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Die Rückseite der Reeperbahn

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Mein Foto
Name: Matthias Wagner
Standort: Hamburg, Germany

Schreiberling




24 Februar 2010

Was Kirche und Kiez trennt



Wer aktuell erwägt, zum Christentum zu konvertieren, hat die Qual der Wahl, aber buchstäblich.

Wo soll er bloß hin – zu den Kinderf*ckern, die vor jeder neuen Vergewaltigung die letzte einfach wegbeichten? Oder doch lieber zu den Suffköppen, die den Abendmahlswein wegkippen, als gäbe es selbst für sie kein Morgen?

Hach, es ist ein Krux mit dem Kreuz. Da lobe ich mir doch den Kiez: Hier ist der Sex nicht ganz so tabulos, und wer besoffen Auto fährt, ist in der Regel noch clever genug, sich nicht erwischen zu lassen.

Womit wir völlig unelegant überleiten können zum legendären Tittenmaler Erwin Ross, den Günter Zint, der unermüdlichste Kiezfotograf aller Zeiten, unzählige Male in seinem Leben abgelichtet hat.

Heute mailte mir Günter – selbst ein Kiezoriginal wie viele seiner Motive – einige sehr schöne Ross-Fotos, von denen ich hier eins dokumentiere.

Will sagen: Wer für Bücher, Filme oder was weiß ich St.-Pauli-Bilder aus knapp fünf Jahrzehnten braucht, der kommt an Günters Archiv nicht vorbei – und sollte sich einfach mal mit ihm in Verbindung setzen.

PS: Nein, er bezahlt mich NICHT für diesen Blogbeitrag.
Er wusste nicht mal was davon.


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25 Oktober 2009

Fundstücke (61): Über Gott und die Welt



1. Wie betrüblich es um die monotheistischen Religionen bestellt ist, dokumentiert u. a. die beschämende Followerzahl von Gott bei Twitter: lediglich 116 Schäfchen wollen Sein Wort hören. Doch auch Er leidet unter Weltekel und interessiert sich nur noch für 49 seiner Geschöpfe. Konsequenterweise hat Er seit einem Monat nichts mehr getwittert. Ja, es ist ein Elend.

2. Budnikowsky bietet eins der hartnäckigsten Nester von Deppenleerzeichen auf ganz St. Pauli. Da müsste mal der Deppenleerzeichenkammerjäger durchmarodieren; ein Job, für den ich keineswegs unterqualifiziert wäre. „Dieser Bereich ist Kamera“, heißt es etwa kryptisch auf einem Schild über der Kasse. In einer weiteren Zeile hält uns das Schild dann ein unmotiviertes „überwacht“ vor die Nase, und man ahnt, was die Budnikowskys semantisch im Sinn hatten, als sie dem Schildermacher diesen debilen Auftrag erteilten. Die Deppenleerzeichenmarotte erstreckt sich sogar bis aufs Sortiment. Im Alnatura-Regal zum Beispiel findet sich ein „Berg Linsen“. Immerhin lässt das den Kilopreis von 3,98 Euro nicht gerade überteuert wirken.



3. „Pizza, ital. Art“ klingt wie „Eulen nach Vogelart“, jedenfalls betäubend tautologisch. Dafür sind aber immerhin weder Gott noch Budnikowsky verantwortlich, sondern ganz allein Würzburg.


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28 Mai 2009

Wie ich mal nicht dabei war, als Thomas Wolf gefasst wurde (mit langer Off-Topic-Einleitung)

Jeder dahergelaufene Irre darf in Deutschland (steuerbegünstigt!) den öffentlichen Raum mit Wahnvorstellungen wie „Jesus lebt!“ plakatieren und so den Nichtglauben von Millionen von Agnostikern und Atheisten beleidigen.

Doch sobald die Schüchterstimme der Vernunft Busse mit einem Slogan à la „Höchstwahrscheinlich gibt es keinen Gott, also sorge dich nicht, sondern genieß dein Leben“ bemalen möchte, springt jeder, der was zu sagen hat, dem zuverlässig aufheulenden Irren bei und schützt das arme Seelchen, das er sich einbildet, vor dieser Zumutung.

Das ist jetzt nix Neues, gebe ich zu, das ist schon seit Wochen im Schwange, doch es nervt, nervt, nervt halt einfach, wie einem als Verstandeswesen jeder Spaß verdorben wird, nur weil sich ein paar Leute noch immer an Dinge klammern, die vor tausenden von Jahren schon zu blöd waren, um wahr zu sein – und dafür von Staats wegen sogar betuddelt und bepudert werden.

Überall stößt man auf diesen Irrsinn, sogar, wie ich heute erfuhr, auf dem staubtrockenen Gebiet der Eigentümerversammlungen. Die dürfen in Deutschland zwar durchaus an Sonntagen einberufen werden, aber nicht vormittags – Grund: Rücksichtnahme auf Kirchenbesucher.

Gäbe es einen Gott, er schlüge sich vor den Kopf (und griffe natürlich ins Leere).

Das alles steht hier natürlich nur, weil ich auf dem Kiez heute nichts erlebt habe – und das, obwohl ich um 18.30 Uhr ganz in der Nähe war, als Deutschlands meistgesuchter Verbrecher, Thomas Wolf, mitten auf der Reeperbahn verhaftet wurde. Allerdings mümmelte ich da gerade daheim dumpf am abendlichen Käsebrot.

Wie auch immer: Grund genug für ein weiteres hintersinniges Reeperbahnfoto ist die ganze Chose allemal.


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15 Mai 2009

Wunderliches Frankenland

Im brutalstkatholischen Würzburg, wo wir das Wochenende verbringen, liegt nicht etwa eine Gideonbibel im Nachtschränkchen des Hotels, sondern – „Die Lehre Buddhas“.

Herrschaftszeiten, die Welt ist auch nicht mehr das, was sie mal war! Selbst in Franken nicht.

Der Rest hingegen präsentiert sich hier bislang exakt so, wie wir ihn uns dank jahrelanger zoologischer Studien des Hamburger Exilfranken vorgestellt haben: bier-, wein- und wurstfixiert.

Den mutmaßlich merkwürdigen Zungenschlag der Eingeborenen werden wir aber erst morgen im Rahmen einer innerstädtischen Exkursion detaillierter studieren können, denn unser Hauptgesprächspartner heute Abend war Österreicher.

Globalisierung: Selbst im brutalstkatholischen Würzburg ist das also kein Fremdwort mehr.


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10 April 2009

Das Wort zu Ostern

Ein Ausflug führt uns nach Wandsbek, weil dort das einzige Kino Hamburgs steht, in dem Larry Charles’ agnostisches Dokupamphlet „Religulous“ läuft. Doch was tut man nicht alles, um dem Karfreitag die Würde zu nehmen.

