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Die Rückseite der Reeperbahn

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Name: Matthias Wagner
Standort: Hamburg, Germany

Schreiberling




16 Februar 2010

Karneval bei Lillo



Lillo ist ein untersetzter schwarz- und kulleräugiger Italiener sowie unumschränkter Cheffe des Restaurants Don Camillo e Peppone in der Seilerstraße, wo wir heute zu viert einfielen.

Lillo musste einige Pannen erklären im Laufe des Abends, zum Beispiel die rhythmischen Stromausfälle, die zum Glück durch die vorsorglich aufgestellten Kerzen vorzüglich kompensiert wurden. Oder die vergessenen Antipasti. Und er tat das mit so viel Charme und – was noch wichtiger war – generös spendierten Likören, Schnäpsen und Weinflaschen, dass wir ihm nicht die Spur böse sein konnten, ganz im Gegenteil.

„Tute mir leide mit de vergessene Antipasti“, barmte er kulleräugig. „Macht nix“, kalmierte ich verständnisvoll die Lage, „wir kommen trotzdem wieder.“ Lillo erstrahlte wie eine Lichterkette und rief: „I love you!“, wobei er eine irgendwie kugelrunde römische Version von Michael Jackson abgab, nur vokal tieffrequenter.

Zwischendurch erfreute er uns mit einer kaluaähnlichen Kreszenz namens „Jack Russell“. „So etwasse habese noch nie e-getrunke!“, versprach Lillo beim Verteilen des pechschwarzen Trunks, den ich auf 16 Umdrehungen schätzte.

„Nein, sinde 42“, korrigierte er mit plötzlich verschwörerhaft gedämpfter Stimme und informierte uns über einen erst neulich stattgefundenen Exzess zu viert, an dem er federführend beteiligt war und dessen Bilanz am Ende einen Verbrauch von sechs Flaschen Jack Russell ergab.

„Und wisse was? Wir ware nich betrunke!“, schwor Lillo und schickte einen Gehilfen aus, damit wir den kaluaähnlichen Geschmack zeitnah mit einem Kräuterlikör übertünchen konnten.

Schließlich beschwor er uns, unbedingt zu seiner Karnevalsparty am 27. Februar zu kommen. „Aber übermorgen ist doch schon Aschermittwoch“, staunte Ms. Columbo, „dann ist doch alles vorbei.“

Lillo schaute mitleidig. „In welche Monat isse Karneval?“, fragte er rhetorisch. „Im Februar“, antworteten wir unisono. „Un sibbe un zwansiste? Isse nich Fäbbuar?“, triumphierte der Philosoph vom Appenin.

Dieser Logik konnten wir uns natürlich nicht verschließen, zumal wir nach Jack Russell, Averna und sizilianischem Vino Bianco eh zu jeder Konzession bereit gewesen wären. „Bitte kommese vorbei am
sibbe un zwansiste un bringe Freunde mit“, sagte Lillo, während er die Gesamtrechnung um acht Prozent kürzte, wegen der ganzen Pannen. Man müsse sich nicht mal verkleiden, versprach er, für Getränke sei ebenfalls gesorgt, alles natürlich kostenlos. „Machese Werbung für de Karneval!“, rief Lillo.

Doch dieses Blog ist werbefrei, das würde ich natürlich niemals tun.


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14 Februar 2010

Nur mit Ausweis

Sonnabend vergangener Woche war ein großer Tag für Ms. Columbo. Sie hatte im Mediamarkt eine FSK-18-Blu-ray aufs Kassenband gelegt – und wurde doch wahrhaftig nach ihrem Personalausweis gefragt.

Nicht, dass sie auch nur annähernd ihrem Alter entsprechend aussähe, keineswegs; doch ernste Zweifel an ihrer Volljährigkeit hatte selbst ich noch nie, der sie seit langem durch die rosarote Brille des vergötternden Gatten betrachtet. Jedenfalls war das ein toller Tag für Ms. Columbo; ihr Strahlen glühte noch nach bis zum frühen Abend.

Heute stand ich ebenfalls an der Mediamarktkasse mit einer FSK-18-Blu-ray. Und da sagte der Kassierer: „Wir müssen uns neuerdings von jedem den Personalausweis zeigen lassen, der Ab-18-Produkte kauft.“ Ich war perplex. „Auch wenn man so aussieht wie ich?“, fragte ich zurück. „Ja, von jedem“, sagte der Kassierer. Also zum Beispiel auch von Nelson Mandela (91).

Und deshalb darf Ms. Columbo von diesem Vorfall nie erfahren.


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07 Februar 2010

Der Umdreher

Beim Konzert von Laura Veirs im Uebel & Gefährlich steht vor uns der abgebildete Typ mit Entenfußhaltung. Seine Eigenheit: Er dreht sich alle paar Sekunden um.

Anfang dachte ich noch, er missbillige unser kurzes Geplauder, doch diese Theorie wird bald falsifiziert. Denn er dreht sich ständig um, auch nachdem wir längst verstummt sind. Mindestens viermal die Minute, erst nach links, dann nach rechts.

Sein Blick scannt dabei jedesmal die Umgebung hinter uns ab, als suchte er jemand oder fühlte sich verfolgt. Vielleicht stimmt ja auch beides. Jedenfalls fängt der Umdreher mich mächtig an zu nerven.

Statt mich aufs Konzert zu konzentrieren, entwickle ich innerhalb kurzer Zeit Zwangshandlungen. Zum Beispiel beginne ich die Sekunden zu zählen, bis der Entenfüßler erneut den Kopf wendet – da: schon wieder.

Mir schwillt der Kamm. Aber warum eigentlich? Der Typ dreht sich doch nur um. Und er schaut nicht mal uns an, sein Blick streift uns nicht mal.

Trotzdem fühle ich mich belästigt. Ms. Columbo übrigens auch, doch das stellt sich erst später heraus, als wir in stiller Übereinkunft an die Theke geflüchtet sind, um dem Umdreher zu entgehen. „Als hätte er ein Recht darauf, neugierig zu sein“, erregt sich Ms. Columbo, und zwar mit meiner nachdrücklichsten Billigung.

In mir keimt ein peinliches Verständnis für die „Was guckst du?“-Aggressoren, die nichts weiter brauchen als einen vermeintlich ungebührlichen Blick, um zuzuschlagen. Irgendwo tief in uns steckt wohl noch immer das vorzivilisatorische Instinkttier, das alles, was uns widerfährt, nach archaischen Maßstäben interpretiert – und uns entsprechend vorzivilisatorische Reaktionen nahelegt.

Allerdings sind wir nur an die Theke geflüchtet, anstatt ihm die Kauleiste zu zerdellen. Und auf diese Kulturleistung dürfen wir zu Recht sehr, sehr stolz sein.



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27 Januar 2010

Kleos alte Zöpfe

Bin dank eines hartnäckigen Hustens zurzeit Ms. Columbos Versuchskaninchen in Sachen Tee.

