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Die Rückseite der Reeperbahn

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Mein Foto
Name: Matthias Wagner
Standort: Hamburg, Germany

Schreiberling




26 Februar 2010

Der Sandalenbuddha

Im 112er-Bus auf der letzten Bank hinten links, wo ich immer gern sitze, weil ich dort den linken Fuß schön hochstellen und mich überhaupt recht bequem und breitbeinig hinfläzen kann, da sitzt schon einer. Ich setze mich daneben.

Augenblicks hüllt mich seine Dunstglocke ein. Es ist ein Mix aus dieses Jahr noch nicht geduscht und letztes Jahr auch nicht.

Aus dem Augenwinkel sehe ich seine struppigen langen, mit Grau durchwirkten Haare, die trägt er auf dem Kopf genauso wie vorne im Gesicht, seine Jacke hat Weltkriegspatina.

Den linken Fuß – das finde ich rührend vertraut – hat er schön hochgestellt, etwa so, wie ich es tun würde. Allerdings trage ich gemeinhin feste Schuhe, zumal im Winter, und seine fahlgelben Füße stecken barfuß in halb zerfallenen Sandalen.

Ein bemitleidenswertes Wesen, dessen Äußeres nicht mit der buddhaesken, ja geradezu sandalesken Ruhe in Einklang zu bringen ist, die es ausstrahlt. Doch der Mann strahlt noch mehr aus, und das kann meine Nase nun schlicht nicht mehr ertragen.

Ich setze mich zwei Reihen weiter nach vorne. An der Haltestelle Reeperbahn steigt ein großer Mann afrikanischer Provenienz zu, sein dicker Stoffmantel mit dem Riesenkragen wirkt edel. Zielsicher steuert er (natürlich) die Rückbank an, setzt sich – und steht zwei Sekunden später wieder auf, um mir gegenüber Platz zu nehmen, obwohl er jetzt rückwärts fahren muss. Ich schmunzle, aber natürlich weiß er nicht warum.

So sorgt der struppige ungeduschte Sandalenbuddha die ganze Zeit für Verkehr im Bus, obwohl er nichts weiter tut, als ganz hinten links schön den Fuß hochzustellen und ansonsten sinnierend aus dem Fenster in eine wenig verheißungsvolle Zukunft zu starren.

Seine Barfüßigkeit erinnert mich an den Frühling, und das ist doch ein recht schönes Gefühl.


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03 Februar 2010

Geschnieft, aus verschiedenen Gründen

Schnuffelnd stieg ich heute Morgen in den 37er-Bus, ließ mich ächzend auf den Sitz fallen und kramte den iPod raus, um mir die Fahrt nach Altona mit Roger Eno zu versüßen.

Zwei Sitze vor mir drehte sich plötzlich ruckartig eine Frau zu mir herum. Sie starrte mir in die Augen, ihr rechter Arm schoss hervor wie vom Katapult abgefeuert, und in ihrer ausgestreckten Hand erblickte ich – eine Packung Papiertaschentücher.

Ich hatte wohl einen Tuck zu lang geschnieft. Doofer Roger Eno.

Zum Glück wurde der Tag abends noch veredelt. Und zwar von der drahtigen alten Cree-Indianerin Buffy Sainte-Marie, die mir in der Fabrik ihre 46 Jahre alte überzeitliche Protesthymne „Universal Soldier“ vorsang.


Drei Minuten für die Ewigkeit; ich hätte ein Taschentuch gebraucht. Doch die Frau aus dem Bus war nirgends zu sehen.


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26 Januar 2010

Busfahrers Glücksmomente

Heute traf ich den schweigsamsten Stoiker seit Buster Keaton. Er war Busfahrer der Linie 37 und sah exakt aus wie Fritz Rau: strähnige graue, zurückgekämmte Haare, schmale Lippen, Brille, grauer Bart.

Als ich grüßte und ihm im Vorübergehen meine Abokarte zeigte, blickte er stoisch durch die Windschutzscheibe.

Vom Gang aus sah ich eine Rollstuhlfahrerin, die gerne die hintere Tür geöffnet haben wollte. Ich ging den halben Weg zurück Richtung Buster und rief: „Bitte öffnen Sie die Tür für eine Rollstuhlfahrerin!“. Dann setzte ich mich.

Die Rollstuhlfahrerin klopfte gegen die weiter geschlossene Tür. Ich stand noch einmal auf und ging diesmal ganz nach vorne. „Eine Rollstuhlfahrerin möchte gern rein, könnten Sie die Tür öffnen?“, fragte ich. Buster zeigte etwa die gleiche Reaktion, wie man sie in diesem Moment auch vom Matterhorn erwartet hätte, und gab weiter stumm Karten aus.

Eine Passagierin, die als zweite in der Schlange – also in etwa einem Meter Entfernung vom Fahrer – auf die Entrichtung des Fahrpreises wartete, lächelte mich an und sagte gut verständlich: „Er kann keine zwei Sachen gleichzeitig.“ „Er kann anscheinend nicht mal hören“, antwortete ich so laut, dass er uns ebendieses Handicap zwangsläufig weiterhin vorspielen musste. Daher: keine Reaktion.

Von hinten lautes Klopfen. Tja. Man sollte halt immer ein Brecheisen mit sich führen, als Buspassagier. Ich setzte mich. Als alle neueingestiegenen Fahrgäste abgefertigt waren, öffnete der Herr der Türen endlich mit einem Tastendruck die hintere. Die Rollstuhlfahrerin fuhr herein und rief ein unberechtigtes „Danke!“ nach vorne.

Buster schloss beide Zugänge. Ein junger Mann kam angelaufen, prallte an die vordere Tür und klopfte. Der Busfahrer schaute geradeaus und fuhr los. An der Haltestelle Davidstraße dann die letzte kleine Schikane, die seinem Arbeitstag die nötige Restsüße verlieh: Am einzigen dort stehenden Fahrgast fuhr er fünf Meter weit vorbei, damit der Mann fluchen und spurten musste.

Ich liebe den HVV.



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29 Oktober 2009

Ein kleiner Schabernack auf meine Kosten

Heute trieb die für die Gestaltung meines Alltags zuständige Instanz (wieder mal) einen kleinen Schabernack mit mir.

Als ich morgens ins Büro aufbrechen wollte, regnete es. Also beschloss ich, mit dem 37er-Bus zu fahren. An der Haltestelle stellte ich jedoch fest, dass ich meine Abokarte vergessen hatte.

Aus Geiz taperte ich zurück zur Seilerstraße (Beispielfoto), um die Karte zu holen. Inzwischen hatte es aufgehört zu regnen. Also entschied ich mich, nun doch das Fahrrad zu nehmen.

Ich erwähne jetzt nicht die Tatsache eines überraschenderweise platten Vorderreifens, der erst einmal aufgepumpt werden wollte; nein, entscheidender war der exakt auf halber Strecke einsetzende kräftige Herbstregen.

Ich verbuche es daher als kleine unverdiente Großherzigkeit der für die Gestaltung meines Alltags zuständigen Instanz, dass mich unterwegs der 37er-Bus nicht überholte. Auch ein solcher Tag hat Glücksmomente.

Gut: klitzekleine.

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13 Oktober 2009

Unbedingt fürs nächste Mal merken (1–3)

1. Nicht einfach blind in einen Bus springen, nur weil er die richtige Liniennummer hat und loszufahren droht. Seine Fahrtrichtung ist auch nicht ganz unwichtig. (18:06 Uhr)

2. Beim Hochnehmen der Jacke von der Sitzbank im Schummerrestaurant darauf achten, sie am Kragen zu fassen, nicht am unteren Saum. Zu schwierig, im Kerzenlicht Kamera, Börse und Handy unter Tischen und Stühlen wiederzufinden. Zumal Bedienung und Gäste komisch gucken. Dito Ms. Columbo. (21:16 Uhr)

3. Die elektrische 3-D-Zahnbürste mit den 30 000 Umdrehungen pro Minute unbedingt erst dann anstellen, nachdem ich sie in die Mundhöhle eingeführt habe. (00:34 Uhr)

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07 Oktober 2009

Auf der Reeperbahn morgens um 9

Bushaltestelle Davidwache an der Reeperbahn.

Der linke Arm des Schläfers rutscht immer wieder vom Oberschenkel, doch er wacht davon nicht auf. Zwischen seinen Beinen steht ein Tetrapack Sangria Il Tinto.

Eigentlich sollte eine Packung, auf der „Il Tinto“ steht, dunkelrot sein. Aber nein, sie ist gelb; homogenes Produktdesign sieht anders aus.

Der Bus hat Verspätung, elende Linie 37.

Der linke Arm des Schläfers rutscht wieder vom Oberschenkel. Er baumelt steif über der undefinierbaren eingetrockneten Lache. Im Dreiviertelschlaf wuchtet er den Arm wieder hoch.

Wo bleibt bloß der Bus? Im Sexshop hinterm Wartehäuschen gibt es kaum etwas Neues im Sortiment. Höchstens die knetbaren künstlichen Brüste.

Ein Mann mit Hund kommt und setzt sich neben den Schläfer auf die Bank. Umstandslos greift er nach dem Tetrapack Sangria Il Tinto, schraubt ihn auf, setzt ihn an die Lippen, säuft ihn leer und wirft ihn weg.

Dann steht er auf, geht zum Sexshopschaufenster und zündet sich eine Kippe an. Der Hund ist hinter ihm hergetrottet. Er schaut zu ihm auf.

Dann kommt der Bus, endlich.


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23 Juli 2009

Wir fühlen uns vergrämt



Die Bushaltestellenbank an der Mö dient eventuell allem Möglichen, doch das wartende Sitzen gehört gewiss nicht dazu.

Man rutscht auf der gewölbten und glattgebohnerten Sitzfläche unablässig nach vorne und somit potenziell runter, und wenn man sich hinten stützend anlehnen will, behandelt die höchst abweisend konstruierte rohrförmige Strebe deinen Rücken, als wolle sie ihn wegen Ungehorsams züchtigen.

Hau ab! – das und nichts anderes ist die Botschaft dieser Bank.

