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Die Rückseite der Reeperbahn

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Name: Matthias Wagner
Standort: Hamburg, Germany

Schreiberling




21 Juli 2009

Der Mann im Mond und Hildegard (Wiederholung/Remaster)



Damals betrieb Hildegard die einzige Wirtschaft im Dorf. Sie war eine burschikose Wirtin, die ihre eisgraue Struppigkeit gerne schwarz eingefärbt trug. Ihr mächtiger Busen wogte über dürren, zum Oval gebogenen Beinen – ein asymmetrischer, gleichwohl imposanter Anblick. Zweimal im Jahr wackelte Hildegard zur benachbarten Kirche; an den restlichen 363 Tagen bot ihre Kneipe die Alternative zu klerikalen Pflichten.

Im Juli 1969 aber bekam Hildegard Konkurrenz vom Fernsehen, das damals noch schwarzweiß war. Wir Kinder saßen davor und machten „Ooooh!“. Verschwommen war nämlich ein Raumschiff zu sehen, dessen Spinnenbeine fast an die von Hildegard erinnerten. Es stand in einer Wüstenei, und überm Horizont hockte ein böser schwarzer Himmel. Überall fraßen harte Schatten an gleißenden Lichtkanten.

Da war eine Leiter. Und ein Mann im weißen Raumanzug, der zu schweben schien. Auf der Scheibe seiner Helmkugel spiegelte sich die Sonne. Sein Gesicht sah man nicht. Der Mann hüpfte flink die Sprossen hinab, das sah lustig aus. Mit jeder Bewegung schlierte er Lichtbögen auf unseren Bildschirm, sie verblassten nur langsam. Stimmgewirr war zu hören, Gebrabbel wie aus einem gestörten Telefonhörer – Geisterstimmen der Moderne, von quiekenden Funksignalen durchzuckt.

Der Mann schwebte sachte von der Leiter auf den Boden, er schien leicht wie eine Feder. Staubwölkchen spritzten silbrig auf und sanken schläfrig wieder hinab. NEIL ARMSTRONG: der Mann im Mond trug endlich einen Namen. Abends liefen wir raus und starrten den Trabanten an, doch er sah aus wie immer.

Es war der 21. Juli 1969. Vor 40 Jahren.

Noch lange danach nahm ich Science-Fiction-Filme nicht ernst, wenn die Bilder scharf und bunt waren. Das Wahre und das Alte: Beides hat keine Farbe. Nehmen wir die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts: Sie war schwarzweiß. „Vom Winde verweht“ in seinem obszönen Technicolor war ein Irrtum in der Zeit. Sich Chaplin oder Hitler rotwangig vor blauem Himmel vorzustellen, das hat etwas Falsches, trotz Guido Knopp.

„Das Leben ist in Farbe“, hat Wim Wenders mal gesagt, „aber Schwarzweiß ist realistischer.“ Hildegard kannte Wim Wenders nicht, aber den Unterschied zwischen Appel- und Doppelkorn. Das reichte, um an jenem Julitag zur Zweiflerin zu werden. „Aich glaawes net!", rief Hildegard im breiten Dorfdialekt, den ich mir damals gerade abzugewöhnen begann, weil man in der Schule nur mit Hochdeutsch weiterkam. „Ich glaube es nicht!“

Wir lachten uns tot. Hildegard glaubte nicht an Neil, den Mann im Mond? Dabei war er doch im Fernsehen gewesen, verhuscht und verwischt zwar, aber schwarz auf weiß! Nein, Hildegard glaubte es trotzdem nicht. Niemand fliegt einfach so zum Mond, so hoch wie der im Nichts hängt über Kneipe und Kirche, so „far far away“, wie die Slade kurz darauf aus Hildegards Jukebox plärren sollten, ehe man über Brandt und Punk und Ölkrisen, über Kohl, Cobain und Irak die Mondlandung allmählich vergessen sollte.

Nein, Hildegard glaubte es nicht. Heute, nach 40 Jahren mit falschen Hitler-Tagebüchern und echten Videokriegen, nach virtuellen Welten, dem „Unternehmen Capricorn“ und Cybersex, heute würde sich keiner mehr totlachen über Hildegard. Sie, die unbewusste Kassandra vom Dorf, misstraute dem schon früh, dem damals alle noch bewusstlos trauten: dem Bild.

Im Moon-Register des Reiseveranstalters Thomas Cook haben sich schon Zehntausende eingetragen, um baldmöglichst eine Pauschalreise zum Mond anzutreten.


Hildegard ist nicht dabei.

PS: Alles über Wahrheit und Lügen zur Mondlandung gibt es auf dieser außergewöhnlich großartigen Website von Uwe Rexin.


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05 Juli 2009

Meine Beziehung zur Flora

Es gehört zu meinen erstaunlichsten natürlichen Fähigkeiten, Zimmerpflanzen dauerhaft in einem Niemandsland zwischen Nichtmehrwachsen und Nochnichteingehen dahinvegetieren lassen zu können.

Man könnte auch sagen: Ich habe einen „grauen Daumen“.


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09 März 2009

Lost in desorientation 2?

Wollte auf dem Flohmarkt im Real-Parkhaus (Foto) eine Festplatte mit einem Terabyte Speicher für sagenhaft günstige 50 Euro kaufen, doch ich hatte zu wenig Geld dabei.

Nachdem ich durchs ganze Schanzenviertel geirrt war, ehe ich endlich am Schulterblatt einen Bankautomaten entdeckte, musste ich nach meiner Rückkehr zu Real feststellen, dass der Verkäufer längst seinen Tisch abgebaut und sich ins Wochenende empfohlen hatte.

Eine andere mögliche Erklärung lautet: Ich habe schlicht seinen Stand nicht mehr gefunden.

Die ist aber extrem unplausibel.



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13 Februar 2009

Ich, Muse der Dichter

Schon komisch, in einem Roman plötzlich auf sich selbst zu stoßen. Besser gesagt: auf eine Figur, die genauso heißt wie man selbst, sogar mit Doppel-t und h.

In Daniel Kehlmanns Roman „Ruhm“ passiert es. Dort stolpere ich auf Seite 84 unversehens über einen „Matthias Wagner“.

Na gut, eigentlich ist es nicht mal eine Figur, sondern nur das Pseudonym einer Figur. Trotzdem ändert das nichts an der Leseverblüffung – ein Gefühl, das ich allerdings schon kenne.

Als Jugendlicher nämlich war ich, wie mir dank Kehlmann wieder einfällt, bereits in einem Karl-May-Roman auf mich gestoßen. Damals eine irgendwie schmeichelhafte Sache für einen pubertierenden Hosenscheißer.

Ich glaubte bislang, May hätte mich in der „Winnetou“-Trilogie untergebracht, doch der Hort meines Namens befindet sich – wie mir das Internet folgsam meldet – in „Die Sklavenkarawane“.

Ähnlich wie der feine Herr Kehlmann gestand mir allerdings auch der Radebeuler keine tragende Rolle zu, ganz im Gegenteil. Lediglich Gegenstand eines Gespräch bin ich, man erinnert sich meiner als Ungar aus dem „Eisenstädter Komitat“ (wtf?), der immerhin über einen Diener verfügte, bisweilen mit Straußenfedern handelte und schließlich im Ostsudan seiner Lebendigkeit abhanden kam.

Kehlmann hätte diese doch recht enttäuschende Ausgestaltung durch May endlich wieder wettmachen können, ja müssen, doch nein: Ich bin ihm nichts mehr als ein Pseudonym. Der zweite Genickschlag für mich in der Literaturgeschichte.

Immerhin passt das zu diesem Autor, der auch sonst recht schludrig ist. Eine der anderen Figuren in „Ruhm“ arbeitet nämlich mitten im YouTube-Zeitalter bei Mannesmann, einer Firma, die schon doppelt so lange tot ist wie YouTube lebendig. Und ausgerechnet ein Techniker, der es viel besser wissen müsste, glaubt bei Kehlmann noch immer an die Schimäre aggressiver Handystrahlen, die einem angeblich das Hirn wegkochen.

Wer so liederlich recherchiert, sollte mich auch keinesfalls vom Pseudonym zur Figur aufwerten, das möchte ich gar nicht. Zur Ehrenrettung meines Namens muss ich daher wohl irgendwann anfangen, meine Autobiografie zu schreiben.

Jetzt muss mir
nur noch was Berichtenswertes passieren.

PS: Die Domain www.danielkehlmann.de ist übrigens noch frei. Jemand sollte sie sich sichern und dem Autor teuer weiterverkaufen. Meinen Segen habt ihr.



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29 Januar 2009

Ciao, Edi (2)

Seinen letzten Kommentar hat er vor fünf Tagen hier abgegeben. Hätte ich die Hoffnung, ihn je wiederzusehen, würde ich sagen: Ich freue mich auf dich, Edi.

Wer mag, kann hier kondolieren.

Ich lese jetzt noch mal die Geschichte von der Opaverschwörung, die indirekt schuld daran war, dass er Hamburg verließ und zu seiner Familie nach Kempten zog.

So traurig ich das damals fand: Es war gut so. Der Nuttenturm auf der Reeperbahn wäre einfach nicht der richtige Ort gewesen zum Sterben.