Zunächst setzte sie mich im Rahmen einer kontrollierten Abgabe den traditionsreichen Sorten Pfefferminze und Fenchel aus. Als das trotz meiner sprichwörtlichen Teeabneigung recht unfallfrei gelang, wurde sie experimenteller und bereitete einen Kaltauszug der Eibischwurzel zu – ein Aufguss, den sie mir nur mit dem schmerzlichen Lächeln des Umverzeihungbittens zu servieren wagte.

Gestern toppte sie das mit einem sogenannten Kleopatratee. Meine Vermutung, bei der Basis des Getränks müsse es sich um die seit 2000 Jahren ungewaschenen Zöpfe der Pharaonin handeln, wischte Ms. Columbo unwirsch beiseite: „Nein, auch nur Gewürze.“

Jetzt will ich am liebsten kein Versuchskaninchen mehr sein, sondern mich ganz auf Fenchel konzentrieren. Wahrscheinlich war das von Anfang an ihr Ziel.

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23 Januar 2010

Tod einer Taube

In Freddys Imbiss in der Hein-Hoyer-Straße werden täglich Dutzende toter Vögel gegrillt. Heute aber war auch der Asphalt vor dem Eingang kein guter Ort für diese Spezies.

Eine Taube flatterte auf gewohnt gelassene Weise in letzter Sekunde auf, als ein Wagen von der Simon-von-Utrecht-Straße einbog. Doch diesmal hatte sie sich verschätzt. Sie geriet unter die Vorderfront, und obwohl der Fahrer ein wenig bremste (ohne ein Anhalten auch nur zu erwägen), wurde der Vogel vom rechten Vorderreifen erwischt.

Mit einem hässlichen kleinen Hoppler setzte der Wagen seine Fahrt fort. Die Taube lag reglos da. Nur ein Flügel ragte einige Sekunden lang hoch und senkte sich dann in zeitlupenhafter Eleganz auf den noch erstaunlich runden Körper.

Irgendwann, nach Hunderten gegrillter toter Vögel in Freddys Imbiss, wird dieser Körper gleichsam verschmolzen sein mit dem Asphalt der Hein-Hoyer-Straße, und ein paar festgebackene Federhärchen werden im Fahrtwind wehen, wenn ein Auto darüberfährt.

Zum Glück hatte Ms. Columbo im entscheidenden Moment nicht hingeschaut, nur ich. Und ich finde meine Ungerührtheit erschreckend.

(Beispielfoto)


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09 Januar 2010

Begriffen, wie’s geht



Nach einer einvernehmlich begangenen, angesichts des Weltganzen gewiss lässlichen Rechtsverletzung, für die wir zwar in die Hölle, aber nicht in den Knast kämen, und die ich hier aus naheliegenden Gründen nicht en detail ausführen möchte, rufe ich aus:

„Wir sind Schweine! Wir sind so unmoralisch!“

„Nein“, antwortet Ms. Columbo, „wir haben nur begriffen, wie’s geht.“

Schon war der Tag wieder mal gerettet.

PS: Der abgebildete Hund in der Paul-Roosen-Straße ist das perfekte Pendant zu uns, denn er hält sich, wie man sieht, penibelst an die Vorschriften.



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25 Dezember 2009

Bousdoukos hat auch eine ruhige Seite

Die automatische Damenstimme in der U3 betont unsere Haltestelle irgendwie komisch.

„Nächste Station: Sankt P…AU…li“, flötet sie. Beim Diphtong hebt sie die Stimme, und zwar anzüglich. „Als wenn sie sagen wollte: ,Sie wissen schon …'“, analysiert Ms. Columbo. Ganz genau. Ein vokales Augenzwinkern. Die Hochbahn weiß eben, was sie dem Kiez schuldig ist.

Rund um die Reeperbahn herrschte heute überwiegend Feiertagsruhe. Allerdings haben wir die Herbertstraße dahingehend nicht überprüft. Allweihnachtlich sollen sich dort ja die Entrechteten und Geknechteten besonders ballen, um sich für – sagen wir – 150 Euro temporär die Einsamkeit abkaufen zu lassen.

Wir hingegen taperten quer durch die Stadt, um im Mundsburgkino Fatih Akins „Soul Kitchen“ zu gucken. Ein Film, der wirkt, als hätte er sich an einem Aufputschmittel verschluckt, so penetrant ballert er uns mit bedeutsam gemeinter Musik zu, so überdreht ramentert das Ensemble durch die Kulissen; vor allem Adam Bousdoukos
als bandscheibenvorfallgeschädigter Gastronom.

Übrigens war Bousdoukos am Dienstag, als ich mit dem Franken und Kramer beim Mercadoitaliener speiste, ebenfalls aufgetaucht und goutierte mit ein paar Freunden die hervorragenden (weil selbstgemachten) Nudeln. Allerdings machte er privat weit weniger Krach als im Film, und wäre mir „Soul Kitchen“ am Dienstag bereits bekannt gewesen, so hätte ich Bousdoukos dafür sicher ausdrücklich belobigt.

Denn kaum etwas ist mir unangenehmer, als wenn man mich beim Lasagneessen mit Deppenleerzeichen (Foto) oder Lärm behelligt, der über das eh schon dezibelintensive Geplapper und Gelaber Kramers und des Franken hinausgeht.

Zusätzlich erträglich wäre höchstens eine Damenstimme, die „Sankt P…AU…li“ flötet, doch in der U-Bahn esse ich so gut wie nie Lasagene, vor allem keine selbstgemachte.


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02 Dezember 2009

Schtand licht hat viele Vorteile



Der Fahrradladen meines bedingungslosen Vertrauens kam hier im Blog schon mal vor, und zwar auf etwas delikate Weise.

Nach einem mehrmonatigen Interimsdomizil in der Clemens-Schultz-Straße ist er vor einiger Zeit wieder zurückgezogen in sein Stammhaus in der Talstraße, und ebendort wurde ich heute
mal wieder erzwungenermaßen und dennoch freudig vorstellig. Nach meinem dilettantischen Versuch nämlich, die hintere Lampe zu reparieren, ging nun auch die vordere nicht mehr. Irgendetwas Rumpeldummes hatte ich mit den Kabeln angestellt, mir passiert so was immer.

Eine komplett defekte Belichtungsanlage ist dummerweise ein Manko, welches die Hamburger Polizei derzeit mit einer Gnadenlosigkeit verfolgt, die an die damalige Fahndung nach Albaner-Willi erinnert. Deshalb musste ich in den Fahrradladen.

Als ich dort meinen Anteil am Problem beschönigungslos geschildert hatte, kümmerte sich sogleich der Chef um mich. Er ist ein kleiner gedrungener Mann mit gemütlicher Frontwölbung, der stets schüchtern lächelt und so eine grundsympathische Melancholie verströmt. Da die augenblicklich in Angriff genommene Reparatur etwas länger dauerte, konnte ich mich umsehen.