Unterwegs stießen wir auf das abgebildete Grafitto, dessen Botschaft eine unbedingt unterstützenswerte ist. Gleichwohl bleiben Restzweifel, ob die empfohlene Methode zum natürlichen Aussterben der Nazis führen wird.

Doch wenn sich alle dran hielten, führte das zumindest zu einer ernsten Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität. Endlich mal ein Zölibat, das auch wir vorbehaltlos unterstützen können.

Nach „Religulous“ fiel mir ausgerechnet auf dem Kinoklo ein kleiner Aphorismus ein, der auch nicht paradoxer ist als das meiste, was Bibel und Koran so verzapfen. Er lautet:


Gäbe es Gott wirklich, hätte er uns nicht den Verstand gegeben, uns seiner Nichtexistenz bewusst zu werden.

Jetzt kann Ostern kommen.



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08 April 2009

Beschwörung

Die neue Praktikantin sitzt am ältesten iMac des Büros und starrt mit der gleichen Sehnsucht auf den Bildschirm wie einst die Menschen im blockierten Berlin gen Himmel, wo die Rosinenbomber im Anflug waren.

Auf ihrem prähistorischen iMac-Monitor ist allerdings kein Rosinenbomber zu sehen, sondern bloß das Bild eines MacBook Pro. Aber was heißt schon „bloß“.

„Meinst du“, fragt sie träumerisch und ohne den Blick abzuwenden, „es materialisiert sich, wenn ich es nur lange genug anstarre?“

Ich erzähle ihr vom Syrer, der unterm Einfluss fernöstlicher Irrlehren fest daran glaubt, irgendwann fliegen zu können, wenn er nur noch ein paar Dekaden meditiert, und als ich nach Hause komme, gerieren sich Himmel, Luft und Mond überm Kiez schon ausgesprochen frühlingshaft.

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05 Februar 2009

No go area



Gleich das erste Tragen meines „THERE'S PROBABLY NO GOD“
-Hemdchens ist ein großer Erfolg.

Nicht nur, dass man darin tadellos trainieren kann; später im Duschraum spricht mich auch noch ein Mann darauf an.

Er sagt mit dem offenen, herzlichen Lächeln des Co-Agnostikers: „Cooles T-Shirt“. Dabei bin ich splitternackt – tja, das Wunder des menschlichen Erinnerungsvermögens.

Die Schrift auf dem Hemd zieht sich übrigens derart breit über die Brust, dass man bei einer bestimmten ungünstigen Körper- und Armhaltung einen ganz anderen Slogan erzeugt, nämlich:

„HERE'S PROBABLY NO GO“.

Vielleicht hat Gott diese textile Blasphemie deshalb nicht verhindert: Weil er Humor hat.


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10 August 2008

Komische Vögel



Das westhessische Dorf, wo wir ein geruhsames Wochenende verbrachten, wird geprägt von verschiedenen unversöhnlichen evangelischen Religionsgruppen. Darunter auch die sogenannte Alte Versammlung.

Diese Splittergruppe ist nicht sonderlich vielköpfig, was gewiss an den wenig attraktiven Features liegt, mit denen sie in den Kampf der Konfessionen zieht. Zum Beispiel platziert sie Gottesdienstbesucher nach Geschlechtern getrennt, was gerade dem pubertierenden Nachwuchs das eh begrenzte Vergnügen einer Predigt gänzlich vergällen kann.

Zudem verpflichtet sie Frauen zu grenzenlosem Haarwuchs und ewigem Röcketragen, und das Fernsehen findet die Alte Versammlung mit sich selber inkompatibel, weil davon ja nichts in der Bibel steht.

„Wenn Gott die Bibel wirklich selbst geschrieben hätte“, sage ich angesichts dieser Umstände zu Ms. Columbo, als wir frohgemut agnostisch am Gemeindehaus der Alten Versammlung vorbeiflanieren, „müsste er aber langsam mal ein Update liefern.“
„Ja, Bibel 3.0 – jetzt mit Waschmaschine!“, ergänzt sie meine Forderung gleich um einen praktischen Vorschlag.

Übrigens erlaubt die Alte Versammlung interessanterweise das Fahren von Autos, obwohl die ebenfalls in der Bibel nicht vorkommen. Allerdings missbilligt sie es wiederum, das Gefährt volltrunken in eine Mauer zu rammen, was einem Altversammlungspatriarchen dennoch schon mal unterlaufen ist.

Statt sich aber nun hochnäsiger Häme hinzugeben, wie es naheliegt und auch wohlfeil wäre, sollte man an dieser Stelle ein Loblied singen auf die unverwüstliche menschliche Schwäche, die auch noch das bescheuertste religiöse Korsett mühelos zu sprengen in er Lage ist.

Im Wald fanden wir übrigens einen toten kopflosen Vogel, an dessen zoologischer Bestimmung wir scheiterten. Vielleicht gelingt ja jemand anhand der prägnanten Kralle eine Artbestimmung. Wenn nicht: auch nicht schlimm.



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30 Mai 2008

Die falsch investierten 2 Euro

Am hie und da von Vandalen heimgesuchten Gleis 13 ist heute ein friedlicher Bettler unterwegs. Zwei südländisch aussehende Nonnen – vielleicht aus Griechenland oder Portugal – stehen am Bahnsteig; die visiert der Bettler jetzt an.

Nonnen sind eine todsichere Sache, wegen Franz von Assisi, Nächstenliebe, linker Wange, rechter Wange und all dem Kram. Er schlurft also hin und bettelt um ein paar Cent.

Doch zu unser aller Überraschung wenden die Nonnen sich ab, täuschen ein inniges Gespräch vor – sind somit auch nicht besser als ich. Ein befriedigendes Gefühl, das mich beinah zu einer nachträglichen Spende an den Bettler animiert hätte, und zwar aus einem Gefühl heraus, das entfernt mit Boshaftigkeit verwandt ist.

Doch am Hauptbahnhof Bettlern etwas zuzustecken ist risikobehaftet. Ich gab mal einem mutmaßlichen Junkie, der mir zunächst auf ein-, dann zudringliche Weise die alte Geschichte von 2 fehlenden Euro für Heimfahrt/Mittagessen/Übernachtung erzählte, 2 Euro, und zwar vor allem, um ihn loszuwerden.

Allerdings war genau das der Fehler. Meine Spende nämlich weckte in ihm eine ungeheure Gier nach Aufstockung derselben. Hier glaubte er seine Melkkuh schlechthin gefunden zu haben, und das konnte ich ihm nicht mal verdenken – wer gibt schon 2 Euro?!