Wie’s scheint, hat der HVV hier nur eins im Sinn gehabt: das öffentliche Möbel so zu designen, dass es sich keinesfalls als Niederlassung oder gar Nachtlager für Obdachlose anpreist.

Es handelt sich somit eindeutig um eine Pennervergrämungsbank. Leider auch um eine Kundenvergrämungsbank, wie Ms. Columbo und ich beim schmerzhaften Warten auf die 36 feststellen mussten.

Aber man muss halt Prioritäten setzen, das zieht sich durchs ganze Leben, auch durch das des HVV.


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12 Juni 2009

Cold turkey

Im Bus stelle ich mit namenlosem Entsetzen fest: habe weder iPod noch was zu lesen dabei.

Eins davon hätte vielleicht fehlen dürfen, aber beides auf einmal? Ein Desaster! Nicht nur, weil ich so den Spiegel
niemals binnen sieben Tagen durchkriege, sondern weil mein Hirn in der Sekunde, als es den Mangel erkennt, panisch nach Input zu gieren beginnt – und natürlich nullkommanix kriegt.

Das verschlimmert die Lage drastisch. Fühle mich sofort wie ein Junkie im kalten Entzug. Was nun anfangen mit dieser elendig langen Busfahrt von elf äonischen Minuten – rausgucken ins Graue, Nasse? Eklig. Die Menschen im Bus anstarren? Nicht meine Art (und allzu oft ebenfalls eklig).

Alles verschwimmt. Flackerblick. Ertappe mich beim krankhaften Einsaugen von Werbebotschaften. Analysiere fieberhaft die Kennzeichen entgegenkommender Fahrzeuge. Und was alles auf Basecaps und T-Shirts aufgedruckt ist – der Wahnsinn!

Nach drei Minuten habe ich plötzlich aus Gründen, denen man wahrscheinlich nur im Rahmen einer langjährigen Psychoanalyse auf die Spur käme, „Kling, Glöckchen, klingelingeling“ im Ohr. Das geht nicht mehr weg (und es war ein Riesenfehler, das jetzt hier hinzuschreiben, verdammt …)

Es sind die härtesten elf Minuten des Jahres.


Zitternd taumle ich an der Friedensallee aus dem Bus und haste ins Büro, der Rechner ist schon hochgefahren, Spiegel online ploppt auf … Mir wäre vorher nie bewusst gewesen, wie beglückend die Überschrift „WHO erklärt Schweinegrippe zur globalen Seuche“ wirken kann.

Der Junkie hat wieder Stoff, der Tag kann losgehen.


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06 Januar 2009

Der Müllwühler

Menschen, die in Mülleimern wühlen, kann ich nicht ansehen. Es ist mir peinlich, ihnen die Peinlichkeit zuzumuten, beim Wühlen im Müll beobachtet zu werden. Wenn sie herschauen, schaue ich weg.

So ging es mir auch heute an der Haltestelle Friedensallee, wo ich gottergeben auf den sogenannten Schnellbus wartete. Ein Radler näherte sich über den Gehweg. Er trug zu üblicher Winterkleidung einen Wollschal, Handschuhe – und eine am Kopf befestigte Grubenlampe.

Die Lampe leuchtete. Der Mann stoppte und hielt sich am Mast der Fußgängerampel fest, ohne abzusteigen. Noch immer schaute ich nicht weg, denn er wirkte keinesfalls wie einer, der nun den Kopf senken und mit der Grubenlampe den am Mast befestigten Mülleimer ausleuchten würde.

Doch genau das tat er; seine Ausrüstung war dafür optimiert. Hier hatten wir einen Profimüllwühler. Schnell schaute ich weg; sein sportlich-bürgerliches Outfit und seine noch keineswegs fortgeschrittene Entwürdigung schienen das Peinlichkeitspotenzial der Situation zu verdoppeln.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er mit dem linken Arm tief im Schlund des Mülleimers herumfuhrwerkte. Irgendwann zog er eine Zeitung heraus. Und dann lehnte er sich gemütlich an den Ampelmast und studierte die wichtigsten Texte des Tages.

Keiner, der ihn nicht aus den Augenwinkeln beobachtet hätte, wäre in diesem Moment auf den Gedanken gekommen, es könnte sich um einen Müllwühler handeln. Dann steckte er die Zeitung ein und radelte weiter. 20 Meter weiter stand der nächste Mülleimer. Er hielt an.

Und dann senkte er wieder den Kopf. Ich schaute schnell weg.


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29 Dezember 2008

Arschkarte

Setze mich im Bus der berüchtigten Linie 37 hin und schnelle sofort wieder hoch, mit klitschnasser linker Pobacke.

Irgendjemand hat irgendetwas auf diesen Sitz gekippt oder gekübelt, weiß Gott was. Noch während ich entsetzt zur Reihe gegenüber fliehe, sehe ich im Augenwinkel, wie sich eine ältere Frau samt erwachsener Kinder in Richtung nassen Sitz bewegt.

Warne sie!, schießt es mir durch den Kopf, doch schon ist es zu spät. Sie sitzen. Die Frau hat die – ähem – Arschkarte gezogen. Jetzt, wo sie schon mal Platz genommen hat, interessiert mich natürlich ihre Reaktion. Meine kenne ich ja bereits, jetzt muss sie nur noch durch Mehrheitsentscheidung verifiziert werden.

Doch nichts geschieht. Lächelnd parliert die Dame mit ihrem Nachwuchs, mit keiner mimischen Regung verweist sie darauf, dass sich gerade eine unbekannte Flüssigkeit durch die Schichten ihrer Kleidung suppt, bis sie ihr den Podex benetzt.

Die Frau ist anscheinend unempfänglich für südliche Empfindungen. Erst zu Hause werden die Signale wohl zu ihr durchdringen; sie wird erschreckt auf beginnende Inkontinenz tippen, und das wird ihr Leben verändern.

Oder auch nicht – denn vielleicht habe ich ja in einer einzigen Sekunde die komplette Flüssigkeit vom Sitz gesogen. Verstohlen schiebe ich die Finger unter meine linke Pobacke und schnuppere vorsichtig daran. Man riecht nichts. Inständig versuche ich mich davon zu überzeugen, es handele sich nur um Wasser. Scheitere kläglich.

Mit so etwas hätte das Jahr nicht unbedingt zu Ende gehen müssen, echt nicht.



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06 November 2008

W. C. Fields hatte doch Recht

Da, wo ich herkomme, gab es weniger Bohei um einen Laternenumzug.

Man wählte die Bürgersteige unbelebter Seitenstraßen, und die Restwelt blieb unbeeinträchtigt. So einfach war das. Heute ist das anders, zumindest in Hamburg.

Ich stand an der Haltestelle Barner Straße und sah den Bus schon kommen in der Ferne. Dieser Anblick ist stets verbunden mit einem wohligen Gefühl, das ich sehr schätze.

Die quälende Ungewissheit, wann wohl die notorisch launische Linie 37 ihren nächsten Bus vorbeizuschicken geruht, ist schlagartig vorbei; der Anblick des Gefährts, dessen Nahen man hier über einen ganzen Kilometer hinweg verfolgen kann, überzuckert die restlichen Minuten des Wartens mit Behaglichkeit und der schmeichelhaften Illusion, im Übermaß mit Nachsicht und Geduld ausgestattet zu sein.

Ein Getrommel von links stört indes meine Kontemplation: Es ist ein Laternenumzug. Er nähert sich der Kreuzung im rechten Winkel zum Bus, und eins wird schnell klar: Sollte der Umzug sie vorher erreichen, wird der Bus zu seiner eh schon beträchtlichen Verspätung noch erheblich mehr aufgebrummt bekommen – und damit auch ich.

Das von mir nun fieberhaft verfolgte Rennen bleibt offen bis kurz vor Schluss, dann siegen die Laternen. Der Bus verharrt vor der nutzlos grünen Ampel, während sich die trommelnden Kinder samt ihrer verantwortungslosen Erziehungsberechtigten in einem Tempo über die Kreuzung wälzen, gegen das die Grönlandgletscherschmelze wirkt wie ein Zeitrafferfilm.

Nun aber zurück auf Anfang: zum Bohei. Dieser Laternenumzug nämlich hat – im Gegensatz zu dort, wo ich herkomme – etwas eklig Professionelles. Vorneweg marschieren zwei wichtigwichtige Herren mit Kellen und Reflektoren auf den Jacken; sie sind die Hauptschuldigen für das Stoppen meines Busses.

Dahinter folgen mitten auf der Hauptverkehrsstraße die ursächlich Verantwortlichen für den ganzen sinnlosen Unfug, und nach hinten wird die entropiebeschleunigende Veranstaltung abgesichert von einem schillblauen Streifenwagen sowie einem kapitalen Feuerwehrauto in vollem Ornat.

Was glauben die Behörden eigentlich, was von diesen Kindern mit ihren Teelichtern alles stadtteilgefährdend abgefackelt werden kann – der Teer?

Die Blondine neben mir, die ebenfalls schon eine Viertelstunde auf den Bus gewartet hat, bevor die Laternen kamen, trägt einen kurzen Pferdeschwanz und einen harten Zug um die Lippen, der sie intelligent wirken lässt. Sie flucht jetzt leise.

Später, sehr viel später, steht sie im Fitnessclub zufällig neben mir auf dem Crosstrainer, aber das hat bestimmt nichts zu bedeuten, auch wenn unsere Schicksale seit dem Laternenumzug unverhofft eine kleine Schnittmenge aufweisen, für immer.


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06 August 2008

Schwarzfahren, legale Variante

Fünf vor 6 halte ich dem Busfahrer an der Mönckebergstraße (Foto) meine Karte hin, die erst ab 6 gültig ist. Ist ja kein Schwarzfahren, wenn man gleichsam einen gleißenden Spot auf sich selber richtet, nicht wahr.