Erstmals in meiner langen Karriere als Ladenbesucher nahm ich die Ausstattungsmerkmale der Fahrräder auf den angehefteten gelben Zetteln in Augenschein. Ein hochinteressantes Studienobjekt. Sie sind per Hand beschriftet, wahrscheinlich vom Chef persönlich.

Da gibt es zum Beispiel ein „Renrad“ mit beeindruckender „Rahmen grose“. Viele Modelle verfügen lobenswerterweise über eine „Rücktred Brems“, was ich aus Sicherheitsgründen unterstützenswert finde.

Und hätte ich just ein paar Euro mehr zur Hand gehabt, wäre es gewiss eine Überlegung wert gewesen, Ms. Columbos allzu schmalen Fahrzeugpark um das ausgelobte Damenrad mit „schtand licht“ und „und plad bare Reifen“ zu erweitern. Zumal es über „3 gönge“ verfügte, wenn auch nicht über „Bremz scheiben“.

Inzwischen war Cheffe fertig, er hatte meinem Fahrrad hinten ein „schtand licht“ montiert. „Mit LED“, sagte er stolz und melancholisch, „die lade auf, wenn trede. Un brenne weider an Ampel.“

Genauso muss es sein. Hoffentlich geht bald wieder was kaputt an meinem Rad.


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29 Oktober 2009

Gelebte Gastfreundschaft

„Klar kannst du dort parken, am Samstagabend patroullieren sie hier nicht“, sage ich mit ortskundigem Selbstbewusstsein zum Schwiegervater.

Einige Stunden später, kurz nachdem Ms. Columbo meiner Schwiegermutter im Rahmen einer virtuos inszenierten Kettenreaktion (Plastikflasche auf Weinglas, Rotwein auf Bluse) die Oberbekleidung gebatikt hat, entdeckt Schwiegervater vom Balkon aus was? Ein Knöllchen an der Windschutzscheibe.

Kurz: Es hätte insgesamt besser laufen können mit dem Besuch aus Wolfsburg (Foto). Enterben werden sie uns wohl trotzdem nicht.

Nehme ich zumindest mal an.

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19 Oktober 2009

Alten Leuten über die Straße helfen

Der Rollstuhlopa trägt Glasbausteinbrille und Schiebermütze, er ist schlecht rasiert und – wohl nach einem Schlaganfall – des Sprechens nicht mehr mächtig, nur noch des Sabberns.

Neulich trafen wir ihn in hilflosem Zustand in der Bernstorffstraße an. Er hatte sich an einem Poller festgefahren und kam nicht mehr vor noch zurück. Wir versuchten herauszufinden, wo er hinwollte. Trotz der erschwerten Kommunikationsgesamtlage gelang es ihm, uns seinen Richtungswunsch mitzuteilen.

Stakkatisch stieß er gutturale Laute aus und kombinierte sie mit ruckartigem Armgeschlenker; so dirigierte er uns durchs Viertel, bis wir schließlich eine Seniorenwohnanlage erreichten, wo wir ihn zu seiner gutturalen Zufriedenheit vorm Aufzug abstellten.

Wir nutzten noch schnell die Heimtoiletten und trollten uns – im Bewusstsein, das Tagesquantum einer guten Pfadfindertat bereits mittags erfüllt zu haben und uns für die restlichen Stunden nun ungehemmter Niedertracht hingeben zu dürfen. Ein schönes Gefühl.

Das war vor einigen Wochen. Heute standen Ms. Columbo und ich an der Reeperbahn gegenüber vom Beatlemania-Museum, wo das Bild des weinenden Ringo hängt, und warteten auf den Bus, als ich am Fußgängerüberweg Nobistor den Rollstuhlopa entdeckte. Und zwar in bedenklicher Entfernung vom Seniorenwohnheim.

Als die Ampel grün wurde, bewegte er sich molluskenhaft langsam vorwärts auf die vierspurige Reeperbahn, blieb allerdings bereits in der kleinen Senke hängen, die Gehweg und Straße verbindet. Er stand nun halb auf der Reeperbahn, die Autos konnten nicht vorbei. Entgegenkommende Passanten telefonierten selbstvergessen und schauten blöde, aber halfen nicht.

Zeit also für das nächste Tagesquantum einer guten Pfadfindertat, die den Freibrief liefern würde für ungehemmte Niedertracht am Rest des Tages. Ich zog ihn erst einmal zurück, was mir der Reeperbahnverkehr mit warmem Lächeln dankte.

Ob der Rollstuhlopa, den ich enthusiastisch an unsere erste Begegnung zu erinnern versuchte, mich noch erkannte, war letztlich schwer zu beurteilen, denn er war weiterhin nur in der Lage, einsilbige Grunzlaute hervorzubringen. Seine Gestik allerdings lieferte zusammen mit seinem gescheiterten Bestreben, die Reeperbahn überqueren zu wollen, eine Richtungsvorgabe.

Ja, er wollte eindeutig auf die andere Straßenseite, und so joggte ich mit ihm bei der nächsten Grünphase über die vier Spuren der Amüsiermeile, während ich aus dem Augenwinkel schon unseren Bus herannahen sah – den ich dann auch noch gerade so erwischte.

Diesmal entfiel also unser Eskortservice. Doch das Ganze wirft Fragen auf. Dieser hilflose alte apoplektische Herr ist a) kräftemäßig keineswegs mehr in der Lage, seinen Rollstuhl auch nur noch einen Zentimeter zu bewegen, sobald die klitzekleinste Steigung droht, und b) unfähig, Zunge und Kehlkopf sinnvoll zu koordinieren – also was um Albert Schweitzers Willen macht er alleine auf dem Kiez? Wieso kriegt er keinen Elektrorolli – oder wenigstens einen Zivi, der ihn herumkarrt?


Kurz: Warum müssen wir ihn immer retten, obwohl der Istzustand unseres Karmas doch bereits weitgehend deckungsgleich ist mit dem Sollzustand?

Natürlich, der letzte Satz ist geprägt von Hybris, Eitelkeit und Selbstüberschätzung, doch er ändert ja nichts an der fürs „Senioren Centrum Altona“ unbequemen Frage.

Ich glaube, ich maile sie ihm einfach mal.


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15 Oktober 2009

Keine engen Räume

Als gnadenlos konsequenter Trainingskursnichtverpasser versäume ich das Länderspiel Deutschland-Finnland und muss mich nach Abpfiff von Ms. Columbo informieren lassen.

Schließlich gleicht das Geschehen auf dem Rasen einem unendlichen Antizipationspingpong in lauter Mikroduellen, und das will sachkundig analysiert und kommentiert sein.

Ungläubig erfahre ich nach meiner Rückkehr von einem mäßigen 1:1. „Sie waren nicht gut organisiert“, rezitiert Ms. Columbo Dellingnetzer. „Und das Spiel nach vorne?“, giere ich bang nach weiteren Details. „Schlecht“, bescheidet sie knapp.