Der mutmaßliche Junkie erwies sich in der Folge jedenfalls als unablässig plappernder Klammeraffe, der mir hunderte Meter weit nicht von der Seite wich und mich mit Wortkaskaden überschüttete, die alle darauf hinausliefen, dass gleichsam sein Leben von weiteren 2/5/10 Euro abhinge.

Es war nicht leicht, dem Mann verständlich zu erläutern, wie generös ich mich bereits jetzt fühlte und wie wenig eine weitere Steigerung dieses Gefühls meiner mentalen Verfassung zuträglich sei. Im Grunde waren nur mein guter Trainingszustand und der pure Stoizismus des Weitergehens für mein erfolgreiches Entkommen verantwortlich.

Ein lehrreicher Tag. Selbst Bettler, die vorher bei griechischen oder portugiesischen Nonnen abgeblitzt sind, haben es seither höllenschwer bei mir.


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07 Januar 2008

Neulich in der Buchhandlung

„Ich weiß nicht genau, wie der Autor heißt“, sagt die Kundin zur Verkäuferin, „aber ich hätte gern das Buch über Gott.“

„Über Gott?“, staunt die Verkäuferin Buchstützen, ohne naheliegenderweise an Manfred Lütz’ „Gott – Eine kleine Geschichte des Größten“ zu denken, das gefühlt seit dem Auszug der Israeliten aus Ägypten die Büchercharts verstopft wie ein Haarbüschel den Abfluss.

Aber das fällt der Fachverkäuferin gerade nicht ein.

„Wenn ich Gott in den Computer eingebe“, sagt sie stattdessen, „dann hängt der sich auf!“

PS: Sie meinte den Computer.

Das Foto zeigt (mal wieder) das Gebäude der Heilsarmee in der Talstraße.

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25 Dezember 2007

Undank ist der Welt Lohn

Es kommt kein Auto, also will ich schnell über die Simon-von-Utrecht-Straße huschen, trotz der roten Fußgängerampel.

Doch in diesem Moment fährt gegenüber eine junge Mutter vor; ihr etwa dreijähriges Kind sitzt vorn im Fahrradkorb und schaut interessiert hinein in die Welt. Mama flüstert ihm etwas zu, wahrscheinlich vom Unterschied zwischen Rot und grün und Leben und Tod.

Jedenfalls fühle ich mich ausgebremst und bleibe ungeduldig stehen. Wer weiß, ob nicht das künftige Seelen- und Knochenheil dieses hoffnungsfrohen Menschleins von meiner Mitgestaltung dieser einen Minute abhängt; von mir und meinem guten Beispiel.

Jetzt wird die Ampel grün. Stolz schreite ich aus, bereit, die wärmende Dankbarkeit und Verehrung wenn auch nicht des Kindes, so doch seiner Mutter huldvoll entgegenzunehmen, und zwar mitten auf der Simon-von-Utrecht-Straße, genau dort, wo wir uns in diesem Augenblick begegnen.

Und genau das geschieht … nicht. Die stoffelige Tante schiebt ihr Rad samt Blag an mir vorbei, ohne mich auch nur anzusehen. Dabei habe ich ihrem Kind das Leben gerettet.

Gute Taten zählen halt nicht mehr im 21. Jahrhundert, nicht mal an Weihnachten. Na, dann ist ja eh alles egal.

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14 Oktober 2007

Die Muslimin und die Stripteasescheibe

Gemeinhin respektiere ich die meisten hierzulande gültigen Gesetze, sofern sie mir nicht völlig sinnlos erscheinen.

Neulich, als ein rund 12-jähriger Steppke mit Migrationshintergrund an meinem Flohmarktstand diese nicht jugendfreie und auf dunklen Wegen in meinen Besitz gelangte Striptease-UMD kaufen wollte, fiel mir dieses staatsbürgerliche Prinzip wieder ein.


Ich beschloss also, das Jugendschutzgesetz zu respektieren.

„Nein, die verkaufe ich dir nicht“, beschied ich ihm, „die ist erst ab 18.“ Er schaute verdutzt. „Bitte“, sagte er. „Nein“, sagte ich. „Dann hole ich Oma!“, drohte er und dampfte ab.

Ich hatte den Jungen schon fast vergessen, da kam er wieder an. Mit Oma. „Wieviel kosten?“, verkürzte die als Muslimin erkennbare barocke Frau ihr Anliegen aufs Allerknappste. „Die Scheibe ist erst ab 18“, informierte ich sie und schaute vielsagend ihren Enkel an. „Egal“, antwortete sie, „wieviel kosten?“

Sie trug Kopftuch, ein zeltartiges Kleid und deutlich weniger als 32 Zähne im Mund. „Ich wollte fünf Euro, aber für Jugendliche ist die Scheibe nicht geeignet“, startete ich einen weiteren Versuch, auch sie zur Respektierung der hierzulande gültigen Gesetze zu animieren. Der Junge stand da, gespannt und regungslos. Er lächelte nicht, er beobachtete nur die Szenerie, vor allem Oma.

„Drei“, sagte sie. „Hören Sie“, erwiderte ich, „Ihnen verkaufe ich diese Scheibe natürlich, aber Sie sollten sie nicht ihrem Enkel geben.“ Sie kramte wortlos in ihrer Börse, die sie aus dem Innern ihres Zeltes gekramt hatte, und hielt mir einige Münzen hin. Sie summierten sich auf drei Euro.

„Vier“, sagte ich schwach. Sie schaute mich freudlos grinsend an und nickte auffordernd, während ihre Hand vor meinem Brustkorb auf und ab schwebte wie der Futterbeutel vor einem Packesel. „Na gut“, brummte ich und nahm die drei Euro.

„Aber geben Sie sie nicht ihrem Enkel …“, versuchte ich zu sagen, während Oma ihm die UMD überreichte und mit ihm davonwalkte, eine altgediente Muslimin mit zu wenig Zähnen.

Irgendwie war sie mir plötzlich sympathisch.

PS: Das Foto habe ich auf einem anderen Flohmarkt geschossen, doch es gibt Motive, die noch weniger zu diesem Beitrag passten.

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09 Oktober 2007

Diskutable Sünden

Unlängst stolperte ich im Internet über die Definition von neun interessanten Sünden, deren Herkunft mich erstaunte.

Ich beschloss, Ms. Columbo rätseln zu lassen, zu welcher Religion sie wohl gehören könnten. Hier sind sie:

1. Dummheit
2. Anmaßung
3. Solipsismus
4. Selbsttäuschung
5. Zugehörigkeit zur Herde
6. Mangel an Perspektiven
7. Vergesslichkeit gegenüber früheren Grundsätzen
8. Kontraproduktiver Stolz
9. Mangel an Ästhetik

Darunter sind doch durchaus unterschreibungswürdige Sündendefinitionen. Ms. Columbo sinnierte. „Buddhismus?“


Nope. Doch wie hätte man auch darauf kommen können – auf die Church of Satan?

