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Die Rückseite der Reeperbahn

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Mein Foto
Name: Matthias Wagner
Standort: Hamburg, Germany

Schreiberling




09 November 2009

Mein Mauerbröckchen



Voilà: das schönste Stück von meinen sieben Bröckchen Berliner Mauer, die ich einst persönlich vor Ort einsammelte.

Seit 1989 gingen diese historischen Artefakte bei mittlerweile vier Umzügen nie verloren, obwohl sie durchweg nur lose herumlagen, meist am Rand irgendeines Regalbretts.

Das hat bestimmt etwas zu bedeuten, etwas Wichtiges. Aber ich komme gerade nicht drauf.

Bei Ebay, das habe ich gecheckt, brächte so ein Bröckchen keine zehn Euro; selbst mit Echtheitszertifikat wäre da kaum mehr rauszuholen. Das ist enttäuschend und hat bestimmt auch irgendetwas zu bedeuten, etwas Wichtiges.

Zum Tag der Deutschen Einheit erzähle ich vielleicht die Geschichte, wie ich mal aus purer Dummheit von der Stasi verhört wurde.



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26 April 2009

Schöneberger Nächte sind lang



Ein Konzert von Antony & The Johnsons (Foto) ist ohne Zweifel das Sakralste, was man als Agnostiker erleben kann – vielleicht gerade deshalb, weil Antony alle Sünden verkörpert, welche das Christentum besonders verdammt: Promiskuität, homosexuelle Liebe, Verwischung der Geschlechter.

Dafür kann man auch schon mal extra nach Berlin fahren, in den Admiralspalast. Wir sitzen auf dem Balkon. Zwei Reihen vor uns streitet sich Herbert Grönemeyer im Stehen mit einer blonden Frau, die aussieht wie Nina Hoss und es wahrscheinlich auch ist.

Es geht hin und her, am Ende scheinen sie sich zu einigen und sitzen schließlich friedlich in einer Reihe, wenn auch nicht nebeneinander. Vielleicht ging es einfach nur darum, wer die Getränke holen sollte. Wenn ja, dann hat Hoss gewonnen.

Nach dem Konzert versacken Dr. K., Xóchil und ich in einer langen Schöneberger Nacht, und ich frage mich, ob es für eine Künstlerin wirklich eine angemessene Art ist, den Tag, an dem ihr langersehntes Debütalbum erscheint, mit zwei haarlosen bebrillten Endvierzigern zu verbringen, die ihr von gestörten Vater(bzw. Mutter-)beziehungen und der säkularen Gottesdefinition in Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ erzählen.

Immerhin lief sie nicht schreiend davon, und das auch erst um drei Uhr morgens.


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22 Februar 2009

Unter Trophäenblondinen



Echo-Aftershowparty. Hier lässt die untergehende Musikbranche noch mal alles raushängen, was sie eigentlich nicht mehr hat.

4000 Gäste im Berliner Postbahnhof, und jeder von ihnen könnte ein Star sein – oder bloß ein Schreiberling wie ich. Alles ist möglich, alles denkbar, alles ist vollkommen unsicher.

Die Gäste mustern sich verstohlen. Kenne ich den neben mir an der Dessertbar persönlich oder doch nur aus dem Fernsehen? Und wenn ja: aus welcher Sendung? Welchem Film/Clip/Dschungelcamp? Ist der, er mich gerade angerempelt hat, ein FDP-Generalsekretär oder ein lustiger Volksmutant? Man weiß es (oft) nicht.

Eines aber stellt sich schnell heraus: 2009 sind immer noch oder schon wieder Trophäenblondinen angesagt. Je unansehnlicher/älter/schmerbäuchiger der Star/Plattenboss/Bandmanager, desto 90/60/90er das hellhaarige Babe an seiner Seite.

Und das Babe lächelt beseelt. Warum auch nicht: Es hat schließlich einen fetten Fisch geangelt. Jetzt darf es auf Partys mit 4000 Leuten und wird verstohlen gemustert, weil man es ja aus dem Fernsehen kennen könnte.

Der Typ am Sushibuffet, der mich von hinten fragt: „Ist das frisch?“, sieht aus wie Max Mutzke, und wahrscheinlich ist er es auch. Er sieht erbarmungswürdig hungrig aus, er will ein „Ja“ hören, und er kriegt ein „Ja“.

