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Die Rückseite der Reeperbahn

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Standort: Hamburg, Germany

Schreiberling




06 März 2010

Wie ich mal vergeblich der Mediamarkt-Werbung vertraut habe

Von: Matt Wagner
Datum: 5. März 2010 21:43:46 MEZ
An: kontakt@mediamarkt.de

Lieber Mediamarkt,

heute erhielt ich dein neues Werbefaltblatt und war augenblicklich elektrisiert: Du offeriertest Elvis’ „Comeback Special“ von 1968 in der „Deluxe Edition“ für sagenhaft schmale 5,90 Euro. Das ist für drei DVDs des Kings ein richtig gutes Angebot.

Sofort warf ich mich aufs Rad und strampelte gen Altona, um das Teil zu erwerben, und zwar gleich mehrfach, denn ich habe Freunde, die scheuten bisher die Kosten. Vor Ort allerdings fand ich Dutzende von 5,90-Angeboten, doch ausgerechnet dieses nicht. Nur die lächerliche „Special Edition“, ein Machwerk auf lediglich einer DVD, das zurecht für unter 6 Euro verramscht wird.

Also fragte ich einen Mitarbeiter nach der „Deluxe Edition“. Der Schnauzbart zuckte die Schultern: „Ich mach nur Fernsehen.“ Immerhin zeigte er mir die vage Richtung der DVD-Abteilung: „Da hinten hinterm Pfeiler.“ Ich taperte dorthin und fragte eine junge Frau in Mediamarktrot nach der Triple-DVD.

Sie wusste gar nichts, wandte sich aber an einen Kollegen. Der sagte, das Teil sei wohl noch auf den Paletten. „Außerdem“, sekundierte die Frau, „gilt der Prospekt erst ab heute Abend“. Warum er dann schon am hellichten Morgen der Mopo beiliegt, vermochte sie nicht zu sagen.

„Etwas, das im Prospekt beworben wird, sollten Sie auch im Angebot haben“, formulierte ich eine – wie mir schien – Binsenweisheit. Die junge Frau zog die Schultern hoch bis an die Ohren, lächelte schief wie der Turm von Pisa und giggelte nervös: „Da kann ich ja nichts dafür! Außerdem habe ich gerade erst angefangen!“

So kam ich nicht weiter, das war klar. Daher wandte ich mich an den Informationsschalter vorne an der Kasse und schilderte mein Problem, indem ich meine Binsenweisheit wiederholte: „Etwas, das im Prospekt beworben wird, sollten Sie auch im Angebot haben.“

Der Mann hinterm Tresen gab mir sofort und bedingungslos recht, und die Frau an seiner Seite telefonierte eilfertig mit der zuständigen Abteilung. Fernmündlich erfuhr sie von einer nur hälftig erfolgten Lieferung, und unter der fehlenden Hälfte müsse sich auch die Elvis-„Deluxe Edition“ befinden. Außerdem sei man beim Umbauen.

Was das eine mit dem anderen zu tun hatte, wurde mir spontan nicht klar, doch die beiden am Infoschalter hatten gleich einen praktischen Rat für mich, so dass ich dieser Dialektik nicht auf den Grund gehen mochte: Ich solle doch einen anderen Mediamarkt aufsuchen, zum Beispiel den in Harburg.

Gute Idee. Für die „Deluxe Edition“ für 5,90 würde ich zur Not auch nach Graceland fahren. Also bestieg ich die S-Bahn nach Harburg. Für die folgenden Ereignisse kannst du nichts, Mediamarkt, trotzdem schildere ich sie kurz. Bereits am Bahnhof Dammtor nämlich stockte die Fahrt. Eine Lautsprecherstimme informierte uns über eine „betriebsfremde Person im Gleis zwischen Hauptbahnhof und Berliner Tor“, so dass diese Bahn „auf unbestimmte Zeit“ hier verweilen müsse.

Zehn zähe Minuten später meldete sich die Stimme noch einmal. Man müsse nun wegen der betriebsfremden Person im Gleis den Strom abstellen. Und schon erloschen alle Lichter. Ich seufzte und radelte nach Hause, innerlich Elvis’ Klassiker „Devil in disguise“ vor mich hinsummend.

Abends um sechs wollte ich es noch einmal probieren. „Ruf lieber vorher beim Mediamarkt in Harburg an“, riet meine Gattin, „nicht, dass du umsonst die Reise antrittst.“ Und eine Reise ist das vom Kiez aus, weiß Gott. Also rief ich an.

Es meldete sich eine Frau Suhrmann. Ich schilderte ihr mein Anliegen, erläuterte den Flop in der Altonaer Filiale und erkundigte mich explizit nach „Elvis Presley's '68 Comeback Special Deluxe Edition“. Sie eruierte das Ganze und gab Entwarnung: „Davon sind ausreichend Bestände vorhanden.“

Großartig. Also ging ich neuerlich auf Weltreise, durchs wilde Hammerbrook über die Elbe gen Süden, die betriebsfremde Person war längst aus dem Gleis, ob am Stück oder nicht, werde ich morgen aus der Mopo erfahren, und irgendwann stand ich im Mediamarkt Harburg vor den 5,90-Stapeln und fand die „Deluxe Edition“ nicht.

Ich wandte mich an einen Mitarbeiter. Er durchwühlte die Stapel und hielt mir die gelassen triumphal die lächerliche „Special Edition“ vor die Nase. „Nein“, sagte ich, „schauen Sie mal auf Ihren Prospekt: Dort ist die ,Deluxe Edition' abgebildet, die hat ein ganz anderes Cover.“

Grummelnd ging er zu seinem Computer, ich folgte ihm. Er tippte und grummelte, und nach ungefähr drei Minuten fand er immer wieder nur die Schmalspurversion. „Aber ich suche die mit den drei DVDs“, insistierte ich. „Drei DVDs für 5,90 Euro?“, sagte er vorwurfsvoll, „das geht ja auch nicht.“ „Aber SIE bewerben sie doch!“, rief ich, „in Ihrem eigenen Prospekt!“

Und dann kam der Mann mir mit dem Totschlagsargument schlechthin: Es handele sich um einen Druckfehler. Die Leute, die das Layout für den Prospekt entwürfen, hätten keine Ahnung von Filmen, die suchten sich die Cover aus dem Web, und dabei ginge halt manchmal was schief. Wie jetzt gerade bei Elvis.

„Aber deswegen habe ich doch vor der Weltreise angerufen!“, jammerte ich. „Wen denn?“, frage er. „Frau Suhrmann!“, heulte ich. „Wir sind auch nur Menschen. Menschen machen Fehler.“

Sein zweites Totschlagsargument binnen fünf Minuten. Für ihn war die Sache damit erledigt, und ich schlich geschlagen davon. Er kam nicht mal auf die Idee, mir irgendeine Art der Kompensation für den vergeudeten halben Tag anzubieten, zum Beispiel ein Bonbon, einen Espresso, zwei 4-GB-USB-Sticks oder wenigstens die Stanley-Kubrick-Box als Blu-ray.

Aber es ist ja noch nicht zu spät.

Mit erschöpften Grüßen, Mediamarkt, dein elvisdeluxeeditionsloser

Matt

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02 März 2010

Weggeknurrt



Wie man Huren, Koberer und „Hasse-ma-n-Euro?“-Schnorrer elegant abtropfen lässt, weiß ich dank 15-jährigen Kieztrainings inzwischen aus dem Eff-eff. Aber Leute vom WWF?

Ich wäre ratlos gewesen, hätte mich vielleicht sogar auf ein höflich-ablehnendes Gespräch eingelassen, doch zum Glück hatte ich den Franken an meiner Seite.

Als der Typ vom WWF seinen Stand verließ, um uns anzusprechen, knurrte der Franke ihn auf unnachahmliche Weise final weg. Und zwar mit folgenden, souverän im Majestatis pluralis formulierten Worten:

„Wir hassen Tiere.“

Genial. Und übertragbar: Sollten mich demnächst Katholiken in der Fußgängerzone missionieren wollen, wüsste ich schon, wie ich sie abschmettern könnte. Zum Beispiel mit dem Satz: „Sorry, ich stehe auf Sex mit Erwachsenen.“

Müsste klappen.

PS: Natürlich hasse ICH keine Tiere. Auch nicht die Beispielkaninchen auf dem Foto.



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11 Januar 2010

Es pocht unterm Flüssigpflaster

Es hat etwas von einem Naturgesetz à la „Morgens geht die Sonne auf“, dass man sich beim Wechseln einer Druckerpatrone besudelt.

Zu den spezifischen Extras gehört es hingegen, sich hinterher beim Säubern blutig zu rubbeln und jetzt ein Flüssigpflaster auf dem Fingergelenk tragen zu müssen.

Statt zu funktionieren, suppen jedenfalls die billigen Nachbaupatronen, und ich zockele per Bus zum Mediamarkt, weil man dort gerade jeden zehnten Einkauf qua Lotterie rückerstattet – und wie man weiß, sind Druckerpatronen, die keine Nachbauten sind (von denen ich seit dem Blutigrubbeln die Nase voll habe), vom Preis-Leistungsverhältnis her so ziemlich das Ungünstigte diesseits von Kokain. Eine gewonnene Rückerstattung würde sich also lohnen.

Bei Mediamarkt erstehe ich ein Set neuer teurer Druckerpatronen und stelle mich in die durch die anscheinend sehr erfolgreiche Aktion, jeden zehnten Einkauf rückzuerstatten, meterlange Schlange. Danach zockle ich wieder nach Hause, wo ich beim Auspacken feststelle, dass eine der neuen Druckerpatronen nicht mehr originalversiegelt und zudem bereits teilweise ausgelaufen ist.

