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Die Rückseite der Reeperbahn

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Mein Foto
Name: Matthias Wagner
Standort: Hamburg, Germany

Schreiberling




07 März 2010

Wir haben alle unser(e) Päckchen zu tragen



Der aufregendste Moment heute beim Spiel HSV gegen Hertha (1:0, Jansen, 40.) war keiner, der auf dem Spielfeld passierte. Sondern der, als mir mein Etui mit der Sonnenbrille ins Klo fiel.

Zum Glück hatte mein Vorgänger ordnungsgemäß gespült. Danke, Unbekannter. Dennoch war das Ganze eine recht unangenehme Sache. Immerhin konnte ich das Etui spitzfingrig von der Wasseroberfläche klauben, weil es aufschwamm. Die Brille alleine hingegen wäre zweifellos sofort untergegangen, und ob ich mental in der Lage gewesen wäre, meinen halben Oberkörper im Abfluss zu versenken wie einst Ewan McGregor in „Trainspotting”(Foto) – nun, da bin ich mir nicht so sicher. Doch das war ja auch dank des Etuiauftriebs nicht nötig.


Das Wasser hatte sich gleichwohl ohne Umschweife durch die Ritzen des Behälters gezwängt und drinnen ein bisschen umgeguckt, zuungunsten meiner Sonnenbrille. Eine (zumindest subjektiv) ekle Entwicklung, der schleunigst entgegengetreten werden musste. Doch selbstverständlich war der in Sachen Hygiene liederliche HSV nicht auf die Idee gekommen, seine Klos mit etwas so Absurdem wie Toilettenpapier auszustatten.

Wer dem Verein jetzt beispringen und einwenden möchte, das Papier sei eben unterm Ansturm harndranggeplagter Massen irgendwann ausgegangen, dem muss ich leider lauthals entgegenschleudern, dass sich mein Missgeschick noch vorm Anpfiff zutrug, und wenigstens zu diesem Zeitpunkt hätte doch irgendwo in dieser gottverlassenen Kabine zumindest eine kümmerliche Rolle auffindbar sein müssen, NICHT WAHR?

Wie auch immer: Ich konnte nicht direkt vor Ort mit ersten Trocknungsmaßnahmen beginnen, und das verbesserte meine Laune keineswegs. Derweil hatte der Stadiondebütant German Psycho draußen auf der Tribüne ganz andere Sorgen:

a) schämte er sich aus ästhetischen Gründen in Grund und Boden für seine über die Jeans gezogene Jogginghose („Sie passte nicht drunter!“). Außerdem fror er b) erbärmlich am Kopf, weil er sich weigerte, die von mir angebotene Wollmütze zu tragen („Damit sehe ich scheiße aus!“ „Aber du siehst dich doch damit gar nicht.“ „Aber ich weiß, dass ich damit scheiße aussehe!“).

c) bekam er Eishände, weil er nicht an Handschuhe gedacht hatte, aber dennoch entschlossen war, sich an zwei Grad kaltem Bier zu delektieren. Und schließlich hatte er d) noch immer daran zu knabbern, dass er mit seinem Outfit vorhin bei McDonalds nicht weiter aufgefallen war, er war praktisch einer von diesen Leuten gewesen …

Das Etui habe ich übrigens weggeworfen.

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25 Januar 2010

Ruud van Nistelrooys bevorstehender Kreuzbandriss



Nicht nur ganz Hamburg – ausgenommen St.-Pauli-Fans –, sondern praktisch ganz Restdeutschland überschlägt sich, weil der holländische Altstar Ruud van Nistelrooy zum HSV wechselt. Dabei ist der Mann bald 34 (ein für Stürmer methusalemisches Alter) und wurde bei Real Madrid dermaßen aussortiert, dass sie nicht mal mehr Geld für ihn haben wollen.

Der hiesige Jubel verweist letztlich auf einen latenten Minderwertigkeitskomplex der Bundesliga. Noch jeder große Name muss ungefragt als Pseudobeweis für die Wertigkeit der Liga herhalten. Dabei übersieht man gern, dass es den Topleuten in der Blüte ihrer Jahre nicht im Traum eingefallen wäre, nach Deutschland zu wechseln.

Wenn sie aber am Winteranfang ihrer Karriere in England, Italien oder Spanien nur noch die Ersatzbänke drücken dürfen, gehen sie schließlich doch noch nach Deutschland, wo sie selbst zwar nur noch auf ein Gnadenbrot
hoffen (also zwei Millionen netto im Jahr), doch ihr einstiger Glamour in vorauseilender Masseneuphorie allzu gerne mit künftiger Realität verwechselt wird.