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Der rührende Fall des Benjamin Button

Die leicht futuristische Wippschaukel im Brauquartier erinnert mich jedes mal an ein Hündchen, das den Mond anschmachtet.

Und genauso saß ich neulich im Kino, als ich mir „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ angeschaut habe.

Meine Herren! Das ist mal ein Film, der sogar mir – einem abgebrühten, hartherzigen, zynischen, sarkastischen Allesschongesehenhaber – dahin ging, wo andere Menschen das Herz haben.

Und danach habe ich sogar was darüber geschrieben.


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31 Dezember 2008

Persönliche Bilanz

Eine Evaluierung meiner Tugendhaftigkeit ergab folgendes Ergebnis: Von den sieben klassischen Hauptlastern, aus denen alle Sünden entstehen, verfüge ich nur über eines nicht.

Inklusive des fehlenden Lasters umfasst die Liste folgende:

* Superbia: Hochmut
* Avaritia: Geiz
* Luxuria: Genusssucht, Ausschweifung
* Ira: Zorn
* Gula: Völlerei
* Invidia: Neid
* Acedia: Trägheit des Herzens oder des Geistes.

Ms. Columbo weiß, wo ich noch nachlegen muss.

Anlass für diese besinnlichen Gedanken war Hermes Phettbergs Twittern. Beim Lesen seiner Einträge wurde mir klar, dass Perversion und Prüderie im gleichen geschwisterlichen Verhältnis zueinander stehen wie Sado und Maso, Katholizismus und Exzess.

Und mit diesem kleinen Schlenker sind wir auf gar nicht mal unelegante Weise wieder geschmeidig auf die Reeperbahn eingebogen.

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26 Dezember 2008

Die Fußballwette

Es gibt nichts Schöneres, als einen Rechthaber, Beckmesser, Besserwisser und Korinthenkacker bei einem Fehler zu ertappen.

Gerd Müller, behauptete A. unlängst, halte den Bundesligatorschützenkönigrekord mit 40 Toren in einer Saison. Der Rechthaber hielt 42 Tore dagegen, und A. schlug eine Wette um ein Bier vor.

Selbstverständlich war der Besserwisser einverstanden, schließlich hatte er RECHT. Wikipedia klärte die Sachlage dann auch problemlos.

Mal sehen, wann ich A. das Bier ausgebe. Am besten sehr bald; ich gehe ungern mit Schulden in ein neues Jahr.



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24 Oktober 2008

Zwischen zwei Sätzen



Als ich hörte, er sei heute in die Psychiatrie eingeliefert worden, nachdem er zuvor mit einem Messer durch die Wohnung geirrt sei und gestammelt habe: „Mein Vater hat mich seit Wochen nicht angerufen“, da fiel mir wieder jener Tag vor 32 Jahren ein, an dem sein Vater starb.

Ich setzte mich zu ihm aufs Moped an jenem Tag. Wir fuhren zum Baggersee und setzten uns auf die Steine. Dann sagte er: „Jetzt haben wir die Scheiße.“

Er hatte Recht.

Er wurde, was er schon war: ein Egomane, der von seiner Mutter erwartete, jeden Wunsch erfüllt zu bekommen, jetzt, wo er „Herr im Hause“ war.

Dann gründete er eine Familie und begann sie systematisch zugrunde zu richten. Er versoff alles, die Liebe seiner Frau, seiner Kinder, seiner Mutter, er versoff den Führerschein, den Job, sein Geld, das Haus, seine Würde, sein ganzes verdammtes ziviles Leben.

Aus jeder Therapie haute er ab. Immer wieder ging er im Dorf von Tür zu Tür, klingelte und bat um Geld für Essen. Seine Mutter hungere, erzählte er, und dann versoff er alles. Manche geben ihm immer noch etwas.

Er und seine Mutter leben seit Jahren im Dreck, wie die Ratten.

„Jetzt haben wir die Scheiße“, 1976.
„Mein Vater hat mich seit Wochen nicht angerufen“, 2008.

Die ganze Tragödie seines verpfuschten Lebens liegt in der Verbindung zwischen diesen beiden Sätzen über eine Distanz von 32 Jahren.

Ich sollte das seinem Psychiater erzählen.


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19 Mai 2008

Die Entdeckung des Kopfnacktmulls

Ich führe Ms. Columbo die bahnbrechende Erfindung am eigenen Leibe vor: eine tief über die Ohren lappende Mütze mit eingebauten Kopfhörern.

„Darauf habe ich mein Leben lang gewartet!“, rufe ich euphorisiert aus, während ich die Mütze aufsetze. „Wie findest du sie?“

Ms. Columbos spontanes Losprusten gehört keineswegs zum Repertoire der Reaktionen, die ich auf der Rechnung hatte. „Was ist denn?“, frage ich betont verärgert, was ihr Verhalten als mindestens ungebührlich, wenn nicht empörend denunzieren soll.

„Es sieht dämlich aus“, kichert sie. Ich renne zum Spiegel. Sie hat Recht: Darin sehe ich etwas ungeheuer Dämliches.

Nach einer Zeit der inneren Einkehr beschließe ich, trotzdem erst mal den Winter abzuwarten. Ms. Columbos unausgesprochenes „BITTE versteigere diesen Kopfnacktmull SOFORT auf Ebay!“ überhöre ich jedenfalls mit der Souveränität dessen, der sich einen wichtigen Lebenstraum nicht kaputtmachen lassen will.

Zumindest nicht sofort.

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05 April 2008

Ein Stöckchen, aber das allerallerletzte!



Eigentlich dachte ich ja, die Unsitte des Stöckchenwerfens sei endlich in Vergessenheit geraten. Und dann wirft mir dieser feine Herr Lost Moon doch mal wieder eins zu. Grrrrr. Doch da es ureigene Interessen berührt, gestatte ich mir selbst eine Ausnahme von der Verweigerung – obwohl es vor zwei Jahren schon einmal ein ähnliches (und besseres) Stöckchen gab und manche Antworten sich zwangsläufig ähneln.

1. Nenne einen Song, dessen Text dich ganz besonders berührt, und begründe!
„It was a very good year“ von Frank Sinatra, weil er den Lebenshunger, die Grandezza und die Tragik der menschlichen Existenz in wenigen Strophen zu starken Metaphern verdichtet.

2. Nenne einen Song, dessen Musik dich ganz besonders berührt, und begründe!
„Troll valley“ von Wavestar, die perfekte klangliche Umsetzung solch existenzieller Gefühle wie Wehmut und Geborgenheit. (Genau genommen ist das kein Song, sondern ein elektronisches Instrumental.)

3. Welchen Song hättest du gerne geschrieben und warum?
„Wedding song“ von Bob Dylan, weil es keine schönere Liebeserklärung geben kann – „when I was deep in poverty/you taught me how to give“ …

4. Nenne fünf Songs für dein Lebens-Best-of!
„Sweet thing“ von Van Morrison, „Desolation row“ von Bob Dylan, „Mary Brown“ von Dave Avin, „The postcard“ von Stephen Duffy und „Don’t let me down“ von den Beatles.

5. Und zum Schluß: Welche Musikscheibe beschützt du wie deinen Augapfel?
Alle Platten, die mir der große, unvergleichliche und sturzbetrunkene Townes Van Zandt drei Jahre vor seinem Tod höchstpersönlich signiert und manchmal mit kakteengesäumten Landstraßen bemalt hat (Foto). Reliquien, Mann!


PS: Wenn man schon nur unter Protest annimmt, sollte man das Stöckchen auch keinesfalls anderen zuwerfen, nicht einmal Amber und Anna

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02 April 2008

Bockig

„Weißt du was?“, sage ich entschlossen zu Ms. Columbo, „solange niemand den letzten Eintrag kommentiert, blogge ich einfach nicht mehr weiter! Basta!“

Sie schaut mich an, als wäre ich 12 und wollte meinen Spinat nicht essen. „Ich weiß nicht“, antwortet sie dann, „ob du wirklich mit Bockigkeit die Herzen zurückgewinnst.“

Weiß ich natürlich auch nicht.


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22 März 2008

Die Lösung: ein Tag im Februar

Früher, als es noch kein Internet gab, da gratulierten dir zum Geburtstag nur Familie, Freunde, Kollegen, und zwar persönlich oder am Telefon. Heute ist das anders, ganz anders.

Per Mail beglückwünschten mich nämlich heute diverse Blogkommentatoren, die ich im ganzen Leben noch nicht gesehen habe, einige Xing-Kontakte und Xing selber, aus irgendeinem bizarren Grund das Schwab-Onlineteam, außerdem diverse Leute von wer-kennt-wen.de und welche von stayfriends.de, darunter sogar Ms. Columbo (!).


Des weiteren gratulierte stayfriends selber, peinlicherweise auch der HSV in Gestalt von Romeo Castelen, Joris Mathijsen und einem grenzdebil wirkenden Tierkostüm namens Hermann (Foto), ebenso mein Versicherungsagent (wieso habe ich so was?), der Fanclub Nationalmannschaft sowie eine meiner zwei Onlinebanken (warum nicht die andere?? Memo: dort Konto kündigen!).

