, dran glauben muss – und keine Twin Towers.

Dennoch wirkt die derzeitige Optik präventiv kongenial, denn an genau dieser Stelle soll demnächst in der Tat ein Doppelturm entstehen.

Klingt makaber, liegt aber weder am Abrissunternehmen noch am Architekten, sondern ausschließlich an der degenerierten Fantasie eines berüchtigten Kiezbloggers.



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19 Oktober 2009

Alten Leuten über die Straße helfen

Der Rollstuhlopa trägt Glasbausteinbrille und Schiebermütze, er ist schlecht rasiert und – wohl nach einem Schlaganfall – des Sprechens nicht mehr mächtig, nur noch des Sabberns.

Neulich trafen wir ihn in hilflosem Zustand in der Bernstorffstraße an. Er hatte sich an einem Poller festgefahren und kam nicht mehr vor noch zurück. Wir versuchten herauszufinden, wo er hinwollte. Trotz der erschwerten Kommunikationsgesamtlage gelang es ihm, uns seinen Richtungswunsch mitzuteilen.

Stakkatisch stieß er gutturale Laute aus und kombinierte sie mit ruckartigem Armgeschlenker; so dirigierte er uns durchs Viertel, bis wir schließlich eine Seniorenwohnanlage erreichten, wo wir ihn zu seiner gutturalen Zufriedenheit vorm Aufzug abstellten.

Wir nutzten noch schnell die Heimtoiletten und trollten uns – im Bewusstsein, das Tagesquantum einer guten Pfadfindertat bereits mittags erfüllt zu haben und uns für die restlichen Stunden nun ungehemmter Niedertracht hingeben zu dürfen. Ein schönes Gefühl.

Das war vor einigen Wochen. Heute standen Ms. Columbo und ich an der Reeperbahn gegenüber vom Beatlemania-Museum, wo das Bild des weinenden Ringo hängt, und warteten auf den Bus, als ich am Fußgängerüberweg Nobistor den Rollstuhlopa entdeckte. Und zwar in bedenklicher Entfernung vom Seniorenwohnheim.

Als die Ampel grün wurde, bewegte er sich molluskenhaft langsam vorwärts auf die vierspurige Reeperbahn, blieb allerdings bereits in der kleinen Senke hängen, die Gehweg und Straße verbindet. Er stand nun halb auf der Reeperbahn, die Autos konnten nicht vorbei. Entgegenkommende Passanten telefonierten selbstvergessen und schauten blöde, aber halfen nicht.

Zeit also für das nächste Tagesquantum einer guten Pfadfindertat, die den Freibrief liefern würde für ungehemmte Niedertracht am Rest des Tages. Ich zog ihn erst einmal zurück, was mir der Reeperbahnverkehr mit warmem Lächeln dankte.

Ob der Rollstuhlopa, den ich enthusiastisch an unsere erste Begegnung zu erinnern versuchte, mich noch erkannte, war letztlich schwer zu beurteilen, denn er war weiterhin nur in der Lage, einsilbige Grunzlaute hervorzubringen. Seine Gestik allerdings lieferte zusammen mit seinem gescheiterten Bestreben, die Reeperbahn überqueren zu wollen, eine Richtungsvorgabe.

Ja, er wollte eindeutig auf die andere Straßenseite, und so joggte ich mit ihm bei der nächsten Grünphase über die vier Spuren der Amüsiermeile, während ich aus dem Augenwinkel schon unseren Bus herannahen sah – den ich dann auch noch gerade so erwischte.

Diesmal entfiel also unser Eskortservice. Doch das Ganze wirft Fragen auf. Dieser hilflose alte apoplektische Herr ist a) kräftemäßig keineswegs mehr in der Lage, seinen Rollstuhl auch nur noch einen Zentimeter zu bewegen, sobald die klitzekleinste Steigung droht, und b) unfähig, Zunge und Kehlkopf sinnvoll zu koordinieren – also was um Albert Schweitzers Willen macht er alleine auf dem Kiez? Wieso kriegt er keinen Elektrorolli – oder wenigstens einen Zivi, der ihn herumkarrt?