Kann natürlich sein, dass van Nistelrooy noch mal eine gute Halbserie gelingt. Wahrscheinlicher aber ist das Modell „langwierige Knieverletzung nach drei Spielen“.

Gut, es gibt hier auf dem Kiez eh wichtigere Dinge als van Nistelrooys bevorstehender Kreuzbandriss: Im Millerntorstadion (hier ein älteres Foto mit Michel) sind am Samstag beim Spiel gegen Aachen die Bierleitungen eingefroren, und die Fans mussten auf Glühwein umsteigen. Das ist Tragik!

Unabhängig davon haben wir eh die Schnauze voll von der vielwöchigen Dauerkälte. Hiermit fordere ich daher die zuständigen Kräfte auf, endlich in den Frühlingsmodus zu wechseln.


Und zwar pronto. Soll heißen: bis gestern.


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18 August 2007

Die Pissnelke


Link: sevenload.com

In Winterklamotten gehen wir in dieser kalten Augustnacht rüber ins Millerntorstadion, angezogen von den cineastischen Verheißungen des 60er-Jahre-Trashfilms „Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn“.

Wir sehen Erstaunliches. Nämlich den jungen Fritz Wepper, wie er sich mit einer nackten Frau in den Laken wälzt. Wir sehen Leute, die LSD konsumieren, wir sehen bloße Brüste, und das in einem deutschen Film von 1967!

Gegen halb 11 geht drüben auf dem Dom das Feuerwerk los. Der Verständlichkeit der Filmdialoge nützt das natürlich wenig, doch das macht nichts – denn dafür fällt ein atmosphärischer Clip dabei ab, den man nirgendwo sonst auf der Welt drehen könnte.

Als ich mich auf dem Heimweg unserem Haus nähere, höre ich plötzlich eine Frau „Nicht schauen!“ kreischen. Der Imperativ dringt mir nur halb ins Bewusstsein; er wird auf die übliche Weise automatisch herausgefiltert.

Denn unter unserem Balkon geschieht allwochenendlich sowieso viel zu viel Seltsames und letztlich Harmloses, als dass man sich über Gebühr darum kümmern sollte.

Als ich fast an der Haustür bin, kreischt es indes wieder und sehr viel lauter „Nicht schauen!“. Ebenso hätte mich irgendjemand auffordern können: „Denk bitte jetzt gerade mal nicht an die Kleine Hufeisennase“, und an was hätte ich zwanghaft gedacht? Genau.


Natürlich schaue ich also jetzt hin und sehe eine ungefähr 19-Jährige, wie sie aufgebrezelt, großäugig und breit grinsend dahockt mit heruntergelassenen Hosen und auf den Gehweg pisst. Daneben steht ihre Freundin und überwacht die Situation.

„NICHT schauen!“, schreit die Pissnelke, und ihre Riesenohrringe wackeln im Wind. Ich schaue weg, schließe wortlos die Haustür auf und betrete die Wohnung.

Natürlich hätte ich sie aufs öffentliche Klo drüben auf der Reeperbahn hinweisen können, doch wozu? Es gibt schließlich Ziele, die viel eher zu erreichen sind, als Wildpinkler auf dem Kiez zur Rückkehr in die menschliche Zivilisation zu bewegen – zum Beispiel Weltfrieden.

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02 August 2007

Audienz beim Fußballgott

Natürlich, objektiv gesehen ist das völlig gaga, schon klar. Doch für mich hat es etwas unbeschreiblich Erhebendes, im gleichen Stadion ein- und auszuatmen wie Alessandro Del Piero.

Nur wenige Meter von mir entfernt schreitet der Fußballgott zur Eckfahne, und ich bin verzückt, auch wenn der Ball im Strafraum versandet. Hach, der Atem der Fußballgeschichte!

Am Ende verliert Del Piero mit Juventus Turin 0:1 beim HSV in einem bedeutungslosen Testspiel, das ich mir jedoch legendär zu reden versuche. Denn wir sehen nirgends Fernsehkameras, diese Partie findet unter Ausschluss der medialen Öffentlichkeit statt, und das hat man ja heutzutage nicht mal mehr auf dem Kiez.

Mir wird ganz pathetisch beim Gedanken daran. „Dieses Spiel“, raune ich dem Franken zittrig zu, „wird ausschließlich in unserer Erinnerung weiterexistieren!“

„Und auf tausenden Digicams“, lässt der tumbe Aurakiller ungerührt die Luft aus meinem Pathos und filmt den nächsten Freistoß. Verdammt, er hat Recht. Also knipse ich Del Piero, wie er sich den Ball zur Ecke zurechtlegt.