Hoffentlich habe ich jetzt nicht seine Karriere beendet, denn er kann ja singen, der Mutzke, das kann er wirklich. Ein dicker Klempner aus England fotografiert das sensationelle Dekolletee seiner noch dickeren Gattin. Vorhin stand er noch auf der Echo-Bühne und gab an, ein gewisser Paul Potts zu sein und eine Million Alben verkauft zu haben.

Mit dieser Quote bist du ein Star in der Musikbranche, du könntest dir eine beliebige 90/60/90er Trophäenblondine aus dem Sortiment auswählen. Nur wem sie wegnehmen – Dieter Gorny? Christian Neander?

Ach, das Leben ist kompliziert auf der Echo-Aftershowparty. Die beste Beschäftigung ist deshalb verstohlenes Mustern, während man Sushi möfelt und mittelmäßigen Weißwein von Gallo trinkt, dessen Mittelmäßigkeit man ihm niemals vorwerfen würde, denn er ist ja kostenlos.

Auch den abgebildeten Herrn mit der komischen Tätowierung habe ich ausgiebig gemustert und bin sicher, ihn schon mal irgendwo gesehen zu haben.

Aber ich weiß einfach nicht, wo ich ihn hinstecken soll.


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06 Februar 2009

Der Euro ist uns zu neumodisch



In Hohenschönhausen im Osten Berlins hat man die Währungsumstellung noch nicht mitbekommen.

Wahrscheinlich war ihnen das einfach zu viel, zum zweiten Mal nach 89 mit so ’nem Quatsch konfrontiert zu werden.

Andererseits: „Centwelt“ klänge echt dämlich.



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05 Februar 2009

Galgenhumor bei der Bahn

Wie man weiß, hat die Deutsche Bahn mindestens 173 000 Mitarbeiter samt Angehörige überwachen lassen. Wahrscheinlich waren es sogar alle, also ungefähr eine Viertelmillion.

Somit auch die Zugbegleiterin, die heute auf der Fahrt nach Berlin meine Fahrkarte kontrollierte. Die gute Frau war darob bester Stimmung, und es entspann sich folgender Dialog.

Zugbegleiterin: „So, Herr … (mustert meine Bahncard) … Wagner, dann wollen wir das mal alles überprüfen.“
Matt: „Tja, muss wohl sein.“
Zugbegleiterin (süffisant): „Sie werden jetzt komplett durchleuchtet.“
Matt
(schlagfertig): „Und dann gehen die Daten direkt an Schäuble, nicht wahr?“
Zugbegleiterin: „Genau. Und alles wird zehn Jahre lang gespeichert.“
Matt: „Angemessen.“
Zugbegleiterin: „Ja, dann wissen wir immer, wo Sie hingefahren sind.“

Wie man sieht, hat sich Bahnboss Mehdorns Stasimaßnahme enorm motivierend auf seine Schäfchen ausgewirkt.

Und ich muss sagen: Sarkasmus passt perfekt zu blauen Uniformen.



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16 November 2008

Sieg für Berlin



Berlin, Olympiastadion, Hertha BSC gegen den Hamburger SV.

Mir fällt auf, dass der tausendfach verstärkte Schlachtruf „SIEG!!!“ ein gewisses Geschmäckle bekommt, wenn er ausgerechnet dort skandiert wird, wo sich 1936 ein gewisser Führer über die Goldmedaillen des schwarzen US-Läufers Jesse Owens ärgerte.

Nach dem Spiel, auf dem Weg zur U-Bahn, laufen wir an zwei streitenden Parteien vorbei. Ein Berliner Brocken in Bomberjacke will einer Gruppe um einen rotwangigen Hamburger Bubi an den Kragen, wird aber von seinem Kumpel mit unmittelbarer körperlicher Gewalt daran gehindert.

Da er seinem Kumpel nicht wehtun will, entscheidet sich der Bomberjackenberliner alternativ für die verbale Attacke. „IHR JUDEN!“, brüllt er den Hamburgern hinterher.

Ja, immer wieder schön in der Hauptstadt.


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24 September 2006

Tortour mit Intermezzo


In den letzten 48 Stunden verbesserte sich meine Konzertstatistik im gleichen Maße, wie sich meine körperliche Verfassung verschlechterte.

Am Donnerstag in Berlin begann die Live(tor)tour mit
Shawn Colvin, Fionn Regan und Maximilian Hecker, ehe es in Hamburg ab Freitag beim Reeperbahnfestival weiterging mit The Rifles, Kajak, Minor Majority, Maplewood, Nerina Pallot, Paolo Nutini, The On Offs, Dominic Miller sowie Epo 555.