Vielleicht sollten wir uns mal eine Werbebroschüre schicken lassen.

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12 August 2007

Auf der Dorfdisco

Nach fünfstündiger Bahnfahrt, während der mir nahe Northeim das Himmelsbild gelang, verbringen wir ein Wochenende in meinem hessischen Heimatdorf am Fuße des Westerwaldes. So vertraut, so fremd.

Die Verwandtschaft zum Beispiel hat die Angewohnheit, so fröhlich wie lautstark durcheinanderzuplappern. Eine von A angefangene Geschichte wird von B begeistert zu Ende erzählt, was A aber nicht dazu bewegt, den Staffelstab einfach loszulassen.

Nein, munter spinnt er die Geschichte ebenfalls fort, und die so entstehende kommunikative Kakophonie ergibt erstaunlicherweise am Ende doch eine recht runde Story.

Abends Oldiedisco in der einzigen Kneipe des Dorfes. Man erkennt mich, nötigt mir Bier auf, tätschelt mir die Glatze, lobt lallend Hamburg, artikuliert gesteigerten Besuchswillen.

Oft nicke und lächle ich einfach freundlich, weil ich im brachialen Lärm der Oldiedisco eh nichts verstehe und klar ist, dass eine Nachfrage kaum mehr Klarheit ins semantische Dunkel brächte.

Heute, am Tag danach, habe ich allerdings den Verdacht, durch unbewusstes Abnicken mehreren reisefreudigen Dorfdiscobesuchern persönliche Kieztouren und weitere Betreuungsangebote in Aussicht gestellt zu haben.

Übrigens ist nicht nur eine generelle Kakophonie typisch für meine Familie, sondern auch eine beeindruckende Gestaltungshöhe im Ethisch-Moralischen. „De Marga erzeehld Geschichde“, informiert man mich mit latenter Empörung über den geistigen Dämmerzustand einer Heiminsassin, „dej sei gor ned wuhr!“

Selbst eigentlich entlastende Demenz vermag also einen gottesfürchtigen Protestanten nicht davon abzuhalten, auf die generelle Sündhaftigkeit des Lügens hinzuweisen.

Zum Ausgleich sehe ich auf der Rückfahrt am Marburger Bahnhof eine junge Frau, die ein T-Shirt mit der Aufschrift „Back from Hell“ trägt. Und direkt hinter ihr gehen zwei Nonnen.

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08 Juli 2007

Mein Schutzengel darf flügellahm sein

Dieses Kiezwochenende hat es in sich. Nach der gestrigen Konfrontation mit dem Schlagermove radle ich mich heute mittag in etwas fest, das verkehrstechnisch genauso fatale Folgen hat: einem Motorradgottesdienst.

Für diese merkwürdige Veranstaltung (warum gibt es so etwas nicht für Dreiräder, Herpeskranke, Goldplombenverweiger oder Leute mit Verwandten im Saarland?) hat man die komplette Willy-Brandt-Straße dichtgemacht.

Dort stehen nun auf einem Kilometer Länge 35.000 Motorräder im Weg herum. Geh- und Radwege hingegen sind voll mit Motorradbesitzern wie Mekka mit Moslems. Ich stecke mit meinem Fahrrad mittendrin und ziemlich fest.

Fürs Umkehren ist es zu spät, vorwärts geht’s auch nur zentimeterweise. Unfreiwillig muss ich daher der Predigt lauschen, die live aus dem Michel übertragen wird.

Taktisch klug haben die Eventmanager des Motorradgottesdienstes alle paar Meter eine Lautsprecherbox montiert, so dass mir kein Wort entgeht, während ich mich und mein Fahrrad irgendwie durch das Gewusel der Ledergestalten zu wühlen versuche.

Dass die meisten dieser sog. Biker ihre Helme lässig am Arm baumeln lassen, erhöht ihren Platzbedarf enorm, zu meinen Ungunsten. (Ich schaffe es kaum, meine Kamera kontrolliert zu zücken und diese massengestützte Manifestation der Irrationalität zu dokumentieren; deshalb gibt es heute auch nur ein Foto aus Wedel, wo wir abends das Hafenfest besuchten.)

Jedenfalls geht die Predigt im Gegensatz zu mir ihren Gang, und irgendwann sagt der Zeremonienmeister eine Gastsängerin an. Siehe da, es ist die unvergleichliche Rocklegende Inga Rumpf, die ihre Kunst inzwischen allerdings in den Dienst höherer Mächte und Motorradgottesdienste gestellt hat.

„Fahr nicht schneller, als dein Schutzengel fliegen kann“, singt sie und ahnt nicht, wie das in meinen Ohren klingen muss, nämlich wie Hohn.

Weil ich eh nichts Besseres zu tun habe, übertrage ich Rumpfs Rat auf meine aktuelle Situation. Ergebnis: Wer auch immer dafür zuständig ist, er kann zu meinem Schutz einen senilen, von Fersenabszessen geplagten und praktisch komplett flügellahmen Engel abordnen; denn selbst eine Engelshöchstgeschwindigkeit von lachhaften 2 km/h kann ich zurzeit nicht toppen.

Manchmal wünschte ich, ich lebte in Kempten. Aber nur ganz kurz.

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21 Juni 2007

Polnische Prioritäten


Link: sevenload.com


Dem Bier bringen die Polen viel Verehrung entgegen. Höchstens der Papst steht noch höher im Rang.

Trotzdem habe ich noch in keiner Danziger Kneipe eine derart altarähnliche Inszenierung Benedikts gesehen wie für dieses Fläschchen Heineken – siehe Clip.

Ich indes halte mich gerstensafttechnisch ans einheimische Ziwiec (sprich „Tschiwi-etsch“), nicht nur wegen der besseren Klimabilanz, sondern auch aufgrund eines ganz generellen Interesses an jeweils lokaler Kulinarik.

Zur Kuttelsuppe konnte ich mich trotzdem noch nicht durchringen.


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10 Juni 2007

Die Puppenfrage

Heute stand mir schier aus dem Nichts eine Frage klar vor Augen, nämlich die, ob das Heer der Kölner Prostituierten während des Evangelischen Kirchentages womöglich Extraschichten schieben muss. Oder ob vielleicht gar hiesige Kiezhuren an den Rhein gereist sind, um Bedarfslücken zu schließen, ähnlich wie sie es alljährlich beim Oktoberfest in München tun.

