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Die Rückseite der Reeperbahn

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Name: Matthias Wagner
Standort: Hamburg, Germany

Schreiberling




06 März 2010

Wie ich mal vergeblich der Mediamarkt-Werbung vertraut habe

Von: Matt Wagner
Datum: 5. März 2010 21:43:46 MEZ
An: kontakt@mediamarkt.de

Lieber Mediamarkt,

heute erhielt ich dein neues Werbefaltblatt und war augenblicklich elektrisiert: Du offeriertest Elvis’ „Comeback Special“ von 1968 in der „Deluxe Edition“ für sagenhaft schmale 5,90 Euro. Das ist für drei DVDs des Kings ein richtig gutes Angebot.

Sofort warf ich mich aufs Rad und strampelte gen Altona, um das Teil zu erwerben, und zwar gleich mehrfach, denn ich habe Freunde, die scheuten bisher die Kosten. Vor Ort allerdings fand ich Dutzende von 5,90-Angeboten, doch ausgerechnet dieses nicht. Nur die lächerliche „Special Edition“, ein Machwerk auf lediglich einer DVD, das zurecht für unter 6 Euro verramscht wird.

Also fragte ich einen Mitarbeiter nach der „Deluxe Edition“. Der Schnauzbart zuckte die Schultern: „Ich mach nur Fernsehen.“ Immerhin zeigte er mir die vage Richtung der DVD-Abteilung: „Da hinten hinterm Pfeiler.“ Ich taperte dorthin und fragte eine junge Frau in Mediamarktrot nach der Triple-DVD.

Sie wusste gar nichts, wandte sich aber an einen Kollegen. Der sagte, das Teil sei wohl noch auf den Paletten. „Außerdem“, sekundierte die Frau, „gilt der Prospekt erst ab heute Abend“. Warum er dann schon am hellichten Morgen der Mopo beiliegt, vermochte sie nicht zu sagen.

„Etwas, das im Prospekt beworben wird, sollten Sie auch im Angebot haben“, formulierte ich eine – wie mir schien – Binsenweisheit. Die junge Frau zog die Schultern hoch bis an die Ohren, lächelte schief wie der Turm von Pisa und giggelte nervös: „Da kann ich ja nichts dafür! Außerdem habe ich gerade erst angefangen!“

So kam ich nicht weiter, das war klar. Daher wandte ich mich an den Informationsschalter vorne an der Kasse und schilderte mein Problem, indem ich meine Binsenweisheit wiederholte: „Etwas, das im Prospekt beworben wird, sollten Sie auch im Angebot haben.“

Der Mann hinterm Tresen gab mir sofort und bedingungslos recht, und die Frau an seiner Seite telefonierte eilfertig mit der zuständigen Abteilung. Fernmündlich erfuhr sie von einer nur hälftig erfolgten Lieferung, und unter der fehlenden Hälfte müsse sich auch die Elvis-„Deluxe Edition“ befinden. Außerdem sei man beim Umbauen.

Was das eine mit dem anderen zu tun hatte, wurde mir spontan nicht klar, doch die beiden am Infoschalter hatten gleich einen praktischen Rat für mich, so dass ich dieser Dialektik nicht auf den Grund gehen mochte: Ich solle doch einen anderen Mediamarkt aufsuchen, zum Beispiel den in Harburg.

Gute Idee. Für die „Deluxe Edition“ für 5,90 würde ich zur Not auch nach Graceland fahren. Also bestieg ich die S-Bahn nach Harburg. Für die folgenden Ereignisse kannst du nichts, Mediamarkt, trotzdem schildere ich sie kurz. Bereits am Bahnhof Dammtor nämlich stockte die Fahrt. Eine Lautsprecherstimme informierte uns über eine „betriebsfremde Person im Gleis zwischen Hauptbahnhof und Berliner Tor“, so dass diese Bahn „auf unbestimmte Zeit“ hier verweilen müsse.

Zehn zähe Minuten später meldete sich die Stimme noch einmal. Man müsse nun wegen der betriebsfremden Person im Gleis den Strom abstellen. Und schon erloschen alle Lichter. Ich seufzte und radelte nach Hause, innerlich Elvis’ Klassiker „Devil in disguise“ vor mich hinsummend.

Abends um sechs wollte ich es noch einmal probieren. „Ruf lieber vorher beim Mediamarkt in Harburg an“, riet meine Gattin, „nicht, dass du umsonst die Reise antrittst.“ Und eine Reise ist das vom Kiez aus, weiß Gott. Also rief ich an.