Ein Moment, den mir niemand mehr nehmen kann.


PS: Hier gibt es fünf Minuten lang Del-Piero-Tore.

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08 Juli 2007

Angriff der Hossa-Hamas

Der Traum ging so: Tagsüber sollte es niagaraartig schütten und die Spaßterroristen des Schlagermove vom Kiez spülen; abends dann würde es plötzlich aufklaren, so dass wir uns unter linden Bedingungen dem größten Konzert aller Zeiten widmen könnten, nämlich „Live Earth“ im Volksparkstadion.

Zunächst lief alles nach Plan. Es goss, als stünde Noah persönlich an den Schleusen. Ms. Columbo und ich frohlockten, während das vom Spielbudenplatz herüberwehende „Griechischer Wein“ übertönt wurde vom infernalischen Pladdern der Sintflut.

Das anschließende Aufklaren verfolgten wir bang, nahmen aber gegen 15:26 Uhr das göttliche Geschenk eines anständigen Gewitters gerne an.

Komischerweise schien den Veranstaltern ein Abbruch des Schlagermoves gleichwohl keine Option. Und dann wurde es um kurz nach 4 auch noch empörend trocken; nur die von Westen heraneilenden Wolkenwände ließen die Hoffnung leben.

Und siehe da: Um 16:55 zog irgendwo dort droben jemand erneut den ganz großen Stöpsel raus. Yippie! 17:35 aber ein ernster Rückschlag. Kurz bevor John Denvers „Country roads“ die Scheiben der Sexshops zum Klirren brachte, kam gar die verdammte Sonne raus.

Andererseits nahte auch unserer „Live Earth“-Besuch, und ein minutengenaues Timing kann man selbst Petrus nicht abverlangen. Wir brachen also auf. Ich schlug vor, über die Reeperbahn zur S-Bahn zu gehen, um einen angeekelten Blick auf die durchgeknallte Hossa-Hamas zu werfen. Doch erwies sich das als die schlechteste Idee, seit ich damals in Belgrad den falschen Zug bestiegen hatte und dies erst acht Stunden später bemerkte: an der Endstation.

Wir hingen nämlich sofort fest zwischen Massen lallender Rosaperückenträger, während auf der Reeperbahn Themenwagen entlangkrochen, die uns mit gefühlten zwanzigtausend Watt „Fremder Mann“ in alle Körperöffnungen pressten.

Endlich bei „Live Earth“. Der zweite Teil des Traum wurde einschränkungslos wahr: Es blieb trocken. Das Stadion aber gähnte vor Leere. In den Umbaupausen lief auf der Leinwand das Schwesterfestival in London, was uns schmerzlich bewusst machte, mit welchem Mittelmaß wir abgespeist wurden.

Hier Revolverheld – dort Duran Duran. Hier Juli – dort Metallica. Hmpf. Immerhin interpretierte Juli-Sängerin Eva Briegel die herbstlichen Temperaturen ganz und gar Gore-gemäß: „Es ist kälter geworden“, freute sie sich über ein wichtiges globales Ziel der Megaveranstaltung, „es wirkt schon!“

Das erklärt übrigens auch meine Aufmachung auf dem Foto.

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07 Juni 2007

Wie ich heute Abend den deutschen Sieg herbeigepinkelt habe

In der 42. Minute des Spiels Deutschland-Slowakei entschließe ich mich auf gewissen Druck von innen, dem Halbzeitansturm auf die Toiletten zuvorzukommen und eile schon mal treppab.

Ich habe noch nicht einmal die Hose auf, da wogt natürlich verdammt noch mal der Jubel übers 2:1 (Hitzlsperger per Kopf, wie ich später erfahren soll) auch in die hinterste Kabine. Den Toilettengang absolviere ich routiniert, doch innerlich fluchend; manche meiner Schicksalsgenossen hier belassen es hingegen nicht bei stiller Kontemplation.

Zurück auf der Tribüne erwartet mich der fröhlich feixende Franke, der mir genussvoll Entwicklung und Vollendung des Tores unter die Nase reibt. Dabei schält sich eine fränkische Theorie heraus, die offensichtlich Folge temporärer Umnachtung ist.