„Haben sie denn wenigstens“, rufe ich entrüstet aus, „die Räume eng gemacht?!“ Ms. Columbo schüttelt bedauernd den Kopf: „Auch das nicht.“

Der gnadenlos konsequente Trainingskursnichtverpasser fällt enttäuscht in den Freischwinger – und hat keine Ahnung, wie er diesen Blogeintrag irgendwie pointiert zu Ende bringen kann.

Foto: Anton (rp)/GNU Free Documentation License



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13 Oktober 2009

Unbedingt fürs nächste Mal merken (1–3)

1. Nicht einfach blind in einen Bus springen, nur weil er die richtige Liniennummer hat und loszufahren droht. Seine Fahrtrichtung ist auch nicht ganz unwichtig. (18:06 Uhr)

2. Beim Hochnehmen der Jacke von der Sitzbank im Schummerrestaurant darauf achten, sie am Kragen zu fassen, nicht am unteren Saum. Zu schwierig, im Kerzenlicht Kamera, Börse und Handy unter Tischen und Stühlen wiederzufinden. Zumal Bedienung und Gäste komisch gucken. Dito Ms. Columbo. (21:16 Uhr)

3. Die elektrische 3-D-Zahnbürste mit den 30 000 Umdrehungen pro Minute unbedingt erst dann anstellen, nachdem ich sie in die Mundhöhle eingeführt habe. (00:34 Uhr)

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11 Oktober 2009

Die fatalen Folgen von Pfefferminztee auf polnische Kracherblondinen

Ms. Columbo, German Psycho, Pat Bateman, Cinema Noir und ich haben den besten Platz in der schlauchförmigen Bar Gazoline in Ottensen, nämlich direkt am einzigen Fenster mit freiem Blick auf die Bahrenfelder Straße.

Dort passiert zwar nix, aber trotzdem. Könnte ja.

Nach einem mäßigen Bioriesling und einem erheblich passableren Grauburgunder haue ich bereits Thesen raus, die die Welt noch nie gehört hat und deshalb dringend braucht. Zum Beispiel die, dass es bei Frauen auf die inneren Werte ankäme.

„Und auf Doppel-D!“, plärrt GP, was ich mit dem Argument auskontere, das von Doppel-D bergend und stützend Umschlossene zähle ja wohl ebenfalls zu den inneren Werten, denn es sei ja gerade durch die segensreiche Wirkung von Doppel-D nicht sichtbar. Und so weiter.

Später in der Nacht landen wir in der bekanntlich schlimmen Kiezspelunke Windjammer in der Davidstraße. Dort ruft Ms. Columbos argloser Getränkewunsch bei der so polnischen wie tiefdekolletierten Kracherblondine, die hier gemeinsam mit ihrer Schwester als Tresendame fungiert, eine beeindruckende Reaktion hervor.

„Haben Sie Pfefferminztee?“, fragt Ms. Columbo nämlich.

Die polnische Kracherblondine bricht augenblicks mit vors Gesicht geschlagenen Händen auf dem Tresen zusammen und beginnt fassungslos zu gackern, während sie ihre Blondmähne derart schüttelt, als wolle sie damit den nicht vorhandenen Ventilator vertreten.

Ein Ventilator wäre übrigens bitter nötig, denn hier wird geraucht. Vor allem Zigarillos, die Pat Bateman generös verteilt, sogar an ausgewählte andere merkwürdige Menschen, die es aus unerfindlichen Gründen ebenfalls heute Nacht in den Windjammer gezogen hat.

Also kein Pfefferminztee, entnehmen wir der Reaktion hinterm Tresen.


Los geht eine mühselige Suche nach Ersatz. Neben den zwölfhundertvierundachtzig Sorten Alk, die Windjammer-Chef Fred aus durchweg durchsichtigen Erwägungen offeriert, gibt es immerhin auch ein Getränk ganz ohne Umdrehungen, nämlich – tätä – Apfelsaft (links unten).

Und das muss man an dieser Stelle einfach mal so stehenlassen.


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09 Oktober 2009

Als Krönung die Gröner

Wir waren im Toten Salon, einer Lesereihe von Gerhard Henschel und Richard Christian Kähler, die als Gastgeber heute den Stargast Frank Schulz umrahmten.

Henschel zitierte irgendwann einen bunten Strauß im Web zusammengekehrter Zungenbrecher aus diversen deutschen Dialekten, und ich wunderte mich nicht schlecht, als ich plötzlich aus seinem Munde meine verbloggte hessische „Haa hi ho“-Sentenz vernahm.

Geschmeichelt redete ich mir unwiderlegbar ein, er möge sie in meinem Blog entdeckt haben, und sonnte mich behaglich in diesem für alle anderen außer Ms. Columbo unsichtbaren Ruhm.

Später fingen die drei an zu „singen“, und zwar ein Stück von Leonard Cohen. Ich könnte viel Geld vor allem von Henschel (r.) erpressenbitten für die Bereitschaft, meinen Mitschnitt davon (Szenenfoto) nicht auf YouTube zu veröffentlichen.

Am 10. Dezember, dem übernächsten Toten Salon, wird übrigens Stargast Anke Gröner von Henschel und Kähler umrahmt, was ihnen eventuell noch mehr Spaß macht als mit Schulz.

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03 Oktober 2009

Kein Abend auf dem Kutterchen

Wir wollen zu irgendeinem hippen event cooking in die Hafencity.

„Was erwartet uns denn?“, fragt Ms. Columbo mehr bang als neugierig. „Wahrscheinlich müssen wir eigenhändg Seeigel töten“, deliriere ich.

„Das wäre kein Problem“, erwidert sie, „Hauptsache, kein Ziegenkäse.“

Als wir vor dem cooking-Kutter stehen, sinkt unsere Begeisterung ähnlich stark wie seit Wochenbeginn das Thermometer.

Am Kai steht ein verschiffungsbereiter Campingkocher und daneben eine große abgedeckte Schüssel. Menschen schleppen Getränkekisten auf den Kutter, der – von seinen Ausmaßen her eher ein Kutterchen – sardonisch im Takt des ersten scharfen Herbstwindes auf den Hafencitywellen herumschaukelt.


Plötzlich scheint Ungemach zu drohen, nämlich Erbsensupp’ in der Kajüte, verschärft durch abendfüllendes Schlingern und Schwappen und die Eventualität fragwürdiger sanitärer Anlagen.

Wir verdrücken uns unverzehrter Dinge. Zu Hause gibt es definitiv keinen Ziegenkäse (was ich bedaure). Und wenn, dann würde er nicht schlingern, was ein Wert an sich ist.


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28 September 2009

Vom aufopferungsvollen Trinken

„Ist es denn schicklich, wenn man seiner überforderten Tischdame beim Leeren ihrer diversen Weingläser behilflich ist?“, fragte ich heute Abend aus sehr gutem Grund den Stilpapst Uwe Fenner, bei dem Ms. Columbo und ich ein Etiketteseminar absolvierten.