Er schaut drauf. Dann schaut er noch mal drauf. Und dann sagt er: „Mööönsch, immer das alde Lied! Es sinn noch fünf Minuden!“ Er zeigt auf eine Uhr draußen, die spöttlisch dahängt wie ein Plastik gewordenes „Tja, un’ nu?“

„Ouw-ha …“, mache ich möglichst überrascht, bleibe aber betont unschlüssig im Eingangsbereich stehen. Der Fahrer sagt nichts. Ich sage auch nichts. Ein Duell des Schweigens.

Dann fintiere ich eine resignierte Bewegung Richtung Tür – und der Fahrer drückt den Knopf und schließt sie, vor meiner Nase. Noch vier Minuten bis 6, und ich kann nicht mehr raus.

„Na ja“, brummt er im Losfahren, „is meine ledsde Tour heude.“ Kein Zweifel: Ich bin an eine männliche Mutter Teresa geraten. Da die meisten bisher hier vorgekommenen Busfahrer eher an Saddam Hussein erinnerten, ist es also nur fair, auch diesen Vorfall zu erwähnen.

In den folgenden vier Minuten passieren Papa Teresa und ich zwei weitere Stationen, und zufällig steigt kein einziger Kontrolleur zu. Das hätte lustig werden können.

(Die Blogolympiade läuft noch 20 Tage.)


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27 Juni 2008

Was Busreisen mit Soul zu tun haben



Heute steckte mir eine aus rätselhaften Gründen sachkundige Nachbarin, wie Busunternehmen bei längeren Urlaubsreisen die Arbeitsvorschriften austricksen.

Irgendwo unterwegs, zum Beispiel zwischen hier und Paris, fände zwar der gesetzlich vorgeschriebene Fahrertausch statt, erzählte sie – aber nur scheinbar, denn beide Fahrer führen in Wahrheit einfach weiter, und zwar jeweils den Bus des anderen.

So könnten beide Doppelschichten kloppen, ohne den Passagieren Verdachtsmomente zu liefern. Dass der „neue“ Mann am Steuer vor Erschöpfung drauf und dran sein könnte, den Nightliner in der nächstbesten Schlucht letal schlafen zu legen, ahnen sie nicht.

Tja, eventuell sind Busreisen auch nicht mehr das, was sie mal waren. Doch zu Hause ist es eh am schönsten – zum Beispiel frühabends auf dem noch kaum bevölkerten Spielbudenplatz, wo Strandkörbe, Kuschelkissen und Fläzsessel verlockende Signale aussenden, wo man im linden Abendhauch Caipirinhas süffeln und dabei Soulsängerinnen zuhören kann, die an einem Nachwuchswettbewerb teilnehmen.

Wie Indra Afia, die sich vor drei Stunden bestimmt noch nicht hat träumen lassen, mit ihrer Spielbudenplatzversion von „Gegen den Strom“ hier und jetzt veryoutubt zu werden.

Wäre sie stattdessen gerade auf einer Busreise gewesen,
zum Beispiel zwischen hier und Paris, hätte sie das elegant vermeiden können – aber möglicherweise nicht das letale Schlafenlegen in einer Schlucht.

Tja, wie man’s macht.


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23 März 2008

Letzte Geheimnisse: Das Herrenklo (8)



Warum der Bistrobetreiber im Jenischpark einen Gag namens „Toilettentennis“ für eine gute Idee hielt: keine Ahnung. Es ist nämlich eine dumme Idee. Dadurch verbringt man viel mehr Zeit auf dem Lokus, dabei sollte man doch mehr Zeit im Bistro verbringen, konsumierend.

Der Aufforderung an den Kabinenwänden, doch mal nach links zu schauen, dann nach rechts und so weiter und so fort, folgt man als höflicher Mensch nämlich allzu bereitwillig. Und irgendwann ruft die Gattin die Feuerwehr, weil man festhängt im Höflichkeitsloop. Ich freilich konnte mit eiserner Willensstärke und der Hilfe meines Fotoapparates den Teufelskreis innerhalb eines vertretbaren Zeitraums durchbrechen.

Trotzdem haben wir im Bistro nichts konsumiert. Das Wetter war einfach zu schön, um etwas anderes zu tun als unter Bäumen einherzuwandeln und über Wiesen zu streunen, während im Süden die Elbe funkelte wie die zu einem Riesenhaufen milchiger Scherben zertrümmerte Scheibe einer Bushaltestelle an der Susettestraße.

Das wussten wir aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht, die Haltestelle erreichten wir erst zwei Stunden später.

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20 Februar 2008

Weiblich, jung sucht … Schwarzfahrer

Seit mehr als zwei Jahren muss man im Schnellbus vorne einsteigen, wie mir damals auf recht rüde Art von einem Busfahrerflegel beigebogen wurde.

Und zwar muss man deshalb vorne einsteigen, weil damals eine allgemeine Fahrscheinvorzeigepflicht eingeführt wurde. Seither gewährt jeder Schnellbusfahrer erst dann Einlass in sein rollendes Reich, wenn die ihm hingehaltene Karte sein Wohlgefallen fand. Eigentlich kein schlechtes Prinzip, denn es erspart der Stadt Kosten für zusätzliche Kontrolleure.

Umso baffer war ich heute früh, als ich im 37er über die Reeperbahn rollte und plötzlich von einer jungen attraktiven Blondine angesprochen wurde. „Guten Tag, Kontrolle“, lächelte sie hinreißend, während ihre gelockten Strähnen im Sonnenlicht funkelten wie Goldfäden, sofern die Sonne geschienen hätte. „Zeigen Sie mir bitte Ihren Fahrschein.“

Wenn ich mit zwei Seltsamkeiten auf einmal konfrontiert werde, legt mich das lahm. Das wusste ich vorher gar nicht, jetzt schon. Denn die ganze Situation schien mir schlicht surreal. Während ich wie ferngesteuert nach meiner Brieftasche kramte, fasste ich die zwei Seltsamkeiten innerlich in Form einer Zwillingsfrage zusammen.

Warum, fragte ich mich statt sie, kontrollieren die Verkehrsbetriebe mit Extrapersonal die Fahrscheine von Passagieren, deren Fahrscheine soeben bereits vom Schnellbusfahrer kontrolliert wurden?

Und wo sie das schon mal tun: Warum sind die Kontrolleure plötzlich jung, hübsch, weiblich und lassen güldne Locken im imaginären Sonnenlicht schimmern, statt wie bisher strähnhaarig, ächzend und missgelaunt 60-jährige Prekariatsbäuche durch den viel zu schmalen Gang zu wuchten?

Natürlich erwischten die beiden Grazien keinen einzigen Schwarzfahrer. Wie auch? Und natürlich fing ich mich in meiner Verwirrung nicht früh genug, um die Damen auf die Absurdität ihres Tuns hinzuweisen.

Vielleicht machen die Verkehrsbetriebe das ja auch extra und setzen weibliche Kontrolleure nur in Linien ein, wo sie garantiert keine von uneinsichtigen Schwarzfahrern gelangt bekommen können. Eigentlich sehr fürsorglich.

Und ein sehr starkes Indiz für volle städtische Kassen, allem Gejammer des Senats zum Trotz.


(Das Foto entstand zwar an einer Haltestelle der Linie 36 an der Elbchaussee, doch es passt erstaunlich gut.)

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10 Januar 2008

Das Ergebnis ist immer das gleiche

Die Kreuzung Barner Straße und Friedensallee ist verkehrstechnisch von großer Tücke, obgleich ihre HVV-Anbindung geradezu obszön grandios ist.

Diverse Buslinien durchkreuzen die Gegend, doch sind die Haltestellen etwas verstreut gelegen. An der Barner Straße kommt die 37 vorbei, hundert Meter weiter in der Friedensallee öffnet die 150 dir gern die Tür, und auf der anderen Seite des Häuserblocks in der Bahrenfelder Straße lockt die Linie 2.

Alle fahren in die richtige Richtung, nämlich zum Bahnhof Altona. Mein Ehrgeiz besteht nun in der Regel darin, den nächsten eintreffenden Bus zu erwischen, unabhängig von der Haltestelle. Dadurch erhoffe ich mir ein frühestmögliches Eintreffen zu Hause.

Dazu muss ich anmerken: Ich kann mir keine Abfahrtzeiten merken, aber das nur nebenbei. Zuerst probiere ich es stets mit dem 37er, der mich aber regelmäßig in den Wahnsinn treibt, weil er einfach nicht kommt.

Natürlich warte ich ein paar Minuten über die turnusmäßige Abfahrtzeit hinaus, bin ja kein Anfänger, doch dann keimt auch schon der erste dämonische Gedanke, der sich alsbald zur Zwangshandlung auswächst: Los, lauf rüber zur 150, flüstert der Dämon, die kommt bestimmt gleich!

Das tat ich auch schon mehrfach, nur um in der Ferne sogleich den 37er an meiner alten Haltestelle vorfahren zu sehen, während nunmehr der 150er geruhte, eine kleine Auszeit vom harten Tagwerk zu nehmen.

Einmal ging ich am Ende auch noch rüber zur Haltestelle der 2 und durfte frustriert der 150 hinterherwinken, die nur eine Minute nach meinem Verlassen der Station frohgemut eingetroffen war. Die 2 hingegen kam laut Fahrplan erst in zehn Minuten. Also lief ich gesenkten Kopfs zum Bahnhof (sieben Minuten) und traf spätestmöglich zu Hause ein.


Inzwischen bin ich aber auf buddhaeske Weise gleichmütiger geworden. Ich warte einfach auf die 37, wann immer sie kommt. Wozu habe ich 8133 Songs auf dem iPod?

Heute stehe ich dergestalt in mir ruhend an der Haltestelle, als eine leicht atemlose Mittfünfzigerin angerauscht kommt und mich fragt, ob der 37 schon durch sei. Ich verneine das, und die Dame stellt sich erleichtert zu mir.

Doch nur fünf Minuten später verliert sie schnaufend die Geduld und dampft ab zur 150. Jetzt, vorfreue ich mich diebisch, werde ich die ganze trickreich inszenierte Aufführung der hiesigen Verkehrsbetriebe also mal live an der richtigen Bushaltestelle erleben.