Der völlig Verwirrte nämlich sieht meinen Toilettengang in einem unbestreitbaren Zusammenhang mit Hitzlspergers Kopfballtreffer. Geduldig erläutere ich ihm den essenziellen Unterschied zwischen Kausalität und Koinzidenz, doch barsch wischt er alles beiseite. Ich war pieseln, derweil ein Tor fiel: Das reicht dem katholisch vorgeschädigten Franken vollkommen, um eine direkte Ursache-Wirkung-Beziehung zwischen beiden Ereignissen herzustellen.

Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Viel mehr hat der Muffelkopf heute Abend auch nicht mehr zu bieten. Ob wir anderen 51.499 Zuschauer uns nun hinfort heiser schreien, in Rage klatschen, aufspringen oder die Welle machen: Der Franke sitzt da und rührt kaum ein Glied. „Bin doch kein Kleinkind“, grummelt er.

Stattdessen beginnt er mich ab der 60. Minute zu einem weiteren Toilettengang aufzufordern. Dabei liegen ihm keinerlei Indizien für die Notwendigkeit desselben vor. „Wir brauchen noch ein Tor“, brummt er.

Ich freilich bin höchst unwillig, mich zum bloßen Erfüllungsgehilfen eines auf meine Toilettengewohnheiten abgestimmten Schicksals degradieren zu lassen. Schließlich habe ich den Eintrittspreis im festen Willen entrichtet, mich gerade den Höhepunkten der Partie mit besonderem Genuss zu widmen. Und einen davon habe ich ja bereits verpasst, unter denkbar unwürdigen Umständen.

Ich bleibe also unbeirrt sitzen. Irritierenderweise wirkt das Spiel in der Folge wie eingefroren, es will auf dem Platz einfach nichts Spektakuläres mehr geschehen, selbst Strafraumszenen kommen inzwischen seltener vor, als Flugzeuge die Arena überqueren.

Für den Franken tragen daran jedoch nicht etwa Lahm, Frings, Gomez oder Rolfes die Hauptschuld; nein, mich klagt der Irre an. Meine störrische Weigerung, erneut die Toilette aufzusuchen, verhindert also eine ganze Halbzeit lang die Sicherheit im deutschen Spiel, die ein 3:1 zweifellos bedeutet hätte.

Ich müsste gehen, dann käme der Erfolg. Doch ich bleibe hier sitzen, und so tappt auch das Spiel entschlossen auf der Stelle. Nur der Franke entwickelt sich: Er wird immer sauertöpfischer.

Am Ende kann ich mir wenigstens den herbeigepinkelten Siegtreffer anrechnen lassen. Schönes Tor übrigens; ich habe gerade zu Hause die Aufzeichnung gesehen.


Foto: dpa

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30 Mai 2007

Ganz schön Wunder-bar

Am 28. April besiegte der FC St. Pauli das Team aus Ahlen mit 3:0, auch wenn der kicker zwischenzeitlich etwas ganz anderes gesehen haben wollte.

Mit im Stadion war die Hamburger Band Wunder und drehte Material für ihr neues Video „Stadionlicht“, das es hier und heute taufrisch zu sehen gibt.

Die getragene, schwelgerische Ballade passt zwar nicht ganz zur gezeigten Euphorie im Stadion, doch wahrscheinlich will die Band uns damit nur sagen, dass in jeder großen Freude schon klammheimlich das Unglück keimt.

Und umgekehrt natürlich, sonst wäre das alles ja auch gar nicht zu ertragen.




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27 Mai 2007

Letzte Geheimnisse: Das Herrenklo (5)

Einiges wird sich auch in der 2. Liga im Stadion des FC St. Pauli nicht ändern. Zum Beispiel das konsequent durchgezogene Containerprinzip.

Das Pressezentrum: ein Container. Die Toiletten: ebenfalls Container, natürlich nach Geschlechtern getrennt.

Gästefans werden sich also an einiges gewöhnen müssen. Auch an Klosprüche wie den abgebildeten, den ich am Freitag an der Wand des Herrenklocontainers entdeckte.

In ihm steckt so etwas wie die politische Essenz des klassischen St.Pauli-Fans: Er ist durch und durch antifaschistisch, möchte diese Einstellung aber selbst gegen Rechte möglichst nicht mit einfacher körperlicher Gewalt durchsetzen. Also gibt er allen Nazis einfach einen gut gemeinten Rat, den sie doch bitte tunlichst selbst in die Tat umsetzen sollen: „Geht sterben.“

So ist der klassische St.Pauli-Fan: konsequent meinungsstark, doch immer bereit zur Deeskalation.

Die 2. Liga darf sich freuen auf uns.