Schreckliche Erinnerungen ans Michbesudeln, Blutigrubbeln und Flüssigpflaster bedrängen mich augenblicklich, und ich begebe mich postwendend wieder in Daisy-kompatible Winterkleidung, um erneut den Weg per Bus gen Mediamarkt anzutreten.

In der Druckerpatronenabteilung ist man bestürzt. Man übernimmt umstandslos die volle Schuld und bietet einen Umtausch an. „Dann geben Sie mir einfach eine unversehrte Patrone, und die Sache ist geritzt“, schlage ich Naivling vor, und zwar im Rhythmus des Pochens unterm Flüssigpflaster.

„Dafür brauchen Sie einen Eigentumsschein“, sagt die Mediamarkt-Frau.

„Hier, der Kassenzettel“, sage ich und zeige ihr den Kassenzettel.

„So geht das nicht“, erläutert sie mit dem kalten Lächeln derjenigen, die vom Sinn einer bürokratischen Maßnahme, welche das Leben hierzulande auf sinnlose Weise verlangsamt, voll überzeugt ist. „Mit dem Kassenbeleg gehen Sie jetzt zum Service. Dort lassen Sie sich einen Eigentumsschein geben. Dann kommen Sie wieder hierher, und wir geben Ihnen eine neue Patrone.“

Na gut. Ich dackle zum Service und betrete den Raum. Sofort stürzt sich ein Sicherheitsmann auf mich, denn ich hatte die Schlange vor der Tür übersehen. Sie ist mehrere Meter lang. Zum Glück habe ich etwas zu lesen dabei.

Irgendwann später bin ich dran, man stellt mir aufgrund des Kassenzettels einen Eigentumsschein aus und konfisziert die Patrone. Danach steige ich wieder hoch in den zweiten Stock, wo man mir eine eine neue Druckerpatrone aushändigt.

„Damit“, sagt die Mediamarkt-Frau, „gehen Sie jetzt an die Kasse, und das war’s.“

„An die Kasse?“, sage ich mit geweiteten Augen, „aber …“
„Nur so läuft das“, sagt die Frau und wendet sich einem Kunden zu, der ratlos vor der Canon-Druckerpatronenpalette steht.

Die Schlange vor der Kasse ist meterlang. Irgendwann später. Im Tausch gegen den Eigentumsschein erhalte ich einen neuen Kassenzettel und darf die Patrone ohne weitere Hindernisse mit auf die Busfahrt nach Hause nehmen.

Damit verfüge ich nun unverhofft über zwei Kassenzettel, und sofort erwacht meine Spielernatur. Habe ich jetzt bei der abendlichen Mediamarkt-Lotterie, die jeden zehnten Kassenbeleg erstattet, sofern man die richtige Endziffer trifft, nicht die doppelte Chance? Natürlich! Alles könnte ein gutes Ende nehmen.

Fiebrig überprüfe ich die Endziffern: zweimal die 9.

Gezogen wird die 3.

Immerhin funktioniert die neue Patrone. Und das Pochen im Fingergelenk spüre ich nur noch, wenn ich lache.

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24 Dezember 2009

Santa Graus



An anderer Stelle habe ich es schon einmal betont: Wer von Anhängern monotheistischer Religionen nicht mit Hass, Empörung oder Mitleid bedacht wird, sollte seine Außenwirkung ernsthaft hinterfragen.

Doch auch die Außenwirkung manch monotheistischer Religion ist bisweilen dazu angetan, Gefühlswallungen negativer Art bei uns Nichtkontaminierten hervorzurufen. Der hüftsteife Santa-Claus-Roboter ist dafür ein gutes Beispiel.

Was bloß bewegt einen Altonaer Pizzeriachef mit wahrscheinlich römisch-katholischem Hintergrund, so etwas vor seiner Tür aufzustellen und leeren Blicks „Ho ho ho“ brummen zu lassen? Sänge das … Ding … wenigstens Verdi!

Und damit allen frohe Weihnachten.


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29 November 2009

Nichts wie raus

Die beiden jungen Blondinen, die kurz nach Mitternacht in Altona unseren S-Bahnwagen betraten, lachten und scherzten. Zwei fröhliche Teenager auf dem Weg in die Nacht.

Es war keineswesgs abzusehen, dass eine der beiden sich unmittelbar vor Erreichen der Station Reeperbahn exorbitant erbrechen würde, und zwar in mehreren kräftigen Schüben, die gelbrot und lautstark auf den Boden pladderten.

Noch während dies in unserer unmittelbaren Nähe geschah, hielt die Bahn, und selten zuvor in unserer HVV-Geschichte war das Aussteigen von einem derartigen Gefühl der Erleichterung geprägt wie diesmal.

Mein Mitgefühl galt den uns entgegenbrandenden Massen, die nun nichtsahnend hineindrängten. Ihr Schicksal war besiegelt, daran war nichts mehr zu ändern.

Die beiden Kreuztaler Anwälte haben mit dieser ganzen Geschichte übrigens nicht das Geringste zu tun.

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05 November 2009

Wie ich mich mal gegen Schweinegrippe habe impfen lassen

Wenn wirklich die Pandemie kommen sollte, dann gnade uns Rösler. Denn schon jetzt ist das Gesundheitsamt heillos überfordert, dabei verlieren sich gerade mal sechs Leutchen in der Empfangshalle.

Darunter der Franke und ich: Wir wollen uns impfen lassen. Zwei wuselköpfige Damen händigen uns Formulare aus, die wir ausfüllen sollen. Kugelschreiber haben sie aber leider keine. Schade. Eine impfwillige Kundin, die ihr Ausfüllpensum schon erledigt hat, bietet mir ihren an – unter der Maßgabe, ihn nachher wieder zurückzugeben. Ich werde sie nie mehr wiedersehen.

Wir füllen unsere Formulare aus. Der Franke braucht allein drei Minuten und zwei Extrazeilen, um seine ganzen Allergien niederzuschreiben. Bin ehrlich verwundert, dass „Atemluft“ auf seiner Liste fehlt.

Danach erhalten wir Wartemarken. Allerdings behalten die wuselköpfigen Damen kein Pendant mit der gleichen Nummer, um den Wartemarkenstapel später abarbeiten zu können, was mich erstaunt; außerdem schicken sie die Leute in verschiedene Gebäudetrakte, was mich noch mehr erstaunt. Ich bin sehr neugierig, welchen genialen neuen Kniff das Gesundheitsamt bezüglich der Wartemarken ausgetüftelt hat.

Der Franke erhält eine Impfersatzbescheinigung. „Warum haben Sie ihm jetzt so eine Impfersatzbescheinigung ausgehändigt und mir nicht?“, frage ich beleidigt. „Weil ich so tüddelig bin?“, fragt die Gesundheitsamtsdame rhetorisch zurück. Gute Theorie.

Oben, vor Raum 3, sitzen vier schweigende Männer und warten. Erneut huschen wuselköpfige Damen hin und her, aber andere. Dialogfetzen:
„Dr. XY schläft noch. Meinst du, ich soll ihn anrufen?“
„Hm, ich weiß nicht. Vielleicht ja.“

Man schließt eine Tür auf und wieder zu, man läuft ziellos über die Gänge, man gibt sich ostentativ überfordert. Dabei ist doch noch gar nichts passiert, keine Pandemie weit und breit, nur sechs Impfwillige in Wartestellung. Und nicht 6000.

Irgendwann tritt ein Weißkittel aus einem der Räume und fragt: „Wer ist der Nächste?“ Tja, wenn wir sechs das wüssten. Alle schauen ratlos auf ihre Wartemarken. Spätestens jetzt müsste das geballte behördliche Organisationsgenie sich Bahn brechen.

„Also, ich hab 163“, murmelt der tatterige Rentner neben mir und schaut sich unsicher um. Meine 171 kann gegen diese Superzahl nicht anstinken. „Irgendjemand niedriger als 163?“, ruft der Weißkittel in die Runde und stützt dabei die Arme herausfordernd in die Seiten. Schweigen im Gang, der Rentner wackelt in den Impfraum.

Das Wartemarkensystem scheint noch nicht ganz ausgereift. Vielleicht aber bis zur Pandemie.

Endlich bin ich dran. Zwischen dem Rentner und mir hatte noch einer die 167, die restlichen Zahlen fehlten, doch das verwundert nicht, schließlich wurde wir von der tüddeligen Dame in der Halle in verschiedene Gebäudetrakte geschickt.

Der Arzt fragt, ob ich gegen Hühnereiweiß allergisch sei. Mein schnippischer Gedanke, „Das geht doch aus dem Formular hervor, das ich mit einem geliehenen Kuli ausgefüllt habe, den ich nicht mehr zurückgeben kann, weil ich seine Besitzerin nie mehr wiedersehen werde, ehe mir eine Wartemarke ausgehändigt wurde, die praktisch keine Funktion hat“, bleibt fest verschlossen in meinem Kopf, und ich verneine.

Er desinfiziert meinen Oberarm und haut mir eine volle Kanüle Pandemrix rein. Das kleine sterile Stoffquadrat, das er beim Herausziehen der Spritze auf die Wunde drücken will, fällt ihm leider runter.

„Nein, nein“, deutet er mein kurzes Zucken falsch, „das hebe ich auf.“ Allerdings kommt er nicht ran, weil er immer noch die Spritze festhalten muss, die tief in meinem Oberarm steckt. Ratlos wandert sein Blick über den Tisch, an dem wir sitzen. Nirgends ein weiteres Stoffquadrat.