„Es ist nicht nur schicklich“, rief daraufhin der Grandseigneur mit formvollendeter Verve aus, „es ist sogar das Gebot der Stunde!“

So konnte ich also die Vorgabe der Altruzentrik, die laut Fenner den guten Umgangsformen das theoretische Fundament liefert, mit einem erfreulich hohen Anteil Hedonismus garnieren. Eine Win-win-Situation in höchster Vollendung.

Hicks.

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27 September 2009

Was macht eigentlich …?

„Nirgendwo in der EU“, las ich neulich im Spiegel, „sind die Nachbarschaftsbeziehungen so schlecht wie zwischen Bratislava und Budapest.“

Auf unserer Flusskreuzfahrt über die Donau verschlug es uns (u. a.) genau dorthin: nach Bratislava und Budapest. Die Sonne brannte über beiden allerdings gleich heiß, darüber sollten sie mal nachdenken.

In der hübschen Fußgängerzone der Bratislaver Altstadt lugte eine Metallfigur aus dem Gully – um den Frauen unter die Röcke zu schauen, wie unsere Reiseführerin erklärte. Zu sehen gibt es durchaus einiges, denn die Slowaken sind überwiegend rank und schlank, obwohl sie sich als Nationalgericht eine deftige Nockerlnspezialität mit Speck verordnet haben und mit verführerisch preiswertem Bier versorgt werden.

Themen- und Städtewechsel: Angesichts des Niedergangs der hiesigen Sozialdemokratie fragt sich vielleicht mancher, was eigentlich die hessische Sozisargnagelschmiedin Andra Ypsilanti inzwischen so macht. Nun, sie betreibt anscheinend ein Schuhgeschäft in der Budapester Pàrizsi utca, das ist mitten im Zentrum (Beweisfoto).

Um die Ecke von Ypsilantis neuem Lebensmittelpunkt stießen wir auf ein Lederwarengeschäft, das die eh ins lächerlich Lockvogelige lappende Rabattitis der jüngsten Zeit („Sale!“) ins vollkommen Absurde übergeigte.

Die dort von einer gelangweilten kugelförmigen Ungarin, der in Bratislava nicht mal eine Gullyfigur unter den Rock hätte gucken wollen, für 52 Euro offerierten Lederjacken sollten nämlich laut grellrotem Preisschild mal 29.900 Euro gekostet haben.

„Du meinst Forint“, versuchte Ms. Columbo ihre Ungläubigkeit mir anzulasten, doch nein: Der alte Forintpreis stand daneben, und der betrug mehrere Millionen. Für 52 Euro waren die Jacken nicht mal schlecht, doch die überwältigende Dimension des Rabattschmuhs führte bei uns zu einem intuitiven Kaufmoratorium. Beim Rest der Budapester Flaneure wohl auch, denn der Laden blieb trotz seiner wahrhaft sensationellen Offerten und draußen herumwuselnden Promotern gähnend leer.

Apropos Gähnen: Nach zweimaligem Aufstehen um 6 Uhr früh in Folge heißt es jetzt erst mal ausschlafen. Hoffentlich ohne Ypsilantiträume.

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21 September 2009

Passau per pedes



Aus leidvoller Erfahrung mit Denglischmüll dachte ich doch wahrhaftig, es stecke irgendein Sinn hinter „oile ten am Dom“.
Vielleicht nannte sich so ja ein besonders originell denkendes Passauer Olivenölgeschäft, welches die europaweit zehn besten nativ gepressten Kreszenzen im Angebot hatte. Doch in Wahrheit hatten subtile Vandalen einfach zwei Buchstaben aus dem Wort „Toiletten“ rückstandlos entfernt.

Ein paar Straßen weiter stießen wir auf den abgebildeten Schokobusen und den angemeldeten Bedarf an weiteren Modellen. Mein drängender Vorschlag, Ms. Columbo möge sich unbedingt zur Verfügung stellen, stieß nicht auf Begeisterung. Auch meine Versicherung, ich würde danach selbstverständlich die Schokoladenreplikation käuflich erwerben, vermochte sie nicht umzustimmen.

Also hieß es weiterziehen. Der bald entdeckte Hinweis auf ein Weinfest fesselte mich sofort. Und bei der mir selbst gestellten Frage, ob ich mich lieber am Tropfen eines Winzers namens Pichler laben würde oder an dem eines Miesbauern, fiel die Entscheidung eindeutig aus.

Feuerlöscher werde ich übrigens auch künftig nicht bei Herrn Wiesgickl aus Oberkotzau kaufen. Obwohl eigentlich überhaupt nichts dagegenspricht.

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20 September 2009

Schweinebraten auf Beinen

So, so, das ist also dieses Bayern, von dem man so viel hört.

Wir waren ja praktisch noch nie hier, außer in München, und das ist SPD-regiert, zählt also nicht. Wir jedenfalls sind in Passau und gehen direkt mal in einen sog. „Biergarten“.

Er heißt Bayerischer Löwe, die Tischdecke ist weißblau kariert unter einem Baldachin aus wurffreudigen Kastanien, das Bier saubillig und extrem wohlschmeckend, zumindest das Innstädter Extra Schwarze. Mehr habe ich noch nicht probiert, das kommt aber noch.

Auf der Speisekarte stehen tausend tote Tiere – und skurrilerweise „Bayerische Antipasti“, bestehend u. a. aus „Obatzda“ und „Rindfleischsalat“. Wir ordern knusprigen Schweinebraten und Spanferkel mit Knödeln.

Feine Sache, nur die Kümmelkörner im Krautsalat machen mich verrückt. Gegen Kümmel hege ich eine gewiss pränatal bedingte Abneigung, die ins Phobische lappt, doch dafür können ja die Bayern nix. Kein Vorwurf also.

Das Bedienungspersonal trägt durchweg schwarze T-Shirts. Auf dem Rücken stehen die Namen ihrer Träger sowie ein Spruch, den sie sich wohl jeweils selbst ausgesucht haben.

Anders ist Markus’ Satz „Für Bier würd I sogar arbeiten“ kaum zu erklären. Elisabeth schaut missmutig drein, punktet aber mit „Leistung die begeistert“, während sich Kerstin „Schweinebraten auf Beinen“ erkor, wobei ich einerseits ihren Mut zur Selbstkritik belobigenswert finde und andererseits, dass sie so schlimm nun auch wieder nicht aussieht – ehe ich feststelle, dass ich mich verlesen habe und sie sich in Wahrheit für den T-Shirt-Spruch „Gaumenfreuden auf bayerisch“ entschieden hat.

Als Kiezianer exegiere ich das sofort als ortsspezifische Anspielung auf Oralsex, doch Ms. Columbo rät ab.

Der erste Hund, der uns begegnet, heißt übrigens Wastl.

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19 September 2009

Mit Stars im Pool

Weil der Name Baden-Baden bei einem einfach gestrickten Menschen wie mir als dauerhaft insistierender Imperativ ankommt, finde ich mich heute zufällig in genau jenem Hotelpool wieder, in dem vor zwei Jahren Ricky Martin mit seinem Freund Schluss gemacht hat.