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26 Mai 2007

Der Tag nach der Nacht nach dem Aufstieg

„Ein 2:2, das reicht für Liga zwei
Nie mehr, nie mehr Liga drei!
Gar noch höher soll’s bald gehen,
bis Liga eins – und sei's mit Wehen!”


Wenn ich den Satz, den ich gerade anfange zu schreiben, sprechen sollte, klänge das ungefähr nach „Wnn ch dn Stz, dn ch grde nfönge zu schrbn, sprchn slltö …“ oder so ähnlich, jedenfalls käme ein ziemlich tieffrequentes, vokalarmes Krächzen dabei raus.

Zunächst nämlich verlor ich gestern Abend im Stadion die erste Hälfte meiner Stimme beim Runterbrüllen von „You’ll never walk alone“ und „Niemand siegt am Millerntooooor!“ und die andere Hälfte dann nachts im Drafthouse beim Versuch, mich gegen den Höllenlärm der fantastischen Hausband zu verständigen.

Als ich noch mit dem üblichen Bariton reden konnte – also vorm Spiel –, waren indes auch schon Ausfälle aufgetreten, allerdings eher geistiger Art. Nach einer verwirrenden Diskussion mit dem Franken am Imbissstand orderte ich „Zwei Thüringer mit Bratwurst, bitte“, was die Frau hinterm Tresen zu einer Nachfrage und den Franken zum hämischen Grölen bewog.

Wenn ich es recht bedenke, gab es auch nachmittags im Transmontana am Schulterblatt bereits Probleme im Dienstleistungsbereich. Ich verließ den Laden nämlich voll beladen, doch ohne zu bezahlen, und wunderte mich noch, warum mir die Barportugiesin so seltsam hinterherblickte.

Draußen fiel mir mein zechprellendes Gebaren auf, ich ging zurück und sagte: „Ich habe ja noch gar nicht bezahlt!“, und sie sagte: „Ganz genau!“, und zwar unverhohlen vorwurfsvoll. Aber vorher nur seltsam gucken, klar.

Drei Tische weiter von uns saß übrigens Michel Friedman, zusammen mit einem unstandesgemäßen Typen, der eine schwarze Lederkappe trug und wie ein obdachloser Schanzenhippie wirkte. Doch auch Friedman war nicht völlig korrekt gekleidet; über seinem (immerhin schneeweißen) Oberhemd fehlte das Jackett.

German Psycho, der Friedman vor allem aus ästhetischen Gründen heillos bewundert („Er ist wahrscheinlich schon Mitte 50, aber wir müssen es beide zugeben: Er sieht jünger aus als wir!“), schnürte um seinen Tisch herum und bewunderte Friedmans feine Schuhe, fand aber nicht den richtigen Ansatz, den Mann dafür angemessen zu loben.

GP war auch nachts im Drafthouse dabei, als mir allmählich auch physisch die Lage entglitt. Da brüllt er dir was Unverständliches ins Ohr; du fragst dreimal nach, und am Ende entpuppt sich sein Gebrüll als simple Frage nach dem just zu hörenden Song: „IST DAS SLADE?“ Ich brülle korrigierend: „NEIN, AC/DC!“, nur um eine Halbsekunde später festzustellen, es ist doch Slade, und GP zuzubrüllen: „NEIN, ES IST DOCH SLADE!“

Wegen solcher Dinge sind Nächte wie diese für mich letztlich immer mit einer Hypothek belastet. Ausgerechnet bei „Summer of 69“ wurde ich kurz darauf von Terroristen aus meinem unmittelbaren Umfeld am Kragen des St.Pauli-T-Shirts gepackt und umstandslos auf die Tanzfläche gezerrt. Dort musste ich heftig hüpfen, wobei mir völlig zu Recht die Digitalkamera aus der Hosentasche flog und lautlos auf dem Boden zerschellte.

Na ja, immerhin hätte ich sonst diese ganzen Frauen nicht kennengelernt, die extra ihre ungleich geschmeidigeren Tanzaktivitäten unterbrachen und mir nacheinander die malträtierte Kamera, den Akku und die abgerissene Klappe des SIM-Schachtes reichten. Komischerweise funktioniert der Apparat seit dem Zusammenpuzzlen wieder tadellos.

Das Erste übrigens, was mir heute Morgen nach dem Aufwachen zustieß, war ein Wadenkrampf. Einer von den O-Säften letzte Nacht war wohl schlecht.

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Nie mehr dritte Liga, nie mehr!