Kurz: Warum müssen wir ihn immer retten, obwohl der Istzustand unseres Karmas doch bereits weitgehend deckungsgleich ist mit dem Sollzustand?

Natürlich, der letzte Satz ist geprägt von Hybris, Eitelkeit und Selbstüberschätzung, doch er ändert ja nichts an der fürs „Senioren Centrum Altona“ unbequemen Frage.

Ich glaube, ich maile sie ihm einfach mal.


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13 Oktober 2009

Die Verrückte

Sie tobte, aber ganz für sich, drüben auf der anderen Seite der Reeperbahn, vor Lukullus.

Eine Afrikanerin, hager und klein, sie trug eine Mütze mit herunterhängenden Ohrschützern, das sah alpin aus. Natürlich bin ich kein Psychiater, aber so, wie sie mit sich selber schrie und schimpfte, musste sie unter einer Psychose leiden. Vielleicht war sie verrückt.

Oje, dachte ich deshalb, als sie die Reeperbahn überquerte. In einer fremden Sprache zeternd kam sie näher. Sie schlurfte. Ihr Blick ging ins Nichts. Oder besser: nach innen. Hinter mir blieb sie stehen. Sie wühlte fluchend in ihrer großen Handtasche, holte einen Zettel heraus und pfefferte ihn weg mit herrischer Geste.

Es handelte sich, wie ich später herausfand, um einen Fahrschein für 1,30 Euro, abgestempelt an der S-Bahnstation Holstenstraße.

Noch immer durchwühlte sie zornig und schimpfend ihre Handtasche, und wieder warf sie etwas weg, ohne hinzusehen, doch mit theatralischem Pathos. Es war eine blauweiße Zahnbürste, eine mit kräftigen starren unbeschmutzten Borsten.

Nachdem die Afrikanerin wütend weitergetrottet war Richtung Pennymarkt, fotografierte ich die Bürste.

Zwei Typen kamen streitend vorbei und blieben stehen, weil die Intensität ihres Streites jene Beiläufigkeit nicht mehr zuließ, die das Spazierengehen gemeinhin mit sich bringt. Plötzlich verstummte der eine und blickte zu Boden. Er zog sein Handy hervor und fotografierte die Zahnbürste.

Dann gingen beide weiter, als hätten sie sich nie gestritten.


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11 Oktober 2009

Ohne Worte (59): Stimmt (hoffentlich)



Entdeckt im S-Bahnhof Reeperbahn


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07 Oktober 2009

Auf der Reeperbahn morgens um 9

Bushaltestelle Davidwache an der Reeperbahn.

Der linke Arm des Schläfers rutscht immer wieder vom Oberschenkel, doch er wacht davon nicht auf. Zwischen seinen Beinen steht ein Tetrapack Sangria Il Tinto.

Eigentlich sollte eine Packung, auf der „Il Tinto“ steht, dunkelrot sein. Aber nein, sie ist gelb; homogenes Produktdesign sieht anders aus.

Der Bus hat Verspätung, elende Linie 37.

Der linke Arm des Schläfers rutscht wieder vom Oberschenkel. Er baumelt steif über der undefinierbaren eingetrockneten Lache. Im Dreiviertelschlaf wuchtet er den Arm wieder hoch.

Wo bleibt bloß der Bus? Im Sexshop hinterm Wartehäuschen gibt es kaum etwas Neues im Sortiment. Höchstens die knetbaren künstlichen Brüste.

Ein Mann mit Hund kommt und setzt sich neben den Schläfer auf die Bank. Umstandslos greift er nach dem Tetrapack Sangria Il Tinto, schraubt ihn auf, setzt ihn an die Lippen, säuft ihn leer und wirft ihn weg.

Dann steht er auf, geht zum Sexshopschaufenster und zündet sich eine Kippe an. Der Hund ist hinter ihm hergetrottet. Er schaut zu ihm auf.

Dann kommt der Bus, endlich.


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30 September 2009

Ohne Worte (58): Und alle so …



Entdeckt im Beatlemania-Museum auf der Reeperbahn.