Davon sind dort aber keine Spuren mehr zu finden. Ich bin sogar getaucht. Nichts. Dafür tummeln sich immer mal wieder junge Männer mit uns im Pool, die nach Rockstars aussehen.

Die Beatles, Oasis oder Selig würde ich erkennen, aber wer sind denn die bloß? Bei jedem Konzert des New-Pop-Festivals scannen wir alle Männer auf der Bühne. Es scheiden aus: The White Lies, Soha, Noisettes, Lenka, Livingston und sämtliche männlichen Bandmitglieder von Saint Lu (Foto).

Dann kommt heute Abend die Gewissheit beim Konzert im Festspielhaus: Es waren der Bassist und der Gitarrist von Razorlight. Um es noch einmal zu verdeutlichen: Wir schwammen mit Razorlight im gleichen Pool, in dem Ricky Martin vor zwei Jahren mit seinem Freund Schluss gemacht hat, omfg. „Das ist doch irgendwie cool?“, sagt – nein, eher fragt – Ms. Columbo. „Das ist sogar obercool“, bestätige ich.

Unsere Stadtführerin heißt Gunhilt Dame. Selten war Nomen omener. Sie ist eine ca. 70-jährige schmale Lady mit kokettem rotem Blazer über blauen Hosen, mit deren Bügelfalten Ricky Martin final-mortal mit seinem Freund hätte schlussmachen können (und dann hätte man auch noch Spuren davon im Pool gefunden, oh ja).

Dazu trägt Frau Dame einen blauen Schirm leger im Arm und parliert druckreif über 2000 Jahre Stadtgeschichte. Sie ist übrigens der meines Wissens einzige Mensch, der das Verb „unterminieren“ noch buchstäblich und nicht allegorisch gebraucht.

Während unseres Spaziergangs mit Gunhilt Dame klackern überall die Kastanien auf die Dächer, deshalb tragen hier so viele Menschen Hüte und/oder meiden die Alleen.

So, morgen geht’s weiter nach Passau.

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15 September 2009

Rückseitenjubiläum



Heute feierte dieses Blog vierten Geburtstag.

Ich erhielt sogar überraschend ein Geschenk von Ms. Columbo: David Foster Wallace’ „Unendlicher Spaß“. Ein gewaltiger Backstein für den Urlaub – und eine perfekte Umschreibung für die Tätigkeit des Bloggens (wenn man nicht gerade abgemahnt wird).

Auf den ersten Eintrag folgten 1408 weitere. Sie sind dafür verantwortlich, dass eine erkleckliche Anzahl von Menschen sich zu einer insgesamt fünfstelligen Zahl von Kommentaren genötigt
inspiriert fühlte. Entschuldigung.

Der Zähler verzeichnet zurzeit über 1,1 Millionen Seitenaufrufe und 737.683 Besucher; jeder von ihnen schaut sich hier im Schnitt 1:52 Minuten um. Das sei ganz gut, habe ich mir sagen lassen. Verlinkungen und Kommentarfrequenz gingen im Lauf von 2009 allerdings zurück – wohl ein Twittereffekt.

Der erste Satz von „Unendlicher Spaß“ lautet: „Ich befinde mich in einem Büro, umgeben von Körpern und Köpfen.“

Klingt zum Kichern kurios, wenn der Urlaub gerade begonnen hat.


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09 September 2009

27

Am Wochenende wollten wir uns auch mal einen 3-D-Film (Foto) anschauen. Optimistisch und beschwingt traten wir vor die Kinokasse. Dort allerdings verlangte ein professioneller Wegelagerer völlig überraschend die Gesamtsumme von 27 Euro von uns.

27 Euro?! Dachte erst, ich hätte mich verhört. Doch der zynischerweise mit einem unschuldig weißen Oberhemd ausstaffierte Schnösel grinste nicht. Er meinte es ernst – und lehnte zudem unter schlecht geheucheltem Bedauern alle üblichen Ermäßigungen ab. „Nicht für 3-D-Filme“, grummelte der geschulte Spitzbube desinteressiert triumphal.

Ms. Columbo und ich waren beide zu verwirrt und verdattert, um die Sache lauthals und unter Anzettelung eines an „Terminator 3“ geschulten Kundenaufstands abzublasen oder sie wenigstens kleinlaut in einen 2-D-Film umzumünzen. Stattdessen entrichtete ich wie hypnotisiert die geforderte Wuchermaut.

27 Euro. Dafür kann man bei Amazon einen neuwertigen DVD-Spieler kaufen, dafür muss eine Reinigungskraft fast vier Stunden arbeiten, und auf der Reeperbahn beginnt ungefähr dort sicherlich das untere Ende der Skala der Sextarife.

27 Euro. Umgerechnet wären das damals – manchmal muss man sich das noch mal bitterzart auf der Zunge zergehen lassen – rund 53 Mark gewesen. Für einen einzigen Film. Ohne Bier und Popcorn.

Immerhin weiß ich jetzt, warum Cinemaxx-Kassierer hinter Panzerglas sitzen müssen.

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22 August 2009

Die Vögel

Wie die treueste Leserschar weiß, hatten wir vor einiger Zeit ein ernstes Taubenproblem. Es wurde schließlich behoben durch die Vollvernetzung unseres Balkons. Er erhielt gleichsam ein Ganzkörperkondom und stellte danach einen Ausbund an Wohnlichkeit dar, zumindest im Vergleich zu vorher.

Nach einigen paradiesischen Wochen entdeckte ich einen Guanoklecks auf dem Balkonboden. Ich ging der Sache aber nicht auf den Grund, sondern runzelte nur die Stirn. Vielleicht aus Selbstschutz.

Eine Woche später war ich in der Küche und nahm im Augenwinkel eine Bewegung auf dem Balkon war. Ich konnte nicht glauben, was ich da sah: eine Taube. Wie in Pablo Picassos Namen war sie auf den vollvernetzten Balkon gelangt? War das Ganzkörperkondom etwa undicht?

Nein: Aber zwischen Netzunterkante und Balkonboden klafft umlaufend eine Lücke von genau 82 Millimetern (Foto 1), ich habe mittlerweile nachgemessen. Und dort hatte das Viech sich anscheinend durchgequetscht. Jetzt flatterte es auf dem vollvernetzten Balkon herum und wusste nicht, was zu tun war. Denn hier gab es nichts, kein Fresschen, nur Plastikmöbel und einen Topf mit Minze, die Ms. Columbo sich seit dem Taubenbesuch die längste Zeit als Tee aufgegossen hat. Und vor allem gab es kein Entkommen.

Die Taube war zwar clever genug gewesen, den Spalt zu finden, doch zu dämlich, um sich beim Fluchtversuch daran zu erinnern. Aufgeregt flatterte der Vogel nun hirnlos gegen die Netzwand, setzte sich ab und zu auf die Gießkanne, um zu kacken, und ich stand an der Scheibe und konnte a-b-s-o-l-u-t nichts tun.