Schweigend sitzen wir da, die Spritze ragt aus meinem Arm, der Arzt schaut unstet umher. Irgendwann reicht ihm eine der wuselköpfigen Damen ein Ersatztüchlein, jetzt kann er die Spritze rausziehen.

Auf dem Gang treffe ich den Franken wieder. Auch ihn haben sie nach der Hühnereiweißallergie gefragt, aber wohl aus anderen Gründen: Sie hatten bestimmt keine Lust, seine enzyklopädische Tier-, Pollen- und Gräserliste Posten für Posten durchzugehen.

Heute war ein Arbeitskollege ebenfalls dort zum Impfen. Während der Behandlung kam eine der wuselköpfigen Damen herein und fragte: „Sag mal, was ist denn das für eine Charge hier? Die sieht doch ganz anders aus als die von heute morgen!“

Die Pandemie kann kommen.


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13 September 2009

Fünf Prozent sind keine Hürde

„Harry’s Fliesenmarkt“ verzeihe ich leichtherzig seinen Deppenapostroph. Und dafür gibt es Gründe.

Als ich dort am Wochenende im St.-Pauli-T-Shirt auflief, schloss mich einer der Chefs sofort ins Herz. „Einen Weltpokalsiegerbesieger bediene ich gern!“, frohlockte der herzensgute Mann sofort und beantwortete hochmotiviert alle aufkommenden Fliesenfragen.

Zudem schien nach und nach in Nebensätzen sein bedrückendes Schicksal auf, welches ihm „Harry’s Fliesenmarkt“ tagtäglich aufbürdet. Dort nämlich, erzählte er, arbeiteten lauter HSV-Fans und nur einer, der dem FC St. Pauli anhinge: er.

Gefangen in der Diaspora, das ist fast wie Waterboarding.

Umso liebenswerter umhegte er natürlich mich, den Weltpokalsiegerbesiegerhemdträger. Es kam im Zuge dessen sogar zum Kauf des Modells Avanti Grau R9 (Foto), und als er den Abholzettel für die Kasse ausfüllte, kritzelte er unten kommentarlos „- 5 %“ drauf.

Fragend sah ich ihn an. „Für den FC St. Pauli“, antwortete er mit einem melancholischen Lächeln. Und dann kehrte er zurück in die bedrückende Tristesse seines HSV-geprägten Arbeitsalltags.

St.-Pauli-Fans sollten im Bedarfsfall also erwägen, „Harry’s Fliesenmarkt“ in vollem FC-Ornat aufzusuchen, trotz der betrüblichen HSV-Kontamination. Oder genau deswegen: Denn dort braucht jemand Unterstützung.

Dafür rückt er auch was raus, schätze mal so fünf Prozent.


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11 September 2009

Fundstücke (56): Der Preis der Macht



In welchem Ausmaß die Macht dich zerstört, zerknautscht und unschön vermännlicht: All das zeigt dieses erschütternde neue Foto von Angela Merkel auf einem CDU-Wahlplakat in Altona.

Man möchte Merkel unter diesen Umständen gar keine weitere Amtszeit mehr wünschen. Denn wo will sie denn noch hinmutieren – zum Hulk?



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08 September 2009

Die Uhr geht, und die Gurké



Von
: Matt
Betreff: Die Uhr geht, und die Gurké
Datum: 8. September 2009 00:21:57 MESZ
An: v?@hamburg-altona.intercityhotel.de

Liebes „InterCityHotel“ am Paul-Nevermann-Platz,

jeden Morgen komme ich so gegen 9:20 Uhr an dir vorbei, und jeden Morgen steht deine Uhr verlässlich auf drei Minuten nach halb 11. Das ist falsch, doch gleichwohl schon sehr, sehr lange so; ich glaube, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich von Jahren spreche.

Jedesmal, wenn ich an der Fußgängerampel stehe und den stoischen immergleichen Zeigerstand deiner Uhr sehe, „InterCityHotel“, dann durchzuckt mich der kleine Blitz eines sanften Schreckens, doch inzwischen habe ich Routine beim augenblicklichen Selbstberuhigen und weiß praktisch in der gleichen Sekunde, wenn ich deine Uhr sehe, dass ich doch nicht verschlafen habe.

Allerdings wäre es mir dennoch erheblich lieber, könnte ich an deiner Uhr schlicht und einfach das tun, was sie der Umgebung rund um den Bahnhof Altona tagein, tagaus in stoischer Gleichmut signalisiert: die Zeit ablesen.

Doch das geht nicht, denn sie steht ja. Hast du, liebes „InterCityHotel“ am Paul-Nevermann-Platz, eigentlich schon mal darüber nachgedacht, dass man denken könnte oder gar sollte, wo draußen die Uhr nicht geht, würden drinnen eventuell auch die Betten nicht gemacht, die Toiletten nicht geputzt und die Bratenreste von gestern zum Gammelgulasch von heute?

Da denk bitte mal drüber nach,
„InterCityHotel“. Und dann bring endlich deine Uhr zum Laufen, verdammt noch mal.

Mit hoffnungsvollsten Grüßen
Matt

PS: Bei der Gelegenheit könntest du eigentlich auch gleich deine beiden hässlichen Binnenmajuskeln („InterCityHotel“) entsorgen, aber das entscheidet wahrscheinlich mal wieder irgendeine Zentrale, ich weiß. Trotzdem.


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28 Juni 2009

Ohne Worte (48): Die dümmsten Fragen der Welt (1)



Entdeckt in den Zeisehallen, Altona.


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11 Juni 2009

Ohne Worte (44): Ein Blick in die Promotionhölle



Entdeckt im Bahnhof Altona.

PS: Auf dem Koffer steht übrigens „Nur Kamele trinken nichts unterwegs!“


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12 Mai 2009

Die Wahrheit hinter DHL

Manche Menschen sind mir ein Rätsel.

Ich meine: Wer setzt sich bloß hin und verschwendet Lebenszeit, um ein denunzierendes Logo zu entwerfen, das Motiv teuer auf Klebepapier drucken zu lassen und es dann an Altonaer Briefkästen zu pappen?

Und warum nur so viel Aufwand wegen eines Transportunternehmens?

Wäre diese Lebenszeit nicht besser investiert gewesen, wenn man Goethe gelesen hätte oder meinetwegen auch Charlotte Roche oder auch einen Abend lang das Muster der Wellen am Elbstrand in Neumühlen? Ganz bestimmt.

DHL leitet sich übrigens in Wahrheit ab von den Anfangsbuchstaben der Unternehmensgründer Adrian Dalsey, Larry Hillblom und Robert Lynn. Sagt Wikipedia.



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13 März 2009

Nur noch Wurst und Knochen

War heute mittags und abends mit dem Franken bei Holli & Toddi, um jeweils eine Currywurst mit Bratkartoffeln zu verspeisen.

Die Strafe folgte auf dem Heimweg: Mitten auf dem Bahnsteig in Altona lag ein riesiger abgenagter Knochen von gewiss 30 Zentimetern Länge. Er war nicht sofort einem Tier zuzuordnen, wenn überhaupt.

Alle Menschen schauten entsetzt und machten einen Bogen drumherum. Dann kam zum Glück die S-Bahn.

Vegetarismus wird mir immer sympathischer.



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27 Januar 2009

Die Kritik der kleinen Vernunft

Normalerweise zeichnet sich ja offizielles Schildersprech durch spröde Sachlichkeit aus. Gestanzte, schnörkellose Klarheit: Das sind Schilder, wie ich sie kenne. Und mag.

Nur selten hingegen begegnet man in diesem so eng abgesteckten Metier Formulierungen, die ihr Anliegen mit Raffinesse und Hintersinn zu vermitteln versuchen. Das muss sich ändern, beschloss irgendwann das Bezirksamt Altona – und entwickelte das abgebildete Schild für eine Elbtreppe in Neumühlen. Text: „Vernünftige fahren hier nicht mit dem Rad. Anderen ist es verboten.“

Zumindest eins erreicht das Prachtstück mühelos: Man bleibt davor stehen und versucht aufzudröseln, welche der angesprochenen und abgebildeten Bevölkerungsgruppen nun was darf und wenn ja, warum nicht.

Auch Radfahrer steigen zunächst sinnierend ab, ehe sie kopfkratzend weiterradeln – und durch den Rückseitentext erneut semantisch desorientiert werden. Denn was meint das Bezirksamt Altona denn nun auch noch mit den ironisierenden Anführungsstrichen?

Nach einigem Herumrätseln sind wir schnell weitergeeilt – auch wenn wir diese Treppe ohne Fahrrad und Mutter mit Kind in der Hosentasche wahrscheinlich gar nicht hätten benutzen dürfen.

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29 Oktober 2008

Betrag zu hoch!

Seit bekannt geworden ist, welch apokalyptische Folgen der Individualverkehr hat, fährt ja praktisch niemand mehr Auto.

Wir aber waren Ende der 90er echte Avantgardisten, als wir nach dem Diebstahl des Fiats einfach sagten: Du wirst nicht ersetzt, Uno!

Vorher waren wir mit ihm für den Wocheneinkauf stets zu Toom in Altona gefahren, wo am Eingang des Parkplatzes eine Schranke war, die sich hob, wenn man eine Parkkarte zog.

