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Die Rückseite der Reeperbahn

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Name: Matthias Wagner
Standort: Hamburg, Germany

Schreiberling




05 Juli 2008

Im Kampf mit Zombieanwärtern

Ich komme nicht mehr nach Hause, der Weg ist versperrt. Mit Fahrrad und Sporttasche stehe ich eingangs der Reeperbahn (Pfeil oben rechts) ratlos vor abertausenden Irren in Schlaghosen, die einer Parade von Mottowagen zuprosten.

Aus den Wagen explodiert unsagbarer Schallterror, es lassen sich Wortfetzen wie „Mendocino“ identifizieren. Schlagermove! Das ist etwa so, als nähme man die Harley Days, potenzierte sie, verdoppelte das Ergebnis und wäre nicht mal nah dran.

Es ist Nachmittag, noch haben sich diese Leute nicht restlos weggeballert, noch können sie stehen, gehen und grölen, auch wenn sie bereits hunderte von Flaschen zertrümmert haben und bisweilen mit Chihuahuasandälchen durch die Scherben waten.

Diese brodelnde Wand aus inszenierter und längst komplett ironieloser Euphorie muss ich durchbrechen, denn ich komme vom Training, bin knülle und will nix weiter als nach Hause. Doch wie? Ich entschließe mich zur Methode Bulldozer: Rein ins Getümmel und stur Kurs halten.

Rechts ramme ich einem rosahemdigen Typen mit sombrerogroßer Gimmicksonnenbrille ein Pedal ins Kniegelenk, links bekommt eine Blondine, die aussieht wie Miss Piggy auf Speed, meinen Lenker in die Rippen. Doch alles nützt nichts, ich komme kaum vorwärts.

Selbst wenn ich vorstieße bis zur Straße, gälte es immer noch die „Mendocino“-brüllenden Mottowagen zu überwinden, und es gibt Dinge, die kann ein einzelner Mann mit Sporttasche nicht schaffen, dafür bräuchte er schon eine Bazooka. Was also tun?

Erst nach längerem Grübeln fällt mir die Lösung ein: Ich muss runter zur U-Bahn und durch den gegenüberliegenden Ausgang wieder raus. So kann ich die massierten feindlichen Linien subterran austricksen. Also wieder zurück und durch rammdösig grinsende Papierschlangenträger mit ausgeprägter Unlust, den Weg frei zu machen, hindurch zur Treppe.

Wie ich mich durch den übervölkerten U-Bahnhof kämpfe, wie lange es dauert und wie viele „Hossa!“ kreischende Zombieanwärter mir flaschenschlenkernd entschieden zu nahe kommen: Schwamm drüber. Es funktioniert jedenfalls, erschöpft rette ich mich in Ms. Columbos Arme.

„Was sind das bloß für Menschen?“, stöhne ich rhetorisch.
„Wahrscheinlich sind welche dabei, von denen man es nie gedacht hätte“, sagt sie.
„Ja, wie bei Serienkillern“, antworte ich.
Er hat immer so nett gegrüßt“, zitiert Ms. Columbo einschlägige Zeugenaussagen.
„Genau“, bestätige ich, „und heute torkelt er mit pinker Perücke besoffen über die Reeperbahn und brüllt beim schniedelschwingenden Wildpinkeln humpahumpatäterä. Man kann einfach nicht reinschauen in die Menschen.“

Gerade als ich das hier schreibe, schält sich ein einzelner Laut aus dem noch immer durch die offene Balkontür hereinbrandenden Schallterror aus Schreien, scheußlicher Musik und Polizeisirenen. Es ist ein Rülpser. Er bringt alles auf den Punkt.

Wie gern tauschte ich ihn ein gegen das sonore Geöttel einer Harley Davidson
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20 Mai 2008

In die Falle getappt, schon wieder



Nach einer schmerzhaften Erfahrung hatte ich mir fest vorgenommen, nie mehr rechts einen Ring zu tragen, wenn auch nur der Hauch einer Gefahr bestünde, Kalle Schwensen die Hand schütteln zu müssen.

Doch erst als GP und ich uns dem Eingang des Hafenrestaurants Indochine näherten, wo wir zu einer Party Schwensens eingeladen waren, fiel mir dieser weise Vorsatz wieder ein. Also zu spät.

Wir sahen Schwensen schon von weitem, sein ikonografisches Gesicht (Schnauzer, Sonnenbrille) stach deutlich heraus aus der Menge der Promotionmodels in silbernen Jacken, es gab kein Entkommen.