Die Menschheit hat es geschafft, auf den Mond zu kommen, doch wie ich persönlich dieser Taube nun den Ausweg verklickern sollte, das war mir so rätselhaft wie das verwirrende Geflecht der Gassen Ottensens, in dem ich mich regelmäßig verlaufe.

Ratlos und vorsichtig betrat ich den Balkon, als der gefiederte Widerling mal kurz auf dem Boden Platz genommen hatte – und plötzlich schlüpfte er unten durch den Spalt. Bodenlose Erleichterung! Zumal der kleinhirnige Dinosauriernachfahr gewiss in den letzten Minuten ausreichend Panik geschoben hatte, um nie, nie mehr wiederzukommen. Tauben lernen ja aus so was. Und sie würde es aufgeregt den anderen sagen: Bleibt da weg, zu viel Adrenalin!

Das Leben war schön.

Eine Woche später allerdings rief Ms. Columbo nach mir. Ich eilte in die Küche und sah es. Drei Tauben. Auf dem Balkon. Der geschnäbelte Vollhorst von damals hatte die Story weitererzählt, und jetzt wollten seine Kumpels auch mal gucken.

Ihre Panik bei meinem Anblick war zunächst groß. Ein einziges Geflatter, Gegurre und Gekacke machte sich breit unterm Netz, der Balkon war ein Tollhaus. Unsere Panik war kaum kleiner. Was nur tun?

Vergrämer anrufen. Es war Samstagnachmittag, der Mann war entsprechend begeistert. Zumal er aus Bad Segeberg rüberkarriolen musste. „Das. Kriegen. Wirr. Schon. Hin“, schnarrte er im modulationsfreien Ton des Kehlkopfoperierten, der sich beim Sprechen ein Mikro mit Minilautsprecher an den Hals halten muss.

Er hatte eine Decke mitgebracht. Die warf er über die Tauben, fing so eine nach der anderen ein und quetschte sie – nein, nicht zwischen seinen Handwerkerpranken zu Tode, wie es eine dunkle Seite in uns mit uneingestandener Angstlust erwartete, sondern zwischen den sich überlappenden Netzbahnen hindurch in die Freiheit.

Dann spannte dieser Segeberger Samariter zwei Drähte vor den 82 Millimeter breiten Spalt und schnarrte zum Abschied ein blechernes „Auf. Wiederr. Sehen.“

Seitdem haben sie es nicht mehr geschafft, auf unseren Balkon vorzudringen. Doch gestern hörte ich es gurren im Halbschlaf, und etwas flatterte und kratzte am Schlafzimmerfenster.

Sie wollen wieder rein, jetzt erst recht.
Und sie sind sauer.


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08 August 2009

Spinat, Baby!



In Tim Mälzers neuem Restaurant Bullerei bestellen German Psycho und ich mittags nur deshalb als Nachspeise Cremacatalanarotebeerentiramisu, weil Mälzer so wagemutig war, das Wort ohne einen einzigen Bindestrich auf die Speisekarte zu zwängen.

Allerdings wird der gute Eindruck nicht unwesentlich geschmälert durch ein bestürzendes Deppenleerzeichen in „Baby Spinat“ nur wenige Zeilen darüber. Geschmeckt hat die Cremacatalanarotebeerentiramisu übrigens ganz ausgezeichnet.

Später begegnen Ms. Columbo und ich in der Seilerstraße einer enorm asymmetrisch gebauten Frau, ein arg verblühtes Babe mit Tätowierungen auf den fleischigen Armen, aschblondem Haar und Zähnen aus erstarrtem Zigarrettenrauch.

Während ihr Oberkörper von unfassbar überdimensionierten Brüsten zur ballonartigen Form aufgebläht wird, wirkt sie untenrum wie auf Grashalme gebaut.

„Bestimmt ist sie eine altgediente Hure, die sich zur Ruhe gesetzt hat“, flüstere ich. „Ich hätte bei den spindeldürren Beinen eher auf Junkie getippt“, sagt Ms. Columbo.

Wahrscheinlich haben wir beide Recht, und es handelt sich um eine Kombination aus beidem. Eine ordentliche Portion Cremacatalanarotebeerentiramisu täte ihr auf jeden Fall gut – was immer das auch für lageverschärfende Folgen auf ihren Oberkörper hätte.


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31 Juli 2009

Papierentsorgung auf Kiezianisch



Auf dem Kiez gibt es Menschen, die wühlen in Mülleimern. Ich weiß nicht, ob es die gleichen sind, die auch im Altpapier wühlen, doch auch solche gibt es.

Bevorzugt wühlen sie in unserem Altpapier, das wir hier auf dem Kiez in Ermangelung einer hauseigenen Tonne regelmäßig an die Straße stellen müssen. Vielleicht vermuten diese Menschen in unseren alten, vor allem mit Zeitungen und Snailmailspam aufgefüllten Weinkartons widersinnigerweise Wein, keine Ahnung.

Jedenfalls reißen sie regelmäßig heimlich – mutmaßlich im Schutz der Dunkelheit – unsere Kartons auf, und je verbissener ich diese verschnüre und verklebe, desto rabiater geht die Spezies der Altpapierkartonaufreißer vor. Ein Wettstreit geradezu darwinesken Zuschnitts.

Eigentlich sollte es uns zwar egal sein, ob in Osttimor einer seinen Pickel ausdrückt oder uns jemand die Altpapierkartons aufreißt. Doch es ist uns nicht egal. Es kommt uns nämlich vor wie eine Verletzung unserer Intimsphäre. Als stünde plötzlich ein olfaktorisch unzulänglicher Fremder im Flur und würfe unter wissendem „So, so“-Gebrumm einen Blick in unser Schlafzimmer.

Deshalb hatte Ms. Columbo die genialische Idee, unsere Altpapierkartons zu beschriften. Diese Aufgabe obliegt mir. Gestern beließ ich es erstmals nicht bei einem militärisch knappen „Altpapier!“, sondern griff präventiv ein mögliches Missverständnis auf, welches durch die Aufschrift „Blu-ray-Player“ auf dem Karton eventuell entstehen könnte.

Wobei ich plötzlich das unbestimmte Gefühl habe, dass bei Menschen, die in Mülleimern oder unserem Altpapier wühlen, ein Blu-ray-Spieler sowieso eher Missmut statt Wohlgefallen hervorriefe.


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23 Juli 2009

Wir fühlen uns vergrämt



Die Bushaltestellenbank an der Mö dient eventuell allem Möglichen, doch das wartende Sitzen gehört gewiss nicht dazu.

Man rutscht auf der gewölbten und glattgebohnerten Sitzfläche unablässig nach vorne und somit potenziell runter, und wenn man sich hinten stützend anlehnen will, behandelt die höchst abweisend konstruierte rohrförmige Strebe deinen Rücken, als wolle sie ihn wegen Ungehorsams züchtigen.

Hau ab! – das und nichts anderes ist die Botschaft dieser Bank.