Kurioserweise waren die Ausfahrtschranken meist oben, so dass ich die jeweilige Parkkarte gar nicht am Toom-Automaten auslösen musste. Eine vergessene alte Karte befand sich daher schon seit einiger Zeit in meiner Börse. Spaßeshalber steckte ich sie eines Tages mal in den Automaten, um die inzwischen aufgelaufenen Parkgebühren zu ermitteln. Sie waren dreistellig. Das war lustig.

In den Folgemonaten, ja -jahren wurde die alte Parkkarte zum running gag. Meine Schuld beim Toom-Parkplatz wuchs und wuchs. Irgendwann sagte der Automat Sachen wie „30 553 DM – Betrag zu hoch!“.

Wenn dann gerade zufällig ein Toom-Kunde in der Nähe war, starrte ich länger als notwendig aufs Display, seufzte tief auf, zog kopfschüttelnd die Karte aus dem Automaten und schlurfte von dannen – einer düsteren Zukunft als Fußgänger entgegen, während mein Wagen den Rest seiner rostigen Jahre unausgelöst auf dem Parkplatz von Toom verbringen musste. Denn 30 553 Mark hatte ich selten dabei.

Irgendwann hatten wir dank der Diebe kein Auto mehr. Wir kauften nun dort ein, wo man zu Fuß hingehen konnte. Toom, sein Parkplatz und der Automat gerieten in Vergessenheit. Doch heute morgen, viele Jahre und eine Währungsumstellung später, fand ich die Parkkarte wieder. Sie lag in einem verstaubten ehemaligen Gewürzgurkenglas, in dem sich außerdem noch ein Klebezettelblock und viele kleine Münzen befanden, darunter sogenannte „Groschen“, die Älteren unter uns werden sich noch erinnern.

Die Parkkarte jedenfalls weckte nostalgische Gefühle – und führte mich in Versuchung. Ich brach etwas früher zur Arbeit auf, um vorher noch bei Toom vorbeizufahren. Einfach mal schauen, wie hoch der Betrag jetzt wäre, ungefähr acht Jahre nach der historischen Meldung „30 553 DM – Betrag zu hoch!“.

Ich betrat Toom voll nervöser Vorfreude. Der Parkautomat stand noch immer im Eingangsbereich, wie damals. Ich ging hin und führte die Karte ein. Meine Hände zitterten leicht. Was würde er sagen? Läge ich schon bei einer Million, und zwar Euro?

Der Automat surrte und summte, er checkte die Karte, und dann … spuckte er sie wieder aus wie ein trockener Alkoholiker die Weinbrandbohne.

Welch eine Enttäuschung: Der Parkautomat gehörte einer neueren Generation an. Es handelte sich um ein anderes, aktualisiertes Modell. Mein alte Parkkarte war ihm so fremd wie meinem MacBook eine Floppydisc. Wie schade.

Ich seufzte tief auf, obwohl kein anderer Toom-Kunde in der Nähe war, zog kopfschüttelnd die Karte aus dem Automaten und schlurfte geschlagen von dannen.

Vielleicht haben sie den alten Automaten ja nur deswegen ausgetauscht, weil ihn die Meldung „30 553 DM – Betrag zu hoch!“ irgendwann depressiv gemacht hatte.

Ja, so war es, bestimmt.


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02 April 2008

Ohne Worte (1)



(Grafitti, Zeisehallen, Altona)


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29 März 2008

Wohl doch ein Dobermann

Wer auf der Südseite der Elbchaussee wohnt, gilt gemeinhin als zu viel reich und verschwiegen, um sich auch noch mit so etwas Lästigem wie Humor abgeben zu können.

Umso erstaunter waren wir beim Anblick des abgebildeten Schildes, welches uns eingangs einer wuchtigen, vielleicht einem Gynäkologen gehörenden Elbchausseevilla vor allzu großer Nähe warnte und dies zugleich persiflierte.

Beim sprichwörtlichen Understatement der Elbhangbewohner ist dennoch nicht mit einem Pekinesen als Wachhund zu rechnen, sondern mit einem aus taktischen Gründen verniedlichten Dobermann. Wir wagten es daher nicht, in die Villa vorzudringen, um vom Südbalkon aus einen besseren Hafenblick zu gewinnen.

Heute übrigens gaben die Kollegen (und Kolleginnen!) der Stiftung Warentest bekannt, 50 Gynäkologen unter die – ähem – Lupe genommen zu haben.

Vielleicht war ja zufällig der Besitzer des bisschen Hunds dabei, aber das werden wir natürlich nie erfahren.


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12 März 2008

Die Ungeduldige

Gespannte Ruhe an der Fußgängerampel vorm Bahnhof Altona. Alles steht, die Autos, die Fußgänger, alle sehen rot, nur die Rechtsabbieger nicht. Jede Sekunde jedenfalls muss es für uns designierte Straßenüberquerer grün werden.

Eine junge Frau gegenüber erscheint mir besonders ungeduldig. Sie ist hibbelig, setzt den Fuß auf die Straße, zuckt zurück. Komm endlich, mach schon!, schreit sie innerlich, ich höre es ganz genau.

Doch die Fußgängerampel bleibt auf rot. Jetzt zuckt die Frau zum zweiten Mal, doch erneut übermannt sie die Unsicherheit; die Autos stehen da wie eine leise murmelnde Meute, wachsam und bereit zum Sprung, die Frau traut sich wieder nicht.

Dann schaut sie kurz unter sich, zwei Sekunden nur, doch es sind die Sekunden, in denen die Ampel endlich grün wird. Sie, die es am eiligsten von uns allen hat, verpasst den entscheidenden Moment.

Alle sind schon zwei, drei Meter weit, als sie es merkt. Sie betritt die Straße als letzte, sie hat entscheidende Sekunden verloren. Als wir uns begegnen, flucht sie innerlich, ich höre es ganz genau. Und muss grinsen, weshalb auch immer.

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19 Februar 2008

Der unvermeidliche Nachschlag

Der indische Imbiss ist nur ein paar Fußminuten von der Redaktion entfernt und nahe dieser Baustelle. Auf den Franken hat dieser Imbiss eine Wirkung wie Bruni auf Sarko. Der Grund ist klar, und es kann nur einen geben: Dort gibt es Nachschlag.

„Heute habe ich Hunger“, verkündet der Franke mittags vergnügt, obwohl das praktisch für jeden beliebigen Zeitpunkt des Tages gilt, aber mittags ganz besonders, „heute brauche ich Nachschlag!“

Also geht es zum Inder. Die Portionen dort sind reichlich, geradezu üppig, schier ausreichend. Ohne es zu thematisieren kommen wir beide zu dem Schluss: Genug ist genug. Heute ist Nachschlag nicht nötig.

Wahrscheinlich wäre er sogar schädlich für die nachmittägliche Produktivität. Denn wie man weiß, fordert der Verdauungstrakt jeweils Ressourcen an, die sich proportional zur aufgenommenen Nahrungsmenge verhalten, und all das geht auf Kosten des Gehirns. Selbst das des Franken muss sich diesem Effekt regelmäßig beugen.

Plötzlich steht der junge Mann, der uns das Essen serviert hat, wieder am Tisch. Wie aus dem Nichts. „Wolle Sie Na’hschlack?“, fragt er und strahlt dabei wie der Lottomann, der montags klingelt, um dich über den Millionengewinn zu informieren (nehme ich zumindest an).

„Iss kein Proppläm“, fährt der Bursche ermunternd fort, „können ruhig sake!“ Ich sage auch – und zwar spontan ab. Dann schaue ich den Franken an. Ich weiß genau, was jetzt in ihm vorgeht. Und ich weiß, wie das alles ausgehen wird.

„NA GUT!“, bricht die Frankenfirewall zusammen wie ein Kartenhaus im Wirbelsturm Katrina. Dann reicht er seinen auf Spülmaschinenniveau abgeleckten Teller der Bedienung, die sich hocherfreut auf den Weg macht zur Quelle des Na’hschlacks.

„Weißt du was?“, wende ich mich müde an den Franken, „weder an der sittlichen Reife noch an der moralischen Standfestigkeit, einem solchen Angebot zu widerstehen, wirst du dich jemals in deinem Leben erfreuen können.“

„Was hat das mit Sitte und Moral zu tun?“, grinst der Spross fränkischer Krume jedoch keck und nimmt mit sicherem Griff den Nachschlagteller entgegen. Die Bedienung hat ihn mit
praktisch der gleichen Menge gefüllt wie beim ersten Gang.

„Ach, lass nur“, murmele ich und schaue ihm die nächsten fünf Minuten einfach nur dumpf beim Schlingen zu.

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30 Januar 2008

Kampf der Systeme

Heute erprobte sich in Altona ein Lieferwagen der Paketpost erfolgreich als Bahnschranke, und das sehr effektiv.

Warnblinkend parkte er die Straße Am Sood zu, es gab kein Durchkommen. Er versperrte so ausgerechnet einem ebenfalls wild blinkenden DPD-Konkurrenten die Durchfahrt.

Beide Wagen waren verwaist, doch uns war sofort klar: Das hier war der Kampf der Systeme, hier focht Godzilla gegen Frankensteins Monster, und das mitten in Altona, vor unseren Augen.

Allerdings schien dieser Kampf gerade unentschieden zum Stillstand gekommen zu sein. Die eingedellte Stelle überm rechten Vorderrad des gelben Wagens verwies jedoch auf vorausgegangene Action.

„Ein Unfall!“, frohlockte ich gegenüber dem Franken, mit dem ich auf dem Weg zum Lunch war. DPD vs. DHL: Symbolträchtiger hätte das kaum sein können. Höchstens wenn auch noch ein grünes PIN-Auto in all das verwickelt gewesen wäre. Aber man kann nicht alles haben.