Samstagnachmittag lief ich zur Auflockerung auch noch bei der offiziellen
Beatlestour mit, die Stadtteilführerin Stefanie Hempel mit enthusiastischem Dauerlächeln moderierte. Wie ernst sie ihren Job nimmt, zeigten die Intermezzi. Zur Ukulele (und Verwunderung der Touristen) schmetterte die Musikerin illustrativ Beatlessongs über den Kiez.

Während der Führung begleitete uns ein Kamerateam von Tide TV; und das hatte vor allem am Ende richtig was zu filmen. Denn auf dem Gelände des alten Star Clubs in der Großen Freiheit saßen ein paar saufende britische Kleiderschränke mit Glatzen herum, die Stefanies formidable „Twist and shout“-Fassung um euphorisches Mitgrölen bereicherten. Riesenbeifall am Ende, für Stefanie und die Engländer.


Am Mittwoch soll das Ganze auf Tide TV laufen; hier gibt es vorab schon mal Stefanies liebenswerte Fassung von „In my life“.

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23 September 2006

Der Bucklige

Auf Dienstreise in Berlin, Popkomm. Einer, den man mit Fug und Recht als Männchen bezeichnen kann, streunt am Busbahnhof Zoo herum. Er hat einen unfassbar horizontalen Buckel, auf dem man mühelos ein Tablett abstellen könnte. Und er ist alt. Seine Haare sind grau, er trägt schlammfarbene Hosen samt Träger, die in den 40ern mal en vogue gewesen sein müssen. Und jetzt stellt er sich frontal vor mich. Abstand: halber Meter.

Er mustert mich aufmerksam, sein trauriger dunkelbrauner Blick wandert von meinen Augen hinunter Richtung Nabel, wo mein Popkomm-Ausweis im Spätsommerwind baumelt. Ich nehme die Situation als Bewährungsprobe. Einfach so tun, als sei er nicht da. Einfach mal sehen, wie cool ich sein kann, ob ich diese Verletzung der sozialen Distanz aushalte und wie lange. Mal testen, wer zuerst zuckt.

Mir fällt das allerdings schwer, ehrlich gesagt. Mein wie zufällig über Busse und Bäume wandernder Blick wirkt sicherlich auf bemühte Weise unbeteiligt; manchmal schaue ich ihn auch direkt an, um Lockerheit auszustrahlen, die ich gleichwohl nur spiele. Denn das Männchen steht unmittelbar vor mir, und das macht man nicht, zumindest dann nicht, wenn man nichts zu sagen, sondern nur zu gucken hat.

Und zu gucken hat es offenbar viel. Inzwischen ruht sein Blick starr auf meinem Bauch, ganz kurz nur zuckt er manchmal musternd hoch und sucht meine Augen. Was will der Mann? Was fasziniert ihn so?

Natürlich sind das Fragen, die früher oder später aus mir herausbrechen werden; lange halte ich die Situation nämlich nicht mehr durch, die ich mir vorschnell als Selbsttest auferlegt habe. Aber jetzt, jetzt sagt er was. Es ist eine Frage, und sie lautet: „Ist das dein Gestapo-Ausweis?“

Ich sage: „Wie bitte?“, und er sagt es noch mal: „Ist das dein Gestapo-Ausweis?“

Dieser Frage wohnt ein solches Überraschungsmoment inne, dass ich nichts erwidern, sondern nur mit einem mimischen Mix darauf reagieren kann. Würde ich mich in dieser Sekunde im Spiegel sehen oder durch die Augen des Männchens, dann müsste ich diesen Mix als Komposition aus Verblüffung, Ärger und Empörung beschreiben.

Und das ist wohl auch seine Interpretation. Es dreht sich weg und huscht behende davon, ein buckliges graues Etwas mit jahrzehntealten Hosenträgern, das keine Antwort erwartet auf eine solche Frage, aber froh ist, sie gestellt zu haben.

Ich ahne schlagartig den Schleier einer ganzen Lebensgeschichte. Sie muss irgendwann in den 20ern oder 30ern begonnen haben; und das, was damals mit ihm und seiner Familie geschah, muss über Dekaden hinweg weitergeschwärt haben wie ein Fluch, der sich heute, am Berliner Bahnhof Zoo, als absurde Frage an einen Wildfremden wieder einmal kurz materialisiert.