Denn das Abdampfen der Frau muss nach meiner Erfahrung und kosmischer Logik das sofortige Eintreffen der 37 bedingen. Sie hingegen darf das ganze Elend aus hundert Meter Entfernung hilflos fluchend mitansehen, während ich fröhlich pfeifend in den Bus steige und mir stumm gratuliere zu einer taktischen Meisterleistung.

Klasse Plan. Doch der Bus kommt nicht. Nicht nach fünf und nicht nach acht Minuten, sondern erst nach zwölf. Trotz der geflohenen Frau.

Man kann sich einfach auf nichts mehr verlassen. Nur auf den dauermelancholischen Blick der abgebildeten Statue. Ich kenne sie nur zu gut: Sie steht auf halbem Weg zwischen der 37er-Haltestelle und dem Bahnhof Altona.

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15 November 2007

Wie ein komatöses Krokodil

Der blöde Schnellbus 37 kommt zurzeit mal wieder jeden Morgen verlässlich zu spät. Meist stehe ich mir ab 9 Uhr rund 20 Minuten lang an der U-Bahn-Haltestelle St. Pauli die Beine in den Bauch und vertreibe mir die Zeit damit, zum Takt von Philip Glass den HVV zu verfluchen. Philipp Glass’ Musik ist übrigens sehr rhythmisch.

Die äußerst zuverlässig eintreffenden Busse der erheblich unbrauchbareren Linien 36 und 112 scheinen beim Eintreffen zu feixen. Ich habe es vorher auch nicht gewusst, aber verdammt: Busse KÖNNEN feixen, ich erlebe es jeden Morgen!

In der 37, so sie denn kommt, sitzt dann meist eine sehr blonde, sehr verlebte und deshalb sehr aufgetakelte Busfahrerin. Auch heute wieder. Das Auffälligste an ihr ist nicht ihre mimisch offen zur Schau gestellte Grundgenervtheit, sondern die Art, wie sie den Bus steuert. Nämlich einhändig.

Ihre linke Hand erledigt komplett alles, was nötig ist, um verlässliche 20 Minuten Verspätung zu erzielen, während ihre rechte wie eingeschlafen auf der Kasse ruht. Vier Finger liegen in mathematischer Akkuratesse auf dem Gerät, während der Daumen träumerisch hinter der unteren Kante des Kastens verschwindet. Selbst bei engen Kurven und schwierigen Ausweichmanövern bleibt die Blonde verbissen bei dieser manuellen Arbeitsteilung, als hätte sie eine Wette laufen.

„Wahrscheinlich“, vermutet Ms. Columbo, der ich ratlos davon erzähle, „ist die Kasse nicht verschraubt, und um den ständig drohenden Diebstahl zu verhindern, muss sie sie festhalten.“ Was Besseres fällt mir dazu ehrlich gesagt auch nicht ein.

Als wir am Bahnhof Altona eintreffen, geht es plötzlich nicht mehr weiter. Ich schaue vom Spiegel hoch und stelle fest: Niemand ist mehr im Bus außer mir. Vorne steht die Blonde neben ihrem Sitz und fuchtelt mit den Armen.

Ich nehme den Kopfhörer ab und erfahre so auch akustisch von ihrer Aufforderung, den Bus wechseln zu sollen. Hinter uns parkt ein weiterer 37er, dort sollen wir hinein aus irgendeinem Grund. Alle haben es schon kapiert, nur ich noch nicht, dank Philip Glass und Spiegellektüre.

Also wechsle auch ich den Bus, und erst unterwegs dorthin wird es mir bewusst: Ich habe doch wahrhaftig die rechte Hand der Busfahrerin bei einer anderen Tätigkeit erlebt, als auf dem Kassenkasten zu liegen wie ein komatöses Krokodil. Beim Fuchteln nämlich.

Somit ein ganz besonderer Tag. Doch morgen wird bestimmt wieder alles so sein wie immer.

PS: Wenn ich vor lauter 37er-Frust dann doch mal die 112 nehme, die mich immerhin in die Nähe meines Zieles bringt, dann führt die Route wenigstens über den Hafen, und ich kann Kräne kucken. Und schon habe ich wieder ein Kränefoto hier eingeschmuggelt. Ich bin echt ein Fuchs.

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11 November 2007

Man trägt Damenhandtasche



In der Tankstelle am Spielbudenplatz stehe ich hinter einem älteren Herrn in der Schlange. Er trägt ein teures hellbraunes Lederjacket, dessen Farbe perfekt mit der seiner Haare harmoniert.

Auf den Tresen legt er aber nicht etwa die Financial Times Deutschland, sondern die Gala und die Bunte – und bezahlt den Kleckerbetrag mit einer goldenen American-Express-Karte. Erlebt man so etwas nur auf St. Pauli? Wahrscheinlich schon.

Genauso wie den etwa 65-jährigen Mann abends im Bus, der auf eine Weise adrett gekleidet ist, wie man es Mitte der 70er war oder Dustin Hofman in „Tod eines Handlungsreisenden“. Er brabbelt mit unstetem Blick vor sich hin, ohne dass es ihm peinlich wäre. Als wir uns der Haltestelle St. Pauli nähern, brüllt er plötzlich: „ST. PAULI! ST. PAULI!“

Auf dem Sitz neben ihm steht seine Damenhandtasche. Ms. Columbo und ich entwickeln auf dem Heimweg Theorien über diesen Mann. Dass er mit hoher Sicherheit allein lebt und sich dabei für ihn selbst unmerklich lautstarke Selbstgespräche angewöhnt hat, darüber herrscht Konsens. Nur nicht über die Damenhandtasche.

Ms. Columbo vermutet Geiz. Er streifte, so ihre These, durch Kaufhäuser und fand nur für Damenhandtaschen Grabbeltische, weshalb er sich für die leicht merkwüdige, aber preisgünstige Variante entschied.

Meine Theorie hingegen ist folgende: Die Handtasche ist in Wirklichkeit die seiner Frau, und die liegt bei ihm zu Hause in der Tiefkühltruhe.

Selbst Ms. Columbo muss meiner Theorie eine größere Interessantheit zugestehen.

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06 Oktober 2007

Fäden, lose verknüpft

„Oooh, diese ekligen Mistviecher!“, schimpft Ms. Columbo über einen weiteren kiezaffinen Moskito, der ihr ums entzückende Näschen tanzt. „Nun, aus ihrer Sicht“, wende ich spitzfindig ein, während ich wild und vergeblich nach dem Monster schlage, „sind wir eklige Mistviecher.“

Zu diesem Tiefsinn passt der Dialogfetzen zweier Frauen überhaupt nicht, den ich neulich im Bus aufschnappte. „Du bist Mutter“, schimpfte die eine, „du MUSST hinten Augen haben!“ Schon, dachte ich. Doch andererseits zwingt einen ja niemand auf der Welt, Mutter zu werden und somit seltsame Mutationen auszubilden.

Als heimlicher Lauscher stand es mir natürlich nicht zu, dies zur Diskussion beizusteuern. Zumal nicht ausgeschlossen werden konnte, dass die Mutter im Bus das Graffito, welches mir vorgestern in der Fabrik vor die Kamera geriet, einst allzu unbedacht und somit folgenreich wörtlich genommen hatte.

Ja, das sind bisweilen so die Dinge, die mich beschäftigen.

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02 Juni 2007

Versuch einer Busfahrt

Seit 15 Jahren schon hat der notorische CO2-Privatproduzent und Klimawandelbeschleuniger GP keinen Bus mehr bestiegen, aus diversen Gründen: weil sie ihm immer zu voll waren und zu prollig, weil die Mitfahrer stanken und ein bestürzender Mangel an rahmengenähten Schuhen ihm jede Fahrt vergällte.

Das ist im 21. Jahrhundert alles nicht mehr so, hatte ich ihn immer mal wieder zu beruhigen versucht. Gerade im Schnellbus, trumpfte ich gelegentlich auf, seien freie Platzwahl und dezente Passagiere schier an der Tagesordnung. Es handle sich bei einer solchen Unternehmung quasi um eine Stadtrundfahrt, nur viel billiger.

Als wir nun gestern Abend eine gemeinsame Party im nicht gerade fußnahen Uhlenhorst aufsuchen wollten, ließ er sich endlich einmal breitschlagen zum Busfahren, nach 15 abstinenten Jahren. Ich stieg an der Davidstraße zu, GP saß schon drin. Mir schwante sofort Übles.

Der Bus nämlich war voll wie die Reeperbahn nachts um halb eins. GP hatte zwar noch einen Platz ergattert, fuhr allerdings rückwärts und wurde von benachbarten Passagieren räumlich eingeengt. Gleichwohl versuchte der Gentleman in ihm, den ausgestrahlten Missmut nicht als Vorwurf an mich rüberkommen zu lassen.

„Was ist denn los?“, fragte ich und versuchte meinerseits, die Bestürzung, die mich sowieso bereits ergriffen hatte, mimisch als Erlebnis einer absoluten Ausnahmesituation zu codieren, so dass GP keinesfalls dem Glauben verfallen könnte, im Bus sei es immer so, wie sich die momentane Lage darstellte (was er ja sowieso 15 Jahre lang angenommen hatte).

Eine erfahrene Hanseatin im eleganten Kostüm klärte mich auf: „Die S-Bahn fährt nicht – Personenschaden. Da weiß man ja schon, was los ist.“ Sie lächelte so schmerzlich wie verschwörerisch. Ja, das weiß man in der Tat.

Ich stellte mich in den Gang und versuchte mimische Entschuldigungssignale Richtung GP auszusenden. Er sah aus dem Fenster. Zeitgleich wurde ich abgelenkt, und zwar olfaktorisch.

Neben mir nämlich stand ein grauer älterer Herr mit Pennytüte, dessen Haare seinem hellgrauem Jacketkragen einen feinen Fettschmier aufpinselten; und von ihm ging eine warme Dunstwolke aus, die mich inzwischen schmeichelnd umschloss und ihr Volumen stetig vergrößerte, und zwar in Richtung GP.

Die Dunstwolke roch nach Urin.