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03 September 2009

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (10)



Ha, reingelegt …

Wir sehen hier nämlich nicht jene ominöse Flüssigkeit, mit der des zivilisierten Verhaltens unfähige Pimmeltölpel tagein, tagaus den Kiez zu düngen pflegen, nein.

Hingegen handelt es sich um handelsüblich vom Himmel gefallenes Wasser, das sich traulich in einer Pfütze versammelte, um die vom Imbiss Lukullus an der Reeperbahn abgefälschten und zugleich gülden verfärbten Sonnenstrahlen zu spiegeln.

So entpuppen sich manche scheinbar schlechten Seiten von St. Pauli unversehens als rein und unschuldig. Und das muss auch mal gesagt werden.

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27 August 2009

Ohne Worte (56): Wie es hinter Leuchtreklamen aussieht



Entdeckt an der Fassade des Hotel Monopol, Detlev-Bremer-Straße/Reeperbahn

PS: So sah die Wand übrigens monatelang von vorne aus.


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26 August 2009

Gesetz ist Gesetz, aber nur hier

Auf St. Pauli gelten Sondergesetze, die es sonst nirgendwo in Deutschland gibt. Der Stadtteilkern um die Reeperbahn, wo wir wohnen, heißt „Gefahrenbereich St. Pauli“; hier herrscht juristischer Ausnahmezustand, und zwar dauerhaft.

Wenn ich zum Beispiel samstagsabends eine Tüte Altglas wegbringe, mache ich mich augenblicklich bußgeldfähig. Denn Flaschen sind am Wochenende zwischen 22 und 6 Uhr laut Glasgetränkebehältnisverbotsgesetz rund um die Reeperbahn verboten. Dass ich sie nur in den Container statt jemanden an den Kopf zu werfen gedenke, ist aus Polizeisicht nur partiell interessant.

Selbst das nicht zustellbare Marmeladenglas von Muttern, welches ich am Schalter der Postfiliale ausgehändigt bekomme, darf ich legal nicht mit nach Hause nehmen, wenn es versehentlich bis 22 Uhr in der Tasche verblieben ist, denn damit wäre ein Betreten der Straße verbunden, und das ist in Begleitung von Mutterns Marmelade wochenends nun mal verboten.

Frauen mit Parfümflakon nachts auf dem Kiez? Haha, träumt weiter!

Ähnliche kiezexklusive Regeln gelten für alles, was als Waffe missbrauchbar ist, zum Beispiel Panzerfäuste, Anthrax oder Napalm, aber auch Baseballschläger. Ein braver Handwerker, der mit Schweizermesser hurtig gen Kunden eilt, ist sofort dran, wenn er der Polizei in die aufnahmebereiten Arme läuft. Denn was ist ein Schweizermesser? Korrekt.

Wie laut Waffenverbotsgesetz Gegenstände aus der Grauzone à la Schraubenzieher, Hämmer, Bohrer, Zangen oder Zahnbürsten zu behandeln sind, vermag ich nicht genau zu sagen, doch wenn man mich fragte, riete ich vorsichtshalber von ihrer Mitführung ab.

Ebenso hat man sich nur auf St. Pauli verdachtsunabhängigen Taschenkontrollen zu stellen, wie Ms. Columbo zu wissen glaubt. Überall anderswo musst du dich lediglich ausweisen, hier aber auch den polizeilichen Blick auf deinen Kondombestand im Seitenfach gestatten.

Ein weiteres Sondergesetz gilt unter Missachtung der grundgesetzlich garantierten Gleichberechtigung ausschließlich für – oder besser gesagt: gegen – Frauen. Sie dürfen nämlich die Herbertstraße nicht betreten.

Allerdings scheint es sich dabei eher um privates Hausrecht zu handeln; ich habe jedenfalls noch nie einen Polizisten gesehen, der die Huren in der Herbertstraße vor weiblichem Besuch zu bewahren versucht. Das regeln die schon selber.