Es meldete sich eine Frau Suhrmann. Ich schilderte ihr mein Anliegen, erläuterte den Flop in der Altonaer Filiale und erkundigte mich explizit nach „Elvis Presley's '68 Comeback Special Deluxe Edition“. Sie eruierte das Ganze und gab Entwarnung: „Davon sind ausreichend Bestände vorhanden.“

Großartig. Also ging ich neuerlich auf Weltreise, durchs wilde Hammerbrook über die Elbe gen Süden, die betriebsfremde Person war längst aus dem Gleis, ob am Stück oder nicht, werde ich morgen aus der Mopo erfahren, und irgendwann stand ich im Mediamarkt Harburg vor den 5,90-Stapeln und fand die „Deluxe Edition“ nicht.

Ich wandte mich an einen Mitarbeiter. Er durchwühlte die Stapel und hielt mir die gelassen triumphal die lächerliche „Special Edition“ vor die Nase. „Nein“, sagte ich, „schauen Sie mal auf Ihren Prospekt: Dort ist die ,Deluxe Edition' abgebildet, die hat ein ganz anderes Cover.“

Grummelnd ging er zu seinem Computer, ich folgte ihm. Er tippte und grummelte, und nach ungefähr drei Minuten fand er immer wieder nur die Schmalspurversion. „Aber ich suche die mit den drei DVDs“, insistierte ich. „Drei DVDs für 5,90 Euro?“, sagte er vorwurfsvoll, „das geht ja auch nicht.“ „Aber SIE bewerben sie doch!“, rief ich, „in Ihrem eigenen Prospekt!“

Und dann kam der Mann mir mit dem Totschlagsargument schlechthin: Es handele sich um einen Druckfehler. Die Leute, die das Layout für den Prospekt entwürfen, hätten keine Ahnung von Filmen, die suchten sich die Cover aus dem Web, und dabei ginge halt manchmal was schief. Wie jetzt gerade bei Elvis.

„Aber deswegen habe ich doch vor der Weltreise angerufen!“, jammerte ich. „Wen denn?“, frage er. „Frau Suhrmann!“, heulte ich. „Wir sind auch nur Menschen. Menschen machen Fehler.“

Sein zweites Totschlagsargument binnen fünf Minuten. Für ihn war die Sache damit erledigt, und ich schlich geschlagen davon. Er kam nicht mal auf die Idee, mir irgendeine Art der Kompensation für den vergeudeten halben Tag anzubieten, zum Beispiel ein Bonbon, einen Espresso, zwei 4-GB-USB-Sticks oder wenigstens die Stanley-Kubrick-Box als Blu-ray.

Aber es ist ja noch nicht zu spät.

Mit erschöpften Grüßen, Mediamarkt, dein elvisdeluxeeditionsloser

Matt

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24 Januar 2010

Ohne Worte (69): Mein schönster Ferienjob …



… vier Sommer lang: Bademeister in diesem Schwimmbad
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07 Januar 2010

Ohne Worte (68): Hamburg im Winter



Am Hauptbahnhof




Vor einem Hotel an der Alster




Auf dem Heiligengeistfeld




Alsterlauf


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27 Dezember 2009

Ohne Worte (65): Winterpause



Entdeckt auf einem vereisten Sportplatz in der hessischen Provinz.


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07 September 2009

Fragen, die die Welt (nicht) braucht


Zu den quälendsten Fragen gehören zurzeit diese: Wie konnte die Menschheit 200.000 Jahre lang ohne Nasenhaarschneider auskommen? Und wie schafft der Franke das bis heute?

Auch das Baby am Wochenende im Gemüseladen warf Fragen auf: Es starrte bewegungslos schräg an die Decke, ohne je zu blinzeln. Gleichwohl handelte es sich in der Tat um ein Baby und keine Puppe; es nuckelte nämlich versonnen an Papas Zeigefinger. Hoffentlich hat der Mann routinemäßig Augentropfen dabei.

Als wir heute durch Winterhude zockelten, fiel uns ein Friseurladen namens „Sculp Cut“ auf, und auch das ist fragwürdig. Die Gefühle, mit denen Leute, die noch über Haare verfügen (also nicht ich), diesen Laden betreten, dürften als „gemischt“ nur unzureichend beschrieben sein. Alle düsteren Befürchtungen, die der Name „Sculp Cut“ erzeugt, werden zudem durch das an der Hauswand angebrachte überdimensionale Symbol nicht gemindert: eine Schere.

Warum tut ein Friseur so was? Und hat er einen tadellosen Nasenhaarschneider in Gebrauch?

Wenn ja, dann schicke ich den Franken vorbei, trotz allem.



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24 August 2009

Gigant am Strand

Nach stundenlanger Countryberieselung aus der Kurmuschel in Travemünde drangen heute plötzlich ganz andere Klänge gen Strand.