In diesem Augenblick zerbrach etwas in mir, vor allem meine bereits hektisch imaginierte Argumentationskette, mit der ich GP nach dem Aussteigen einen weiteren Busfahrversuch in näherer Zukunft hatte abringen wollen.

Nein, das war’s. Die Quote rahmengenähter Schuhe brauchte ich nicht mal mehr zu ermitteln. Zumal ich auch selbst keine trug.

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23 April 2007

Macken (1): Worte entbeinen

Die charmanteste von Ms. Columbos Macken ist die: Zu glauben, sie hätte keine. Aber sooo viel sind es ja auch wirklich nicht. Zumindest im Vergleich zu mir.

Wenn in diesem Blog erst jetzt, nach mehr als anderthalb Jahren, eine Rubrik namens „Macken“ startet, so liegt es nämlich keineswegs an der völligen Abwesenheit derselben – im Gegenteil: Es versteckten sich derart zahlreiche in den bisherigen Blogeinträgen, dass ich zu dem Schluss kam, sie verdienten eine eigene Rubrik.

Beginnen wir also diesen hoffentlich langen und fruchtbaren Strang, und zwar mit einer relativ harmlosen: Wenn ich S- oder U-Bahn fahre und nichts zu lesen dabei habe, beginne ich mich nach einer gefühlten Nanosekunde entsetzlich zu langweilen – was ich sofort gierig damit überbrücke, Wörter von den Werbeschildern im Wagon in alle nur denkbaren deutschen Teilwörter zu zerlegen. Innerlich natürlich, nicht öffentlich.

Nehmen wir als Beispiel das nur scheinbar spröde, unergiebige Wort „Postbank“. Zurzeit deliriert es noch unschuldig auf einem dieser Schilder vor sich hin, doch schon in wenigen Sekunden wird es sachgerecht entbeint. Postbank, da stecken drin: natürlich „Post“ und „Bank“ (letztere gleich zweimal, einmal zum Sitzen, einmal zum Überfallen), „an“, „ost“, „Po“ und „post!“ (als – ähem – Befehlsform an Poser); auch die „Ostbank“ lässt sich bilden, und zusammen mit dem Ausgangswort, was natürlich mitgezählt wird (ich spiele nach meinen Regeln!), kommen wir auf recht formidable neun Wörter.

Nicht schlecht für einen Begriff, der aus lediglich acht Buchstaben besteht, wovon nur zwei sich des Vorzugs erfreuen dürfen, ein klangvolles Leben als Vokale führen zu dürfen.

Ja, und schon fahre ich in St. Pauli ein und habe mich nur mäßig gelangweilt. Dafür nehme ich es auch gern in Kauf, als Beherberger von Macken zu gelten. Im Gegensatz zu gewissen anderen Leuten, deren charmanteste es ist zu glauben, sie hätten keine. Pah.

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10 April 2007

Ein Stofftier, aber nicht Knut

Ja, irgendein Wahnsinniger ist hinabgestiegen ins Gleisbett am S-Bahnhof Reeperbahn. Er hat die Gleise überquert, den Hammer ausgepackt und einen Nagel in die Fahrplanwand geschlagen. Um ein kleines schwarzes Stofftier mit gelben Füßchen daran aufzuhängen.

Dann ist er wieder über die Gleise zurückgestiegen. Er ist hochgeklettert auf den Bahnsteig, hat auf den nächsten Zug gewartet und ist davongefahren.

Wer immer das war, er muss die ganze Aktion lebend überstanden haben. Auf dem Hinweg hatte er die Starkstromleitung ja evidenterweise nicht berührt, sonst hinge jetzt kein Stofftier da. Und wäre ihm der Rückweg letal misslungen und hätte die Polizei seine verkohlten Überreste von den Gleisen schaben müssen, dann wäre einem der Beamten sicher das kleine schwarze Stofftier mit den gelben Füßchen am Fahrplanplakat aufgefallen, und er hätte es abgenommen.

Nein, der Wahnsinnige muss das alles wirklich lebend überstanden haben. Um welches Stofftier es sich handelt, konnte ich nicht genau erkennen, und zur Beweissicherung hinabsteigen wollte ich nicht.

Eins jedenfalls ist sicher: Es ist nicht Knut.

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09 April 2007

Im Totenpark

„Komm, wir probieren’s einfach!“, schlägt Ms. Columbo fröhlich Schwarzfahren vor, nachdem wir planen, den größten Parkfriedhof der Welt in Ohlsdorf zu besuchen und ich auf die mangelnde Reichweite unserer Monatskarte verwiesen habe.

„Früher“, tadle ich sie streng, „warst du eine anständige junge Frau, und jetzt planst du Gesetzesbrüche! Was ist bloß aus dir geworden?“ Sie bestreitet meine Analyse keineswegs, führt aber vor allem meinen schlechten Einfluss ins Feld. Mist, sie hat Recht.

Daher schlage ich verschärfend vor, wir könnten heute nachmittag ja Blumen von den Ohlsdorfer Gräbern klauen, das sei bestimmt noch verwegener als schwarzfahren. „Nein“, erwidert Ms. Columbo entschieden, „meine Gegner müssen sich wehren können.“

Also bleibt es beim abschnittsweisen Schwarzfahren, was durchaus zur aufregenden Episode gerät, denn am Jungfernstieg steigt ein Uniformierter der Hochbahn zu, platziert sich nur wenige Sitze entfernt gegenüber und bleibt bis Ohlsdorf (zum Glück tatenlos) sitzen, das sind gefühlte 34 Stationen.

Vorm Haupteingang des Friedhofs stoßen wir auf ein Bestattungsinstitut, welches die populäre Philosophie des „Geiz ist geil“ behutsam in seinen Tätigkeitsbereich überführt hat. Dennoch scheinen mir die beiden Wörter „Sarg“ und „Discount“ noch ein wenig zu fremdeln, aber das war ja bis vor kurzem auch noch mit „Billig“ und „Flug“ so.

Man sollte niemals Avantgardisten in ihrem Tun behindern.

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29 November 2006

Nichts geht mehr

Beim abendlichen Heimradeln erweist sich der Verkehr als völlig lahmgelegt. Alles steht, Bus an Auto, Auto an Bus. Warnblinkanlagen flackern, ungeduldige Menschen stehen in der Bahrenfelder Straße zwischen Auspuffrohren und Kühlergrills herum. Alles sind ratlos. Klar ist: Nichts geht mehr. Stillstand. Eine Zivilisation am Rande der Hilflosigkeit.

Kurioserweise traut sich dennoch keiner weg von seinem Wagen, obwohl ja auch niemand damit durchbrennen könnte. Eine Krux. Als Fahrradfahrer aber grinst man der Malaise souverän ins Gesicht und schlängelt sich virtuos durch den autoimmobilen Parcours.

Und der zieht sich hin, alle Achtung. Auch in der Kleinen Rainstraße steht Wagen an Wagen. Nichts nervt den urbanen Menschen mehr, als zur Untätigkeit, zum Verharren an einem bezugslosen Ort verdammt zu sein – vor allem, wenn er nicht weiß, warum. Woher kommen wir, wohin gehen wir – und wann endlich, verdammt noch mal?

Nur der Radfahrer wird es bald erfahren, denn er zwängt sich durch kleine blechgesäumte Lücken, er nutzt kurz den Gehweg, hüpft fidel über den Bordstein zurück auf die zugestellte Straße, stützt sich an der Wand eines – haha – Schnellbusses ab und erreicht schließlich den Anfang des Staus, der gerade halb Altona lahmlegt.

Und hier haben wir den Übeltäter. Wo die Kleine in die Große Rainstraße übergeht, parkt ein roter Golf halb auf der Straße, und genau dort kommt nun ein Bus nicht mehr um die Kurve. Ein Umstand, der sich in Form zunächst stockenden, dann stehenden Verkehrs rückwärts fortgepflanzt hat und sich inzwischen wahrscheinlich der Stresemannstraße nähert oder sogar schon der Abfahrt Bahrenfeld, und vielleicht leckt der Stau auch bereits gierig hoch auf die Autobahn und führt zu zähem Fließen bis hinauf nach Schnelsen-Nord und irgendwann bis Flensburg.

Und alles wegen eines roten Mittelklassewagens. Hier an der Ecke, vorm Golfus delicti, ist Volksauflauf. Polizei sichert die Lage. Alles wartet auf den Abschleppwagen. Bis dahin ruht weiter still und starr, was doch zum Sichbewegen geschaffen ist. Schaulustige besprechen die Lage. Nicht bei den Buskunden, aber bei den Fuß- und Müßiggängern herrscht vorfreudige Erwartung. Beim Abschleppen zuzusehen, ist immer eine feine Sache.

Noch feiner wäre es allerdings, der Fahrer des roten Golfs kehrte jetzt zurück und müsste sich dem Volkszorn stellen. Ich habe eine solche Situation mal in der Friedensallee erlebt, wo ein unsensibler Automobilist ebenfalls einen Bus blockiert hatte. Bei seiner Rückkehr erkannte er gleich die Brisanz der Situation und versuchte sich gleichsam unsichtbar ins Auto zu flüchten. Die nahezu tollwütigen Busfahrgäste allerdings stellten ihn und schrien ihm Vorwürfe entgegen, von denen ein mit Schaum vor dem Mund vorgetragenes „Ich habe ein krankes Kind zu Hause! Was denkst du dir eigentlich, du!“ der niederschmetterndste war.

Noch nie habe ich eine Menschenmenge so nah an ihrer Verwandlung zum Lynchmob gesehen wie damals. Daran merkt man, welche Bedeutung die Bewegungsfreiheit hat. Kein Wunder, dass Gefängnisinsassen manchmal sogar Dächer entern, nur um sich mal ungestört die Füße vertreten zu können.

Heute jedenfalls droht dem Golffahrer ebenfalls großes Ungemach, träte er unbefangen an sein Gefährt heran. Doch wenn er schlau ist, gesellt er sich einfach unauffällig zum potenziellen Lynchmob und schaut mit innerem Bedauern zu, wie sein Wagen demnächst abgeschleppt wird. Im Endeffekt kommt ihn das billiger – und ist deutlich weniger riskant.