Meinen Popkomm-Ausweis habe ich heute Abend übrigens weggeworfen.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs mit geschichtlichem Bezug
1. „The history of rain" von Paul K. & The Weathermen
2. „In Germany before the war“ von Randy Newman
3. „Ohio“ von Neil Young

Foto: Bahnhof Messe Nord, Berlin (Am Zoo war ich zu konsterniert zum Knipsen.)

PS: Heute steht in der taz ein Artikel über Blogger aus Altona und St. Pauli, in dem auch „Die Rückseite der Reeperbahn“ freundliche Erwähnung findet. Allerdings zitiert mich Frau Bigalke falsch. Ich würde nur unterm Einfluss von Drogen „der“ Blog sagen. In Wahrheit sagte ich „das“ Blog. Obwohl natürlich inzwischen beides geht, laut Duden.

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02 September 2006

Hartmut Mehdorn oder Die Arroganz der Macht

Im neuen Berliner Hauptbahnhof, hinter dessen Gitterkonstruktion die Zentrale der Deutschen Bahn himmelhoch aufragt wie einst der Turm von Babylon, versteht man komischerweise alle Ansagen. Sogar wenn sie die Situation fünf Gleise weiter betreffen.

Aber warum sagt die Ansagerin bloß „siebzehnuhrDREIundfünfzig“ statt „siebzehnuhrdreiundFÜNFZIG“? Das klingt ja, als korrigiere sie eine Abfahrzeit. Tut sie aber gar nicht; es ist einfach ihre ganz normale Falschbetonung, die zu Verwirrung an den Bahnsteigen führt – sogar fünf Gleise weit.

Das bringt mich auf einen Disput, den ich zurzeit mit dem Bahnchef Harmut Mehdorn ausfechte. Besser gesagt: Ich disputiere, und Mehdorn schweigt dazu.

Vorgeschichte: Ms. Columbo und ich wollten nach Berlin, kauften online zwei Tickets, eine Erkrankung kam dazwischen, ich ging zwei Tage vor der Fahrt zum Schalter im Bahnhof Altona, wo man mir sagte, ich solle die Karten an den DB Service nach Frankfurt schicken und bekäme sie abzüglich Stornogebühr erstattet. Ich tat wie geheißen, erfuhr dann aber per Brief, aus „tarifrechtlichen Gründen“ sei eine Erstattung nicht möglich. Ich hätte nämlich – was ich nicht wusste – online stornieren müssen.

Natürlich widersprach ich, schilderte in bewegenden Worten die Begebenheit am Schalter, doch aus Frankfurt hörte ich nichts mehr. Auch nicht auf den nächsten Brief. Das ärgerte mich, und ich dachte: Na gut, dann auf zur nächsten Instanz. Oder zur höchsten: Hartmut Mehdorn, so meine Idee, sollte erfahren, wie seine Leute die Kunden behandeln. Wo er doch nächstes Jahr an die Börse will und jede Unterstützung braucht, selbst meine und die von Ms. Columbo!

Also schrieb ich ihn an, schilderte noch einmal höflich den ganzen Verlauf und lehnte mich in Erwartung einer Mehdornschen Intervention im Namen der Gerechtigkeit oder wenigstens der Kulanz wohlig zurück. Doch Mehdorn schwieg. Und schweigt noch immer. Die verweigerte Rückzahlung unverschuldet verfallener Tickets scheint offenbar auch ihm völlig rechtens. Zumindest muss ich sein Schweigen so deuten.

Wie die Chargen in Frankfurt möchte auch Herr Mehdorn, an den ich mich doch erst aus Verzweiflung wandte, mein Anliegen einfach wegschweigen – die Arroganz der Macht des Turmherrn von Babylon.

Mehdorn, der Bill Gates des deutschen Transportwesens, braucht mich eben nicht, trotz Börsengang. Er hat Millionen andere Fahrgäste, die lemminggleich hinströmen zu ihm und seinen Zügen und wahrscheinlich auch zu seinen Aktien. Warum also sollte er antworten auf den Brief eines kleinen frustrierten Bahnkunden – oder ihm gar das Ticket rückerstatten? Nein, Mehdorn sagt nix. Wahrscheinlich feixt er zwischendurch höchstens mal, wenn es denn sein Terminplan zulässt.

Da mir dummerweise ein Kohlhaas'scher Wesenszug eigen ist, wenn ich übers Ohr gehauen werde und sei es von der Deutschen Bahn, habe ich den Fall jetzt auf Anraten des Verbraucherschutzes der sogenannten Schlichtungsstelle Mobilität übergeben, deren Vorschlag zur Güte ich schon mal akzeptiert habe. Mal sehen, ob sich auch Turmherr Mehdorn oder ein Vasall nun endlich zu einer Äußerung herablässt. Ein Wort würde reichen, Mehdorn, eine kleine Geste! Es ist ja nur dieses hochmütige Angeschwiegenwerden, welches schmerzt! Und es schmerzt sehr.