Mindestens drei virtuelle Torten sorgten dabei für die völlige Verfettung meines Posteingangs. Eine Torte trug neben den obligaten Kerzen sogar meinen Namen und kam von der fürsorglichen Onlinebank (Memo: Beträge von der vergesslichen Bank dorthin transferieren!).

Mich beschleicht das leise Gefühl, einige Male zu oft mein Geburtsdatum irgendwo hinterlassen zu haben. (Memo: Wenn schon, dann beim nächsten Mal unbedingt den 29. Februar eintragen!)

PS: Morgen um 17 Uhr (also Sonntag, 23. 3.) läuft die nächste von mir konzipierte Radiosendung auf ByteFM. Es gibt sehr, sehr schöne Musik zu hören. Ich weiß das, ich kenne sie ja schon.

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18 März 2008

Buenos dias, Eiermann!

Allmählich steigt das Fußballfieber. Der Franke ist ein perfekter Indikator für diese zuverlässig alle zwei Jahre auftretende Erkrankung. Bereits heute, gut 80 Tage vorm Anpfiff, steht er doch wahrhaftig mitten im Büro und röhrt mit einer Intonierung, die in seiner Welt wohl als kehlige Inbrunst durchgeht, „Buenos dias, Argentina“.

Der gleichnamige WM-Song war 1978 sogar in der Schweiz ein Hit, obwohl zweierlei ernstlich dagegensprach, nämlich die Interpreten: Udo Jürgens (ein Österreicher!) und unsere Fußballnationalmannschaft (Deutsche!).

Immer wieder jedenfalls krakeelt der Franke den Refrain, weil dem volkstümlichen Langzeitgedächtnisverächter alle anderen Fußballsongs entfallen und von diesem hier nur die zitierten Textfetzen erinnerlich sind.

Statt die unwürdige akustische Umweltverschmutzung sofort zu unterlassen, wie wir es scharf fordern, oder wenigstens zwischendurch mal auf „Fußball ist unser Leben“ umzuschwenken, beharrt der fränkische Outlaw unablässig auf „Buenos dias, Argentina!“, als hätte seine Platte einen Sprung, und in gewisser Weise hat sie das ja auch.

Mittlerweile ist die Nacht heraufgezogen, alles ist ruhig und still – nur in meinem Kopf nicht. Dort nämlich hat sich „Buenos dias, Argentina!“ festgebissen, in der grauenerregenden Interpretation des Franken.

Hoffentlich wird es nicht so schlimm wie damals, als eine sonische Vollpest namens „Hier kommt der Eiermann“ mich während des einwöchigen (!) Zivildienstlehrgangs „Techniken des gewaltlosen Widerstands“ in den Wahnsinn trieb und sämtliche Kursziele mühelos pulverisierte.

Es ist gefährlich, überhaupt darüber zu schreiben. Ich bin wie ein trockener Alkoholiker. Der kleinste Ton, und der Eiermann kommt zurück.

Klingelingeling … Habt ihr das auch gehört …? O mein GOTT …


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03 März 2008

Wenn Träume wahr werden



Seit Ende der 80er plädiere ich in regelmäßgen Abständen für die Vergesellschaftung von Schirmen und Fahrrädern. Auch in diesem Blog kam das schon vor.

Eine Volksbewegung entstand daraus nicht. Von Zeit zu Zeit wurde mir zwar immer mal wieder mein Fahrrad geklaut. Doch irgendwie ist das nicht dasselbe. Ohne gesetzliche Vergesellschaftungsgrundlage, die es mir legal ermöglichte, ersatzweise ein x-beliebiges Fahrrad einem x-beliebigen Fahrradständer zu entnehmen, funktioniert die Idee einfach nicht.

Immerhin scheint sich bei Schirmen endlich was zu tun. Ein Indiz dafür ist die abgebildete Box, die ich in den Zeisehallen entdeckte. Ein bewegender Anblick für mich. Denn ich spürte: Eine große Idee wird endlich wahr. Sie setzt sich immer durch, auch wenn es bisweilen etwas länger dauert, und selbst wenn ich sie hatte.

Zeichnete nicht schon Leonardo da Vinci Fluggeräte, und Jahrhunderte später kam Airbus? So ähnlich fühlte ich mich beim Anblick dieser Kiste mit sozialisierten Regenschirmen. Fast war ich geneigt, einen Edding zu zücken und versonnen lächelnd „Copyright by Matt“ draufzuschreiben, doch ich hatte keinen dabei.

In der Kiste lagen sogar mehrere Schirme. Wäre es am Regnen und ich nicht mit dem Fahrrad unterwegs gewesen, hätte ich ein Exemplar an mich genommen – nicht zuletzt, um mir und meiner großen Vision aus den 80ern zu schmeicheln. Doch es regnete nicht, ich radelte schirmlos nach Hause. Und das Rad kettete ich diebstahlerschwerend am Lampenmast an.

Denn die Welt ist noch nicht so weit. Zumindest nicht bei Fahrrädern.

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16 Februar 2008

Jung und frisch

„Übrigens finde ich es toll“, sage ich während der Morgennachrichten zu Ms. Columbo, „dass Barack Obama oft als jung und frisch bezeichnet wird. Wir, also ich und Obama, sind nämlich fast gleich alt.“

Ms. Columbo erledigt irgendetwas an der Espressomaschine. Trotzdem hat sie zugehört. Ob man als jung und frisch gelte, erläutert sie nun, komme aber doch stark auf die Branche an.

Zugegeben, als Frontsänger einer Boyband sollte man circa 16 sein, um beiden Attributen gerecht zu werden, und als Lord im englischen Oberhaus eher 65. Dennoch protestiere ich reflexhaft und gebe mich verschnupft.

„Nein, nein, du und Obama“, beschwichtigt Ms. Columbo, während sie noch immer irgendetwas an der Espressomaschine erledigt, „ihr seid natürlich beide
jung und frisch.“

Ich glaube ihr übrigens jedes Wort.


Foto: barackobama.com

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04 Februar 2008

Beginn einer neuen Ära

Erinnert sich eigentlich noch jemand an Bücher? Ich meine nicht das, was man zu Weihnachten verschenkt, was in der Amazon-Bestenliste auftaucht und sich bei Thalia zu Bergen türmt.

Sondern das, was man aufschlägt und langsam Seite für Seite von vorne bis hinten in der richtigen Reihenfolge durchliest. Bücher. Diese zusammengehefteten Papierseiten, die mal wichtig waren, so verdammt wichtig. In der Ära vor dem Internet, vor Spiegel online, vor der iTunes-Bibliothek mit zehntausend Songs, vor dem Job, der sich immer tiefer hineingefressen hat in dein Leben, deine Freizeit, deinen Urlaub.

Echte Bücher, zerzaust und gealtert durch echtes Lesen. Ich habe festgestellt, dass ich mich kaum noch daran erinnere, aus all den genannten Gründen. Früher habe ich Bibliotheken verschlungen, wild durcheinander, Hauptsache Buchstaben – von „Perry Rhodan“ bis Dostojewski, von Goethe bis Kerouac, von Dan Shocker bis Nabokov und von Rimbaud über Highsmith bis Brussig.

Und jetzt reicht es Woche für Woche nur noch für die FAS und den Spiegel und ein paar Flackerblicke in Fach- und Konkurrenzzeitschriften. Das musste sich ändern, unbedingt. Und seit heute hat sich das geändert, zumindest ist ein Anfang gemacht.

Heute nämlich hatten Ms. Columbo und ich unsere erste gemeinsame Lesestunde. Wir setzten uns pünktlich um halb 10 hin mit je einem Buch – und lasen. Sonst nichts. Keine Musik nebenbei, kein Mailcheck zwischendurch, kein Film im Hintergrund. Nicht mal das Telefon hat geklingelt, danke schön.

Am kommenden Montag folgt die nächste Lesestunde. Vielleicht gehen wir irgendwann sogar auf zwei pro Woche. Eine neue Ära hat begonnen. Sie ist so was von 20. Jahrhundert.

Aber vielleicht hat sie eine strahlende Zukunft.

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19 Dezember 2007

Dinge zwischen Himmel und Erde

Auf die neue SIM-Karte soll demnächst meine gewohnte Handynummer portiert werden. Die Karte habe ich im alten Telefon deponiert; so weiß ich immer, wo sie ist.

Kein Mensch kennt die Nummer dieser neuen SIM-Karte. Trotzdem klingelte heute das Telefon. Dreimal. Als ich rangehen wollte, hörte es auf.

Ich sah mir die Nummer im Speicher an. Hamburger Vorwahl, aber unbekannt. Bang wählte ich sie. Besetzt. Zehn Minuten später versuchte ich es erneut. Immer noch besetzt.

Wer kennt die Nummer meiner neuen SIM-Karte, die selbst ich nicht auswendig weiß? Und woher?

Diese Frage beschäftigte mich noch immer, als ich wenig später die Simon-von-Utrecht-Straße entlangging. Als ich an der Hausnummer 21 (Foto) vorbeikam, summte plötzlich der Türöffner.


Doch niemand hatte geklingelt, kein Mensch stand vorm Haus. Nur ich ging gerade vorbei.