Verantwortlich dafür schien ein lustloser Stand-up-Komiker aus Berlin zu sein; das manchmal vom mittelstarken Ostseewind etwas zerfleddert herüberwehende „Icke“ legte das nahe.

Ich schaute mir den Mann an. Trotz des wolkenarmen Sommerwetters (Foto) hatte er sich in puncto Outfit für eine zwiebelartige Schichtung entschieden. Von außen nach innen trug er …

– einen eierschalenfarbenen Anzug über dunkler Weste,
– ein schneeweißes Oberhemd mit weit aufgeknöpftem Kragen,
– darunter ein blaues Halstuch sowie ein Unterhemd;
– um die Hüfte hatte er sich etwas geschlungen, das ich als braunen Pulli zu identifizieren glaubte, ein Ärmel davon baumelte ihm jedenfalls recht unvorteilhaft im Schritt, und
– komplettiert wurde diese keineswegs wettergemäße Aufmachung durch eine Baseballmütze mit asiatischem Schriftzeichen und
– Turnschuhen, auf denen groß „BÄR“ stand.

Und dieser Mann war sage und schreibe: der legendäre Rolf Zacher.

Eins der größten deutschen Schauspielorginale, ein Gigant, demgegenüber Til Schweiger nichts weiter ist als ein Molekül eines vertrockneten Krümelchens Eintagsfliegenschiss, einer vom Schlage Klaus Kinskis oder Udo Kiers, ein Ex-Krautrocker, Ex-Knastie und Ex-Junkie – und der stand also unverhofft vor mir in der Travemünder Kurmuschel.

Das einzige Mal, dass ich Zacher vorher begegnet war, ist schon ungefähr 20 Jahre her. Damals beschlich mich während einer Berlinale-Party ein menschliches Bedürfnis. Ich betrat die sanitären Anlagen, und wen fand ich vor am Pissoir? Rolf Zacher. In der Hand sein bestes Stück, im Mund eine schon lange nicht mehr abgeaschte Kippe, irgendetwas vor sich hinbrabbelnd mit der Stimme von Nicolas Cage aus „Wild at heart“ .

Seither hat sich Rolf Zacher, wie ich heute erfreut feststellen durfte, nicht wesentlich verändert. Wahrscheinlich färbt er sich – anders als Gerhard Schröder – die Haare, aber sonst waren seine Gesichtsschluchten ganz die alten; er sah sogar gesünder aus als damals mit seinen gegeelten Haaren der Vollfettstufe und jener speziellen Hagerkeit, die Heroin hervorzurufen weiß.

Rolf Zacher jedenfalls lebt, das kann ich hier froh verkünden, auch wenn er jetzt in Travemünde am hellen Nachmittag in „BÄR“-Sneakers singend und blödelnd Badegäste irritiert, die nicht wissen, welche Type sie vor sich haben.


Bei YouTube könnten sie es sich anschauen. Auf eigene Gefahr.

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22 August 2009

Am Scheideweg

Nur selten im Leben steht man dort. Mir erging es heute so.

Nach kurzem Überlegen traf ich eine Entscheidung. Einfach weil es wichtig war, überhaupt eine zu treffen.


Sonst wäre ich jetzt noch immer in Eppendorf.

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03 August 2009

Immer weiterlächeln



Dieses „Smile“, Wolfsburgs Zufallsantwort auf Ursula von der Leyens Netzsperrenstoppschild, ist vielleicht nicht kritisch, sicher nicht ironisch, doch auf jeden Fall eins: tapfer.

Und es hat auf den ersten Blick keinen Autobezug, im Gegensatz zum mahnenden „Wer lenkt Sie eigentlich?“ – zu finden ebenfalls am Rande der sogenannten Autostadt, dieser Stadt in der Stadt, die ein gewaltiger Altar ist für den Verbrennungsmotor.

Nirgendwo anders in Deutschland dürfte man Schilder mit Werbesprüchen, die aufs Verwechselbarste offiziellen Verkehrsschildern nachempfunden sind, auf öffentlichem Grund installieren. Doch VW darf das, weil die Kommune nur der verlängerte Arm des Autobauers ist.

Denn die oft unterschätzte adrette Schönheit dieser Stadt, die patinalose, nie ganz das Sterile abstreifende Makellosigkeit ihrer Seen, Gärten und modernen Architektur, mit der sie ihre Geschichtslosigkeit und ihren schlimmen Geburtsfehler vergessen machen will: All das hängt am Tropf von VW, und ginge VW unter, die ganze Stadt ginge unter. So wie Detroit.