Also, Mehdorn: Sag was! Dann geb ich auch Ruhe. Und dann kannst du dir die 90 Euro gerne dahin stecken, wo ein Triebwagen die Puffer hat.

Nachtrag vom 13. 9. 2006:
Über die Schlichtungsstelle hat die Bahn mir heute 50 Euro Rückerstattung angeboten, aus „Kulanz“. Ich habe angenommen.

Ex cathedra: Die Top 10 der Songs über Züge
1. „Orange Blossom Special“ von Johnny Cash
2. „Last train to mercy“ von Terry Lee Hale
3. „Last train to Memphis“ von The Band
4. „Silver city train“ von The Shivers
5. „Trolley in the train“ von Ai Phoenix
6. „The City of New Orleans“ von Steve Goodman
7. „Train serenade“ von 16 Horsepower
8. „Night train“ von Bruce Cockburn
9. „Post train to Bayreuth“ von Spyra
10. „Train to Jackson“ von Jeffrey Foucault

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18 Juli 2006

Berlin kennt keine Bandansagen

Kaum in Berlin, erweckt ein Busfahrer der Linie M46 mein ganzes Mitgefühl. Der arme Knecht muss nämlich nicht nur seinen Dieseltrumm durchs Chaos des Hauptstadtverkehrs manövrieren, sondern auch noch alle Haltestellen selber ansagen und die Anschlussbahnen und -busse gleich mit. Und das alles an jeder schäbigen Station und hinein in ein fies fiependes Mikrofon, zu dem er sich auch noch linksseitig tief hinabbeugen muss.

Seine Halswirbelsäule wirkt bereits gefährlich verbogen, und sein Rücken neigt zu ungesunder Wölbung. Der ganze Mensch wirkt unterm satanischen Wechselspiel aus Schalten, Gasgeben, Bremsen und krumm Ansagenmachen verhärmt und ausgelaugt. Früher sahen nur die Junkies am Bahnhof Zoo so aus. Sein Schnurrbart ist strohig, sein immerhin dichtes Haupthaar so aschfahl, als sähe er die Sonne nie, dabei sitzt er doch den ganzen Tag gleichsam mittendrin.

Klar, deses Verdammtsein zur unablässigen Ansagerei verhärmt jeden gesunden Menschen über kurz oder lang. Vor jeder Station denkt der Mann sich doch: Jleich muss icke wieder quaddeln, und dette jrässlich fehljustierte Mikro taugt jarnüscht und uzt mir auch noch!

In Hamburg – um jetzt mal wohldosiert die lokalpatriotische Karte auszuspielen – kommt so etwas komplett vom Band, liebe BVG, da muss sich kein Busfahrer mit abmühen; er kann sich stattdessen Ampeln und Mitverkehr widmen und falsch abbiegende Radfahrer sauber erlegen. In der hiesigen U-Bahn spielen sie momentan sogar locker Kinderstimmen ein, die fröhlich „St. Pauli!“ krähen oder „Please leave here for harbour boat trips!"

Ja, Berlin, soweit ist die Technik bei uns schon: Bandansagen! Vollautomatisch! Stell dir das mal vor: Keine 300 Kilometer entfernt, und doch eine ganz andere Zivilisationsstufe!

An der gebeugten aschfahlen Figur hinterm Lenker auf der Berliner Linie M46 hingegen erkennt man ungeschönt die ganze bittere Lage der Haupstadt – und zwar viel besser, als sie aus todtraurigen Wowereitschen Haushaltsplänen je herauszulesen wäre.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über den öffentliche Personennahverkehr
1. „Crosstown traffic" von Jimi Hendrix
2. „Stuck inside of mobile (with the Memphis blues again)" von Bob Dylan
3. „Autobahn" von Kraftwerk

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17 Juli 2006

Nur ich und der Teufel

Nach der Taufe, an der ich Berliner Freunden zuliebe teilgenommen habe, staut es sich vor der linken Kirchentür. Ich beschließe, durch die mittlere Tür hinauszutreten. Warum auch nicht? Schließlich bin ich so auch hereingekommen.

Ich bin schon halb hindurch, als ein panisch herbeistürzender Pfarrer die Flügeltür von außen gegen meinen Widerstand zu- und mich damit ins Kircheninnere zurückdrückt.