So lange kann ich aber nicht warten. Also radle ich weiter und erfreue mich einer gähnend leeren Reststrecke bis zum Bahnhof Altona. Unterwegs wiege ich mich in der süßen Gewissheit, wieder ein wenig Blogstoff aufgesammelt zu haben.

So hat selbst das Lahmliegen des Hamburger Individualverkehrs noch sein gerüttelt Maß Gutes.

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20 Juli 2006

Hitzewelle

38 Grad im Schatten. Der heißeste Tag in Hamburg seit dem Urknall oder wenigstens seit Domenica ihre Karriere beendet hat. Die Hitze macht die Menschen zu Irren.

An der Schmuckstraße steht ein älterer Herr mitten auf dem Fußgängerweg und dirigiert ein imaginäres Orchester. Sein Blick geht in eine beängstigende Ferne, von der ich nicht mal wissen möchte, dass sie existiert.

Im Bus sehe ich einen Mann mit struppigen Koteletten bis zum Kinn. Er ist kugelig wie Helmut Kohl, aber einen halben Meter kleiner. Das Erstaunlichste an ihm aber ist seine Kleidung. Während ich dasitze und versuche, möglichst flach zu atmen, um jede schweißtreibende Bewegung zu minimieren, trägt dieser Mann einen gestrickten Wollpullover. Langärmlig.

Allein vom Hinsehen geraten meine Schweißdrüsen in Panik. Als ich aufgestanden bin und auf die nächste Haltestelle warte, sehe ich noch Unfasslicheres: Unter seinem Wollpullover lugt ein roter Kragen hervor, offenbar von einem Polohemd oder etwas Ähnlichem. Trotzdem ist auf seinem gurkendicken Nackenwulst kein Schweißtropfen zu sehen.

Plötzlich aber rieche ich es. Ihn umgibt ein dumpfer Geruch wie von fauligem Stroh oder alten feuchtgewordenen Kartoffelsäcken, mit unsagbaren Molekülen angereichert von seiner viellagigen Kleidung. Er schwitzt offenbar doch. Nur nicht am Nacken.

Abends taumele ich nah am Hitzschlag durch Ottensen, als ich überm Eingang von Photo Dose den Kasten einer eifrig brummenden Klimaanlage erblicke. Sofort betrete ich bedürfnislos den Laden. Eine erquickende Kühle umstreichelt mich wie der Fächerwind von hundert Geishas, und ich widme mich ausführlich dem Betrachten billiger Bilderrahmen. Auch das aufmerksame Studium der Funktionsweise eines Digitalbilddruckers beschäftigt mich minutenlang.

Die Geishas sind unermüdlich. Sie scheinen mir zuzulächeln. Als kein anderer Kunde mehr im Laden ist, verwickle ich den Mann hinterm Tresen in ein sinnloses Gespräch über die Preisunterschiede zwischen Postern, die vom Digitalbild gezogen werden, und jenen, die aus Filmnegativen entspringen.

Der Mann weiß rein nichts darüber, er habe die Preise nicht gemacht, erklärt er, aber ich lasse nicht locker und hoffe, unterm Einfluss der Klimaanlagengeishas nicht allzu debil zu grinsen.

„Klären Sie das?“, frage ich ihn abschließend, „ich komme wieder und frage noch mal nach.“ Verwirrt bejaht er. Hauptsache, ich gehe, scheint er zu denken. Und das tue ich auch, beschwingt und gestärkt.

Doch nichts vergisst man so schnell wie Hitze, der man entflohen ist, und kaum stehe ich vor der Tür, bereue ich es, den Mann hinterm Tresen nicht auch noch nach Schumis Chancen gegen Alonso und vor allem zu Lösungsansätzen im Nahostkonflikt befragt zu haben. Na, beim nächsten Mal.

Nur ein eissatter Caipirinha im Aurel kann die Lage jetzt wieder verbessern. Zum Glück erwarte ich dort German Psycho – bei seinem Anblick gefriert einem ja stets das Blut in den Adern. Ein grandioser Effekt bei 38 Grad im Schatten.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Hitze
1. „Heatwave" von The Blue Nile
2. „Long hot summer" von The Style Council
3. „The big heat" von Stan Ridgway

Foto: planet-wissen.de

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18 Juli 2006

Berlin kennt keine Bandansagen

Kaum in Berlin, erweckt ein Busfahrer der Linie M46 mein ganzes Mitgefühl. Der arme Knecht muss nämlich nicht nur seinen Dieseltrumm durchs Chaos des Hauptstadtverkehrs manövrieren, sondern auch noch alle Haltestellen selber ansagen und die Anschlussbahnen und -busse gleich mit. Und das alles an jeder schäbigen Station und hinein in ein fies fiependes Mikrofon, zu dem er sich auch noch linksseitig tief hinabbeugen muss.

Seine Halswirbelsäule wirkt bereits gefährlich verbogen, und sein Rücken neigt zu ungesunder Wölbung. Der ganze Mensch wirkt unterm satanischen Wechselspiel aus Schalten, Gasgeben, Bremsen und krumm Ansagenmachen verhärmt und ausgelaugt. Früher sahen nur die Junkies am Bahnhof Zoo so aus. Sein Schnurrbart ist strohig, sein immerhin dichtes Haupthaar so aschfahl, als sähe er die Sonne nie, dabei sitzt er doch den ganzen Tag gleichsam mittendrin.

Klar, deses Verdammtsein zur unablässigen Ansagerei verhärmt jeden gesunden Menschen über kurz oder lang. Vor jeder Station denkt der Mann sich doch: Jleich muss icke wieder quaddeln, und dette jrässlich fehljustierte Mikro taugt jarnüscht und uzt mir auch noch!

In Hamburg – um jetzt mal wohldosiert die lokalpatriotische Karte auszuspielen – kommt so etwas komplett vom Band, liebe BVG, da muss sich kein Busfahrer mit abmühen; er kann sich stattdessen Ampeln und Mitverkehr widmen und falsch abbiegende Radfahrer sauber erlegen. In der hiesigen U-Bahn spielen sie momentan sogar locker Kinderstimmen ein, die fröhlich „St. Pauli!“ krähen oder „Please leave here for harbour boat trips!"

Ja, Berlin, soweit ist die Technik bei uns schon: Bandansagen! Vollautomatisch! Stell dir das mal vor: Keine 300 Kilometer entfernt, und doch eine ganz andere Zivilisationsstufe!

An der gebeugten aschfahlen Figur hinterm Lenker auf der Berliner Linie M46 hingegen erkennt man ungeschönt die ganze bittere Lage der Haupstadt – und zwar viel besser, als sie aus todtraurigen Wowereitschen Haushaltsplänen je herauszulesen wäre.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über den öffentliche Personennahverkehr
1. „Crosstown traffic" von Jimi Hendrix
2. „Stuck inside of mobile (with the Memphis blues again)" von Bob Dylan
3. „Autobahn" von Kraftwerk

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18 Mai 2006

Wie ich mal die Steuerzahler entlastet habe

Was ist denn los? Warum geht es nicht weiter? Seit fünf Minuten steht der Bus an der S Reeperbahn, und mir dämmert das erst allmählich, weil ich auf den Ohren den alten Al Green habe und vor den Augen ein Buch. Ich blicke auf.

Vorn diskutiert ein massiger Mann afrikanischer Prägung erregt mit dem Fahrer. Eine Einigung scheint fern. Der Fahrer ist offenbar nicht gewillt loszufahren, solange der lautstarke Diskutant sich nicht trollt. „Steigen Sie aus!“ schallt es durch den Bus. Der so unfein schroff Aufgeforderte aber denkt nicht im Traum daran, sondern kommt jetzt den Gang herunter und setzt sich schräg hinter mich.

Zu einer Lösung der Lage trägt diese Entscheidung freilich nicht bei, denn der Fahrer stellt den Motor ab und nestelt an seinem Funkgerät. Offenbar ist er zu dem Schluss gekommen, externe Hilfe sei opportun. Immerhin ist die Davidwache (Foto) nah, da könnte in Bälde ein wirksamer Eingriff der Exekutive erfolgen.

„Was ist denn los?“ frage ich den Herrn hinter mir. Froh über ein offenes Ohr, dem er sein Leid klagen kann, erläutert er, sich im Besitz einer Tageskarte zu befinden – und es stimmt, er hält sie mir hin –, die nach Aussage des für den Verkauf zuständigen Schaltermenschen auch für diesen Bus hier Gültigkeit besäße. Doch der Fahrer sei uneinsichtig, ja geradezu renitent. Dieser Bürokrat, führt er sinngemäß weiter aus, habe seiner Auslegung der Tageskartenfunktion gänzlich unaufgeschlossen gegenübergestanden und ihm als Alternative in recht deutlichen Worten den Kauf eines zusätzlichen Tickets anempfohlen. Kostenpunkt: einszwanzig.

Dies hält mein Nachbar weiterhin für inakzeptabel. Schließlich habe er zum einen eine gültige Tageskarte und andererseits zehn Cent zu wenig in der Tasche.

Hm, mir schwant ein Polizeieinsatz, mir schwanen schreiende Menschen, über Muskeln sich spannende Uniformen, ich höre vor meinen geistigen Ohr das silbrige Klirren von Handschellen, sehe Tränengasschwaden, es droht eine Gefährdung des öffentlichen Personennahverkehrs, ich sehe Verhaftung, Abschiebung, eine zerrissene Familie und schließliches Dahindämmern in den Slums von Kinshasa oder Ouagadougou … Und alles nur wegen einer fehlenden Münze, der viertkleinsten überhaupt.

Während der Fahrer vorne offenbar im Begriff ist, eine erfolgreiche Funkverbindung zur Einsatzleitung herzustellen, offeriere ich dem Mann zehn Cent, zunächst in Form einer Ein-Euro-Münze, die er mit einem Wort des Dankes auch annimmt. Damit stapft er ungebrochen verärgert nach vorne und legt wortlos seinen und meinen Euro dem Fahrer hin. Der beendet den Funkkontakt, ratscht – ebenfalls stumm – ein Ticket aus dem Automaten, zählt das Wechselgeld ab, und der Mann steckt es samt Ticket still ein, stapft durch den Gang zurück und gibt mir 90 Cent zurück. Der Bus fährt los, alles ist gut.