Schon sehr komisch, diese Weihnachtszeit.


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06 Dezember 2007

Ich werde immer beliebter



Über Kunst zu sprechen, ist wie über Architektur zu tanzen – sagt man nicht so?

Der Leiter der Kasseler Kunstschau documenta, Roger Martin Buergel, gilt jedenfalls als besonders begnadeter Schwurbler und Schwaller, und pfiffige Phrasenentlarver haben im Internet die Buergelmaschine programmiert: Man lädt ein beliebiges Bild hoch, und der virtuelle Buergel legt los mit gelehrt klingendem Phrasendreschen, das so hohl ist, als wäre es wirklich echt.

Mein Bloglogo habe ich daraufhin „Selbstporträt als Flurlampe“ getauft, es der Buergelmaschine hingehalten – und prompt bestätigt bekommen, meine Kunst sei motivisch durchdrungen von einer Ethik des Miteinanders.

Das tut gut – und wird bestätigt vom heute veröffentlichten Ranking der beliebtesten und somit auch unbeliebtesten Berufe, das ein unsensibler Pressedienst mir per Mail als gebrüllte Schlagzeile vor den Latz knallte: „JOURNALISTEN JETZT BELIEBTER ALS SPARKASSENMITARBEITER!“

Klingt komisch für einen, der Sparkassenmitarbeiter war, ehe er Journalist wurde. Doch nach langen Jahren am Tabellenende, so stellt sich heraus, habe ich mich inzwischen ins Mittelfeld hochgehangelt. Jetzt rangiere ich plötzlich weit vor den neuen Parias unserer Zeit, Telekomleuten und Versicherungsvertretern.

Liegt bestimmt alles nur am Bloggen, das fördert unheimlich die Ethik des Miteinanders.

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05 September 2007

Erst das Fressen, dann die Moral

Man sollte nach einem langen Bürotag nie hungrig zu einer Veranstaltung gehen, bei der die Methode der Futterversorgung im Ungewissen liegt. Diese existenzielle Erkenntnis reifte in langen Hamburger Jahren heran zur Statur eines Axioms. Umso unverständlicher, wieso sie mir immer mal wieder entfällt.

Zur CD-Veröffentlichungsparty in der psychedelisch bunten Kantine des Spiegel jedenfalls erscheinen wir fatalerweise ohne kulinarische Absicherung. Ein Fehler, ein schwerer. Denn schon wenige Minuten nach unserer Ankunft ereilt uns düstere Kunde: Der Spiegel serviert ein „Flying Buffet“.

Das ist die Höchststrafe. „Ich hätte mir zu Hause noch ein paar Oliven reinziehen sollen“, zische ich kraftlos Ms. Columbo zu. Denn ein „Flying Buffet“ bedeutet vor allem eins: Das Essen ist immer gerade da, wo wir nicht sind. Wenn man Glück hat, kann man Sichtkontakt herstellen, mehr auch nicht.

Manchmal flattert es federleicht vorüber, erwägt aber nicht mal im Traum einen Zwischenstopp an unserem Tisch. Nein, ein „Flying Buffet“ funktioniert nur, wenn die Gäste schon vorgesättigt oder mit gesunder Brutalität im Nahkampf ausgestattet sind. Beides trifft auf Ms. Columbo und mich nur sehr partiell zu, eigentlich gar nicht.

Um die Zeit zu überbrücken, bis eventuell doch eins dieser flüchtigen Tabletts mit Lachstatar, thailändischer Kokossuppe oder Basmatireis an Rindfleischstreifen in Greifweite vorüberschwebt, bephilosophiere ich Ms. Columbo mit schwachbrüstigen Theorien.

Zum Beispiel mit jener über den mäßigenden Einfluss der Zivilisation auf die animalisch-vulkanische Kraft der Triebe, die es uns als einziger Spezies hienieden ermögliche, selbst bei akutem Hunger dem darbenden Mitmenschen einen Bissen abzugeben – sofern wir selbst überhaupt einen Bissen haben natürlich, aber da ist das „Flying Buffet“ ja vor.

Als alter Dialektiker streife ich natürlich pflichtgemäß auch Brechts brachialen Balladenvers „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, um auch die bei einer Verschärfung der Situation progressiv zunehmende Anfälligkeit der gepriesenen Triebzügelung nicht unerwähnt zu lassen.

Während unserer wenig engagierten und gedanklich immer wieder in Richtung Lachstatar abschweifenden Diskussion flackert mein Blick unruhig durch den Raum. Ich sehe viele zufrieden möfelnde Partygäste, die sicht- und hörbar an der Qualität der thailändischen Kokossuppe wenig auszusetzen haben.

Ich werde immer schwächer. Ms. Columbo überbrückt mit Mineralwasser, ich halte mich an den nahrhafteren Orangensaft – und urplötzlich, wie aus dem Schlaraffenland herbeigebeamt, steht ein Engel vor uns. Er ist weiblich, er lächelt, und er balanciert auf anmutigste Weise ein vieltelleriges Tablett. Wir entscheiden uns unisono für den Lachs, und von da an beginnt der Abend zu flutschen.

Der Engel vergisst uns hinfort nicht mehr, ja, er bekommt sogar Verstärkung. Kein Gang entgeht uns, das „Flying Buffet“ als Prinzip verliert nach und nach seinen Schrecken – bis zum nächsten Mal, an dem wir nach einem langen Bürotag hungrig zu einer Veranstaltung gehen, bei der die Methode der Futterversorgung im Ungewissen liegt.

Brecht jedenfalls war schon ein Guter, aber echt.

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04 September 2007

Bye, bye, Poodle!

Ach, es ist ein Jammer, es ist zum Schlaghosenkürzen und Maultaschenzermatschen: Poodle hört auf zu bloggen!

Für mich ist das ganz besonders schmerzlich, weil der gebenedeite Stuttgarter damals, im Sommer 2005, die Initialzündung meines eigenen Bloggens lieferte. Ich hätte nicht übel Lust, aus lauter Protest selber aufzuhören, so.

Doch das geht nicht. Denn noch während des Trauerns heißt es die Fackel weitertragen, die der hadernde und zeternde Schwabe dereinst so strahlend hell entzündete. Doch ob mir je solche Sätze gelingen werden wie dieser, ist nicht nur höchst fraglich, sondern geradezu unwahrscheinlich:

„Ich selbst bekomme zwar von Haus nur an hohen Feiertagen einen Ständer, aber falls ich dabei an Heidi Klum denke, klappt es selbst dann nicht.“

Ja, das war Poodle, wie er leibte und bebte, und zwar einfach mal so nebenbei, nicht mal im Haupteintrag, sondern lässig aus der Hüfte geschossen im Kommentar zu einem seiner zeitlosen Texte.

Ja, Poodle war die Sonne, um die wir alle kreisen, sofern uns das Schicksal nicht ein Dasein als A-Blogger bescherte, und nun bleibt uns nur noch der Google-Cache, doch der sei dafür gelobt, gepudert, gepimpert und gepriesen. Amen.

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27 August 2007

Die Sitzkrise

Gestern Abend im Kino wurde es mal wieder düpierend deutlich: Ich bin ein hyperaktiver Lümmler, Ms. Columbo hingegen eine gerade Stillsitzerin. Keine Ahnung, wie sie das macht. Sie setzt sich hin, und gut ist. Zwei Stunden lang.

Ich dagegen brauche schon mal vier Minuten, um überhaupt eine halbwegs akzeptable Sitzhaltung zu finden. Trotzdem geht es nach ein paar zehn Sekunden schon los mit den Korrekturen, Schwerpunktverlagerungen und Positionskämpfen.

Beine übereinander, links über rechts. Dann rechts über links. Abwechselnd einen bestrumpften Fuß aufsetzen auf die Lehne vor mir (sofern dort niemand sitzt natürlich), manchmal auch beide, aber nur kurz. Den einen Fuß unter den anderen Oberschenkel, eine Minute später vice versa.

Linker Ellbogen auf die Lehne, rechtes Bein strecken, linkes anwinkeln. Und über Kreuz und umgekehrt und durcheinander. In der Dunkelheit des Kinosaals gibt es übelst viele Kombimöglichkeiten für vier Extremitäten, da macht sich die Welt der Stillsitzer ja gar keine Vorstellung von. Und ich dekliniere sie samt und sonders durch an einem einzigen verdammten Kinoabend, selbst bei Filmen ohne Überlänge.

Da, wo ich herkomme, nennt man das übrigens „juckeln“.

Wenn der Streifen schließlich vorbei ist, stellt sich Ms. Columbo erstaunlicherweise doch nicht als eingefroren heraus (was ich stets insgeheim befürchte), sondern vermag federnd aufzustehen und den Saal zügig zu verlassen.

Ließe sich unser beider Kinositzverhalten in gejoggte Kilometer umrechnen, käme ich auf ungefähr zwölf, sie auf nullkommanull. Komisch, dass wir uns hinterher doch über den Film unterhalten können – ganz so, als wäre ich nicht die ganze Zeit mit völlig anderen Dingen als Hingucken beschäftigt gewesen.