Solch häretischen Gedanken hing ich nach während einer ausgiebigen Radtour über drei Flohmärkte; wahrscheinlich kamen sie auf dank der immensen Hitze und einer Begegnung auf dem Promenadenweg hinterm Tropeninstitut, wo mir fünf starke Jungs in Shorts und Bierlaune entgegenkamen.

Einer von ihnen trug eine prall aufgeblasene Gummipuppe mit willig geöffnetem Mund unterm Arm. Sie sah aus wie die abgebildete Munch-Variante, und auf ihrer Brust stand „Dolly“.

„Du und Dolly, ihr seid ein gutes Team!“, lobte ihn einer seiner Kumpels, und ich will gar nicht wissen, was genau er damit meinte. Doch ehe ich es trotzdem erfahren hätte, war ich auch schon vorübergerollt.

Gleichwohl fragte ich mich auf dem Weg zum Flohmarkt am Hein-Köllisch-Platz, wer solche Puppen wohl in der Entwicklungsphase auf naturgetreue Funktionalität testet – ist es der Chemiker, der ihre Kunststoffhaut entwickelt hat? Der Designer, der die äußere Form entwarf? Oder besteht der Vertriebschef auf dem Jus primae noctis?

Denn obwohl es kongenial erscheint: Man kann eine solche Puppe kaum mit einem Dildo zur Marktreife bringen.

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25 Mai 2007

Dylan und die toten Präsidenten

Ups, ich habe gestern glatt vergessen, meinem Lieblingskünstler Bob Dylan öffentlich zum 66. Geburtstag zu gratulieren … Deshalb jetzt ein Beitrag zur Wiedergutmachung.

Das Jubiläum von Dylans Wiegenfest fiel zusammen mit der erneuten barbarischen Tötung eines Gefangenen durch US-Behörden in Ohio – und in dieser Parallelität steckt eine niederschmetternde Widersprüchlichkeit: Dieses Land, die USA, brachte die Menschenrechtserklärung und Künstler wie Dylan hervor, und zugleich tritt es bis heute die Menschenrechte reinen christlichen Gewissens mit Füßen.

Dazu passt Dylans Song über ein Justizopfer in der Todeszelle. Er heißt „Hurricane“, und darin weint Scarlet Riveras tragische Geige voller Wehmut um die verlorenen Ideale George Washingtons.

Dylan selbst reagiert heute – wenn überhaupt – mit lakonischem Sarkasmus auf die unheilbaren Wunden seiner Nation. Zumindest meine ich das aus einer launigen Bemerkung rückschließen zu können, mit der er unlängst in seiner Radioshow die Stadt Dallas charakterisierte.

„Dallas, Texas“, witzelte er, „where they shoot presidents and shoot people who shot presidents …"

Okay, here comes the story of the Hurricane:

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19 Mai 2007

Kubus, nicht Kaaba


Wer zu spät (nach Hause) kommt, den bestraft die Trägheit.

Wie gut, dass ich noch ein Foto von gestern in petto habe: wie die Sonne hinterm schwarzen Kubus an der Kunsthalle hervorlugt.

Hoffentlich stecken die Islamisten diese Provokation wortlos weg.

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05 Mai 2007

Poppmusik von der Heilsarmee

Bei der Heilsarmee in der Talstraße soll heute Flohmarkt sein. So steht es auf dem quietschgelben Aushang, der heute überall in St. Pauli an Bäumen und Laternenpfählen hängt. Teils flattert er schon etwas lose im Frühlingswind.

Der Erlös, heißt es, sei bestimmt für Mütter und Kinder auf Haiti, und noch ehe ich mich intensiver gefragt habe, warum ausgerechnet die auf Haiti und nicht vielleicht besser jene auf Ost- oder Westsamoa, stehe ich auch schon vorm ersten Heilsarmeetisch und erblicke CD-Hüllen.

Generell üben diese Plastikquadrate enormen Reiz auf mich aus, unabhängig vom Anbieter. Beim Durchwühlen stoße ich überraschend auf – Barry White. Die Lieder des stets etwas bräsig wirkenden Grummelbären galten (und gelten!) als wirkungsvollste Beischlafverursacher und -begleiter der gesamten Popp- (sic!) und Schlafzimmersoulgeschichte, und sein 1979er Album „The message is love“ hier und heute auf die unschuldigste Weise von der Heilsarmee dargeboten zu bekommen: Das hat ein Geschmäckle, und zwar ein süßes.

Einen Euro will der Soldat des Herrn für Songs wie „Any fool could see (you were meant for me“ und „Love ain’t easy“ von mir; die kapitalen Kratzer auf der CD-Rückseite sprechen gleichwohl gegen einen Kauf. „Die CD und überhaupt alles wurde gespendet“, umgarnt mich der Gotteskrieger, „der Erlös geht an Mütter und Kinder auf Haiti.“

Verdammt, denke ich, sage aber: „Ach ja, stimmt, na gut“, und gebe ihm den Euro, vergesse aber zu fragen, was eigentlich mit den Müttern und Kindern auf Ost- oder Westsamoa sei – zumal ich auf dem Tisch gegenüber zwei entzückende handgefertigte griechische Mokkatassen mit Untersetzern entdecke.

Noch mal drei Euro für Haiti. Zu Hause stelle ich fest: Die Barry-White-CD läuft trotz der kapitalen Kratzer durch wie eine Eins. Selbst Song 6, „I’m on fire“, ein Manifest unverblümter Geilheit auf eine Frau, die unser Grummelbär zum damaligen Zeitpunkt mit tausendprozentiger Sicherheit noch nicht geehelicht hatte (wenn überhaupt jemals!), zieht beim Abspielen verblüffenderweise keinen Blitzschlag auf sich.

Na ja, vielleicht hat die Heilsarmee generell an Einfluss verloren.

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29 April 2007

Dresden (2. Tag)

In Dresden wurden drei weltbewegende Dinge erfunden: die Kondensmilch, der Büstenhalter und der Kaffeefilter. Zwei davon sind meiner Meinung nach völlig unnötig. Aber meine Meinung zählt ja nicht, auch nicht die zur Frauenkirche, wo wir heute einmal hineinlinsten.

Nichts gegen geniale Architektur, doch die penible Rekonstruktion eines komplett zerstörten Bauwerks scheint mir doch widersinnig. Diese Frauenkirche hier wirkt wie das Ikea-Modell der Frauenkirche: alles zu hell, zu pastellfarben, zu perfekt, zu 1:1. Klar kann man alles nachbauen, aber muss man das auch?

Ein Barockbauwerk wirkt nur durch seine Patina, also genau das, was dem Nachbau eines Barockbauwerks notwendigerweise fehlt. Ein Riesenposter des Originals hätte es deswegen auch getan.