Warum habe ich nur das dumpfe Gefühl, die Aufstiegsparty heute Nacht auf dem Kiez könnte – im Sinne des Kyoto-Protokolls – nicht völlig klimaneutral über die Bühne gegangen sein?

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24 Mai 2007

Hier alle Infos zum „Public Viewing“ St. Pauli gegen Dynamo Dresden!



Ja, kommt alle vorbei, die ihr mühselig und beladen seid – oder dir ihr Informationen über das morgen Abend stattfindende „public viewing“ auf dem Spielbudenplatz sucht.

(Ich konnte mit dem Wissen nicht mehr leben, dass die unzähligen „public viewing“-Googler frohgemut hier landen und dann wieder frustriert davonschlurfen müssen. Deshalb.)

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21 Mai 2007

Warum das Nationalteam gegen den FC St. Pauli keine Chance hat

Jetzt ist es also wirklich wahr geworden: Der Franke hat eine Karte übrig. Für Freitagabend. Für das Spiel.

Um halb acht wird der FC St. Pauli am Millerntor zum ultimativen Showdown gegen den Aufstiegskonkurrenten Dynamo Dresden antreten, und wenn dabei auch nur ein lächerliches, meinetwegen auch atomares Pünktchen herausspringen sollte, dann wird der Kiez beben wie einst im Mai (der ein Januar war), als mein kleiner Stadtteilverein in einer gloriosen Pokalschlacht Werder Bremen mit 3:1 aus dem Rotlichtviertel fegte.

Wenn also dieses eine winzige atomare Pünktchen hier bliebe am Freitagabend, dann wären wir – ja: wir! – zurück im Profifußball. Und der Franke hat für dieses Spiel, nach dem sich mehr als 50.000 Fans vergeblich verzehren, eine Karte, und zwar übrig.

Um den in moralischen Fragen schwankenden Franken vor einer von reiner Profitgier geprägten Entscheidung (ich sage nur: Schwarzmarkt!) zu bewahren und natürlich auch zur Rettung seines Seelenheils unterbreitete ich ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte: Ich bot ihm im Tausch eine Karte fürs Länderspiel Deutschland–Slowakei am 6. Juni. Und der herzensgute Süddeutsche schlug ein.

Aber warum habe ich das überhaupt getan? Ich meine: Der Franke bekommt ein waschechtes EM-Qualifikationsspiel in der landesweit modernsten Arena vor 55 000 Leuten. Und was bietet er?
Das:

Ein Spiel der dritten Liga in einem wackligen Stadiönchen mit Baulücke statt Südtribüne, in dem Leute auf einer hölzernen Plattform herumkrauchen und per Hand Zahlenschilder an Haken aufhängen, wenn ein Tor gefallen ist; ein Stadion, in dem man von manchem Ort aus die Spieler auf der gegenüberliegenden Seite nur wadenaufwärts sieht, weil der störrisch eigenwillige Rasen geruht, sich buckelartig zu wölben – wenn man überhaupt Spieler sieht, denn bei einem Stufengefälle von gefühlten zwei Zentimetern steht dir gewöhnlich ein stattlicher Norddeutscher fahnenschwenkend oder bierbecher(Foto)werfend vor der Nase, vor allem dann, wenn gerade ein Angriff erfolgreich abgeschlossen zu werden droht und gerne auch bei Ecken, Elfmetern, Syndesmoserissen oder jedweder anderen Spielsituation, die optisch wahrzunehmen durchaus einen gewissen Reiz hätte, wenn man genau für solche Momente Eintritt gezahlt hat.

Und dennoch, trotz alledem, gleichwohl, nichtsdestotrotz und verdammt noch eins tausche ich leichten, gar frohen Herzens meine Länderspielkarte gegen das Ticket für Freitagabend; ja, insgeheim befürchte ich sogar, den Franken damit übers Ohr gehauen zu haben.

Kann mir bitte mal jemand diesen Widersinn so erläutern, dass auch ich ihn verstehe?

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25 Januar 2006

Saaaankt Paulihiiiiiiiii!

Natürlich wissen wir während des Spiels noch nichts vom sich anbahnenden größten Erfolg der Vereinsgeschichte. St. Pauli (Regionalliga) geht gegen Werder Bremen (Bundesliga) in Führung, kassiert aber wenig später ein Gegentor, was mich – kartenlos auf den Fernseher angewiesen – zu einer SMS ins Stadion bewegt („Ausgleich war abseits!“), die Andreas mit einem aufrichtigen „Verdammt!“ beantwortet.