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07 August 2007

Ich dünge den Stadtpark

Grundsätzlich ist es natürlich kein Problem, ein Magnum Mandel zu möfeln, während man in der Abendsonne das überraschende Duett von M. Ward mit Norah Jones genießt.

Doch dann erzählt Ward etwas von einem Stück, das man jetzt spielen werde, und zwar habe es ein amerikanischer Songpoet verfasst, der wahrscheinlich öfter durch Deutschland als durch seine Heimat getourt sei.

Noch scheint es so, als habe diese Ansage rein gar nichts zu tun mit meinem Magnum Mandel. Noch. Jedenfalls werde ich nicht nur extrem hellhörig, nein, bei mir schrillen sogar alle Alarmglocken, und vor meinem inneren Auge blinken große Warntafeln mit der Aufschrift „Townes Van Zandt! Townes Van Zandt!“

Nur er kann gemeint sein, und wer meine Verehrung des Texaners kennt, ahnt vielleicht, welche Drüsen gerade unter Hochdruck anfangen zu pumpen, nämlich die für Adrenalin zuständigen.

Fahrig taste ich nach der Kamera in meiner Hosentasche, denn wenn M. Ward und Norah Jones jetzt wirklich gemeinsam einen Townes-Van-Zandt-Song singen sollten, ohne dass ich diesen kostbaren Moment konservieren würde, so müsste ich mich selbst ohrfeigen.

Nicht nur dabei allerdings wäre ein Magnum Mandel eher hinderlich. Nein, auch beim Aktivieren der Kamera entpuppt sich das Halbgefrorene am Stil als wenig nützlich.

Rechtshändig drücke ich an meiner widerwilligen Kamera herum, während mir links der erste Vanilletropfen den Daumenansatz kühlt. Beim sofortigen Abbeißen der suppenden Stelle fallen zudem die ersten größeren Schokoladenplättchen zu Boden.

Übrigens passiert mir das immer beim Magnummandelmöfeln, selbst wenn ich beide Hände frei zur Verfügung habe. Entweder ein Konstruktionsfehler oder Matt’sche Tollpatschigkeit, ich weiß es nicht. Was ich jedoch weiß: Ich würde meine Karriere aufgrund mangelnder Steigerungsmöglichkeiten sofort beenden, sobald ich es schaffte, ein Magnum Mandel verlustfrei zu inkorporieren.

Hier und jetzt ist daran aber nicht zu denken, im Gegenteil. Während das Eis weiter tropft und bröckelt, ist die blöde Kamera endlich soweit. Und schon erklingen die ersten Takte von „Loretta“, Townes’ Song über eine Bardame.

Ja, in der Tat: M. Ward und Norah Jones covern Zandt. Ein unwirklicher Moment, ein magischer Moment. Denn sie tun es gut, die beiden, schleppend und zart, er mit dieser angerauten Rock’n’Roll-Stimme, die immer ein wenig klingt, als sänge er durch ein Megafon; sie mit diesem melancholischen Kleinmädchentimbre, es ist ein Genuss.

Ich filme schleckend, sabbernd und bröckelnd mit, zwar aus viel zu großer Ferne, aber immerhin – und nach gut drei Minuten drücke ich statt auf den Stop- auf den Ausschaltknopf. Datei. Nicht. Gespeichert.

Dafür habe ich den Stadtparkboden mit erheblich mehr Schokoladenplättchen gedüngt als üblich. Ich. Könnte. Heulen.


(Townes-Foto von Claus-Marco Dieterich, Marburg 1993)

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02 August 2007

Audienz beim Fußballgott

Natürlich, objektiv gesehen ist das völlig gaga, schon klar. Doch für mich hat es etwas unbeschreiblich Erhebendes, im gleichen Stadion ein- und auszuatmen wie Alessandro Del Piero.

Nur wenige Meter von mir entfernt schreitet der Fußballgott zur Eckfahne, und ich bin verzückt, auch wenn der Ball im Strafraum versandet. Hach, der Atem der Fußballgeschichte!

Am Ende verliert Del Piero mit Juventus Turin 0:1 beim HSV in einem bedeutungslosen Testspiel, das ich mir jedoch legendär zu reden versuche. Denn wir sehen nirgends Fernsehkameras, diese Partie findet unter Ausschluss der medialen Öffentlichkeit statt, und das hat man ja heutzutage nicht mal mehr auf dem Kiez.

Mir wird ganz pathetisch beim Gedanken daran. „Dieses Spiel“, raune ich dem Franken zittrig zu, „wird ausschließlich in unserer Erinnerung weiterexistieren!“

„Und auf tausenden Digicams“, lässt der tumbe Aurakiller ungerührt die Luft aus meinem Pathos und filmt den nächsten Freistoß. Verdammt, er hat Recht. Also knipse ich Del Piero, wie er sich den Ball zur Ecke zurechtlegt.

Ein Moment, den mir niemand mehr nehmen kann.


PS: Hier gibt es fünf Minuten lang Del-Piero-Tore.

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18 Juli 2007

Der Ring blieb heil

Vorm Showcase des – glaubt mir einfach – kommenden Popstars Peter Cincotti drückt mir der Deutschlandchef von Warner Music die Hand, und zwar brutalstmöglich.

Augenblicklich wird sie physisch spürbar, die geballte Kraft des Global Players, der verbissen gegen die Zeitläufte ankämpft.

Sofort danach überprüfe ich verstohlen den Zustand des goldenen Rings, den ich einst gemeinsam mit Ms. Columbo als Symbol unserer Liebe bei Wempe an der Reeperbahn auserkor und seither praktisch ununterbrochen trage.

Ergebnis: Er ist nicht verbogen. Den Auftritt Peter Cincottis verfolge ich daher deutlich wohlgesonnener.


Später werde ich dem Künstler vorgestellt. Lächelnd, doch mit grimmiger Entschlossenheit drückt er mir die Hand, so fest es einem Menschen möglich ist, der davon lebt, seine Finger über eine Ansammlung toter Elefantenzähne tanzen zu lassen.

Dabei bleibt Cincotti natürlich deutlich hinter der Barzahl seines Chefs zurück. Offensichtlich ist er jemand, der Risiko und Chance sorgsam abzuwägen vermag.


Wie gesagt: ein kommender Popstar. Glaubt mir einfach.

PS: Das Foto erweckt zwar nicht den Eindruck, doch Cincotti verfügt wirklich über zwei Hände.

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07 Juli 2007

Lauter Banalitäten, aber wenigstens musikalische

Bereits gestern hatte mich Heißhunger auf bretonische Harfenmusik gepackt.

Wahrscheinlich lag es an etwas Kreuzbanalem, vielleicht war beim Skippen durchs „Fernseh” (Poodle) irgendwo im Off ein Harfenpartikel aufgeblitzt und hatte mir à la Proust eine verschollene Erinnerung aus dem Gedächtnis gefischt.

Heute jedenfalls gestand ich Ms. Columbo diesen Heißhunger – und gleich darauf auch das Bedürfnis, ihn endlich zu stillen, hier und jetzt.

Gottergeben sah sie mir zu, wie ich zur LP-Sammlung schritt und drei 70er-Jahre-Alben der bretonischen Harfencombo An Triskell hervorzog, um eine nach der anderen umstandslos aufzulegen – nicht ohne in erklärendes Salbadern zu verfallen übers Weshalb und Warum dieses von ihr richtigerweise als „schräg“ rubrizierten Tuns.

Aus welchen Gründen ich Ms. Columbo dann aber mit Zeltingers Kölschpunk „Müngersdorfer Stadion“ malträtierte, bleibt unklar. Und warum bloß stellte ich uns danach unter die prasselndste Fremdschämvolldusche seit „Borat“, nämlich mit Udo Lindenbergs „Wozu sind Kriege da?“? Der Abend endete dennoch versöhnlich, dank eines Dylan-Bootlegs („The Genuine Basement Tapes“, Teil 3).

Wen das alles interessieren soll, liegt übrigens genauso im Dunkeln wie die Ursache meines Heißhungers auf bretonische Harfenmusik.

Hat eigentlich jemand die Vinylsingle „Blanc bleu rouge“ von An Triskell? Das Ding muss ich haben. Wirklich.

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03 Juli 2007

Eine Erde reicht uns nicht

Wir fliegen nie (okay, das liegt an meiner Flugangst), und wir fahren kein Auto.

Wir essen vor allem frische, unverpackte Lebensmittel, beziehen Ökostrom und stolpern lieber im Dunkeln durchs Treppenhaus, als diese dämonische Nichtenergiesparlampe anzuknipsen.

Und trotzdem: Lebten alle so wie Ms. Columbo und ich, bräuchten wir exakt 2,3 Planeten.

Ja, was sollen wir denn NOCH tun, Himmelsakra?


(Auf den Link zu diesem teuflischen Test wies mich dieser Herr hin. Na, danke auch …)

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01 Juli 2007

Warum ich nicht in einer Dokusoap mitspiele

Morgen um 18 Uhr startet auf RTL II eine neue tägliche Dokusoap über den Alltag auf St. Pauli. Sie heißt „Mein Kiez“.