Als ich die Szenerie fotografierte, kam plötzlich der DHL-Mann zurück. „Wir hatten keinen Unfall!“, wedelte er abwiegelnd mit den Armen. Er wäre uns natürlich keinerlei Rechenschaft schuldig, doch er begann zu erklären.

Er habe den Wagen zwecks ortsnaher Auslieferung einfach mal dort abgestellt, weil Am Sood eh selten frequentiert sei. Und der zufällig dann doch ebenda langkommende DPD-Wagen habe die willkommene Gelegenheit einer unüberwindlichen DHL-Sperre einfach nur gewitzt genutzt, um sein Gefährt ebenfalls illegal abzustellen und rasch auszuliefern. Natürlich glaubten wir ihm kein Wort, zumal der DPD-Mann nun ebenfalls angelaufen kam und blaffte: „He, wie parkst du denn?“


„Wir hatten keinen Unfall“, flüstere der Gelbe uns noch einmal schnell zu, ehe er sich seinem Pendant zuwandte und die explosive Situation alsbald beendete, indem er seine Tour fortsetzte.

Tja, und so hatte auch dieser Tag wieder seine kleine banale, verblogbare Attraktion.

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15 November 2007

Wie ein komatöses Krokodil

Der blöde Schnellbus 37 kommt zurzeit mal wieder jeden Morgen verlässlich zu spät. Meist stehe ich mir ab 9 Uhr rund 20 Minuten lang an der U-Bahn-Haltestelle St. Pauli die Beine in den Bauch und vertreibe mir die Zeit damit, zum Takt von Philip Glass den HVV zu verfluchen. Philipp Glass’ Musik ist übrigens sehr rhythmisch.

Die äußerst zuverlässig eintreffenden Busse der erheblich unbrauchbareren Linien 36 und 112 scheinen beim Eintreffen zu feixen. Ich habe es vorher auch nicht gewusst, aber verdammt: Busse KÖNNEN feixen, ich erlebe es jeden Morgen!

In der 37, so sie denn kommt, sitzt dann meist eine sehr blonde, sehr verlebte und deshalb sehr aufgetakelte Busfahrerin. Auch heute wieder. Das Auffälligste an ihr ist nicht ihre mimisch offen zur Schau gestellte Grundgenervtheit, sondern die Art, wie sie den Bus steuert. Nämlich einhändig.

Ihre linke Hand erledigt komplett alles, was nötig ist, um verlässliche 20 Minuten Verspätung zu erzielen, während ihre rechte wie eingeschlafen auf der Kasse ruht. Vier Finger liegen in mathematischer Akkuratesse auf dem Gerät, während der Daumen träumerisch hinter der unteren Kante des Kastens verschwindet. Selbst bei engen Kurven und schwierigen Ausweichmanövern bleibt die Blonde verbissen bei dieser manuellen Arbeitsteilung, als hätte sie eine Wette laufen.

„Wahrscheinlich“, vermutet Ms. Columbo, der ich ratlos davon erzähle, „ist die Kasse nicht verschraubt, und um den ständig drohenden Diebstahl zu verhindern, muss sie sie festhalten.“ Was Besseres fällt mir dazu ehrlich gesagt auch nicht ein.

Als wir am Bahnhof Altona eintreffen, geht es plötzlich nicht mehr weiter. Ich schaue vom Spiegel hoch und stelle fest: Niemand ist mehr im Bus außer mir. Vorne steht die Blonde neben ihrem Sitz und fuchtelt mit den Armen.

Ich nehme den Kopfhörer ab und erfahre so auch akustisch von ihrer Aufforderung, den Bus wechseln zu sollen. Hinter uns parkt ein weiterer 37er, dort sollen wir hinein aus irgendeinem Grund. Alle haben es schon kapiert, nur ich noch nicht, dank Philip Glass und Spiegellektüre.

Also wechsle auch ich den Bus, und erst unterwegs dorthin wird es mir bewusst: Ich habe doch wahrhaftig die rechte Hand der Busfahrerin bei einer anderen Tätigkeit erlebt, als auf dem Kassenkasten zu liegen wie ein komatöses Krokodil. Beim Fuchteln nämlich.

Somit ein ganz besonderer Tag. Doch morgen wird bestimmt wieder alles so sein wie immer.

PS: Wenn ich vor lauter 37er-Frust dann doch mal die 112 nehme, die mich immerhin in die Nähe meines Zieles bringt, dann führt die Route wenigstens über den Hafen, und ich kann Kräne kucken. Und schon habe ich wieder ein Kränefoto hier eingeschmuggelt. Ich bin echt ein Fuchs.

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10 November 2007

Nur keine Hemmungen



Tagtäglich verschlägt es mich berufsbedingt in die Zeisehallen, und ebenso oft streift mein Blick ein Gitterkonstrukt, welches hier als schwarzes Brett fungiert.

Die an dünnen Metallstreben befestigten Aushänge flattern und fleddern schon nach kurzer Zeit zerzaust vor sich hin. Es sei denn, sie sind ganz frisch, wie der abgebildete. Ein wirklich erstaunlicher Aushang. Sowohl sein Zielpublikum als auch die dahinter sich verbergende Lehre sind mir zwar völlig schleierhaft. Dennoch begann ich innerlich zu juchzen und zu jauchzen, und alles nur wegen des Textes zum Tryptichon.

Kein einziger Deppenbindestrich, trotz der prachtvoll entwickelten Komposita! Wo findet man das heutzutage noch? Ich erwog, meine Begeisterung in eine spontane Schüttelanwendung münden zu lassen, merkte aber, dass dies mit Hilfe einer Enthemmungsmusikrassel erheblich einfacher zu bewerkstelligen wäre. Doch ich hatte zufällig keine zur Hand.

Und der Obdachlose mit dem hygienisch bedenklichen Dreijahresbart, der immer hinterm Gitterzaun sitzt und mich täglich fragt, ob er mich malen dürfe, hatte nicht einmal ein geeignetes Ansprechpartnergesicht zu bieten. Im Gegenteil.

Noch Stunden danach beschäftigte mich der Zettel. Welche speziellen Hemmungen soll die Enthemmungsmusikrassel nach dem Willen des Zettelaufhängers überhaupt lösen? Eine Frage, die mich einfach nicht mehr loslässt.

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31 März 2007

Ziviler Ungehorsam 2007 …

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13 März 2007

Se Lieder of se Bändt

Der Ampelpfahl vorm Bahnhof Altona, an dem ich mich allmorgendlich während der üblichen Rotphase faul abstütze, um nicht vom Fahrrad steigen zu müssen, war schon oft ein Quell der Freude.

Das abgebildete Gesuch aber, schützend eingeschlagen in eine Dokumentenhülle aus Plastik, bot einen besonders aparten Anlass für jene spezielle Mischung aus Entzücken und Erschrecken, welche nur Ampel- und ähnliche Pfähle zu bieten in der Lage sind. Und irgendwie scheint mir dieses Gesuch das ganze Elend des Deutschrock auf den Punkt zu bringen, unfreiwillig zwar, aber doch umso nachhaltiger.

Sie, 31 und schrill, will also auf die Bühne, und zwar mit einer Bändt, die in
möglichst vielerlei Hinsicht körperlich verunstaltet sein sollte; musikalische Kriterien scheinen der Schrillen hingegen weniger wichtig zu sein.

Nun, ich bin ein Liebhaber des Rock und gestehe hiermit öffentlich: Ich habe das Blatt an mich genommen.

Und zwar nicht nur wegen der dabei kostenlos abfallenden Dokumentenhülle.

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29 November 2006

Nichts geht mehr

Beim abendlichen Heimradeln erweist sich der Verkehr als völlig lahmgelegt. Alles steht, Bus an Auto, Auto an Bus. Warnblinkanlagen flackern, ungeduldige Menschen stehen in der Bahrenfelder Straße zwischen Auspuffrohren und Kühlergrills herum. Alles sind ratlos. Klar ist: Nichts geht mehr. Stillstand. Eine Zivilisation am Rande der Hilflosigkeit.

Kurioserweise traut sich dennoch keiner weg von seinem Wagen, obwohl ja auch niemand damit durchbrennen könnte. Eine Krux. Als Fahrradfahrer aber grinst man der Malaise souverän ins Gesicht und schlängelt sich virtuos durch den autoimmobilen Parcours.

Und der zieht sich hin, alle Achtung. Auch in der Kleinen Rainstraße steht Wagen an Wagen. Nichts nervt den urbanen Menschen mehr, als zur Untätigkeit, zum Verharren an einem bezugslosen Ort verdammt zu sein – vor allem, wenn er nicht weiß, warum. Woher kommen wir, wohin gehen wir – und wann endlich, verdammt noch mal?

Nur der Radfahrer wird es bald erfahren, denn er zwängt sich durch kleine blechgesäumte Lücken, er nutzt kurz den Gehweg, hüpft fidel über den Bordstein zurück auf die zugestellte Straße, stützt sich an der Wand eines – haha – Schnellbusses ab und erreicht schließlich den Anfang des Staus, der gerade halb Altona lahmlegt.

Und hier haben wir den Übeltäter. Wo die Kleine in die Große Rainstraße übergeht, parkt ein roter Golf halb auf der Straße, und genau dort kommt nun ein Bus nicht mehr um die Kurve. Ein Umstand, der sich in Form zunächst stockenden, dann stehenden Verkehrs rückwärts fortgepflanzt hat und sich inzwischen wahrscheinlich der Stresemannstraße nähert oder sogar schon der Abfahrt Bahrenfeld, und vielleicht leckt der Stau auch bereits gierig hoch auf die Autobahn und führt zu zähem Fließen bis hinauf nach Schnelsen-Nord und irgendwann bis Flensburg.