Egal, interessanter ist eh, was ich abends zufällig auf zwei Fotos entdeckte, die ich vom Ausflugslokal Luisenhof aus geschossen hatte: ein rundes Objekt mit Kometenschweif (oben rechts undeutlich zu erkennen). Eigentlich hatte ich Kondensstreifen im Visier (mich faszinieren Linien und ihre Relationen zueinander), doch dieses Etwas hatte sich mit auf die Bilder geschmuggelt.

Weiß irgendjemand etwas von einem brachialen Einschlag in Sachsen? Bei Spiegel online stand jedenfalls nichts.

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18 April 2007

Der Himmel über St. Pauli

Manchmal laufe ich durch die Stadt wie ein Aborigine, dann ist alles voller kartierter Erinnerungen.

Das Bankhochhaus am Bahnhof Altona mit dem einst zerbrochenen Fenster unterm Dach, durch das der Einbrecher in den Tod sprang. Das Zeisekino, auf ewig verbunden mit dem ersten Sehen von „Fargo" (mit Frances McDormand, die den North-Dakota-Ausruf „Jesus!“ immer verkürzt herauszischt, als spräche sie von Käse: „Cheese!“).

Die Sonne, die sich im Winter durch die schwarzen Wolken wühlt, um einen Blick auf die Hafenkräne zu werfen. Oder jener nicht fixierbare, doch ideale Ort mitten auf der Elbe, wo unser Ausflugsschiff lag, als das Feuerwerk überm Hafen losging.

Ja, wie ein Aborigine, der uralten Songlines folgt, laufe ich manchmal durch die Stadt, und sie erzählt mir hundert Geschichten im konspirativen Timbre persönlicher Erinnerungen. Und wenn ich Glück habe, kommt jede Woche eine neue Geschichte, ein neues Bild hinzu.

Eins davon sehen wir fast jeden Abend: wie die Illumination St. Paulis die über uns hinwegziehenden Abendwolken einfärbt. Das Rotlichtviertel, das sich im Himmel spiegelt: ein schönes, melancholisches Bild für den Trost, den auch eine entmystifizierte Welt zu spenden vermag.

Islamisten werden das nie verstehen.

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06 April 2007

Definiere dialektisch

Jener abgebildete Philippino, der sich heute aus Karfreitagsgründen geißeln zu müssen glaubte, hat während seines blutigen Tuns offenbar sorgfältig darauf geachtet, das oben auf seinem Rücken eintätowierte affengeile Busenwunder unbeeinträchtigt zu lassen.

Hätte ich mich nicht einst mit Hegel und Marx beschäftigt, stünde ich ratlos und frappiert vor diesem Bild; so aber kann ich es einfach dialektisch nennen und zur Tagesordnung übergehen.

Frohe Ostern.

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13 Dezember 2006

1000 Federn weich

Meine Lieblingswörter zurzeit sind „Zuglufttiere“ (Foto) und „Tonnentaschenfederkernmatratze“. So eine haben wir gerade bestellt.

Dank eines Crashkurses bei Wikipedia direkt vorm Beratungsgespräch konnte ich den Verkäufer mit scheinkompetenten Fachfragen triezen – zu Punktelastizität, Schimmelanfälligkeit von Latex, der problematischen Wärmeentwicklung viskoelastischer Modelle und Aspekten der Vertikalbelüftung durch Noppenstrukturen.

Am Ende lief dann alles auf eine Tonnentaschenfederkernmatratze hinaus. Ich empfehle übrigens nach mehrfachem Testliegen nicht die mit 2000 Federn, obgleich es sich dabei um eine deutlich höherpreisige, aber eben auch zu weiche Ausführung handelt, was vor allem Ms. Columbo monierte.


Nein, 1000 Federn sind genug. Denn entscheidend ist das Ziel: erquickender, lebensdauerfördernder Schlaf. Auch wer regelmäßig in die Kirche geht, lebt übrigens laut Spon im Schnitt länger, und zwar zwei bis drei Jahre. Körperliche Betätigung bringt sogar drei bis fünf.

Am besten ist es also, statt zum Gottesdienst Joggen zu gehen – und sich danach den punktelastischen, von Noppen vertikalbelüfteten 1000 Federn einer Tonnentaschenfederkernmatratze anzuvertrauen.

Ich glaube, wir machen so ziemlich alles richtig.


PS: Anhand meines Lieblingswortes
„Tonnentaschenfederkernmatratze“ werden mir mal wieder die reizenden Vorzüge der Copy&Paste-Funktion vor Augen geführt.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs übers Schlafen
1. „Big sleeper" von Eskobar
2. „Sleepless" von Marconi Union
3. alles von Sleepy Jackson

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05 August 2006

Alles wird gut

Die Five-Bar an der Reeperbahn. Von draußen sieht man, wie erschreckend leer der Laden ist. Nur am Tresen sitzt eine junge Frau.

Doch etwas stimmt nicht am Gesamtbild.

Die Frau nämlich trägt ein Kopftuch, welches ihr Haar komplett verdeckt. Ihre Kleidung lässt bis auf Gesicht und Hände keine Haut sehen.

Eine Muslimin. Und sie sitzt in der Five-Bar am Tresen und unterhält sich giggelnd mit der Barkeeperin. Ein surrealistisches Bild.

Vielleicht wird doch noch alles gut.

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17 Juli 2006

Nur ich und der Teufel

Nach der Taufe, an der ich Berliner Freunden zuliebe teilgenommen habe, staut es sich vor der linken Kirchentür. Ich beschließe, durch die mittlere Tür hinauszutreten. Warum auch nicht? Schließlich bin ich so auch hereingekommen.

Ich bin schon halb hindurch, als ein panisch herbeistürzender Pfarrer die Flügeltür von außen gegen meinen Widerstand zu- und mich damit ins Kircheninnere zurückdrückt.

„Nein, nein!“, ruft er dabei mit flackerndem Blick, „hier dürfen Sie nicht hinaus!“ Aber die Tür sei doch offen, warum man denn nicht …

„Durch die mittlere Tür“, ruft er, „gehe nur ich – und der Teufel!“

Ehrlich gesagt entwaffnet mich dieses so inbrünstig hervorgestoßene Dogma augenblicklich. Auch mein Esprit erstirbt schlagartig. So verpasse ich die tolle Chance, in einer kleinen Rollenanmaßung sardonisch grinsend zu erwidern: „Nur Sie und der Teufel? Na, dann können Sie mich ja durchlassen! …“

Wir stehen uns also gegenüber, er draußen, ich drinnen, getrennt durch diese plötzlich mit immenser Bedeutung aufgeladene Tür, und er beginnt, die merkwürdige Sitte, mittlere Kirchentüren für den erwähnten Personenkreis zu reservieren, historisch herzuleiten. Bis zum Jahr siebenhundertnochwas reiche das alles zurück, erklärt er, und seine kräftigen Hände umfassen noch immer unnachgiebig beide Flügeltürgriffe.