Wäre man Haushaltsexperte im Fachbereich polizeiliche Einsatzkräfte, könnte man wohl leicht ausrechnen, wieviele Steuern die Stadt Hamburg just durch die Investition einer Zehn-Cent-Münze zur richtigen Zeit am richtigen Ort gespart hat.


Die Rendite ist jedenfalls atemberaubend. Schade, dass ich bei privaten Finanzgeschäften dagegen immer auf die Schnauze falle.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs von Al Green
1. „Love is a beautiful thing“
2. „I can't stop“
3. „Call me“

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23 April 2006

Die Evolution und Berlin

Berlin ist schon merkwürdig. Im Bus am Bahnhof Zoo lösen wir Tickets und werden von einem gelben Kasten zum Entwerten derselben aufgefordert. Allerdings ist der Schlitz schmaler als die Tickets breit sind. Sie passen einfach nicht rein.

Wir erwägen Experimente wie Falten der Fahrkarten oder gewaltsames Verbreitern des Entwertungsschlitzes, beschließen aber am Ende doch, die Sache stillschweigend hinzunehmen und eventuelle Kontrolleure in kampfeslustige Diskussionen über die Detailschwächen des Berliner Nahverkehrssystems zu verwickeln.

Die Fahrt allerdings verläuft ohne Zwischenfälle, und an der Zielhaltestelle erweist sich sogar die archaisch anmutende Wegbeschreibung von Dr. K. („ ... über große Straße Richtung Osten ...“) als nicht komplett undechiffrierbar. Denn unter Reaktivierung bestimmter Steinzeitgene identifiziere ich trotz dichter Wolkendecke die korrekte Himmelsrichtung.

Ich bin stolz wie Oskar, Ms. Columbo hält mich für einen Helden. Und mir wird plötzlich klar, wie unsere Spezies es schaffen konnte, zur dominierenden auf diesem Planeten zu werden.

Mehr über die Evolution und Berlin nach unserer Rückkehr.

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29 Januar 2006

Der neue Mitbewohner

Seit gestern wohnt Michael Jackson in Hamburg. Er kam von Neverland über Bahrain nach Niendorf, genauer gesagt: in den Garstedter Weg 67. Da unten, im roten Kreis: Da isser und isst wahrscheinlich Sushi mit der Familie Schleiter.

Jackos Anwesenheit verwandelt die Stadt. Plötzlich mustert man verschleierte Frauen anders, irgendwie forschender. Bei ihren Männern kommt das nicht immer gut an; das Leben hier wird durch Jackson gefährlicher.

Wie bewegt sich einer wie er wohl von A nach B, etwa von Niendorf nach Poppenbüttel? Mit Limousine, das läge nahe. Ist aber auffällig, und Jacko ist scheu. Vielleicht – und ich weiß, was ich jetzt sage – fährt er ja Bus oder Bahn. Eine bessere Tarnung gäbe es doch gar nicht! Gerade weil es so irre wäre. Heute in der U3 hielt ich bohrend Ausschau, vergebens.

Vielleicht geht er auch gar nicht aus, sondern beschränkt sich aufs Sushi-Essen mit der Familie Schleiter. Man könnte sich also den Spaß erlauben und verschleiert durch die Stadt flanieren, ausstaffiert mit bodenlangem Gewand und schwarzen Halbschuhen. Hie und da raffte man den Rock und ließe die weißen Socken emblematisch aufblitzen. Gegenüber Passanten hieße es huldvoll herumfisteln („I love you”), schon könnte man für viel Furore sorgen – und im Alsterpavillon ein Gedeck schnorren.

Kann mir mal jemand Gewand und Schleier leihen? Weiße Socken habe ich, ähm, selbst noch im Schrank. I love you!


Ex cathedra: Die Top 3 der größten Michael-Jackson-Songs
1. „Billy Jean“
2. „Billy Jean“
3. „Billy Jean“


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02 Januar 2006

Die 16-Jährigen

Ach, Busse sind doch ein steter Quell der Freude! Gegenüber ÖPNV-Fans wie mir leben einsame Autofahrer doch geradezu in einer sozialen Wüste. Was passiert denn schon in so einer Individualblechkiste? Gasgeben, bremsen, wütend hupen; laut und ungehört die anderen verfluchen. Mehr nicht. Arme Monaden am Steuer.

Wie prall und lehrreich hingegen das Leben im Bus! Man ist sich nah, auf den Sitzen tummeln sich prototypische Vertreter praktisch aller sozialen Schichten; der Bus als solcher blickt gleichmütig milde auf Alter, Rang und Namen herab. Er lässt jeden herein, solange der einen Beförderungsberechtigungsschein mit sich führt oder in allernächster Kürze zu erwerben bereit ist.


Heute Abend steigen in Altona zwei wahrscheinlich türkische Teenage-Queenies zu. Sie sind auf genau jene Weise aufgetakelt, wie man es sich nur in einem sehr engen Zeitfenster zwischen 16 und 16 1/4 leisten kann: mit Ohrringen groß wie Frisbeescheiben, mit Leopardenjäckchen, breitesten Nietengürteln auf den noch knochigen Hüften und mit Hosen von einer Enge, die eine Durchblutung südlicher Regionen zuverlässig verhindern muss.


Die Mädchen setzen sich nach hinten, schräg neben mich, doch der Fahrer zitiert sie noch vor der Abfahrt wegen eines Ticketproblems nach vorne.

Das nervt die Grazien natürlich. Sie stehen auf, und die eine zischt „Wichser!“ – aber nicht so laut, dass es beide Silben durch den ganzen Bus bis zum Fahrersitz schaffen. Dann schweben sie energisch nach vorne, klären die Lage, kommen zurück, setzen sich wieder gemeinsam auf ihren Teenage-Queenie-Sitz – und holen wie auf Kommando wortlos und unisono Ohrhörer hervor, um sich hinfort in stummer Isolation ganz und gar ihren Ganglien zu widmen.


Das verwirrt mich enorm. Haben Teenies nicht seit jeher die verdammte Pflicht zu kichern und zu giggeln, sich anzustupsen, mit den Augen zu rollen, halblaut aufzukreischen und sich meinethalben Handy-Textmeldungen vorzuflüstern, um wieder Gründe zum Kichern, Giggeln, Augenrollen und Halblautaufkreischen zu haben? Jeder von uns hat doch seinen Job zu tun hienieden. Und in der Welt, die ich kenne, gehört all das zur Stellenbeschreibung von Teenies dazu.


Doch diese beiden setzen sich nebeneinander und drehen sämtliche Sinne nach innen. In weiter Ferne, so nah. Und bis ich an der Davidstraße aussteige (nicht weit von diesem neuen, teeniepinken Waschsalon), bleibt das einzige Wort, das zwischen ihnen gefallen ist, dieses hier: „Wichser!“


Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Cocaine blues“ von Joaquin Phoenix sowie „I can't stop“ und „Here I am (come and take me)“ von Al Green.


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17 Dezember 2005

Der Busfahrer (2)

Der Zwischenfall von vorgestern (ein Münchner Pendant dazu wird hier erzählt) hat eine Vorgeschichte, die ich erst jetzt, im Licht der aktuellen Ereignisse, richtig einstufen kann.

Vergangene Woche nämlich musste ich rennen, um an der Davidstraße den Bus noch zu erwischen. Er stand an der Haltestelle, als ich ihn erreichte. Doch die hintere Tür war zu. Ich betätigte den „Öffnen“-Knopf und nichts passierte. Noch mal drücken, nichts. Und plötzlich gibt der Fahrer Gas. Ich brülle irgendwas, das phonetisch an „Hey!“ erinnert und semantisch einen giftigen Mix aus Überraschung und Empörung ausdrücken soll.


Doch vergebens, weg ist er. Ärgerlich, aber solche Fahrer gibt es halt. Sie müssen offenbar mit einem nagenden Frust fertig werden, der ihr Leben vergiftet und sie von Zeit zu Zeit zu kleinen schäbigen Bösartigkeiten drängt.


Dachte ich zumindest. Doch dass auch diese Aktion mit der neuen Hamburger Regelung der Ticketpräsentation zusammenhing, ist mir erst jetzt aufgegangen. Wäre ich etwas sensibler gewesen, ich hätte schon vergangene Woche erahnt, was die Hochbahn mir durch die Schikane sagen wollte. Aber ich bin eben ein Holzklotz.


Die abgebildete Lampe hätte ich auch gern zu Hause stehen. Doch sie gehört der Geschäftsstelle der Aids-Hilfe in der Seilerstraße. Und sie steht dort gar nicht, sondern hängt von der Decke. Kleiner Drehtrick.


Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Bandy Bandy (feat. Erykah Badu)“ von Zap Mama, „Nighthawking“ von Tim Buckley und „Song #3“ von Marvin Gaye.


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15 Dezember 2005

Der Busfahrer

Nachdem ich die Zeisehallen (Foto) durchquert hatte, stellte ich mich an die Haltestelle Friedensallee. Bis zur Ankunft des Busses gab es noch keine Blog-Geschichte für heute. Wenig später schon.

Es begann damit, dass der Fahrer die hintere Tür nicht öffnete. Ich telefonierte gerade mit einem Freund und drückte gedankenverloren den Knopf, doch nichts geschah. Also hieß es nach vorne tapern, wo mich der Fahrer – ohne den Blick von der Straße zu wenden – mit den Worten begrüßte: „Statt telefonieren lieber Fahrkarte zeigen.“

Huch. Das war mir neu – und sein Tonfall vielleicht nicht hundertprozentig der Situation angemessen, denn immerhin sprach er mit einem Kunden, der mit einem nicht unerklecklichen Monatsbeitrag sein Gehalt finanzierte. Vielleicht hatte der gute Mann aber einfach diese Reflektionsebene noch nicht erreicht. Das sollte ihm allerdings auch im Lauf unserer Begegnung nicht mehr gelingen.