Der Untergang aber ist tabu in der Autostadt. Hier feiert VW noch immer ungebrochen die Ästhetik und die Verheißung des Autokaufs. Die Autostadt – mit der man jene von VW errichtete genauso bezeichnen kann wie ganz Wolfsburg – zelebriert mit aller Kraft und Kreativität den Erwerb von kunstvoll veschmolzenem Blech und Plastik. Sie verwandelt die Profanität des Warenkaufs in einen sakralen Akt.

Und die Zwillingstürme, in denen all diese Autos, die bald keiner mehr haben will, abholbereit herumstehen, glänzen riesig und gläsern in der Sonne wie Kathedralen.

Man sieht von draußen durch die Scheiben die winzigen Scheinwerfer der wartenden Wagen, wie sie hoffnungsfroh hinausschauen in die Ferne – den Käufern entgegen, die das alles hier am Leben erhalten (sollen).

Es hat fast etwas Rührendes, wie die Autostadt, dieses komplett auf die Erotik des Kaufaktes abgestimmte Ensemble aus Gebäuden und Interieuer, ihren drohenden Untergang ausblendet. Und dafür hat Wolfsburg, die Stadt des durchästhetisierten öffentlichen Raumes, das perfekte Symbol gefunden.

Es ist ein tapferes weißes „Smile“ auf rotem Grund, ein Oktagon des Ausblendens.



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22 Juli 2009

Doch keine Wechselgebühr

Am Sonntag war Anwohnerflohmarkt an den Magellanterrassen in der Hafencity.

Hier an der neusten Hamburger Waterkant kann man für eine Eigentumswohnung bis zu 6000 Euro pro Quadratmeter loswerden, und es dürfte interessant sein, was jemand, der hier wohnt, auf seinen Flohmarkttisch packt.

Nun ja, zum Beispiel verspielte Hüte, Samtfummel mit Leopardenmuster, Designernippes, Porzellan und – siehe da – sogar Echtpelzmäntel (Foto). CDs und LPs hingegen sah ich kaum, und wenn, dann alles von Scooter bis David Hasselhoff, gesprenkelt mit Meditationsmusik.

Wie die Hafencitybewohner zu ihrem Reichtum kamen, der es ihnen erlaubte, kaltlächelnd 6000 Euro pro Quadratmeter Wohnraum hinzublättern, deutete ein Standbesitzer humorig an, als ich ihn frug, ob er mir mein Eurostück in zwei 50-Cent-Münzen umtauschen könne. Ich wollte nämlich die picobello 1a-Toilette auf den Magellanterrassen benutzen.

„Eigentlich“, schmunzelte der junge Hafencitybewohner mir mahnend zu, während er in der Echtlederbörse kramte, „müsste ich dafür eine Wechselgebühr erheben.“


Tat Vadder Theresa aber dann doch nicht – zur Refinanzierung der Wohnlage in einem zeitlich vertretbaren Rahmen wäre diese Erhebungsmethode eh ungeeignet gewesen.


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15 Juli 2009

Marburger Nachlese



Linke Nostalgie lässt sich in Marburg immer noch aufspüren, zumal am Fachbereich Politologie. Man findet recht leicht Parolen, mit denen man sich im existenzialistischen Stehkragenpulli fotografieren lassen kann. Doch auf den Mensatischen liegen keine revolutionären Kampfpamphlete mehr, sondern nur noch Flyer, die zur nächsten Party einladen. Wenn etwas die totale Kapitulation der Linken und den Sieg des Kapitalismus verkörpert, dann das. Daran ändert auch die Wirtschaftskrise nichts.



Immerhin rührt sich noch ein wackerer Rationalismus. Das Graffito „Kein Gott!“ ausgerechnet an die gotische Elisabethkirche zu sprühen, verrät einerseits eine treffsichere Zielidentifikation, andererseits aber auch kulturelles Banausentum – ein großer Schritt für den Sprüher und ein kleiner Richtung Taliban.



Das in der Barfüßer Straße entdeckte Warnschild hängt näher am BH als am maroden Gully, deshalb bin ich unsicher, welchen von beidem es gilt – und was das je nach dem für die Situation der Moral in Marburg bedeuten könnte.

Vor der Unibibliothek stießen wir auf einen St.-Pauli-Stromkasten. Der Kiez ist überall, heimelige Gefühle brandeten auf – und wir fuhren nach Hause. Ab sofort wird also wieder über die Reeperbahn gebloggt.

Mit allen Risiken und Nebenwirkungen.


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14 Juli 2009

Mattophobie ist heilbar



In praktisch jedem zweiten Marburger Fachwerkhaus – und es gibt SEHR vele davon in der Oberstadt – befindet sich eine psychotherapeutische Praxis.

Es muss heutzutage eine verheerende Wirkung aufs Gemüt haben, in Marburg zu studieren. Einst, als Ms. Columbo und ich hier unser Unwesen trieben, war das noch nicht so. Vielleicht gab es damals einfach die besseren Partys – oder Themengebiete, die eher geeignet waren, die mentale Gesundheit zu erhalten.