Als es wahr ist, wirklich wahr, das endgültige, unglaubliche, undisputierbare 3:1, bleibt natürlich keine andere Möglichkeit: Ich muss mich bei Ms. Columbo entschuldigen und durch den Schnee in die Domschänke stapfen, um in Euphorie zu baden. Dort, in dieser an gewöhnlichen Tagen dumpf vor sich hin dämmernden Kneipe, ist jetzt gerade das pulsierende Herz der Republik, aber die Augsburger, Bitterfelder, Groß-Gerauer müssen samt und sonders mit der Tatsache ihres Nichthierseinkönnens leben, doch ich kann einfach hinüber gehen, es dauert keine fünf Fußminuten, und deshalb muss ich hin.

In den 80er Jahren ging ein Rekord durch die Presse, der Aufnahme ins Guinness-Buch fand: Ungefähr zwölf Leute (oder mehr) quetschten sich damals in eine Telefonzelle. Schade, dass sich heute Abend niemand aus der Guinness-Redaktion in der Domschänke aufhält. Denn das halbe Stadion ist da. Tohuwabohu! Halleluja! Glück tropft von der Decke!

Ich sehe Menschen, die während eines Handy-Telefonats lauthals einstimmen in den Kiezklassiker „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“, der aus der Musikbox donnert. Sogar Bremer Fans wanken herein. Sie singen „Ihr seid bessä / als der Ha-Ess-Vau“, womit sie bei den Domschänkensardinen mächtig punkten. Am Zigarettenautomaten, wo wir eine halbwegs passable Stelle des ungefährdeten Zusammengequetschtseins gefunden haben, treffe ich einen kugelrunden Dreitagebarttürken, der mir versichert, eigentlich nicht zu rauchen. Aber heute, nach diesem Sieg: Da muss es sein.

Er erklärt mir die neue deutsche Rechtschreibung: Weil St. Pauli im DFB-Pokal ausschließlich Städte besiegte, die mit B beginnen (Burghausen, Bochum, Berlin, Bremen), muss jetzt auch der Wettbewerb als ganzer umbenannt werden – in „Bokal“. Das erscheint mir vollkommen logisch.

Währenddessen spekuliert die Runde wild über den nächsten Gegner. Es kann uns ja, dem Gesetz der Serie folgend, nur Bayern oder Bielefeld zugelost werden; der letzte übriggebliebene Kandidat Frankfurt ist schließlich völlig B-los. Andreas argumentiert noch spitzfindiger: Da bisher jeder Gegner nominell stärker war als der letzte, muss nach Bremen natürlich Bayern kommen. Keinesfalls Bielefeld. Und wenn doch, dann hätte man ja vielleicht die Chance, gar das Halbfinale zu gewinnen, dann führe man zum Finale nach Berlin, und was immer dort geschähe: St. Pauli wäre im Uefa-Cup. St.Pauli.Im.Uefa.Cup. Gegen Inter Mailand oder so, man darf gar nicht drüber nachdenken.

In der Domschänke ist zügig das Astra ausgegangen. Die Menge hebt kurz die Augenbraue und steigt auf Jever und Holsten um. Irgendjemand hat „You’ll never walk alone“ gedrückt, und während ich aus voller Lunge mitsinge, wird mir klar, dass ich heute Abend sogar die Töne treffe, was mir sonst nie gelingt, weshalb ich diese Art der Artikulation gemeinhin sorgsam aus meinem Gefühlsäußerungsspektrum ausklammere. Jaja, der Zauber dieser Nacht!

Auf dem Rückweg sehe ich, wie die Fans den verschneiten Stadtteil verwandelt haben. Auf Windschutzscheiben und Kühlerhauben, auf Heckfenstern und Seitentüren, überall ist es zu lesen: „3:1“. Heute ist St. Pauli das Zentrum der Republik. Ach was: der Welt.

Und manchmal haben sie neben das „3:1” noch etwas anderes in den Schnee gemalt, mit bloßen Händen: ein Herz.


Ex cathedra: Die Top 3 der gößten Akustikgitarrensongs
1. „Caroline’s tune“ von John Renbourn
2. „Thrasher“ von Neil Young
3. „When poets dream of angels“ von David Sylvian

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21 Dezember 2005

Der Fußball

Ah, er tobt, der Kiez, Freude schäumt durch die Straßen! Hertha ist geschlagen im Pokal, in dramatischer Manier nach 0:2-Rückstand, mit Verlängerung, Schlammbädern auf dem Fußballacker und finalem Astra unter der Dusche. Und der nächste Gegner heißt Werder Bremen, da wird man ausscheiden, aber mit Glanz und Gloria und vielleicht ja doch nicht. Kann das Leben schöner sein?