Bisher, wandte ich jedenfalls irritiert ein, habe man doch erst ab 21 Uhr die Karte zeigen müssen. Seit letzter Woche sei das eben anders, schnappte der Fahrer. Er schaute mich noch immer nicht an, sondern höchstens mal betont gelangweilt hoch zum Rückspiegel. Dabei gab es darin gar nichts zu sehen; immerhin konnte ja hinten keiner einsteigen, weil er die Tür nicht geöffnet hatte.

„Wo wurde diese Neuerung denn kommuniziert?“, fragte ich, nachdem ich meinem Freund gesagt hatte, ich riefe gleich zurück, derweil ich einhändig die Abokarte aus der Brieftasche fingerte. „In der BILD-Zeitung“, sagt er, „und im Hamburger Abendblatt.“

„Ich lese keine Springer-Zeitungen“, entgegnete ich dem Ignoranten recht giftig, obwohl ich manchmal doch in die eine oder andere reinluge, aber höchstens online. Zum Beispiel lese ich die Zitate im BILDblog (siehe links in der Blogroll), und die sind original Springer, nämlich allzu oft falsch, verdreht, verwechselt, dumm oder alles zusammen. Der Fahrer ratterte weitere Zeitungsnamen herunter.

„Vielen Dank für Ihre Freundlichkeit“, demütigte ich ihn und zog mich in den hinteren Busteil zurück.
Als wir uns zehn Minuten später der Davidstraße näherten, stellte ich mich zum Aussteigen vor die hintere Tür. Und zu meinem nicht geringen Erstaunen prangte dort der übliche riesigrunde Aufkleber: „Ab 21 Uhr bitte Karte vorne beim Fahrer vorzeigen.“ Es war 18:20 Uhr.

Also ging ich nach vorn und fragte den Fahrer, warum denn dieser Aufkleber da hinten noch klebe und ob er ihn nicht vielleicht mal entfernen wolle angesichts der doch per Springer kommunizierten veränderten Zusteigepraxis. „Wenden Sie sich an die Hochbahn“, sagte er und schaute schon wieder sinnlos in den Rückspiegel, „ich mache gar nichts weg.“

Um es noch mal zusammenzufassen: In ihren eigenen Bussen fordert mich die Hochbahn zu etwas auf, das sie per BILD-Zeitung untersagt hat. Doch der Fahrer hört auf BILD.

Das ist Medienmacht.

Große Musik, die heute durch den iPod floss: „A few minutes after trancefer“ von Klaus Schulze, „Scarborough fair“ von Walter Parks & Alan Dynin und „A stream with bright fish“ von Brian Eno & Harold Budd.


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30 November 2005

Der Verdächtige

Am Bahnhof Altona sitze ich im 37er gegenüber der mittleren Tür, lese Spiegel und warte, dass der Bus abfährt. Mein Blick fällt auf einen Mann mit Bartschatten, der vor der Tür steht, obgleich noch Plätze frei sind. Er wirkt arabisch, trägt einen dicken Parka, Handschuhe und einen Rucksack auf dem Rücken. Er blickt unstet umher, und mir wird plötzlich unwohl. Was, wenn er … Ich höre auf zu lesen und überlege, ob ich aussteigen soll. Der nächste Bus fährt in zehn Minuten, und ich bin in Eile.

Soll ich? Quatsch! Oder doch?


Wir haben eine neue Kanzlerin, die noch einen braunen Hals hat von ihrem damaligen Besuch bei Irak-Krieger Bush, mit dem sie der deutschen Regierung in den Rücken fiel. Und im Irak wurde gestern eine deutsche Staatsbürgerin entführt. Kann es nicht sein, dass wir jetzt ebenso auf der Liste stehen wie England und Spanien?


Der Mann an der Tür schaut umher. Warum setzt er sich nicht? Sein Parka beult sich, der Rucksack ist prall. Ich bin wie versteinert. Die Türen flappen zu mit einem dumpfen Zischen, und der Bus fährt los. Die wahrscheinlich lächerliche Entscheidung, auszusteigen und auf den nächsten zu warten, ist mir abgenommen worden.

Der Spiegel liegt auf meinem Schoß. Ich beobachte den Mann, der sich jetzt umdreht und durch die Türscheiben in die Dunkelheit starrt. Sein Rucksack wölbt sich mir schwarz entgegen. Der Mann hält sich mit einer Hand an der Stange fest. Sein Körper schwankt im Zusammenspiel von Gravitation und Fliehkraft.


Wann würde es passieren? An einer Ampel? Wenn der Bus die Reeperbahn hochfährt? Vielleicht an der Haltestelle Davidstraße, wo die Sünde und Verderbtheit der westlichen Welt sich verdichtet zur grandiosen Verhöhnung seines Glaubens? Oder will er zur U-Bahn, in einen Tunnel, zum Hauptbahnhof?


Die nächste Haltestelle, Altonaer Poststraße. Der Bus stoppt, die Türen zischen auf. Der Mann steigt aus. Ich sehe, dass er ein steifes Bein hat. Er hätte sich gar nicht hinsetzen können, so eng, wie die Sitzreihen aneinander gebaut sind.


Ich bin beschämt und erleichtert. Abends im bretonischen Restaurant Ti Breizh in der historischen Deichstraße esse ich einen Schoko-Marzipan-Crêpe, für den Adam jederzeit den Garten Eden verlassen hätte. Über die Ost-West-Straße huschen die Lichter der Autos; und das würden sie auch, wenn abends irgendwo in der Stadt ein Bus explodiert wäre.


Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Two wrongs won't make things right“ von Tarnation, „Summer dress“ von Red House Painters und „Sight of you“ von Pale Saints.


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27 November 2005

Das ewige Teenie

Nena ist genau 48 Stunden jünger als ich. Als ich sie heute Abend auf der Bühne der Color Line Arena sah, schienen es mir drei Jahrzehnte.

Sie spielte das ewige Teenie. Graue Glitzerleggings, darüber ein fein funkelndes helles Minikleidchen, das zur Gänze sichtbar wurde, als sie ihr schwarzes Discolacklederjäckchen auszog. Das war beim dritten Stück, der unschuldig süßen Teenie-Anmache „Willst du mit mir gehn?“.

Ich bin zu alt für Nena, die nur 48 Stunden jünger ist als ich. Aber auch sie ist zu alt für diese Nena dort oben auf der Bühne der Color Line Arena.

Wir verlassen die Halle als erste. Draußen Ödnis. Eine Schlange gelangweilter Taxis steht herum. Einige Meter entfernt die pausierenden Shuttle-Busse, die stets die Arenamassen aus der Abgelegenheit Stellingens zurückkarren zur nächsten S-Bahn-Station, wo die Zivilisation andockt.

Ein Bus kommt, als wir uns an der sonst menschenleeren Haltestelle zeigen. Er fährt uns zur S-Bahn, uns ganz alleine. Ein elitäres Gefühl. Ich nehme mir vor, Jess Jochimsens Buch „ Flaschendrehen oder: Der Tag an dem ich Nena zersägte" zu lesen. Kriegt gute Kritiken, das Buch.

Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Vote Beeblebrox“ von Andy Dunlop & Neil Hannon, „Faded glamour“ von Animals That Swim und „Finding you“ von den Go-Betweens.


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11 November 2005

Die Lautstarken

Im 37er Bus. Sitze neben einem hageren älteren Herrn offenbar kleinasiatischer Herkunft, der mir mit seinem grobleinenen Anzug und einer dem Modegeschmack der 50er Jahre schmeichelnden Mütze recht wenig urban wirkt. Indes klingelt es plötzlich ganz modern in seiner unmittelbaren Nähe, ja geradezu aus ihm heraus.

Er zückt fix ein grellrotes Teenie-Handy von Nokia, in das er nach einem kurzen Moment der Vergewisserung, wer denn da am anderen Ende ein Gesprächsbedürnis hat, hineinzusprechen beginnt – genau gesagt: Er BRÜLLT.


Der gute Mann scheint mit den technischen Fähigkeiten eines Mobiltelefons nicht zur Gänze vertraut zu sein. Denn ich – und wohl auch der Rest der Fahrgäste, wie man an den erschreckt sich drehenden Köpfen ablesen kann – habe das Gefühl, er will die Distanz zum Anrufer komplett mit der physischen Kraft seiner Lungen und Stimmbänder überbrücken. Und, meine Damen und Herren, es ist kein Ortsgespräch.


Eine unbekümmert lautstarke Präsenz in der Öffentlichkeit scheint mir unter Mitbürgern nichtdeutscher Genese viel verbreiteter zu sein als – sagen wir – unter Ur-Övelgönnern oder den Fischern aus der Flens-Werbung. Zum Beispiel ein Nachbar von uns: Er ist sichtbar afrikanischer Herkunft und neigt dazu, frühmorgens gegen 5 bei grundsätzlich offenem Fenster hochinteressante Telefonate mit Daressalam o. ä. zu führen – mit einer Stimme, für die Screamin' Jay Hawkins seine Mutter verkauft hätte.


Seine selbst durch unser isolierverglastes Schlafzimmerfenster praktisch ungefiltert dringende Suada scheint stets aus Beschimpfungen, Schmähreden und Wutausbrüchen zu bestehen und wird explosiv hervorgestoßen mit dem souveränen Selbstvertrauen desjenigen, der sich klar im Recht wähnt. Vielleicht ist das aber auch der ganz normale Tonfall, in dem er gewöhnlich zum Geburtstag gratuliert oder Bankverbindungen durchgibt.


Wie auch immer: Ganz St. Pauli erfährt davon, morgens um 5. Sonst ist das aber eine sehr ruhige Familie.


Die heute erwähnten Mitbürger habe ich (natürlich) nicht fotografiert. Dafür aber eine renovierungsbedürftige Fassade in der Beckers Passage. Ein paar Häuser weiter werde ich gleich Andreas abholen, um mit ihm im El Dorado noch einen zu heben. Cheerio.


Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Lust for life“ von Iggy Pop, „Outsiders“ von Franz Ferdinand und „Helden/Heroes“ von Six By Seven.


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