Doch ich will nicht schwarzmalen; es gibt nicht nur Sondergesetze, die St. Pauli Guantanamo Bay näherbringen. Zum Beispiel kennen wir so etwas wie eine Sperrstunde nur vom Hörensagen oder von Besuchen in München.

Wer auf dem Kiez Wirt wird, wird als Wirt wirken bis zum Abwinken oder er vom Barhocker fällt – und selbst dann muss er seine Bar noch lange nicht zumachen. Auch der Einzelhandel ist hier erfreulich dereguliert, zum ständigen Verdruss der Sauertöpfe in Kirchen und Gewerkschaften.

Das Schlimmste, was man hier also tun kann, ist Samstagnacht mit einem Rucksack voller Flaschen, Waffen und Marmeladengläser durch die Herbertstraße zu stapfen – als Frau.

Wahrscheinlich explodiert dann die Welt oder so was.


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21 Juli 2009

Ohne Worte (51): Die netten Nachbarn



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19 Juli 2009

Glasklar

Auf diesem miesen Foto, entstanden heute Nacht mitten auf dem Kiez, ist etwas sehr Ungewöhnliches zu sehen: keine Scherben.

Seit diesem Wochenende nämlich ist hier – nach Waffen (und Gewalt!) – abends ab zehn auch Glas verboten, vor allem in Flaschenform.

Vor den Kneipen wachen daher gestresste Sonderbeauftragte, die den Transfer drinnen ausgegebener Flaschen nach draußen verhindern sollen. Das ist wichtig fürs Budget der Betreiber, denn überall lauern bußgeldverteilungsbereite Polizisten, die rigoros für einen glaslosen Kiez sorgen sollen.

Vorm Roschinsky’s am Hamburger Berg verfolgen wir das Geschehen – und gestalten es aktiv mit. Denn mir gelingt es unfallfrei, drei Flaschen Astra nach draußen zu bugsieren, was der gestresste Roschinsky’s-Beauftragte nach nur 34 Sekunden bemerkt – und panisch unterbindet. Zitternd und flackernden Blicks füllt der arme Mann uns den Flascheninhalt in Plastikbecher.

Plastikbecher sind der neue Hit auf dem Kiez. Es wird immens schwierig, damit noch einen anständigen Schädelbruch zu verursachen; Prügeleien werden deutlich an Relevanz verlieren.

GP schlägt als schädelbrechende Alternative Aschenbecher vor. Grundsätzlich ein probates Mittel, solange es sich beim Grundmaterial um Metall oder Porzellan handelt. Ich untersuche den Aschenbecher des Roschinsky’s – nur Leichtplastik.

Das Gefährlichste, was der Reeperbahn somit verblieben ist, sind die Stilettos der Prostituierten. Gnade uns Gott, wenn damit einem Freier mal ein Auge ausgestochen werden sollte – dann drohen uns Huren in Badelatschen.

Und im Grunde – seien wir doch mal ehrlich – sind ihre Strapse, Strings und Fußkettchen auch nichts anderes als: Waffen.


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17 Juli 2009

Vom Leben und Leiden in der Melkzentrale


Der traurigtrotzige Dokumentarfilm „Empire St. Pauli“ von
Steffen Jörg u. a. (Creative-Commons-Lizenz BY-NC-ND 3.0) erzählt von der Verwandlung unseres Stadtteils und wie das bei den Menschen, die hier wohnen, so ankommt.

Wer mal eben 85 Minuten Zeit hat: herzlich willkommen.

Alle anderen: Geht doch rüber! (nach Eppendorf.)

Edit 30.7.2009, 00:19: Der Film ist inzwischen nicht mehr als Stream verfügbar. Wo man die DVD kaufen und den Film öffentlich sehen kann, erfährt man auf der offiziellen Webseite.

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07 Juli 2009

„Nicht so engfotzig, Sie alter Fliegenbefriediger!“

Der unten zu hörende Dialog findet sich auf dem raren Soundtrack zu Wolfgang Staudtes 1971er Film „Fluchtweg St. Pauli“.