„Nein, nein!“, ruft er dabei mit flackerndem Blick, „hier dürfen Sie nicht hinaus!“ Aber die Tür sei doch offen, warum man denn nicht …

„Durch die mittlere Tür“, ruft er, „gehe nur ich – und der Teufel!“

Ehrlich gesagt entwaffnet mich dieses so inbrünstig hervorgestoßene Dogma augenblicklich. Auch mein Esprit erstirbt schlagartig. So verpasse ich die tolle Chance, in einer kleinen Rollenanmaßung sardonisch grinsend zu erwidern: „Nur Sie und der Teufel? Na, dann können Sie mich ja durchlassen! …“

Wir stehen uns also gegenüber, er draußen, ich drinnen, getrennt durch diese plötzlich mit immenser Bedeutung aufgeladene Tür, und er beginnt, die merkwürdige Sitte, mittlere Kirchentüren für den erwähnten Personenkreis zu reservieren, historisch herzuleiten. Bis zum Jahr siebenhundertnochwas reiche das alles zurück, erklärt er, und seine kräftigen Hände umfassen noch immer unnachgiebig beide Flügeltürgriffe.

Wer wäre ich, mit diesem offenbar erprobten Brauch zu brechen, jetzt, nach fast 1300 Jahren? Nein, ich gebe mich geschlagen und nehme die linke Tür.

Aberglauben halten die Evangelen übrigens für etwas sehr, sehr Böses.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Türen
1. „Mary shut the garden door" von Donald Fagen
2. „Open the door" von Betty Carter
3. alles von den Doors

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27 April 2006

Der Franke ist überall

Neulich bei der Aldi-Flanage faselte der Franke plötzlich etwas von einem „Karaoke-Sender“, und ich dachte sofort an eine Radiostation mit Instrumentalversionen gängiger Hits. Eine Horrorvorstellung, offen gesagt. Ich konnte mir auch nicht recht vorstellen, was der eigentlich für seinen zwar hoffnungslos verengten, doch akzeptablen Musikgeschmack (Giant Sand Calexico, Prince, und das war's) bekannte Franke an einem solchen Nullniveausender wohl finden könnte.

Wie immer aber war es optisch ganz anders, als es sich akustisch dargestellt hatte. Denn als ich mich umdrehte, stand der Mann vor einem großräumig verpackten HiFi-Gerät, welches in Großbuchstaben seine Funktionalität auf folgenden Punkt brachte: „Karaoke-Center“.

Warum falle ich immer wieder rein auf seine milieubedingten Zungenunfälle? Eigentlich müsste ich doch allmählich über ein eingebautes Übersetzungsprogramm verfügen, welches die verhunzten Silben, die tagtäglich aus des Franken Mund taumeln wie ein Schwarm betrunkener Dörrobstmotten, in verständliches Deutsch übersetzen. Das ist aber nicht der Fall.

Auch in meiner Abwesenheit hören die Unfälle nicht auf (warum auch?), wie mir der lebende Konsonantenverweichlicher unlängst berichtete. Diesmal stieß er allerdings an seine sprachlichen Grenzen, obwohl er sich sogar tapfer darum bemüht hatte, Weltläufigkeit zu simulieren. Wie so oft war die bedauernswerte Verkäuferin einer Konditorei im Mittelpunkt des Geschehens.

Die erstaunte Frau wurde konfrontiert mit folgender Frankenfrage: „Haben Sie Nuhgattgrosohngs?“ So weit, so viertelverständlich. Doch nicht das eigenwillig verfränkischte Französisch stieß bei der hanseatischen Verkäuferin auf Nichtbegreifen: Sie kannte das Produkt einfach nicht.


Schließlich klärte sich – mithilfe deskriptiver Annäherung und Gebärdensprache – die Sache auf. Hier in Hamburg nämlich heißt das Süßgebäck nicht Nougatcroissant, sondern angeblich Nusskipferl. Klingt zwar eher bayerisch, aber so erzählt’s der Franke. Und so verengt auch sein Musikgeschmack ist, so unverfälscht vermag er doch die kleinen Dramen seines Alltags wiederzugeben; deshalb will ich ihm mal glauben.

Selbst als wir vergangenes Wochenende in Berlin waren, gemahnte manches an das urige Redaktionsoriginal. Beispielsweise durchschritten wir schmunzelnd und seiner eingedenk eine gewisse Frankenstraße. Und wie hieß die Kneipe ebenda? Frankeneck. Wir fühlten uns gleich wie zu Hause, obwohl dies in Berlin, während man an einen nach Hamburg exportierten Würzburger denken muss, recht schräg anmutet.