Das erwähne ich nicht nur, weil sie eine hübsche Ergänzung zu diesem Blog sein könnte, sondern auch, weil ich vor einigen Wochen gefragt wurde, ob ich nicht selber mitspielen möchte.

Wollte ich nicht. Mein Durchschnittsgesicht gehört mir, da gehört es hin, und das kriegt auch in diesem Blog niemand zu sehen.

Der wichtigste Grund aber war der: Ich hätte angesichts einer Kamera bestimmt nur hochrot rumgestottert, idiotisch gegrinst und insgesamt gewirkt wie ein grenzdebiler IQ-Abstinenzler.

Vor allem mir selber mochte ich das nicht zumuten (für den Rest der Welt wäre das womöglich unterhaltsam gewesen). „Aber stell dir mal die explodierenden Zugriffszahlen auf dein Blog vor!“, charmierte mich Andreas, über den die Produzentin von „Mein Kiez“ mich kontaktiert hatte.

Ja, wirklich reizvoll. Wenn man aber meine Abneigung in Relation setzt zu vielleicht tausend Klicks mehr, dann verhält sie sich wie der Pazifik zu einer Urinpfütze am Rande der Reeperbahn.

Und nicht weit davon entfernt – nämlich in der Wohlwillstraße – ist das heutige Foto entstanden.

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23 Juni 2007

Lost in desorientation

Ich hätte gern einen perfekten Code, eine mathematische Methode, die ein für alle Mal meine erschreckende Desorientiertheit abschaffte.

Könnte ich zum Beispiel sicher sein, unser Hotel (Foto: eine Innenansicht) läge wirklich immer genau in der entgegengesetzten Richtung von der, die ich vermute, dann wäre alles gut. Ich stapfte einfach los in die „falsche“ Richtung und stünde alsbald vor der Unterkunft.

Manchmal ist es auch wirklich so – tätä! –, meistens aber ganz und gar nicht. Das Problem: Es gibt so viele Richtungen.

Vor allem die schrägen, diagonalen, abknickenden, ums Eck laufenden, auch die kurvigen, mäandernden, unmerklich gebogenen, Parallelität vortäuschenden machen mir zu schaffen. Sie verwirren mich. Und schon ist das Hotel ganz woanders.

Ich hätte gern deine Orientierungsgabe, seufze ich zu Ms. Columbo, und würde gern eine meiner Spezialfähigkeiten dagegen eintauschen. Welche denn, fragt Ms. Columbo. Zum Beispiel die, sage ich, noch in 100 Jahren sicher zu wissen, wer „Griechischer Wein“ geschrieben hat.

Reicht mir nicht, sagt Ms. Columbo. Na gut, rufe ich, dann dass Bernd Clüver einst im 20. Jahrhundert „Der Junge mit der Mundharmonika“ gesungen hat: Das würde ich hergeben für Orientierung!

Ms. Columbo aber will noch immer nicht tauschen. „Lady Bump“ von Penny McLean!, spiele ich meinen letzten von weiteren unübersehbar vielen Trümpfen aus. Doch sie will nur tauschen gegen eine echte Gabe und nicht, wie sie schonungslos offen darlegt, gegen Trashwissen.

Also werde ich weiterhin vermuten, das Hotel läge im Norden, werde daraus seine strikt südliche Lage ableiten und es am Ende im halblinken Mittelwesten wiederfinden.

Allerdings nur mit Ms. Columbos Hilfe.


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16 Juni 2007

Ciao, Edi!


Link: sevenload.com

Nachmittags radelte ich die Reeperbahn westwärts, bog am Albersplatz illegal links ab auf den Gehweg, umkurvte kühn die schon erstaunlich zahlreichen Flaneure, stoppte jäh vorm Nuttenturm und wurde augenblicks wehmütig.

Zum letzten Mal nämlich würde ich im klapprigen Lift die 14 Stockwerke hochjuckeln und Edi besuchen. Zum letzten Mal würde ich jenen speziellen, rheumabedingten Handschlag auf Schulterhöhe mit ihm austauschen. Und mich zum letzten Mal mit ihm kabbeln über meine Vorliebe, lieber an seinen Astraplastikflaschen zu nuckeln, statt das Bier ins Glas zu gießen.

„Flaschenbier trinkt man aus der Flasche!“, würde ich erneut eine uralte dogmaähnliche Weisheit zum Besten geben, die mich bisher glänzend durchs Leben gebracht hat, und er würde lächelnd den Kopf schütteln und mich unter Verweis auf den plastikverdorbenen Geschmack des Biers umzustimmen versuchen – als wenn es diesen Geschmack (so es ihn überhaupt gibt) beim Gießen ins Glas verlöre.

Und dann würden wir hinaustreten auf seinen lärmumtosten Balkon („Hier oben“, würde Edi wieder einmal unvermindert fassungslos erläutern, „ist es lauter als unten!“), er würde sich eine Zigarette drehen, derweil er die Stärken und Schwächen deutscher Kanzler abwöge und die Authentizität der Tagebücher Thomas Manns bezweifelte; und er würde vor den politischen Fettnäpfchen warnen, in die Ms. Columbo und ich in Danzig tappen könnten, wo wir ab morgen unseren Urlaub verbringen werden.

Ich würde ein wenig mit der Kamera herumspielen und kleine Filmchen von Edi und seiner neuen Piratenflagge drehen, die noch unzerzaust ist vom Kiezwind und stolz und schwarz den in naher Ferne einlaufenden Pötten Grüße hinüberweht.

Unten auf der Kreuzung würden plötzlich Reifen quietschen und es praktisch gleichzeitig gewaltig krachen, was uns unisono an die Brüstung hechten ließe, wo wir uns das kleine große Chaos in der Tiefe genüsslich anschauten wie einen Film von Jacques Tati.

Und dann würden wir uns irgendwann verabschieden, und zwar für lange, denn Edi, der alte Oberfunkmeister,
zieht weg, von der Elbe an die Alpen.

Ich hätte ihn gern früher kennengelernt, würde ich ihm noch sagen. Und er würde mich wie immer warnen vorm klapprigen Lift, der immer wieder steckenbliebe („Das ist ein Abenteuer, das kann ich dir sagen!“), was mich wiederum bewöge, heute lieber alle 14 Stockwerke des Nuttenturms zu Fuß hinabzusteigen, weil meine Stimmung nun mal wehmütig ist und nicht abenteuerlustig.

Und genauso, wie ich es vermutet hatte, kam es auch heute Nachmittag. All das Geschilderte geschah, nichts traf nicht ein.

So denn: Ciao, alter Oberfunkmeister! Bis irgendwann einmal im Allgäu.
Ich hätte dich wirklich gerne früher kennengelernt.

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24 Mai 2007

Heute blau

Wir hatten mal ein ältliches Paar im Haus, das kam oft spätnachts vom Kiezbummel zurück und brauchte zehn Minuten für drei Stockwerke. Dabei sang es im Treppenhaus.

„Hoide wlau un moijen wlau und üwermoijen wieda!“ So informierten die beiden uns Nachbarn über ihr Ideal von Freizeitgestaltung.

Inzwischen sind sie ausgezogen. Manchmal treffe ich die Frau – eine blondierte Mittfünfzigerin mit zuviel Kajal um die Augen, als dass es nicht nach Verzweiflung röche – an der Bushaltestelle. Dann höre ich sofort ihr Lied wieder vorm inneren Ohr: „… hoide wlau …


Davon ahnt sie nichts in ihrer verhärmten Ernsthaftigkeit, mit der sie auf den Bus wartet, denn sie erkennt mich nie. Ich habe einfach ein Durchschnittsgesicht, das ist das Problem.

Oder die Gnade.

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21 Mai 2007

Warum das Nationalteam gegen den FC St. Pauli keine Chance hat

Jetzt ist es also wirklich wahr geworden: Der Franke hat eine Karte übrig. Für Freitagabend. Für das Spiel.

Um halb acht wird der FC St. Pauli am Millerntor zum ultimativen Showdown gegen den Aufstiegskonkurrenten Dynamo Dresden antreten, und wenn dabei auch nur ein lächerliches, meinetwegen auch atomares Pünktchen herausspringen sollte, dann wird der Kiez beben wie einst im Mai (der ein Januar war), als mein kleiner Stadtteilverein in einer gloriosen Pokalschlacht Werder Bremen mit 3:1 aus dem Rotlichtviertel fegte.

Wenn also dieses eine winzige atomare Pünktchen hier bliebe am Freitagabend, dann wären wir – ja: wir! – zurück im Profifußball. Und der Franke hat für dieses Spiel, nach dem sich mehr als 50.000 Fans vergeblich verzehren, eine Karte, und zwar übrig.

Um den in moralischen Fragen schwankenden Franken vor einer von reiner Profitgier geprägten Entscheidung (ich sage nur: Schwarzmarkt!) zu bewahren und natürlich auch zur Rettung seines Seelenheils unterbreitete ich ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte: Ich bot ihm im Tausch eine Karte fürs Länderspiel Deutschland–Slowakei am 6. Juni. Und der herzensgute Süddeutsche schlug ein.