Wie’s scheint, hat der HVV hier nur eins im Sinn gehabt: das öffentliche Möbel so zu designen, dass es sich keinesfalls als Niederlassung oder gar Nachtlager für Obdachlose anpreist.

Es handelt sich somit eindeutig um eine Pennervergrämungsbank. Leider auch um eine Kundenvergrämungsbank, wie Ms. Columbo und ich beim schmerzhaften Warten auf die 36 feststellen mussten.

Aber man muss halt Prioritäten setzen, das zieht sich durchs ganze Leben, auch durch das des HVV.


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06 Juli 2009

Auf Tomatenjagd

Wir stehen noch unterm Eindruck der Hummertapete im Kieler Maritimhotel, als uns bei einem Spaziergang durch die Altstadt dämmert: Das war noch gar nichts.

Denn auf nur zehn Metern Strecke entfaltet sich ein komprimiertes Horrorszenario; es ist sozusagen der Eingang in den Hades: erst eine Scientologybude, dann eine Aktivistin der Rentnerpartei, schließlich drei Panflötenindios mit CD-Verkaufsstand. Hier hilft nur Flucht.

Zurück in Hamburg fehlen Tomaten. Zum Glück wimmelt der Kiez auch sonntags vor offenen Geschäften. Bei Penny aber gibt es keine mehr. Also Lidl.

Dort liegen nur noch zwei dreieckige flache Plastikschalen mit supersüß ausschauenden Kirschtomaten im Regel, doch vor mir stürzt sich ein Mittzwanziger drauf.

Er öffnet beide Schalen und beginnt umstandslos damit, ihren Inhalt in einer zusammenzuführen. Das schafft er auch bis auf vier partout nicht mehr hineinquetschbare Tomätchen, und die will ich natürlich jetzt auch nicht mehr.

Dann nimmt der Mann die nun proppevolle Schale, geht damit zur Kasse und hofft aufs sonntägliche Vorfeierabendkoma der Verkäuferinnen.

Ich weiß nicht, ob das geklappt hat, doch auch so zeigt die Methode des jungen Mannes zweierlei: a) wieviel Luft (nach oben) in einer dreieckigen Tomatenplastikschale ab Werk noch da ist und b) welche Sparpotenziale der Rest der Welt oftmals ungenutzt verstreichen lässt, sei es aus Anstand oder Dummheit.

Allerdings hat die Methode des Tomatenumfüllens auch Nachteile. „Wegen solcher Dödel“, wird Ms. Columbo später schimpfen, „wird hier alles kameraüberwacht!“

Tomaten erwische ich schließlich bei Topkauf in der Davidstraße, und zwar kurz bevor dort hitzeermunterte Huren die schärfsten Klamottenfitzelchen seit Erfindung des Rasiermessers vorführen.

Ich weiß es – denn wir haben hinterher, nach dem Tomatenmahl, noch mal nachgeschaut.


PS: Ach ja, noch ein mitgebrachter Kalauer, weil er zu lang ist zum Twittern: Was wünscht sich der in der Hauptstadt Schleswig-Holsteins für die Wasserversorgung Zuständige inständig? Immer eine Handbreit Wasser unter Kiel …


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26 Juni 2009

Jacko, Charlotte und ein guter Grund für Grappa

Ein Tag, wie er nicht alle Tage vorkommt. Ein krasser Tag.

Zunächst mal will Michael Jacksons Tod verarbeitet sein. Allen ungerührten Sarkasten, die allein ihren Musikgeschmack zur Basis ihrer Empathie machen, sei Folgendes entgegengeschleudert: Wer das Unmögliche schaffte, zum größten und erfolgreichsten Popstar aller bisherigen Zeiten zu werden und dafür – wie Elvis – einen gleichsam märtyrerhaften Preis bezahlen musste, hätte auch eure Erschütterung verdient.

Es wäre – aufgepasst! – nur menschlich.

In zehn Jahren wird man euch fragen, wo ihr wart, als Michael Jackson starb, und ihr werdet es noch wissen. Das sagt alles. Ich übrigens saß am Rechner und erfuhr es über Twitter. Das sagt auch alles.

Danach zum Zahnarzt. Er bezeichnet meine dentale Situation als „traumhaft“. So gezahnpinselt verlustige ich mich trotz der drückenden Jackolast auf dem Stuttgarter Weindorf, einer bizarren alljährlichen Veranstaltung auf dem Rathausmarkt, die so funktioniert: schwäbische Trink- und Fressstände verkaufen den Hamburgern Müller-Thurgau und Maultaschen zu Mondpreisen. Großartig. Ich jedenfalls esse die schlechtesten Maultaschen meines Lebens, trockene, alte, lauwarme Dinger, vergleichbar mit drei Tage lang getragenen Socken.

Während meines Herumkauens auf dieser schwäbischen Spezialität dringen Gesprächsfetzen von Passanten herüber. „… Schädelbasisbruch …“, erzählte einer einem anderen, „wegen einer Bowlingkugel. Er hat versucht, sie zu köpfen. Eine Bowlingkugel.“

Es wird Zeit zu zahlen. „Hat es gesmeckt?“, fragt mich der keineswegs schwäbische, sondern ungefähr serbokroatische Tresenmann. „Nein“, antworte ich. „Nicht?“, fragt der Schwabensimulant zurück. „Ehrlich gesagt“, entschließe ich mich zu bedingungsloser Schonungslosigkeit, „das waren die schlechtesten Maultaschen meines Lebens.“ Er schaut erstaunt. „Echt?“ Echt.

Danach zu Saturn, Zweitfernseher kaufen. Muss lange nachgrübeln über die Metalldreiecke (Foto), die direkt neben den Rolltreppengeländern angebracht sind. Ihr einziger plausibler Sinn scheint mir darin zu liegen, unvorsichtig übers Geländer ragende Kundenunterarme schnell und sauber abzutrennen. Falls jemand wirklich eine Alternativerklärung im Angebot haben sollte, wäre ich darüber gottfroh.

Danach die erste Vorstellung von Lars von Triers Film „Antichrist“, der im Frühjahr Cannes schockte und Charlotte Gainsbourg den Darstellerpreis einbrachte. Wir sehen die Gainsbourg, wie sie Willem Dafoe zunächst ein Vierkantholz in den Schritt rammt, dann den Bewusstlosen und dennoch unverdrossen Erergierenden bis zum Blutejakulat masturbiert, ehe sie ihm einen Schleifstein an den Unterschenkel schraubt und sich selbst schließlich mit einer Küchenschere die Klitoris abschneidet. Ms. Columbo guckt weg, ich nicht – ein Fehler.

Danach noch mal Stuttgarter Weindorf, denn jetzt hilft nur noch Schweinshaxe. Zu Hause federn wir sie ab mit Grappa, bevor Ms. Columbo den ganzen Abend meine Michael-Jackson-Platten auf den iMac schaufelt.

Wie gesagt: ein krasser Tag.

Und dabei habe ich die Taube, die sich trotz Rundumnetz auf unseren Balkon vorgekämpft hat, nicht mal erwähnt.

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