Zwei grenzderbe Koberer nehmen einen unbedarften Kiezflaneur verbal in die Mangel – und das Witzige ist: Ihre vulgären Anmachsprüche haben sich seither kaum gewandelt.

Die Reaktion des Opfers allerdings ist so was von 70er. Heute würde niemand mehr mit distinguierter Empörung zu argumentieren versuchen – sondern einfach weiterlaufen.

Das ist zumindest meine Strategie.

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03 Juli 2009

Ein Phall fürs Unterbewusstsein



Ich weiß ja auch nicht, aber der Yellow-Submarine-Ballon im Beatles-Museum an der Reeperbahn erinnert mich von unten irgendwie an einen … nun ja … ach, egal.

Der Kiez versaut einen einfach, nichts weiter.


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30 Juni 2009

Nur die Liebe dellt (2)

Heute Abend rief mich der Besitzer jenes weißen Mercedes an, dessen Dach am vergangenen Wochenende von einem rammelnden Pärchen eingedellt worden war.

Der Wagenbesitzer entpuppte sich als gutgelaunter Mann kleinasiatischer Herkunft. Das war seinem temperamentreichen, doch grammatikarmen Deutsch zu entnehmen.

Er bat um die Herausgabe des Beweisfotos in bestmöglicher Qualität. Damit wollte er feststellen, wer seinen Wagen sexuell missbraucht hatte. Der Schaden nämlich sei groß, die Missetäter müssten ermittelt werden.

Es täte mir Leid, zeigte ich Mitgefühl, doch das Foto dürfe ich keinesfalls herausgeben. Immerhin könne ja jeder ankommen mit diesem Wunsch; woher solle ich wissen, ob er überhaupt der Mercedesbesitzer und somit Inhaber eines berechtigten Herausgabeinteresses sei … Und außerdem müsse ich eh die Persönlichkeitsrechte des Pärchens schützen, was auch am vorsorglich angebrachten Augenbalken bereits ablesbar sei.

Ich empfahl ihm abschließend den Gang zur Polizei, und wenn diese Herren später bei mir auf der Matte stünden, so würde ich mich widerwillig der Macht des Gesetzes beugen und das Beweisbild herausrücken. Aber nur dann.

Grundsätzlich stand er meinen Ausführungen erstaunlich gelassen gegenüber. Sein Problem war nur: Er hatte den Verdacht, beim Auto-erotischen Paar handele es sich um Freunde von ihm, und sollte das so sein, sähe er natürlich von einer Anzeige ab und regle das lieber privat, auf dem kurzen Dienstweg sozusagen.

Wir vertagten uns erst einmal ergebnislos. Eine Stunde später rief er wieder an. Er war so aufgeräumt, als käme er gerade aus einer Helge-Schneider-Show. Wie sich herausstellte, hatte er nun den tatverdächtigen Freund an seiner Seite – und der hatte alles zugegeben. Nun begehrte auch der Freund mich, den Dokumentar seiner Manneskraft, persönlich zu sprechen.

„Sa’ma, iss das Foto gute Qualität? Ich brauch Abzüge!“, rief der Rammler begeistert aus, „iss doch ’n subber Andenken!“

Im Bestreben, seine Hoffnungen etwas zu dämpfen, verdeutlichte ich ihm, dass ich die Szenerie, deren Hauptakteur er gewesen war, schon ein wenig
hatte heranzoomen müssen. Eine gewisse Grobkörnigkeit sei somit nicht auszuschließen.

Ich spürte seine Enttäuschung und überlegte, wie ich den armen Tropf wieder etwas aufmuntern könnte, doch da hatte ihm der Mercedesbesitzer auch schon wieder das Telefon entwunden.

„Lass uns doch mal“, schlug er glucksend vor, „auf der Reeperbahn ein Bierchen zusammen trinken.“

Ein Vorschlag, der viel zu reizvoll ist, um nicht darauf einzugehen. Ich wüsste auch schon jemand als Geleitschutz.