Die Kneipe hatte übrigens noch nicht auf, sonst hätten wir uns dort Kaltgetränke einverleibt und gegenseitig „Dang-ge!“ zugerufen. Nächstes Mal.

Die bisherigen Teile der Frankensaga
19. Der Kulturstoffel 18. Fußball auf Fränkisch! 17. Auhuuu! 16. Die Bettelblickattacke 15. Der Franke bleibt störrisch 14. Der unvollendete Panini-Coup 13. Duck dich, Sylt! 12. Auf Partypatrouille 11. Laggs auf vier Uhr 10. Der Franke ist überall 9. Die Greeb-Pfanne 8. Erste gegen dritte Liga 7. Die verspätete Riesenkartoffel 6. Der historische Tag 5. Der Alditag 4. Der Faschingskrapfen 3. Der Klozechpreller 2. Der Dude 1. Das Alte Land

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24 April 2006

Der Suffkopp und Olaf

Alberto Giacomettis schwarzer zwölfseitiger unregelmäßiger Kubus, den er einem Gemälde von Albrecht Dürer entnahm und verkörperlichte, hat eine dunkle Aura, die dich zum Zittern bringt. Wenn man davorsteht, fühlt man sich wie ein Australopithecus vorm geheimnisvollen Monolithen in Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“.

Der Kubus ist Bestandteil der grandiosen Ausstellung „Melancholie – Genie und Wahnsinn“, die wir am Wochenende in der Berliner Neuen Nationalgalerie besuchten. Auf dem Rückweg pulverisierte allerdings das Profane rasch jedes erhabene Gefühl. Vor einem Krankenhaus zog ein volltrunkener Berliner seine immer engeren Kreise, bis er schließlich rücklings aufs Pflaster fiel. Sein vegetatives Nervensystem war offenbar gelähmt von einer alkoholischen Springflut, die ihm durch alle Adern jagte. Er flüsterte, alle Extremitäten von sich gestreckt: „… Hilfe …“

Wir gingen weiter; immerhin war er gerade aus dem Krankenhaus getaumelt, dort hatte man sicherlich die Lage unter Kontrolle. Hatte man nicht: Als wir uns umblickten, stand der arme Wicht plötzlich schwankend auf der vierspurigen Straße und verschwand dann stürzend zwischen geparkten Wagen. Okay, die Lage war ernst. Am nächsten Tag in der BZ lesen zu müssen, in Schöneberg sei ein Mann mit der Rekordmarke von 5,8 Promille vor einen Laster getaumelt und plattgemacht worden, schien mir wenig verlockend, selbst wenn mein Seelenheil mir nicht das Wichtigste ist auf der Welt.

Als ich zurückkam zum Krankenhausempfang, um mal wieder einen Anruf bei der Polizei zu erbitten, war der Pförtner bereits in dieser Sache tätig, allerdings ohne rechte Überzeugung. „Ach“, winkte er ab, „die fahren ihn sowieso nur bis zur nächsten Ecke und werfen ihn wieder raus.“ Meine Glaube an solch nützliche Einrichtungen wie Ausnüchterungszellen erschien mir plötzlich romantisch und naiv. Aber vielleicht hatte der Pförtner ja auch Unrecht. Wenig später jedenfalls kam uns ein Streifenwagen entgegen.

Die Berliner Merkwürdigkeiten rissen indes nicht ab. Wir kamen zum Beispiel an einer Kneipe vorbei, die den bizarren Namen „Tüsselbrand’s Malustra“ trug. Und abends, auf dem Bahnsteig im Bahnhof Zoo, schlurfte der Ex-SPD-Generalsekretär Olaf Scholz erhobenen Kinns an uns vorbei Richtung 1. Klasse. Das kam mir komisch vor. Sollte Scholz – immerhin Altonas (und somit auch unser) Abgeordneter im Bundestag – nicht sonntagsabends von Hamburg nach Berlin unterwegs sein statt umgekehrt? Oder habe ich jetzt – ups – etwas enttarnt, was Scholz tunlichst vor Münte zu verbergen erpicht war?

Andererseits trug er zwar das Kinn hoch, aber nicht mal eine Sonnenbrille.