Ein Bekannter aus alten Marburger Tagen etwa forschte über die Kulturgeschichte des Verkehrsunfalls, was ihn allabendlich froh und glücklich nach Hause zurückkehren ließ. Seine Frau hingegen tüftelte lange an einer bahnbrechenden Arbeit über Intimbehaarung im asiatischen Raum, doch irgendwann brach sie das Unterfangen ab – wahrscheinlich nachdem die Totalrasur auch in Japan und Indonesien eine … ähem … Schneise der Verwüstung hinterlassen hatte.

Bei unserer nostalgischen Tour durch die Stadt, die wir gemeinsam vor 14 Jahren gen Hamburg verließen, stoßen wir übrigens auf eine frappierende, ja geradezu erschreckende Häufung just stattgefundener Abschiedsvorlesungen von Professoren, bei denen ich einst studiert hatte.

Ob Heller, Deppe oder Berg-Schlosser: Es scheint fast so, als hätten all diese großen Köpfe die Alma Mater fluchtartig verlassen im Vorfeld meiner Rückkehr, statt einfach eine der vielen psychotherapeutischen Praxen in der Oberstadt aufzusuchen und ihre Mattophobie professionell behandeln zu lassen. Aber vielleicht überschätzte ich auch einfach meine Bedeutung.

Die Parolen (Foto) in der Philosophischen Fakultät sind übrigens noch pointierter als zu meiner Zeit, dafür leiden sie an einem wirkungsdämpfenden Pleonasmus.


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12 Juli 2009

Der Schlagermove ist überall

Dank einer Wochenendreise verpassten wir zuletzt schon die Harley Days, und jetzt entgeht uns aus dem gleichen Grund auch noch der Schlagermove – was sind wir bloß für Menschen …!

Bevor der Kiez von Myriaden sich die Kante gebender Halbirrer mit strassbesetzten Riesensonnenbrillen in Herzform und rosa Minipliperücken heimgesucht wird (der sog. „Hossa-Hamas“), müssen penible Vorbereitungen getroffen werden – ähnlich wie im Film „Mars Attacks!“.

Wir leben nicht im Erdgeschoss, das Verrammeln von Fenstern entfällt daher. Die Fahrräder aber werden hochgeholt, und hätten wir einen Vorgarten, wir brächten auch ihn in Sicherheit.

Trotz aller Präventionsmaßnahmen fahren wir nur halbwegs beruhigt nach Marburg. Dort allerdings geraten wir in etwas Schlagermoveadäquates: das Stadtfest namens „3TM“ („3 Tage Marburg“). Halb Hessen ist hier, und die meisten sind 20 Jahre jünger als wir.

Das alles aber wird mühelos aufgewogen durch die Film-noir-hafte Lage und Ausstattung unseres Hotels. Nichts in unserem Zimmer und Bad ist jünger als 40 Jahre, der Drehregler für die Klobelüftung unterliegt mit Sicherheit dem gleichen Denkmalschutz wie die Fachwerkhäuser in der Oberstadt, und über die Leuchtreklame vor unserem Fenster (Foto) hätte James Cagney Tränen der Rührung geweint.

Hoffentlich kann ich trotzdem schlafen wie Bogart in „The big Sleep“. (Ähm, hat er überhaupt je geschlafen in irgendeinem Film?)



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06 Juli 2009

Auf Tomatenjagd

Wir stehen noch unterm Eindruck der Hummertapete im Kieler Maritimhotel, als uns bei einem Spaziergang durch die Altstadt dämmert: Das war noch gar nichts.

Denn auf nur zehn Metern Strecke entfaltet sich ein komprimiertes Horrorszenario; es ist sozusagen der Eingang in den Hades: erst eine Scientologybude, dann eine Aktivistin der Rentnerpartei, schließlich drei Panflötenindios mit CD-Verkaufsstand. Hier hilft nur Flucht.

Zurück in Hamburg fehlen Tomaten. Zum Glück wimmelt der Kiez auch sonntags vor offenen Geschäften. Bei Penny aber gibt es keine mehr. Also Lidl.

Dort liegen nur noch zwei dreieckige flache Plastikschalen mit supersüß ausschauenden Kirschtomaten im Regel, doch vor mir stürzt sich ein Mittzwanziger drauf.

Er öffnet beide Schalen und beginnt umstandslos damit, ihren Inhalt in einer zusammenzuführen. Das schafft er auch bis auf vier partout nicht mehr hineinquetschbare Tomätchen, und die will ich natürlich jetzt auch nicht mehr.