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23 Juni 2009

Gentrifizierung oder Der Müll, die Stadt und der Kot



In Schanze und St. Pauli gibt es eine immer wütendere Protestbewegung gegen Gentrifizierung, also die Luxussanierung von Altbauwohnungen. Nach Um- oder gar Neubau kann sich eine neue kapitalkräfige Klientel in 120-Quadratmeter-Pitchpine-Lofts verlustigen und wohlig erschaudernd die nahe Gefahr des Rotlichtviertels imaginieren, während alteingesessene St. Paulianer mangels Moneten wegziehen müssen nach Billstedt.

Mit diesem zu Recht bekämpften Phänomen geht eine erschreckende „Lattemacchiatisierung“ einher. Überall eröffnen gerade schicke Cafés für die
120-Quadratmeter-Pitchpine-Loftbewohner, und zwar genau da, wo früher ranzige Spelunken einen Hauch von Kotze und Abenteuer verströmten. Ich meine: Inzwischen gibt es hier sogar Naturheilpraxen! Aber auch überall Aufkleber der Protestbewegung, die den Widerstand mobilisieren sollen.

Auf einem steht „Get out yuppiescum! Schanze bleibt dreckig“, und das gefällt mir nicht. Ehe ich aber zu den Gründen meines Missbehagens komme, muss ich noch einen Schlenker machen.

Wir leben seit 14 Jahren in unserer heruntergekommenen Vierzimmerwohung von 1901, das Parkett ist schäbig, der achtfach überstrichene Stuck nur noch halb da, die Starkstromleitungen für die Nachtspeicheröfen liegen überm Putz, und hinter den Regalen sitzt der Muff von hundert Jahren.

Klar, wir könnten anfangen herumzurenovieren, doch ganz abgesehen von unseren insgesamt vier linken Händen wäre das alles ein Fass ohne Boden. Also bleibt alles, wie es ist. Und warum auch nicht? Die Wohnung ist auf eine denkbar gemütliche Art verfallen, nirgends gibt es Schimmel, und jedes Wochenende wird sie geputzt und gesaugt (nur nicht hinter den Regalen).

Sie ist alt, recht günstig für ihre Größe, und in den meisten Räumen könnte man vom Boden essen, zumindest sonntags nach dem Großreinemachen. Und wenn man sie verlässt und hinausgeht ins Viertel, auf die Reeperbahn oder zur Schanze – jetzt endet der Schlenker –, stößt man auf Antigentrifizierungsaufkleber, die „Get out yuppiescum! Schanze bleibt dreckig“ fordern.

Das gefällt mir nicht, auch wenn ich von Lattemacchiatisierung und Naturheilpraxen so viel halte wie Benedikt XVI. von Gangbangs. Und zwar aus zweierlei Gründen.

Zum einen nennt man in Deutschland Menschen nicht mehr „Abschaum“, nie mehr; selbst Yuppies nicht. Und zum anderen vermag ich selbst als Bewohner einer heruntergekommenen Jugendstilwohnung die normative Bejahung von Dreck nicht nachzuvollziehen, weder ratio- noch emotional.

Ehrlich gesagt kenne ich keinen einzigen St. Paulianer, der versonnen vor Glück die Nüstern bläht, wenn es in einer Kiezecke mal wieder nach Urin oder Schlimmerem stinkt. Ich kenne keinen, der Blutlachen als Folklore glorifiziert. Und niemand, der den sonntagabendlichen Müllmix aus Dönerschachteln, Pommesresten, Menschen- und Hundekacke, zweckdienlich benutzten Kondomen und Scherbensalat als zivilisatorische Errungenschaft feiert.

Kurz: Wer Bevölkerungsgruppen als Abschaum verdinglicht (der doch dann zweifellos auch ethnisch gesäubert werden müsste, nicht wahr?), während er zugleich Schmutz und Verfall als erhaltenswerte Ziele preist, der hat meine Sympathien nicht.

Außerdem hat die blöde Gentrifizierung auch ihre Ästhetik – wie man an der Abendsonne sieht, die den Yuppiegötzentempel schlechthin,
das Nobelhotel Empire Riverside in der Davidstraße, erheblich öfter liebkost, als es den Abschäumern lieb sein dürfte.


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