Ex cathedra: Die Top 3 der Suffsongs
1. „Down drinking at the bar“ von Loudon Wainwright III
2. „One Bourbon, one scotch, one beer“ von John Lee Hooker
3. „Streams of whiskey“ von The Pogues

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23 April 2006

Die Evolution und Berlin

Berlin ist schon merkwürdig. Im Bus am Bahnhof Zoo lösen wir Tickets und werden von einem gelben Kasten zum Entwerten derselben aufgefordert. Allerdings ist der Schlitz schmaler als die Tickets breit sind. Sie passen einfach nicht rein.

Wir erwägen Experimente wie Falten der Fahrkarten oder gewaltsames Verbreitern des Entwertungsschlitzes, beschließen aber am Ende doch, die Sache stillschweigend hinzunehmen und eventuelle Kontrolleure in kampfeslustige Diskussionen über die Detailschwächen des Berliner Nahverkehrssystems zu verwickeln.

Die Fahrt allerdings verläuft ohne Zwischenfälle, und an der Zielhaltestelle erweist sich sogar die archaisch anmutende Wegbeschreibung von Dr. K. („ ... über große Straße Richtung Osten ...“) als nicht komplett undechiffrierbar. Denn unter Reaktivierung bestimmter Steinzeitgene identifiziere ich trotz dichter Wolkendecke die korrekte Himmelsrichtung.

Ich bin stolz wie Oskar, Ms. Columbo hält mich für einen Helden. Und mir wird plötzlich klar, wie unsere Spezies es schaffen konnte, zur dominierenden auf diesem Planeten zu werden.

Mehr über die Evolution und Berlin nach unserer Rückkehr.

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22 September 2005

Der vertauschte Mantel

War heute Abend eingeladen zu einer sogenannten „CD-Release-Party“ für Journalisten. Das ist eine seltsame Veranstaltung in einem möglichst angesagten Club der Stadt, bei der ein hohes Tier einer Plattenfirma irgendwann zum Mikrofon greift und mit großer Ergriffen- und Fassungslosigkeit von einem neuen Album schwärmt, das er als „Meisterwerk“ überbewertet, was der anwesende Künstler mit stolzgeschwellter Bescheidenheit aufsaugt wie Kate Moss eine Kokslinie. Uns werden dazu Schnittchen und Alkoholika in beliebigen Mengen aufgedrängt, damit wir nicht merken, welch Riesenlücke klafft zwischen der megamiesen Qualität der Musik und dem, was der Typ am Mikro gerade erzählt hat. Genauso war es heute.

Aus Scham verschweige ich lieber die Band, deren flache, seichte, himmelschreiend prätentiöse Platte uns vorgespielt wurde, sondern lobe lieber den vergleichsweise passablen Weißwein - und meine Kollegin Susanne, die mir die hübsche Geschichte erzählte, wie sie einmal im Berliner Luxushotel Four Seasons einen Mantel verlor, der - wie sie hoffte - im Hilton, wo sie wohnte, wieder auftauchen würde, weil ein Parkschein dieses Hotels in ihrer Manteltasche steckte.
Die Spur führte allerdings in ein weiteres Berliner Luxushotel, das Ritz Carlton, weil dort nämlich jene Person nächtigte, die damals im Four Seasons offenbar volltrunken, jedenfalls ohne es zu bemerken, Susannes Mantel ausgehändigt bekam, und die dann schließlich mithilfe besagten Parkscheins Kontakt mit der tapfer im Hilton ausharrenden Susanne aufnehmen konnte.

Im Endeffekt war es so, dass Susanne mehrere Tage im Berliner Winter mantellos fror, aber vom Four Seasons, wo ihr Mantel ja dumpfbackig an die falsche Person ausgegeben worden war, zum Trost eine Flasche Dom Perignon übereignet bekam, die sie heute noch besitzt und die laut Ebay inzwischen einen Wert von 135 Euro hat. Jetzt wartet sie auf die richtige Gelegenheit, sie zu köpfen, wobei eine momentan noch näher zu definierende Person männlichen Geschlechts eine assistierende Rolle spielen sollte. Übrigens habe ich Susanne erzählt, dass alles, was sie sagt, zwar nicht gegen sie verwandt werden kann, aber zumindest in Gefahr schwebt, in diesem Blog veröffentlicht zu werden, was sie aber nicht abschreckte. Ist ja auch nicht schlimm. Zumindest nicht so schlimm wie die Musik, die uns heute Abend als Meisterwerk verkauft wurde. Die Enttarnung dieser richtig schlimmen Platte erfolgt nach Veröffentlichung, also ungefähr Ende Oktober.

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