Dann nimmt der Mann die nun proppevolle Schale, geht damit zur Kasse und hofft aufs sonntägliche Vorfeierabendkoma der Verkäuferinnen.

Ich weiß nicht, ob das geklappt hat, doch auch so zeigt die Methode des jungen Mannes zweierlei: a) wieviel Luft (nach oben) in einer dreieckigen Tomatenplastikschale ab Werk noch da ist und b) welche Sparpotenziale der Rest der Welt oftmals ungenutzt verstreichen lässt, sei es aus Anstand oder Dummheit.

Allerdings hat die Methode des Tomatenumfüllens auch Nachteile. „Wegen solcher Dödel“, wird Ms. Columbo später schimpfen, „wird hier alles kameraüberwacht!“

Tomaten erwische ich schließlich bei Topkauf in der Davidstraße, und zwar kurz bevor dort hitzeermunterte Huren die schärfsten Klamottenfitzelchen seit Erfindung des Rasiermessers vorführen.

Ich weiß es – denn wir haben hinterher, nach dem Tomatenmahl, noch mal nachgeschaut.


PS: Ach ja, noch ein mitgebrachter Kalauer, weil er zu lang ist zum Twittern: Was wünscht sich der in der Hauptstadt Schleswig-Holsteins für die Wasserversorgung Zuständige inständig? Immer eine Handbreit Wasser unter Kiel …


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04 Juli 2009

Zimmer mit Aussicht



Die Kieler Förde hat sich angesichts unserer Ankunft die beste Abendgarderobe übergeworfen, die sie am Ostseehimmel finden konnte.

Sie strahlt hier vorm Hotel eine Stille aus, die paradiesisch zu nennen eine justiziable Untertreibung wäre – zumindest bis der Abiball im Erdgeschoss losgeht.

Im Lauf des außergewöhnlich linden Abends verlagert sich die Veranstaltung immer mehr nach draußen, und die Luft ist plötzlich geschwängert mit schlechter Musik, zu der 19-Jährige Ballklamottenständer stocksteif herumstehen.

Bald werden diese schon jetzt präventiv lethargischen Menschen landesweit die Unis fluten, sie werden dort ihren Bachelor machen, den sie direkt danach ohne Umschweife in die Kieler Förde tunken können, denn bis zur Rente mit 78 wird ihr Leben aus einer endlosen Abfolge unbezahlter Praktika bestehen.

Nein, mit ihnen werden wir nie mehr Exportweltmeister, doch sie können ja nichts dafür. Es liegt an der Krise, dem Bachelor, der schlechten Musik, dem dumpfen Gehorsam, mit dem sie sich in lähmende Ballklamotten zwängten, statt nackt in die Förde zu springen und Touristen aus Hamburg mit Ostseebrackwasser zu bespritzen.

In Hamburg ist jetzt gerade Schanzenfest. Wahrscheinlich brennen schon überall die Porsches.

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28 Mai 2009

Ohne Worte (40): Ostseeimpressionen



Die Seebrücke von Weissenhäuser Strand, abends.


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23 Mai 2009

Nächtliche Ruhestörung

Natürlich haben wir auch in Hamburg Möwen. Doch …

a) … bei weitem nicht solche Oschis wie hier
b) und keine, die sich auf unseren Balkon setzen und bellen wie ein frischkupierter Pudel, den man in einen Wäschetrockner gesteckt hat …
c) … und zwar pünktlich ab 4 Uhr 56 in der Früh.



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22 Mai 2009

Das Restaurant des Schreckens



Kellner
(räumt die noch halbvollen Schüsseln mit ekliger Spargelcremetütenpampe ab): Hat’s geschmeckt?

Wir: Nein.
Kellner (süffisant): Noch eine?

20 Minuten später.

Kellner (räumt die Reste des Hauptgerichtes ab, bestehend aus wüstentrockenem Wildlachs mit einem als Kartoffelgratin verbrämten weißen Matsch): Hat’s geschmeckt?
Wir: So lala.
Kellner (konspirativ spöttisch): Noch eins?

12 Minuten später.

Kellner (räumt die umfangreichen Reste des Desserts ab: Instantschokopudding mit Dosenbirnen, die wie Dichtungsmasse schmeckten, was Ms. Columbo später auf „Türstopper“ korrigiert): (sagt nichts)

Wir: (sagen auch nichts)

Blöd, dass wir Halbpension gebucht haben.

PS: Dafür ist das Wetter wengistens weiterhin von existenzieller Wucht (Foto).


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21 Mai 2009

Vatertag am Meer



In der eigentlich scheintoten Ruheoase Weissenhäuser Strand an der Ostsee (Foto) fühlen wir uns plötzlich wie auf der Reeperbahn nachts um halb eins.