Und alles wegen eines roten Mittelklassewagens. Hier an der Ecke, vorm Golfus delicti, ist Volksauflauf. Polizei sichert die Lage. Alles wartet auf den Abschleppwagen. Bis dahin ruht weiter still und starr, was doch zum Sichbewegen geschaffen ist. Schaulustige besprechen die Lage. Nicht bei den Buskunden, aber bei den Fuß- und Müßiggängern herrscht vorfreudige Erwartung. Beim Abschleppen zuzusehen, ist immer eine feine Sache.

Noch feiner wäre es allerdings, der Fahrer des roten Golfs kehrte jetzt zurück und müsste sich dem Volkszorn stellen. Ich habe eine solche Situation mal in der Friedensallee erlebt, wo ein unsensibler Automobilist ebenfalls einen Bus blockiert hatte. Bei seiner Rückkehr erkannte er gleich die Brisanz der Situation und versuchte sich gleichsam unsichtbar ins Auto zu flüchten. Die nahezu tollwütigen Busfahrgäste allerdings stellten ihn und schrien ihm Vorwürfe entgegen, von denen ein mit Schaum vor dem Mund vorgetragenes „Ich habe ein krankes Kind zu Hause! Was denkst du dir eigentlich, du!“ der niederschmetterndste war.

Noch nie habe ich eine Menschenmenge so nah an ihrer Verwandlung zum Lynchmob gesehen wie damals. Daran merkt man, welche Bedeutung die Bewegungsfreiheit hat. Kein Wunder, dass Gefängnisinsassen manchmal sogar Dächer entern, nur um sich mal ungestört die Füße vertreten zu können.

Heute jedenfalls droht dem Golffahrer ebenfalls großes Ungemach, träte er unbefangen an sein Gefährt heran. Doch wenn er schlau ist, gesellt er sich einfach unauffällig zum potenziellen Lynchmob und schaut mit innerem Bedauern zu, wie sein Wagen demnächst abgeschleppt wird. Im Endeffekt kommt ihn das billiger – und ist deutlich weniger riskant.

So lange kann ich aber nicht warten. Also radle ich weiter und erfreue mich einer gähnend leeren Reststrecke bis zum Bahnhof Altona. Unterwegs wiege ich mich in der süßen Gewissheit, wieder ein wenig Blogstoff aufgesammelt zu haben.

So hat selbst das Lahmliegen des Hamburger Individualverkehrs noch sein gerüttelt Maß Gutes.

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20 April 2006

Das muss jetzt mal raus

Die Grundausstattung von Großstädten verdient ohne Zweifel Lob. Ob Kneipen, Kinos, Clubs oder käuflicher Sex: alles da, und zwar nah und unmittelbar. Was an Städten jedoch meist stört und aus meiner Sicht sehr verzichtbar ist, sind – Menschen. (Ja, ich bin mir der Paradoxie dieser Aussage bewusst.)

Fakt ist: Großstadtmenschen nerven. Sie sind im Weg. Sie errichten Hindernisse. Immer. Heute etwa radle ich verbotenerweise über den engen Gehweg am Mercadoparkhaus, als sich plötzlich die Tür eines parkenden Autos öffnet und die ganze Breite des Weges barriereartig blockiert. Schuld: ein Mensch.

Oder abends, in der Fußgängerzone der Neuen Großen Bergstraße (Foto): Eine ältere Dame mit Dackel als Appendix gibt der kackbraunen Fußhupe so viel Gummiband, wie sie nur haben möchte. Und sie möchte viel, oh ja. Die Fußgängerzone ist dort zwar sehr, sehr breit, das Gummiband aber auch sehr, sehr lang.

Eine Dame mit Dackel reicht aus, um der Neuen Großen Bergstraße eine Vollsperrung zu verpassen. Wüsste das der Hamburger Verkehrssenator, er könnte depressiven Hundebesitzern pipileicht wieder Lebenssinn vermitteln, indem er sie an Bau- oder Unfallstellen als hochflexible Absperrgitter einsetzte. Doch das passiert ja nicht. Stattdessen beanspruchen diese Menschen in freier Wildbahn ungeheure Freiflächen, die für Fußgänger und Radfahrer augenblicklich nicht mehr nutzbar, ja sogar gefährlich sind.

Doch heute ging es noch mal gut, Dackel und Dame waren letztlich dank meiner schier übermenschlichen Radelroutine knapp zu umfahren. Meine Grundthese aber sah ich erneut belegt: Großstadtmenschen nerven. Vor allem und besonders auch auf Radwegen, wo sie, wenn ich vorbeikomme, meist träumerisch herumstehen – bereit, im entscheidenden Moment einen unmotiviert anarchischen Schritt zur Seite zu tun, damit ich sie säuberlichst über den Haufen fahren kann.

Warum schauen sie sich nicht um, bevor sie dumme Dinge tun? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß eins: Großstadtmenschen nerven. Ihre Sinne scheinen unterm Dauerfeuer urbaner Reize und Ausscheidungen komplett abzustumpfen. Sie sehen nichts, sie hören nichts. Sie leben – obgleich umwogt von Hundertausenden anderer – in einer hermetischen Egoblase.

Auch der Radler, der heute in Ottensen auf die tolle Idee kam, den Gehweg zu verlassen und dumpffröhlich quer über die Bahrenfelder Straße zu rollen, obwohl ich dort gerade mit beträchtlicher Geschwindigkteit von meinem Vorfahrtsrecht Gebrauch zu machen gedachte. Wir stiegen beide in die Eisen wie ein Schmuckstraßenfreier, der versehentlich eine Transe gebucht hat. Gerade so vermieden wir den Crash, doch eins wurde mir mal wieder klar: In einer Großstadt ohne Menschen wäre diese Situation erst gar nicht entstanden.

Vielleicht würde ich es sogar akzeptieren, mich täglich ins Gewimmel dieser Gefahrguttransporter auf zwei Beinen stürzen zu müssen, wenn sie mir garantierten, von den ihnen zur Verfügung stehenden Sinnen auch Gebrauch zu machen. Davon kann aber nicht die geringste Rede sein.

Neulich sah ich einen Menschen halb im Laufschritt auf mich zukommen und dabei aus unerfindlichen Gründen hinter sich blicken. Er übertrug gleichsam mir, der ich meine Sinne adäquat in Betrieb hatte, die Verantwortung, den Weg zu räumen und auszuweichen. Doch mich überkam eine kleine sardonische Lust auf Konfrontation, und ich ließ es drauf ankommen.

Rumms, machte es. Schulter gegen Schulter. Er drehte sich um mit jenem erschreckten Staunen im Gesicht, als wäre er davon ausgegangen, in einer Großstadt ohne Menschen unterwegs zu sein.

Und plötzlich fühlte ich mich ihm sogar ein wenig verbunden.

Ex cathedra: Die Top 3 der urbanen Songs
1. „The city sleeps“ von MC 900 Ft. Jesus
2. „Summer in the city“ von Lovin’ Spoonful
3. „Crosstown traffic“ von Jimi Hendrix

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14 Februar 2006

Die Noppen

Heute passierte praktisch nichts. Dass der Franke vorm Mittagessen zwar über Sattheit klagte, dann aber doch einen kapitalen Teller Chili con carne wegschaufelte und sich sogar nachlud, ist nur eine Randnotiz wert. So kennen wir ihn schließlich.

Und dass unermüdliche Bautrupps inzwischen fast die kompletten Gehwege der Reeperbahn samt Querstraßen in Trümmerfelder aus Gruben, Gattern und pluckernden Presslufthämmern verwandelt haben: geschenkt. An der Haltestelle steht man halt da mit Ohrhörern unter der Wollmütze und fleht den Bus herbei, um die Musik wieder identifizieren zu können, die einem wahrscheinlich gerade durch die Schnecke fließt.

Der Bus kommt natürlich nicht, nicht um elf nach, was er laut Plan tun müsste, auch nicht um viertel nach, aber dann um neun vor halb. Er nennt sich übrigens „Schnellbus“. Pah.

Deswegen fahre ich heute abend mit der S-Bahn. Im Bahnhof Altona gehe ich zum tausendsten Mal an diesen seltsam genoppten Pfeilern vorbei, komme aber erstmals auf die Idee, einen davon zu fotografieren. Manchmal wüsste ich wirklich gerne, nach welchen Kriterien unsere Synapsen Entscheidungen für uns treffen.


Ex cathedra: Die Top 3 der Songs, die sogar Presslufthämmer übertönen können
1. „Good times are back“ von TV Smith
2. „Ace of spades“ von Motörhead
3. „Toccata“ von The Toy Dolls

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06 Februar 2006

Die todgeweihten Handschuhe

Es ist ja nicht so, als müsste man sich im Winter wundern über herren- und frauenlos herumliegende Handschuhe. Nein, immer wieder begegnet man einem dieser fünffingrigen Gesellen (seltener Fäustlingen). Gewöhnlich sind sie geografisch sorgsam und irreparabel separiert von ihrem leider doch nicht siamesischen Zwilling, der nun genauso unnütz irgendwo durch die Welt geistert.