Wer wäre ich, mit diesem offenbar erprobten Brauch zu brechen, jetzt, nach fast 1300 Jahren? Nein, ich gebe mich geschlagen und nehme die linke Tür.

Aberglauben halten die Evangelen übrigens für etwas sehr, sehr Böses.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Türen
1. „Mary shut the garden door" von Donald Fagen
2. „Open the door" von Betty Carter
3. alles von den Doors

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28 Mai 2006

Die Fundstücke des Tages (18)

1. Im Web stößt man immer wieder auf Menschen, die zu viel Zeit haben und somit gegen das erste der Neuen Zehn Gebote verstoßen. Zum Beispiel dieser Geselle hier, der unter dem Eintrag „100 Wege, eine Pizza zu bestellen“ genau das Gegenteil im Schilde führt, nämlich den Pizzaservice in den Wahnsinn zu treiben. Zum Beispiel mit Punkt 31: „Überrasche den Telefonisten mit wenig bekannten Fakten über Volksmusik.“ Aufgelistet werden wirklich 100 solcher Scherzchen.

2. In Polen haben sie zum Papstbesuch neben allerlei erotischer Spots auch Tamponwerbung aus dem Fernsehen verbannt. Konsequenterweise dürften menstruierende Polinnen dann auch bis zu Benedikts Rückflug keine Tampons mehr benutzen. Keine Ahnung, ob er das wirklich möchte - vor allem bei Groupies in der ersten Reihe.


3. Ok, Dylan-Hasser dürfen diesen Punkt überspringen, denn hier gibt es den Link zum vierten Teil seiner Radioshow; diesmal geht es um Baseball. Dylan redet übrigens noch öfter als sonst in Versen. Und hier geht es zu Teil 1, Teil 2 und Teil 3.


4. Neue Suchabfragen, die zu meinem Blog führten:

„arbeitsmäßig bin ich callboy und in der wehrbebrange tätig“ (El Paso, Texas). Gut, den hier habe ich mir selbst zuzuschreiben. Dass Callboy Torsten aber jetzt auch die Menschen in Texas bewegt, ist schon erstaunlich. Sind das seine fünfzehn Minuten Ruhm? Genieß ihn, Torsten! Du hast schließlich hart dafür gearbeitet ...

„wie trennt man sich am besten von seiner freundin“ (Bittermark, Nordrhein-Westfalen). Wo das hinführt, ist klar - nämlich alsbald zu dieser Suchabfrage:

„meine dumme ex“ (Mainz, Rheinland-Pfalz). Weiter geht es mit ...

„rache aktion an meiner ex“ (Dreieich, Hessen). Ehe es möglicherweise auf das hier hinausläuft:

„bluterguss tränensack“ (via AOL).

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16 April 2006

Der Kirchenbesuch

Ein Ausflug zu einer Taufe nach Wolfsburg (Foto: der Schillerteich) erinnerte mich mal wieder daran, wie mich einst die evangelische Kirche irreparabel aus ihrer Mitte vertrieben hatte: mit sämtlichen Spielarten zermürbender Langeweile.

Die Pastoren, scheint mir, haben über die Jahrzehnte immer das gleiche Alter, wenngleich wechselnde Gesichter. Die Gemeindemitglieder hingegen welkten unterm wattigen Nieselschnee der Sprüche und Storys dahin, zerrieben von der Tristesse der Liedertafeln (118, 1+4-5), dem Leiern der Predigt (ich musste an einen Mr.-Bean-Sketch in der Kirche denken, in dem das sedierende Kanzelgemurmel buchstäblich bewusstlos macht) und einer vollkommen abwesenden Dramaturgie und Dynamik. Auf ein Lied folgt ein Gebet, aufs Gebet das nächste Lied, und immer ist es von Paul Gerhardt.

Offenbar liegt dem Ganzen das Motto zugrunde: Eines geht noch, eines geht noch rein.

Unter dem stillen, ewigen Terror dieses Ablaufs, der höchstens mal – wie heute – durch die Attraktion einer Taufe, Hochzeit oder Beerdigung aufgebrochen wird, wurden die Gemüter der dahinwelkenden Gläubigen duldsam, taub und stumpf; entweder durch Verhärtung oder Aufweichung, wer kann das sagen. Über allem schwebt derweil die Atmosphäre des Morbiden, Hoffnungslosen. Diese Kirche weiß, dass ihre Zeit vorbei ist; ihre Mutlosigkeit ist greifbar. Sie hat es selbst versaut: mit sämtlichen Spielarten zermürbender Langeweile.

Die Katholiken sind mir inhaltlich genauso fremd. Doch wenn man sieht, wie sie ihr in 2000 Jahren verfeinertes Marketingknowhow auch in der Webära immer noch in Massenentertainment umsetzen, mit Glitzer und Glamour, Schurken und Helden, mit komischen Klamotten, klasse Kulissen und völlig bescheuerten Thesen, die genau deshalb global diskutiert werden, weil sie so bescheuert sind, dann muss ich sagen: Respekt.

Kein Wunder, dass der aktuelle Papst an Ökumene wenig Interesse zeigt. Bayern München erwägt ja auch keine Spielgemeinschaft mit Kickers Emden.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs mit Bibelbezug
1. „The story of Isaac“ von Leonard Cohen
2. „Highway 61 revisited“ von Bob Dylan
3. „Samson and Delilah“ von Middle Of The Road

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08 März 2006

Der iPope

Mitarbeiter von Radio Vatikan haben Papst Benedikt XVI einen iPod geschenkt. Allerdings knauserten sie und beließen es bei einem Nano mit nur zwei Gigabyte Speicher. Womit ich de facto 20-mal so viele Songs auf mein iPod-Modell packen kann wie der Papst. Das macht mich schon ein wenig stolz.

Wie der oben zitierten Meldung zu entnehmen war, bestückten die Papstbeschenker das Gerät mit recht frugalem Inhalt, nämlich (sicherlich öden) Sendungen besagter Radiostation sowie klassischer Musik; immerhin sollen sich darunter auch Werke des recht sinnenfrohen Wolfgang Amadeus Mozart befunden haben.

Ließe man mich hingegen ran an den päpstlichen Nano, würde ich eine Playlist erwägen, die nicht schlicht affirmativ bestätigte, was Benedikt eh schon denkt, fühlt und glaubt. Nein, die Auswahl müsste einer Maßgabe folgen, die auf An- und Aufregung setzt, die verkrustete Denkmuster hinterfragt und -treibt, die verblüffende Neudeutungen des Immerschongeglaubten ermöglicht.