Überall marodieren nämlich Jungs (Vatertag!) durch die Dünen, die schon mittags so derbe betankt sind, dass sie lallend ins kalte Meer springen und Sachen grölen wie „Sven ist die schwulste Sau der Welt/der Welt/der We-he-he-he-helt!“

Dabei versuchen sie sich gegenseitig in den Hintern zu treten (was trotz ihrer alkoholinduzierten Desorientierung sogar manchmal gelingt).

Flankierend zu diesen betrüblichen Szenen juveniler Verirrung, die sich dünauf, dünab zutragen, stapfen vollschlanke Prollfrauen mit Dauerwellen und freilaufenden Kampfhunden übern Deich und kokettieren kajalumflort mit den Suffköppen.

Vor meinem geistigen Auge sehe ich bereits erschaudernd orgiastische Interaktionen frühverwelkter Schwabbelkörper in Senken im Sand, nur notdürftig vom Strandgras verdeckt.

Alles in allem präsentiert sich uns also eine unschön kiezähnliche Szenerie, der wir in Richtung Seebrücke zu entfliehen versuchen, doch vergebens.

Auf dem Rückweg nämlich taumelt uns in kompletter Brückenbreite eine Gruppe halbnackter 18-Jähriger entgegen; einem hängen sämtliche Hosen auf Halbmast, was mir und Ms. Columbo einen verstörenden Blick auf sein vor Kälte schildkrötenkopfhaft eingeschrumpeltes Gemächtchen abverlangt.

Nein, uns rettet nur noch eins: eine Runde progressiver Muskelentspannung im Hotel, um zu vergessen.


Hat aber nicht funktioniert.


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18 Mai 2009

Kulturelle Unterschiede beim Aussichherausgehen

Bei einer Stadtführung durch Würzburg gerieten wir in die Fänge mehrerer sogenannter Originale: eine gewisse „Marktbärbel“, ein „Schorsch“ und ein „Karl“ (Foto).

Bereits frühmorgens fütterten sie uns mit pforztrockenen Bratwürsten und reichten dazu reichlich Frankenwein. Zudem erlaubte uns das Trio tiefe Einblicke in die fränkische Seele.

„Der Frang-ge an sich“, psychologisierte zum Beispiel der Karl, „geht scho aus sich raus – abber mehr so nach inne.“


Auch dem dort wild grassierenden Katholizismus standen die Drei überraschend pragmatisch gegenüber. „Die war Nonne“, gluggste der Schorsch über eine historische Würzburgerin, „unn zwar scho inner dridde Generadsion …“

Als ich diese Schnurren heute im Büro dem Exilfranken erzählte, lachte er sich fast einen Kropf. Wir sind also – wie man aus der letzten Bemerkung mühelos rückschließen kann – wieder zurück auf St. Pauli.

„Willkommen zu Hause!“, juchzte Ms. Columbo freudestrahlend, als wir vor unserer Haustür eine eben erst eingetrocknete Kotzpfütze vom Wochenende entdeckten. Home, schiet home …

Drunten im Frankenland haben wir solchen Straßenschmuck hingegen nirgends gesehen. Nicht mal ein Autokennzeichen mit der naheliegendsten aller Kombinationen: „WÜ-RG“.

Das ist eben der Hauptunterschied zwischen dem Kiez und Würzburg: Hier geht man zwar auch gern aus sich heraus, aber mehr so nach außen.



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17 Mai 2009

Schein und Sein



Als ich heute in Würzburg durch die Innenstadt lief und auf das Plakat mit Meryl Streep stieß, dachte ich: Hoppla, die Hollywooddiva macht jetzt Wahlkampf für die Schwarzen?

Andererseits wäre das kaum frappierender als ein Spot, in dem Bruce Willis gemeinsam mit Rudi Assauer auftritt.

Auf dem CSU-Wahlplakat stand allerdings nicht der Name „Meryl Streep“, sondern der einer gewissen Angela Merkel. Aus irgendeinem Grund erinnerte mich das ans Motiv einer Bierwerbung vergangenes Jahr hier auf dem Kiez.

Keine Ahnung warum – schließlich zeigt es ebenfalls nicht Meryl Streep.



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15 Mai 2009

Wunderliches Frankenland

Im brutalstkatholischen Würzburg, wo wir das Wochenende verbringen, liegt nicht etwa eine Gideonbibel im Nachtschränkchen des Hotels, sondern – „Die Lehre Buddhas“.

Herrschaftszeiten, die Welt ist auch nicht mehr das, was sie mal war! Selbst in Franken nicht.

Der Rest hingegen präsentiert sich hier bislang exakt so, wie wir ihn uns dank jahrelanger zoologischer Studien des Hamburger Exilfranken vorgestellt haben: bier-, wein- und wurstfixiert.