Bei Handschuhen kann man ja nun wirklich mit Fug und Recht behaupten, beide seien deutlich mehr als die Summe ihrer Teile. Ohne einander sind sie sogar sofort nichts und niemand. Warum sie dennoch dazu neigen, separat verlorenzugehen, ist schwer begreiflich. Evolutionär gesehen verschafft ihnen das nicht den klitzekleinsten Vorteil, sondern nur die Chance auf ein baldiges böses Erwachen im Mülleimer.


Gingen Handschuhe dagegen grundsätzlich paarweise verloren, so könnte ein gegenüber fremden Nutzungsspuren toleranter Finder immer noch abwägen, ob sich die zwangsläufig vorzunehmende Reinigung zwecks künftiger Weiterverwendung nun lohnte oder nicht. Mir allerdings wäre das Innere fremder Handschuhe höchst unheimlich. Ungern würde ich meine Hand in etwas Dunkles, Stollenartiges stecken. Aber ich bin gegenüber fremden Nutzungsspuren auch nicht sehr tolerant.


Am Bahnhof Altona jedenfalls präsentierte sich mir heute eine neue Variante des allwinterlichen Handschuhvereinsamungsdramas. Es war erschütternd. Hier sehen wir zwei verschiedene, jedoch durch einen irren Zufall am gleichen Ort verlorgengegangene Exemplare. Offenbar ihre baldige Bestimmung begreifend – nämlich ohne ihr jeweiliges Spiegelbild rasch final entsorgt zu werden –, taten die Schicksalsgenossen das, was in Notsituationen schon oft einen Weg wies aus der Gefahr: Sie solidarisierten sich; man kann geradezu von einem bergenden Sichaneinanderkuscheln sprechen.


Ach, es wird ihnen gleichwohl nichts nützen. Aber wer sagt es ihnen?

Links daneben liegt übrigens ein ovales Behältnis, welches ich laienhaft als Kinderüberraschungsei von Ferrero identifiziert zu haben glaube. Welche Rolle es in diesem Melodram spielt, blieb allerdings unklar.

Und dann kam auch schon mein Bus.


Ex cathedra: Die Top 3 der schwärmerischsten Liebeserklärungen
1. „Adriano“ von Ralley
2. „No other love“ von Chuck Prophet
3. „Charlie Watts is God“ von Jackpot


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13 Dezember 2005

Der Media Markt

Wenn du dich mal allein und verlassen fühlen willst, geh in den Media Markt. Auf der Suche nach einem bestimmten, mir allerdings in seiner genauen Ausformung unbekannten Kabel irre ich durch die Gänge der Filiale am Bahnhof Altona (davor kann ich unbemerkt das abgebildete Beinfoto schießen).

Doch kein Verkäufer in Sicht. Ich bin desorientiert und hilflos. Allen anderen Kunden scheint es genauso zu gehen. Ratlosigkeit schwebt über uns wie eine große schwarze Wolke.
Ich finde schließlich die richtige Abteilung, sie liegt eine Etage höher.

Da, ein Verkäufer. Allerdings radebrecht er gerade ein Beratungsgespräch mit einem älteren Herrn auf Englisch. Ich warte. Und warte. Und warte. Es will kein Ende nehmen.


Ich entferne mich, um einen anderen Verkäufer zu finden. Das gelingt auch. Ich schildere das Problem, er sagt zu meiner spontan aufflammenden Freude: „Kommen Sie bitte mit“, was ich auch tue – und stehe plötzlich wieder vor dem Radebrecher. Ich fühle mich wie Sysyphos.

„Hier habe ich schon 20 Minuten aufs Ende seines Verkaufsgesprächs gewartet“, erkläre ich dem Hinbringer mit einem ersten Hauch von Frustration in der Stimme, „und ich hatte gehofft, Sie könnten mir helfen.“
Nun, das war eine Fehlannahme. Er sei vollkommen unzuständig und habe nicht den Schimmer einer Ahnung von jener merkwürdigen Welt der Kabel, erklärt er sinngemäß und schulterzuckend im eiligen Weggehen.

Während ich also schon wieder aufs Ende dieses zähen Kauderwelschs warte, sehe ich, wie eine Dame, die bereits vorhin mit mir gemeinsam um den kabelkundigen Verkäufer buhlte, einen weiteren Media-Markt-Mann anspricht. Sein Schulterzucken kommt mir inzwischen bekannt vor, doch seine Antwort ist mir neu: „Nein, ich kann Ihnen nicht helfen, ich bin nur ein Praktikant.“ Sein Lächeln wirkt triumphierend, aber ich kann mich täuschen. Die Dame dampft ab. Durch ihre schwarze Wolke zucken Blitze.

Irgendwann ist es soweit. Ich kann den richtigen Mann ansprechen. Und er identifiziert sogar mein Kabel. Trotzdem gehe ich da nicht mehr hin. Ich bin doch nicht blöd.


Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Untitled 3“ von Calexico/TLS, „Appalachian spring “ von Yo-Yo Ma und „Promenade sentimentale“ von Vladimir Costa.


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01 Dezember 2005

Der schwarze Riese

Auf der Reeperbahn gibt es einen neuen Discounter, einen Penny-Markt. Natürlich hat er sieben Tage die Woche geöffnet, sonst würde er hier ausgelacht.

Früher war in diesem Gebäude das Bayrisch-Zell untergebracht, eine auf hemdsärmelig und bierselig getrimmte Amüsierbrachialität mit weißblau gestrichener Fassade und ständig hervorbrechender „Oans, zwoa, gsuffa!“-Beschallung.


Als Koberer für diesen pseudo-urbayerischen Laden war ein schwarzer Riese tätig. Physiognomisch eine verblüffend treffsichere Mischung aus Gerald Asamoah und Roberto Blanco versah der Mann seinen Dienst mit verständlichem Missmut.

Sein von jeglichen Spuren der Hoffnung befreitetes „Wolle Se ma reinschaue?“ klingt mir noch recht gut im Ohr. Dazu schlenkerte der stets tadellos gekleidete Mann auf ungelenk herrische Weise den rechten Arm, was ich stets als einladende Geste deutete. Ganz sicher bin ich mir aber nicht.


Was er wohl jetzt macht, wo das Bayrisch-Zell einem Penny-Markt weichen musste? Wie beurteilt die Agentur für Arbeit sein Qualifikationsprofil?


Abends beim Konzert von Elbow in der Fabrik entstand das Foto. Oben in der Bar entdeckte ich diese ruhige Ecke, während drumherum die Schallwellen Purzelbäume schlugen. Leider hatte ich meine Ohrstöpsel vergessen und musste ein Papiertaschentuch zerknüllen.


Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Meeting across the river“ von Bruce Springsteen, „Heart of glass“ von Blondie im Justus-Köhncke-Remix und „Scene of the crime“ von Les Sybarites.


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30 November 2005

Der Verdächtige

Am Bahnhof Altona sitze ich im 37er gegenüber der mittleren Tür, lese Spiegel und warte, dass der Bus abfährt. Mein Blick fällt auf einen Mann mit Bartschatten, der vor der Tür steht, obgleich noch Plätze frei sind. Er wirkt arabisch, trägt einen dicken Parka, Handschuhe und einen Rucksack auf dem Rücken. Er blickt unstet umher, und mir wird plötzlich unwohl. Was, wenn er … Ich höre auf zu lesen und überlege, ob ich aussteigen soll. Der nächste Bus fährt in zehn Minuten, und ich bin in Eile.

Soll ich? Quatsch! Oder doch?


Wir haben eine neue Kanzlerin, die noch einen braunen Hals hat von ihrem damaligen Besuch bei Irak-Krieger Bush, mit dem sie der deutschen Regierung in den Rücken fiel. Und im Irak wurde gestern eine deutsche Staatsbürgerin entführt. Kann es nicht sein, dass wir jetzt ebenso auf der Liste stehen wie England und Spanien?


Der Mann an der Tür schaut umher. Warum setzt er sich nicht? Sein Parka beult sich, der Rucksack ist prall. Ich bin wie versteinert. Die Türen flappen zu mit einem dumpfen Zischen, und der Bus fährt los. Die wahrscheinlich lächerliche Entscheidung, auszusteigen und auf den nächsten zu warten, ist mir abgenommen worden.

Der Spiegel liegt auf meinem Schoß. Ich beobachte den Mann, der sich jetzt umdreht und durch die Türscheiben in die Dunkelheit starrt. Sein Rucksack wölbt sich mir schwarz entgegen. Der Mann hält sich mit einer Hand an der Stange fest. Sein Körper schwankt im Zusammenspiel von Gravitation und Fliehkraft.


Wann würde es passieren? An einer Ampel? Wenn der Bus die Reeperbahn hochfährt? Vielleicht an der Haltestelle Davidstraße, wo die Sünde und Verderbtheit der westlichen Welt sich verdichtet zur grandiosen Verhöhnung seines Glaubens? Oder will er zur U-Bahn, in einen Tunnel, zum Hauptbahnhof?


Die nächste Haltestelle, Altonaer Poststraße. Der Bus stoppt, die Türen zischen auf. Der Mann steigt aus. Ich sehe, dass er ein steifes Bein hat. Er hätte sich gar nicht hinsetzen können, so eng, wie die Sitzreihen aneinander gebaut sind.


Ich bin beschämt und erleichtert. Abends im bretonischen Restaurant Ti Breizh in der historischen Deichstraße esse ich einen Schoko-Marzipan-Crêpe, für den Adam jederzeit den Garten Eden verlassen hätte. Über die Ost-West-Straße huschen die Lichter der Autos; und das würden sie auch, wenn abends irgendwo in der Stadt ein Bus explodiert wäre.


Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Two wrongs won't make things right“ von Tarnation, „Summer dress“ von Red House Painters und „Sight of you“ von Pale Saints.