Kurz: eine Playlist, die letztlich dazu geeignet wäre, aus Papst Benedikt XVI einen Menschen zu formen, der anders in die Welt hineinblickte als bisher – am besten sardonischen Blicks und wild entschlossen, in der Sahelzone eine Kondomfabrik zu gründen, mit sich selbst als Produkttester. Eine Playlist also, die ihm den Muff von 2000 Jahren aus dem Talar bliese.

Folgende Topten, sehr lose orientiert an den Zehn Geboten, würde ich anregen. Und ich wäre bereit, sie ihm jederzeit aufzuspielen, vielleicht mit Hilfe der technisch offenbar versierten Leute vom Vatikanradio. Es fängt soft an und wird immer heißer:


10. Imagine von John Lennon

9. Losing my religion von R.E.M.

8. Lie to me von Chris Isaak

7. Don't go home with your hard-on von Leonard Cohen

6. Fuck forever von Babyshambles

5. Das Kondom des Grauens von LuciLectric

4. Hells bells von AC/DC

3. Sympathy for the devil von The Rolling Stones

2. Steh doch auf, du armer Hund von Hannes Wader

1. God von John Lennon


Ach ja: Die dritte Mail, die den St.-Pauli-Bezug des heutigen Beitrags richtig benennt, gewinnt einen Matt’schen CD-Sampler. Aber keinen mit den obengenannten Stücken. Das wäre zu einfach.


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12 Februar 2006

Die Fundstücke des Tages (6)

1. Neue Google-Abfragen, die zu meinem Blog führten:
– „füße klum“ (Seoul, Korea)

– „heidi klums füße" (Schulenrode, Niedersachsen)

– „heidi klum füsse 2006“ (Wien, Österreich)

– „heidi klump füße“ (Bukarest, Rumänien)
Kann mir das mal jemand erklären, bitte?

2. Religion muss karikierbar sein. Tabus können immer nur für die Gläubigen selbst gelten, jedoch niemals für Menschen, die der betreffenden Religion nicht angehören. Sonst dürfte ich keine Currywurst essen, weil das Moslems beleidigen würde – schließlich ist ihnen das Essen von Schweinefleisch strikt untersagt. Satire auf Religionen muss möglich sein, sie ist sogar unbedingt nötig. Schließlich erhebt sie den Anspruch, das Denken und Fühlen von Menschen absolut zu beeinflussen; Religionen, zumal die monotheistischen, sind im Kern totalitär. Und Satire beschädigt das Totalitäre. Wie diese hier, wo – Achtung, Christen: Bitte den folgenden Link NICHT anklicken! – Jesus singt „I will survive“ – allerdings vergebens. Entdeckt via T i e f.


3. Mit einem Gebäude, das man von der Reeperbahn aus sieht, habe ich mir einen kleinen Fotospiegeltrick erlaubt. Wer es als erster erkennt und mir per Mail den Namen nennt, erhält einen meiner in Hamburg weltberühmten Privatsampler. Von der Verlosung ausgeschlossen ist Ms. Columbo. * (Nachtrag: Der Preis ging blitzartig weg, also bitte nicht mehr mailen. Sieger: mspro)

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs, in denen Gott vorkommt
1. „Wayfaring stranger“ von Eva Cassidy (und 1000 anderen)
2. „Mercedes Benz“ von Janis Joplin
3. „Jesus on the mainline“ von Ry Cooder

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21 Oktober 2005

Die Große Freiheit

Ich treffe in der Großen Freiheit 36 meinen Freund Mark, ebenfalls Musikjournalist. Wir veräppeln uns manchmal, indem wir uns gegenseitig in Artikeln erwähnen. Er hat mal in der Welt oder im Hamburger Abendblatt geschrieben, ich würde in Puschen bei Konzerten auf dem Kiez auftauchen; ich habe enttarnt, dass er bei der Anhörung eines neuen Oasis-Albums eine Kotzgeste über den Tresen geschickt hat.

Wahrscheinlich steht es zwischen uns ungefähr 4:4.
Gestern trafen wir uns, wie gesagt, in der Großen Freiheit 36. Das ist echtes Beatles-Kernland. Um die Ecke war früher der Starclub, im Souterrain residiert noch heute der Kaiserkeller, wo die Beatles einst ihre ersten Hamburger Gigs spielten. Und heute feiert die Große Freiheit 36 ihren 20. Geburtstag.

An der Kasse gibt es erst mal Kommunikationsprobleme, weil die Kirche gegenüber glaubt, ausgerechnet bei meiner Ankunft minutenlang lauthals bimmeln zu müssen. Wenn just die Tür der Tabledance-Institution Dollhouse ein paar Meter weiter offensteht (was sie wegen der einladenden Aussicht öfter tut), dann beeinträchtigen die Glocken jetzt gerade die Taktfrequenz der Striptease-Show.


Alles ist hier eben sehr nah beieinander – die Theater und die Tunten, der Sex und das Sakrale, Gott und GV. Und die Heilsarmee in der Talstraße wird friedlich umlagert von einer Phalanx schwuler Pornokinos. Drinnen in der Großen Freiheit hört man aber keinen Mucks mehr von der Kirche, sondern nur noch die mörderische Euphorie der schwedischen Band Moneybrother, die das letzte Konzert ihrer Tournee nutzt, um St. Pauli zu rocken. Der Saal ist eine Symbiose aus Bühne und vielen Tresen, von der Decke schicken Punktstrahler scharfe Lichtkegel, und in einen davon hält Mark sein Bier, was ein hübsches Motiv abgibt.


Im Foyer mache ich mir ein paar Notizen, und ein Typ Marke Banktresor – so hoch wie tief und breit – starrt mich dumpf an. Ich lächle, aber er verzieht keine Miene. Komisch. Draußen läuft ein Transvestit vorbei, schnappt sich einen der Große-Freiheit-36-Geburtstagsluftballons und bringt ihn zum Zerplatzen. Er lächelt beim Einbiegen in die Schmuckstraße. Ich frage mich seltsamerweise, was seine Eltern gerade über ihn denken. Und ob er manchmal darüber nachdenkt, was seine Eltern über ihn denken. Egal – Parallelwelten. So fern voneinander wie Erde und Mars.


Zwischen Mark und mir steht es weiterhin 4:4. Denke ich mal, denn ich weiß nicht, was er über den Abend in der Großen Freiheit 36 schreiben wird. Jedenfalls habe ich keine Puschen getragen, sondern schwarze italienische Lederslipper.


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