Aber warum habe ich das überhaupt getan? Ich meine: Der Franke bekommt ein waschechtes EM-Qualifikationsspiel in der landesweit modernsten Arena vor 55 000 Leuten. Und was bietet er?
Das:

Ein Spiel der dritten Liga in einem wackligen Stadiönchen mit Baulücke statt Südtribüne, in dem Leute auf einer hölzernen Plattform herumkrauchen und per Hand Zahlenschilder an Haken aufhängen, wenn ein Tor gefallen ist; ein Stadion, in dem man von manchem Ort aus die Spieler auf der gegenüberliegenden Seite nur wadenaufwärts sieht, weil der störrisch eigenwillige Rasen geruht, sich buckelartig zu wölben – wenn man überhaupt Spieler sieht, denn bei einem Stufengefälle von gefühlten zwei Zentimetern steht dir gewöhnlich ein stattlicher Norddeutscher fahnenschwenkend oder bierbecher(Foto)werfend vor der Nase, vor allem dann, wenn gerade ein Angriff erfolgreich abgeschlossen zu werden droht und gerne auch bei Ecken, Elfmetern, Syndesmoserissen oder jedweder anderen Spielsituation, die optisch wahrzunehmen durchaus einen gewissen Reiz hätte, wenn man genau für solche Momente Eintritt gezahlt hat.

Und dennoch, trotz alledem, gleichwohl, nichtsdestotrotz und verdammt noch eins tausche ich leichten, gar frohen Herzens meine Länderspielkarte gegen das Ticket für Freitagabend; ja, insgeheim befürchte ich sogar, den Franken damit übers Ohr gehauen zu haben.

Kann mir bitte mal jemand diesen Widersinn so erläutern, dass auch ich ihn verstehe?

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19 Mai 2007

Das Beste draus machen

Als Obdachloser wäre ich völlig fehlbesetzt. Die üblichen Annehmlichkeiten des Behaustseins (Dusche, Balkon, WLAN) scheinen mir gänzlich unverzichtbar.

Vor allem bekäme ich schlicht keinen Schlaf, da unsere Federkernmatraze meine Schlummerfähigkeit praktisch komplett monopolisiert hat. Selbst Hotelbetten vermögen es selten, mir ein Ambiente zu bieten, das Morpheus wohlgefällig wäre; ein Campingurlaub ist unter diesen Umständen natürlich erst recht undenkbar.

Nein, draußen auf der Straße fände ich keine Sekunde Schlaf, was mir tagsüber beim Betteln wohl viel Überzeugungskraft nähme.

Auf St. Pauli begegnen mir dagegen jeden Tag bockelharte Cracks, die im Gegensatz zu mir nicht mal komatös sein müssen, um stundenlang regungslos auf Betonmauern, Abluftgittern oder Gehwegplatten herzumzuliegen.

Und manchmal – wie der, den ich heute an der Simon-von-Utrecht-Straße unter einer Werbewand vorfand – tun sie das sogar an symbolträchtigen Stellen.

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09 Mai 2007

Menschen- statt Frauenversteher

Nachdem ich heute auf Spiegel online Reinhard Mohrs vertrackte, aber pfiffig um die Ecke argumentierte Ehrenrettung des Oldschool-Feminismus gelesen habe (die derart pfiffig um die Ecke argumentiert ist, dass ich sie erst noch mal nachlesen müsste, um sie verständlich referieren zu können), kam ich zu folgender Erkenntnis:

Ich will gar kein Frauenversteher sein; Menschenversteher würde mir schon reichen.

(Das heutige Foto hat übrigens keinen Bezug zum Text.)

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02 Mai 2007

Ein Schrei für die Ewigkeit



Color Line Arena, gestern. In wenigen Augenblicken werden Tokio Hotel auftreten. Die Lichter gehen aus, und da ist sie, die Essenz des Pop: ein Schrei aus zehntausend Teeniekehlen. Unisono, hochfrequent, ein Tsunami aus Schall (den der Clip oben nur lachhaft dünn wiederzugeben in der Lage ist).

Mir stellen sich die Haare auf, und ich sehe mich selbst, wie ich den Kopf schüttle und fassungslos lache, wie ich mir die Hände auf die Ohren presse. Ja, das ist sie, die Essenz des Pop: das reine, hemmungslose, pure Gefühl der Erwartung und der bevorstehenden Erlösung. Die zum Schrei geronnene Emotion. Das Hier und Jetzt, die nie mehr endende Gegenwart, die Diktatur der Körperchemie.

Zehntausend Stimmen schreien einen einzigen Schrei, und mir wird klar, was für ein Handicap die Ratio sein kann. Und ich ertappe mich dabei, wie ich die schreigewordenen Teenies beneide um die Reinheit und Totalität ihres Gefühls.

Etwas in dieser Intensität hatte ich nie. Für die Beatles war ich viel zu jung, und gefangen auf dem Dorf hätte mir die Gnade einer früheren Geburt eh nichts genützt. Erst mit 16 schaffte ich es auf die ersten großen Konzerte, aber das ist viel zu spät für den essenziellen Schrei, in dem das ganze Leben steckt und tief versteckt und unbewusst auch das Gegenteil davon.

Das alles wird mir klar beim Konzert von Tokio Hotel in der Color Line Arena, und dafür werde ich der Band ziemlich lange dankbar sein.

Auch wenn sie den Abend in eine Melancholie tünchten, die lange nachhallen wird.

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26 April 2007

Der unhaltbare Tabasco

Speisekammern sind wie unerforschte Gebiete, vergleichbar mit dem Kongo 1612. Nur mit dem Unterschied, dass man für alles, was man in der Speisekammer vorfindet, evidenterweise selbst verantwortlich ist, auch wenn man sich nicht mehr daran erinnern kann.

Wann zum Beispiel bestückten wir sie bloß mit der abgebildeten Flasche Tabascosauce? Wahrscheinlich noch vor der Euroumstellung. Bisher sah ich darin kein Problem, zumal ich ihre Existenz längst vergessen hatte. Doch heute stieß ich auf das Fläschchen mit dem Teufelsgebräu. Ich schaute es mir rundherum an und stieß aufs Verfallsdatum. Es war bestürzend: Mai 2003.

Ich wollte es schon beschämt wegwerfen, als ich stutzte. Wie um alle Chilis in der Welt kann Tabasco überhaupt ein Verfallsdatum haben? Von diesem Teufelszeug wird doch selbst das todesmutigste Bakterium die Beißerchen lassen!

Ja, in meiner Welt könnte man Tabasco locker als Alternative zu Formaldehyd benutzen. Doch all das scheint eine jener Lebenslügen gewesen zu sein, denen man sich irgendwann gequält stellen muss. So wie der letzten: Bambi war gar kein Reh, sondern ein Weißwedelhirsch. Und ich weiß nicht mal, was ein Weißwedelhirsch ist.

Das Fläschchen Tabasco habe ich dann doch weggeworfen.

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16 April 2007

Laura Veirs zu verschenken

Die vielfältigen Probleme einer umfangreichen Plattensammlung ahnt man nicht im Entferntesten, wenn man sie noch nicht hat, die umfangreiche Plattensammlung.

Neben dem schieren Platzbedarf, der irgendwann zu diversen Reibungen bis hinein in eine ansonsten toll funktionierende Zweierbeziehung führt, stellt eine umfangreiche Plattensammlung auch enorme Anforderungen ans menschliche Gedächtnis. Zumindest an meins.

Manchmal stehe ich auf dem Flohmarkt und frage mich: Habe ich diese Platte schon oder nicht? Immer öfter auch freue ich mich kindlich über ein feines Fundstück, welches ich im besten Fall schon seit Jahren suchte und nun glückstrunken nach Hause trage, wo ich der frustrierenden Wahrheit ins Gesicht blicken muss. Sie lautet: Jetzt habe ich die Platte doppelt.

Heute Abend im Knust, beim Konzert von Laura Veirs, über die ich vor Äonen schon einmal ein bisschen bloggte, stand ich am Verkaufsstand und fragte mich angesichts ihrer CD „The Triumphs & Travails of Orphan Mae“ ratlos, ob ich mich eigentlich schon in der Gewissheit ihres Besitzes wiegen dürfe oder nicht.

Da ich das nicht nur innerlich, sondern auch vernehmlich für den Verkäufer tat, versuchte er sich an einer pragmatischen Lösung. „Buy it to make it sure“, sagte er listig. Ein Killerargument, wie ich bewundernd zugeben musste.

Also kaufte ich sie. Und jetzt habe ich sie doppelt. Die im Archiv ist allerdings eine gebrannte Promoversion, ich darf sie somit nicht einmal auf Ebay versteigern, weil man für so was natürlich sofort wieder gesperrt wird.

Praktisch veranlagte Blogleser drängt es jetzt sicherlich danach, mir ersatzweise den Verkauf der erst heute Abend erstandenen Original-CD nahezulegen, was zwar legal wäre, aber erst recht nicht in Frage kommt. Sie hat nämlich im Gegensatz zu der profan verpackten Kopie ein schönes rotes Pappcover (neudeutsch: Digipack), das ich nie mehr missen mag.