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23 November 2005

Die kleine Geste

Ein Urlaubstag, sinnvoll genutzt zum mäandernden Einkaufen quer durch die Stadt. Bei Tchibo in der Mönckebergstraße habe ich 4,99 Euro zu zahlen, und als ich an der Kasse alles zusammenklaube, was in den Taschen herumfliegt, komme ich – man glaubt es kaum – auf exakt 4,98 Euro.

Nach Präsentation des Ergebnisses pausiere ich charmant lächelnd zwei Sekunden, um der Kassiererin Gelegenheit für die naheliegendste aller Entscheidungen zu geben: mir einen Cent zu erlassen. Sie lächelt zurück – und wartet. Also krame ich doch einen Schein raus.


Auf St. Pauli läuft das in der Regel etwas anders. In den kleinen türkischen Lebensmittelläden (und selbstverständlich auch in Renates Käse- und Weinladen) werden knappe krumme Beträge meist abgerundet. 8,02 Euro? Wortlos bekommt man auf einen Zehner zwei Münzen raus. Ich erwarte so etwas nicht, finde es aber zum Wiederkommen nett.

Aber vielleicht ist Tchibo einfach längst zu groß für kleine Gesten.


Danach geht's nach Altona, in die Beerenstraße. Sie zweigt ab von der Hamburger
Vierspurhölle namens Stresemannstraße, doch schon nach wenigen Metern erstirbt dort – in der Beerenstraße – alles Leben. Lagerhallenödnis macht sich breit.

Irgendwann auf der rechten Seite kommt dann das mediterrane Paradies: Andronaco heißt der riesige italienische Lebensmittelmarkt, und wenn ich mir ein Geschäft aussuchen müsste, in das man mich versehentlich über Nacht einschlösse, dann dieses.

Ich decke mich schwer ein mit Parmesan, Taleggio, Parmaschinken, Pasta, Amarettini und Espres
so, und draußen vorm Garten Eden erwartet mich wieder die bedrückende Industrietristesse der Beerenstraße, die ich ächzend fotografiere. Auch ein farbenfroher Fitzel Andronaco muss verewigt werden.

Im Bus schauen sie mich komisch an, weil aus meiner Umhängetasche ein Fünfkilosack Tortiglioni ragt. Ich schaue überlegen zurück.

Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Lodi“ von Creedence Clearwater Revival, „Everything must change“ von Randy Crawford und „My brain“ von Young MC.

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07 November 2005

Das ungleiche Liftduell

Weil es unschön nieselt, bin ich heute mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Abends um 18:30 Uhr an der S1 in Altona folgende Szenerie: Ich bin gerade in die Bahn gestiegen und schaue nach des Tages Last mit müden Augen raus, als ich einen alten Mann im Rollstuhl auf den Aufzug zufahren sehe. In letzter Sekunde aber flitzt ein etwa 30-jähriger Kerl an ihm vorbei und schiebt sein Fahrrad in den Lift.

Der Rollstuhlfahrer ist mir bekannt. Man trifft ihn öfter in Ottensen und Altona. Er ist stets ausstaffiert mit einer Helmut-Schmidt-Gedächtnismütze und einer dickglasigen Hornbrille. Ich weiß, dass er nicht nur nicht laufen, sondern auch nicht artikuliert sprechen kann. An einem Imbisstand traf ich ihn mal in Begleitung einer Betreuerin, und seine explosiv ausgestoßenen Lautkaskaden wusste sie semantisch zu deuten, so dass er zu seiner offenbar gewünschten Currywurst mit Spezialausstattung kam.


Jetzt und hier aber, nachdem er so schamlos ausgebootet worden ist, gerät er in äußerste Rage. Er beschimpft lautstark stammelnd den Radfahrer, der ihm den Platz im Aufzug genommen hat, er schüttelt die Faust und brüllt und zetert in seiner wilden Fantasiesprache, doch der Mann im Lift wendet ihm den Rücken zu und tut, als sei er allein auf der Welt.


Als sich die Türen meiner Bahn schließen, sehe ich, wie der Rolli wutrot kehrtmacht, zum Stationshäuschen düst und die beiden HVV-Männer mit Schreien und Gesten auf das empörende Ereignis aufmerksam zu machen versucht. Doch die beiden haben schon mehr gesehen, als sich der alte Mann eralpträumen kann, viel mehr. Und sie schauen ihn mit Augen an, die müde sind von des Tages Last.


Meine Bahn fährt los und in den Tunnel ein, ich verliere den hilflos Tobenden aus dem Blick – und ärgere mich natürlich (mal wieder), nicht spontan ausgestiegen zu sein, um dem Liftdieb die Wut des Rollstuhlfahers in verständliches Deutsch zu übersetzen. Ich hätte auch gerne gewusst, wie sich so einer jetzt fühlt. Als Sieger? Oder wie ein Arsch? Jedenfalls kam er insgesamt rund zwei Minuten früher dort an, wo er hinwollte. Und der alte Mann zwei Minuten später. Doch das Ganze hat für beider Leben mehr zu bedeuten, viel mehr.


Heute kam die Queen Mary 2 nach Hamburg zurück, um sich für einen zweistelligen Millionenbetrag im Trockendock aufhübschen zu lassen. Mein Foto zeigt sie am Kreuzfahrtterminal in der Hafencity.


Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Sail beyond doubt“ von Sugarplum Fairy, „Stairs“ von Weeping Willows und „Blow him back into my arms“ von Moneybrother.

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23 Oktober 2005

Der Dobrospieler

Am Freitagnachmittag im Käseladen sagt Renate, während sie gerade eine Portion Parmaschinken schneidet: „Die Wochen rauschen nur so vorbei. Das merke ich immer, wenn ich Sie sehe.“ Ein verblüffendes Echo, ja geradezu eine unbewusste spiegelbildliche Replik auf meinen Blog-Eintrag vom 16. September, auf den ich nunmehr auch Renate hingewiesen habe.

Vorm Bahnhof Altona sitzt seit einigen Tagen ein Straßenmusiker. Er spielt Slide auf einem wunderschönen Dobro, einer Akustikgitarre mit silbrig schimmerndem Metallaufsatz; dazu bläst er Mundharmonika oder singt mit jener strapazierbaren Stimme, die der Wind und die Myriaden mikroskopischer Schmutzteilchen in der Luft europäischer Metropolen raugeschmirgelt haben.

Hinter seinem Gitarrenkoffer, der um Kleingeld barmt, liegen CDs, die man für 15 Euro kaufen kann, und sie verraten den Namen dieser One-Man-Band: Ewan Blackledge. Hoch über ihm besiegt gerade die Leuchtreklame des Media-Markts das Abenddämmerblau des Himmels, und es liegt eine Ironie in diesem Bild: Hier der Konzern, der den Geiz als geil in unser Gedächtnis hämmerte, und da der einsame Slide-Gitarrist, der darauf hofft, wir würden dank seiner Songs diesen Slogan eine Sekunde lang vergessen und für ein süßes Klirren im Gitarrenkoffer sorgen. Und das hat er geschafft.

Große Musik, die heute durch den iPod floss: „In the Ghetto“ von Candi Staton, „Drunken hands“ von Christian Kjellvander und „The errors of my ways“ von Wishbone Ash.

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20 Oktober 2005

Die Lieblingsband

Manchmal muss man seufzen über Hamburg. Da gehe ich zu einem Konzert in den Waagenbau an der Max-Brauer-Allee, will eine alte Lieblingsband aus den 80ern sehen, die Legendary Pink Dots, und wann geht es los? Offiziell um 22 Uhr. An einem Mittwochabend.

Vor Ort erfahre ich, dass ich mich realistischerweise lieber auf 23 Uhr einstellen sollte – allerdings erst mal aufs Vorprogramm. Die arbeitende Bevölkerung gehört offenbar nicht zur Zielgruppe.
Also warte ich und vertreibe mir die Zeit mit einigen Fotostudien über den Waagenbau, der direkt (und ich meine DIREKT) unter einer S-Bahn-Brücke liegt, weshalb sie hier lieber keinen einsamen Singer/Songwriter auftreten lassen sollten.

Das Vorprogramm gestaltet der Keyboarder der Lieblingsband, er baut an einer dreiviertelstündigen Klangwand aus statischem Lärm, was durchaus seinen Reiz hat, aber nicht mittwochsabends zur Geisterstunde, wenn man auf seine Lieblingsband wartet.

Dann kommt sie, es ist schon Donnerstagmorgen, und mein alter Held Edward Ka-Spel ist aufgemacht wie eine Tuntendiva (würde Senait sagen): langer dunkler Umhang, ein Wollschal bis ans Schienbein, dazu eine lächerlich coole Sonnenbrille – der Mann wirkt wie ein Provinzstadtintellektueller, der auf Stadtrat und Kunstvereinsvorsitzende exzentrisch wirken will. Ich fotografiere lieber den Saxofonisten (auch wenn er partout nicht stillhalten will) und verziehe mich erschöpft gegen eins.

Übrigens war das nicht mal der Verzögerungsrekord. Auf den Beginn eines Konzertes im Molotov, einem kleinen Club in zwei Fußminuten Entfernung, musste ich mal bis viertel vor eins warten. An einem Donnerstag. Ganz klar: Die Hamburger Konzertveranstalter zielen voll auf die Generation Hartz IV. Auf die, die ausschlafen können.

Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Black baby“ von Kruder & Dorfmeister, „Elevator“ von Jaffa und „Edge of time“ von Jean F. Cochoise.


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