Den mutmaßlich merkwürdigen Zungenschlag der Eingeborenen werden wir aber erst morgen im Rahmen einer innerstädtischen Exkursion detaillierter studieren können, denn unser Hauptgesprächspartner heute Abend war Österreicher.

Globalisierung: Selbst im brutalstkatholischen Würzburg ist das also kein Fremdwort mehr.


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21 April 2009

Neulich im Zug von Berlin nach Hamburg

Kontrolleur: „Noch jemand zugestiechen?“
Mein Nachbar, ein fülliger Mann, der bereits an der vorletzten Station zugestiegen war, nämlich in Wittenberge: „Ich bin schon in Wittenberge zugestiegen.“
Kontrolleur (patzig): „Schullijung, dass ich nich gleich doa woahr. Mir höm nämlich möhrere Woachen.“
Ein schönes Beispiel für präventives Angepisstsein, das mir dennoch etwas überempfindlich vorkam. Beispielsweise wäre auch eine deutlich deeskalierendere Gesprächsfortführung wie diese denkbar gewesen: „Widdenberche? E scheenes Gaff. Gänsefleisch drozzdem de Fohrgorrde zeiche?“

Doch so kam es nicht, sondern anders. Gleichwohl gibt es entlastende Fakten, die man zugunsten des Kontrolleurs anführen muss.

So war der Arme zum Zeitpunkt seiner nur scheinbar grundlos schroff geführten Kommunikation noch Gefangener im fremden und seltsamen Mehdornland. Und dieser Zustand muss zuletzt auf Bahnangestellte gewirkt haben wie Leipzig 1988.

Der füllige Wittenberger jedenfalls sank nach diesem Anpfiff muffelnd in sich zusammen wie ein beleidigter Mollusk und sagte gar nichts mehr.


Am Freitag fahren wir übrigens wieder nach Berlin. Wir freuen uns schon.

Foto: Hauptbahnhof Hamburg, U-Bahnstation



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13 April 2009

Die übliche Mützenamnesie

Fern vom Kiez, in Barmbek auf dem Flohmarkt, stelle ich fest, dass ich Hirni wieder mal meine Mütze zu Hause vergessen habe.

Wenn man sich gerade frisch die Platte geschoren hat und draußen die Sonne alles gibt, was Mitte April in Nordeuropa möglich ist, bedeutet das Fehlen einer Mütze Alarmstufe Rot. Ich könnte die Glatze auch gleich in den Strahl eines Flammenwerfers halten.

Lege mir also eine Hand auf den Kopf, was mit Sicherheit bescheuert aussieht, während ich die Flohmarktstände systematisch nach Mützen abscanne. Stoße auf alles Mögliche, aber nicht auf Kopfbedeckungen – Ausnahme: ein immens pinkes Teil, mit dem ich aussähe wie die Karikatur eines Mannes, der in der Zeitschrift hinnerk Kontaktanzeigen studiert.

Nein, weitersuchen, immer weitersuchen. Erspähe einen exorbitanten Büstenhalter in Pastellblau, dessen irgendwie dehnbar wirkende Einzelkörbchen ich mir sicherlich überzwängen könnte. Doch Ms. Columbo rät ab. Auch der nur wenige Meter weiter entdeckte Wehrmachtshelm löst bei ihr kaum Begeisterung aus.

Die Sonne lacht und brennt. Eine Lampenschirmlösung rückt immer näher, zumal inzwischen auch meine abwechselnd auf dem Kopf liegenden Hände sonnenbrandgefährdet sind. Allmählich verliert sogar die Vorstellung vom Erwerb der pinken Mütze immer mehr an Schrecken. Aber wo war noch mal der Stand?

Entdecke plötzlich eine dummerweise nur halbgeschlossene türkise Kappe mit rosa Palmen und aufgedruckten Verhöhnungen wie „Tropical life“ und „Heavenly Beach“. Schlage verzweifelt und wider besseres Wissen zu, nachdem ich die Händlerin flackernden Blicks von 4 auf 2,50 Euro runtergehandelt habe.

Im Weggehen – und natürlich nicht die eine entscheidende Minute früher – sehe ich direkt am Nachbarstand dann das Basecap meiner Träume: ein schwarzes blick- und strahlendichtes Modell mit nur einem vernachlässigbaren Manko: der Aufschrift „Der Schuh des Manitu“. Kaufe sie fahrig ebenfalls (1,50 Euro).

Der Tag ist gerettet – und der Gesamtbestand meiner Mützen jetzt auf rund 20 angewachsen. Sie stapeln sich alle hier zu Hause. Also da, wo ich sie garantiert nie brauche.

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