Nein, dann verschenke ich lieber die Gebrannte – im Rahmen einer Verlosung unter allen Kommentatoren dieses Beitrags. Es entscheidet allein der blinde Würfel und nicht die Qualität des Kommentars. Wobei ich natürlich niemand davon abhalten will, etwas Intelligentes zu sagen – was eine völlig unnötige Bemerkung ist, denn das Niveau der hiesigen Kommentare übersteigt eh meist die Qualität der Beiträge, und deshalb …

… verdammt, ich verzettle mich. Eine umfangreiche Plattensammlung verschlechtert offenbar nicht nur die Performance des Erinnerungsvermögens, sondern meine Geistesleistungen ganz allgemein.

Kurz: Wer die Platte haben will, soll was sagen.

Pasta.

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03 April 2007

Welches Tier ich am liebsten wäre:

Ein Geier in Patagonien. Aus vier Gründen:

a) Keine natürlichen Feinde.
b) Nette Landschaft.
b) Fliegen können.
c) Jeden Tag stellt dir jemand das Essen hin. (Gut: Es ist Aas. Aber ich esse ja auch Sushi.)

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11 Februar 2007

Ihr String war blau

Beim Friseur. Ich warte und versuche, Vanity Fair zu lesen, doch der gerade einer Glatzenrasur anheimfallende Kunde vor mir erzählt sehr laut von seinem „Afrikanschaman Supermarket“. Der Friseur versteht nicht recht und fragt nach, was ich innerlich auch tue.

„Afrikanschaman!“, insisitiert der Kunde unter Hochdrehen seines Volumereglers. Doch erst beim dritten Mal dämmert uns unisono, wie der Supermarkt beschaffen ist, nämlich „African-german“. Der Geschäftsführer verrät dem Friseur dann auch noch gleich so lautstark wie stolz das Geheimnis seines Erfolges: „Deutsche könne komme un was kaufe, Afrikaner könne komme un was kaufe.“

Eine verblüffend geniale Geschäftsidee, welche der Glatzenkunde offenbar zu höchster merkantiler Blüte geführt hat, denn er zeigt sich sehr laut sehr zufrieden mit den kumulierten deutschafrikanischen Umsätzen. Warum ist da vorher noch niemand drauf gekommen?

Mein Arztbesuch voher war gleichwohl noch interessanter. Seit bestimmt zehn Jahren war ich nicht mehr beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt, deshalb weiß ich schlicht nicht, ob es inzwischen Usus ist, dass gutgebaute Arzthelferinnen in halbtransparenten weißen Stoffhosen herumlaufen, durch die man die Farbe ihres Stringtangas sehen kann (blau).

Den Herrn Doktor wagte ich danach allerdings nicht zu fragen. Weitaus mehr brannte mir nämlich mein Problem mit den Tabletten auf der Seele. Ich kann traditionell keine schlucken, selbst winzige nicht, dennoch beharrte der Arzt störrisch darauf, mir welche zu verschreiben.

Mein Vorschlag, doch bitte nach einer flüssigen Variante des fraglichen Medikaments zu suchen, wurde zwar von seiner halbtransparenten Assistentin aufgegriffen, doch mehr als ein bedauerndes Kopfschütteln dieses irritierenden Geschöpfs kam dabei nicht heraus.

Tablettenphobiker wie mich belächelt der Doktor übrigens. Mit jenem rustikalen Humor, der sich nur nach Jahrzehnten des Praktizierens herausbildet, bezeichnete er mich als „Würger“. Allerdings hielt er auch einen potenziellen Trost für mich parat.

„Die meisten Würger“, plauderte er aus dem Spritzenkästchen, „sind entweder Alkoholiker oder hochintelligent. Suchen Sie sich’s aus.“

Habe ich dann auch gemacht.

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25 Januar 2007

Zurück in die Steinzeit

Zum hinterhältigen Bitsch! eines elektrostatischen Schlags habe ich ein ähnliches Verhältnis wie Ms. Columbo zu Spinnen. Also kein gutes.

Das erklärt vielleicht folgendes bizarre Verhalten, welches von den überall auf St. Pauli installierten Überwachungskameras zum Glück nicht erfasst wird (glaube ich): Beim Staubsaugen ertappe ich mich nämlich manchmal dabei, wie ich mich am Metallrahmen der Jukebox erde, um nicht ständig gebitscht zu werden.

Die linke Hand liegt dabei auf der Box, während ich mit der rechten den Sauger führe und unter komischen Verrenkungen entfernte Flurwinkel zu erreichen versuche.

In solchen Augenblicken habe ich das Gefühl, dieses ganze Zivilisationsding sei eventuell ein furchtbarer Irrtum. Wahrscheinlich waren Steinzeitmenschen besser dran als wir – und machten dabei auch eine bessere Figur.

Okay, da waren die Mammuts und die Säbelzahntiger und die grunzende Nachbarsippe mit ihren nagelgespickten Keulen. Aber kaum Elektrostatik.

Und niemand wurde je dazu verdonnert, die Höhle zu saugen.
(glaube ich)

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24 Januar 2007

Nerven wie Spinnweben

Vor der Fabrik in der Barnerstraße, wo ich das Konzert der betagten Gitarrenband Wishbone Ash besuchen will, muss ich Schlange stehen im Frost. Habe zu dünne Schuhe an, die frische Kälte zieht zügig durch die Sohlen. Der erste Wintertag, und ich stehe trippelnd im Freien; tolles Timing.

Die Stimmung steigt weiter, als ein zugewachsener Stadtschrat mit Klingelbecher an der Schlange entlangschlurft und uns mit einem hämischen „Stellt euch nicht so an!“ kommt – der Spruch ist noch älter als sein verfilztes graugelbes Zottelgestrüpp, das er der Welt als Bart verkaufen will. Wir muffeln ihn alle an, er verdient keinen Cent.

Endlich bin ich drin in der Fabrik, und die Vorband legt los. Sie heißt Bliss und war vor 15 Jahren mal eine viertelgroße Nummer. Ich weiß nicht genau, ob es an meinen kalten Füßen liegt, aber die Sängerin mit ihrem Hört-mal-wie-ich-in-5-Sekunden-12-Oktaven-schaffe-Gekreische wirkt auf mein Nervenkostüm wie eine Kreissäge in der Ruhesauna.

Und plötzlich nervt mich alles. Wie die abgetakelten Althippies in ihre Bratwürste beißen und Soße aus den kleinen wulstigen Kuhlen ihrer Mundwinkel tropft. Wie ihre fahlen Resthaare todtraurig auf Jeansjackenschultern liegen. Wie all diese hässlichen Leute um mich herum jugendlich tun und Bier aus Plastikbechern in ihre wabbeligen Wohlstandsbäuche schütten.

Andy Powell von Wishbone Ash, einer der einflussreichsten Gitarristen der Rockgeschichte, spielt ein Solo, aber ich muss weg, sofort. Ich laufe die Friedensallee hoch. Neben Aldi fällt mir ein Automat auf (Foto), den ich dort noch nie gesehen habe. Der Trumm entpuppt sich als öffentlicher Eiswürfelautomat, pro Kilo ein Euro. Man kann Münzen einwerfen oder mit Karte zahlen.

Es ist der erste Wintertag, es friert, meine Füße fühlen sich an, als liefe ich barfuß über die Eisbahn in Planten un Blomen – und ich stolpere über einen öffentlichen Eiswürfelautomaten. Ich wusste nicht mal, dass es so etwas überhaupt gibt.

Außerdem habe ich ein Sirren im Ohr, das nicht mehr weggeht. Das war aber vor dem Konzert schon da, dafür will ich die Bliss-Sängerin nicht auch noch verantwortlich machen.

Ex cathedra: Die drei besten Songs von Wishbone Ash
1. „Errors of my ways"
2. „Sorrel"
3. „Surfing a slow wave"

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21 Januar 2007

Was Dieter Bohlen mit meinem Hintern zu tun hat


Da wollte ich einmal ein Solarium ausprobieren! Prompt komme ich nach Hause mit einem Sonnenbrand.


Und zwar am Hintern.

Die Hitze in dieser Region noch während der zehnminütigen Anwendung hätte mich alarmieren sollen. Doch leider bin ich Solariumsnovize und wusste die Zeichen nicht zu deuten. Jedenfalls habe ich mitten im Winter einen Sonnenbrand. Am Hintern. Das ist dekadent, lachhaft und jedes Spottes würdig.

Ich fühle mich wie Dieter Bohlen, nur nicht ganz so ledrig, nicht so gelblich mumienbraun. Gleichwohl haben unser beider Hautprobleme wohl die gleiche Ursache: ein Solarium. Bei ihm kommt
natürlich noch Mallorca hinzu.

Neulich beschlich mich übrigens schon mal ein Gefühl, welches mit Bohlen zusammenhing. In mir nämlich verfestigte sich damals der Eindruck, alles – also das Leben und der ganze Rest – könne gar nicht so schlimm sein, solange Dieter Bohlen älter sei als ich.

Keine Ahnung, warum mein Unterbewusstsein ausgerechnet den Tötenser für diesen Trostvergleich heranzog. Doch es war so. Und das wird sich zum Glück ja auch niemals ändern, das Jüngerseinalsbohlen.

So ist also selbst der Dieter zu irgendetwas nütze.

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