Doch hier kommt Waldi. Der entweder sardonische oder bloß sedierte ARD-Hartmann erzählt dem bis zum Beginn des Interviews noch quietschglücklichen St.-Pauli-Trainer Andi Bergmann, das nächste Pokalspiel seiner Kiezkicker fände im Bremer Weserstadion statt. Bergmann ist baff, er wirkt schlagartig wie eine ausgeblasene Kerze. Denn er dachte, Amateure hätten gegen Profis immer Heimrecht – und so ist es ja auch. Das weiß jeder, vielleicht sogar Thomas Hässler.

Nur Waldi nicht. Und als er dann noch Oliver Bierhoff dafür lobt, seine Sache bei der Auslosung der nächsten Runde „als Debütant ganz fantastisch“ gemacht zu haben, und Bierhoff ihn irritiert lächelnd darauf hinweist, schon einmal in dieser Sache tätig gewesen zu sein, da ist Waldis Tag endgültig von einer Konsistenz, die an Schonmalgegessenes erinnert.

Werden wir ihn bei der WM wiedersehen?

Apropos Fußball: Heute erkundigten sich diverse „Freunde“ mit hämischer Pseudobesorgtheit bei mir, was denn nun aus meinem Premiere-Abo würde, wo der Pay-TV-Sender doch jetzt die Bundesligarechte verloren habe. Nun, was schon? Ich werde mir „aus dem Decoder ein Vogelhäuschen basteln“ (Harald Schmidt).

Warum hat sich die Fifa beim WM-Ball-Design eigentlich von Slipeinlagen inspirieren lassen? Das ist eine viel wichtigere Frage als die nach meinem Premiere-Abo. Verstanden?

Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Marseille“ von Roy Budd, „Love theme“ von Seductive Souls und „Some velvet morning“ von Nancy Sinatra & Lee Hazlewood.

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02 Dezember 2005

Der Stadionbesuch

Nach längerer Zeit mal wieder im Millerntorstadion, wo der FC St. Pauli gegen Werder Bremen II antritt – leiderleider in der Regionalliga, man muss es eingestehen. Ich profitiere davon, dass einer aus Andreas' Dauerkartenclique verhindert ist, also springe ich kostenfrei ein.

Die Clique steht traditionell in der Gegengerade unten am Zaun, seit vielen Jahren. Von dort aus sieht man vor allem meterhoch aufragende Drahtgitter und Nachwuchsfans, die am Zaun hochklettern. Aber auf St. Pauli ist Fußballgucken selbst auch gar nicht so wichtig. Sondern das Gefühl, bei minus fünf Grad eine bescheuerte Leidenschaft mit 17 824 anderen zu teilen.

„Der größte Augenblick“, sagt Andreas, „ist der, wenn die Glocken läuten.“ Das passiert immer vorm Spiel, nämlich beim Auflaufen der Teams, und es sind die mächtigen Donnerglocken aus AC/DCs Song „Hell's bells“.


Doch heute gibt es weitere Höhepunkte: Zur Halbzeit führen wir 2:0. Plötzlich holen die Bremer blitzartig auf – 2:2. Das weckt St. Pauli aus der vorauseilenden Lethargie des sicheren Sieges. Das Team dreht auf, und beim bald folgenden 3:2 erweist es sich als besonderer Nachteil, unten am Zaun zu stehen, denn der Inhalt der aus den hinteren Reihen euphorisch weggeschleuderten Bierbecher landet vor allem hier, auf meiner neuen Land's-End-Squall-Jacke. Beim 4:2 sind dann zum Glück alle Becher schon leer.


Nach dem Sieg ziehen wir traditionell in die Domschänke. Die gesamte Gegengerade kommt offenbar auf die gleiche Idee. Es sieht bald so aus wie in der Kabine der Marx Brothers im Film „Die Marx Brothers auf hoher See“, aber alle sind beseelt vom Sieg und somit erfüllt von Toleranz und geradezu postkoitalem Gleichmut.

Die Domschänke könnte sich an Heimspieltagen goldene Zapfhähne verdienen, doch aus irgendeinem Grund hält sie das Bier lachhaft billig: 1,40 Euro die Flasche! Vielleicht würde ja ein Preis von 2,80 die Zahl der Gäste halbieren – vielleicht aber auch nur das Mobiliar gefährden.


Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Time passes“ von Paul Weller, „Clifton in the rain“ von Al Stewart und „Outta my head“ von M. Ward.

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