Zwar hätte sich noch alles zum Guten wenden können, doch ich war wie paralysiert vom bevorstehenden Händeschütteln – und vergaß es einfach, meinen Ring noch schnell heimlich in der Hosentasche verschwinden zu lassen oder ihn wenigstens an einen Finger der linken Hand zu stecken.

Als es vorbei war, schaffte ich es erstaunlicherweise trotzdem noch, mein Weinglas wie gewohnt mit rechts zu halten. Sie zitterte nur leicht, und ich musste zwecks Gewichtsreduktion schneller trinken als gewöhnlich, doch das funktionierte recht gut. Hafenblick wirkt lindernd.

Zudem lenkte GP mich ab, indem er die Sprache nach- und durcheinander auf folgende Themen brachte: die schwankende Qualität der „Alien“-Quadrologie, Jagdflieger im Zweiten Weltkrieg, Hegel (den er kurzzeitig mit Kant verwechselte), meine unmögliche Sockenfarbe, die Vorzüge dunkelhäutiger Promotionmodels, Italowestern, die Ähnlichkeiten von tibetischer und thailändischer Küche, Robert Mitchum, ein 100.000-Euro-BMW-Cabrio, Schwensens Rolex und das Siezen in Weblogs. Diese Auswahl ist wahllos und nicht repräsentativ.

Übrigens ging das Tippen dieses Eintrags bereits wieder erstaunlich schmerzfrei vonstatten.


PS: Ich glaubte meine Kamera vergessen zu haben und versäumte es daher, Fotos anzufertigen. Deshalb folgt hier bald ein Platzhalterbild, das in der Nähe des Indochine entstand – und zwar sobald das Hochladen wieder funktioniert, verdammt noch mal.


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15 Dezember 2007

Nur ein Wort

WEIH!
nachtsf
ei
er …

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01 Oktober 2007

Die verpasste Sause

Ohne Reklame ist ein Produkt schon a priori mausetot – und sei es ein Friedhof.

Der Ohlsdorfer feiert heuer seinen 130. – ähem – Geburtstag, und dazu schmiss er eine Riesenparty, für die er hamburgweit trommelte, auch in der U-Bahn. Unterirdisch passt ja auch besonders gut.

Dort, in der U-Bahn, wurde auch ich mit dem entsprechenden Werbeplakat konfrontiert. Es pries geradezu atemlos diverse Attraktionen an, darunter die Punkte „lebendige Steinmetzwerkstatt“, „Snacks und Getränke“ sowie „Grabpflege“. Besonders mutig fand ich den Punkt „Mitmachzirkus“.

Leider kam mir das alles viel zu spät zu Ohren, der Rummel zwischen Grabmalen und Aufbahrungshalle fand nämlich schon am 16. September statt. Sonst hätte ich Ms. Columbo mal zu einer richtigen Sause im Freien ausgeführt.

Aber so ist die ganze Sache natürlich längst gestorben.

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05 September 2007

Erst das Fressen, dann die Moral

Man sollte nach einem langen Bürotag nie hungrig zu einer Veranstaltung gehen, bei der die Methode der Futterversorgung im Ungewissen liegt. Diese existenzielle Erkenntnis reifte in langen Hamburger Jahren heran zur Statur eines Axioms. Umso unverständlicher, wieso sie mir immer mal wieder entfällt.

Zur CD-Veröffentlichungsparty in der psychedelisch bunten Kantine des Spiegel jedenfalls erscheinen wir fatalerweise ohne kulinarische Absicherung. Ein Fehler, ein schwerer. Denn schon wenige Minuten nach unserer Ankunft ereilt uns düstere Kunde: Der Spiegel serviert ein „Flying Buffet“.

Das ist die Höchststrafe. „Ich hätte mir zu Hause noch ein paar Oliven reinziehen sollen“, zische ich kraftlos Ms. Columbo zu. Denn ein „Flying Buffet“ bedeutet vor allem eins: Das Essen ist immer gerade da, wo wir nicht sind. Wenn man Glück hat, kann man Sichtkontakt herstellen, mehr auch nicht.

Manchmal flattert es federleicht vorüber, erwägt aber nicht mal im Traum einen Zwischenstopp an unserem Tisch. Nein, ein „Flying Buffet“ funktioniert nur, wenn die Gäste schon vorgesättigt oder mit gesunder Brutalität im Nahkampf ausgestattet sind. Beides trifft auf Ms. Columbo und mich nur sehr partiell zu, eigentlich gar nicht.

Um die Zeit zu überbrücken, bis eventuell doch eins dieser flüchtigen Tabletts mit Lachstatar, thailändischer Kokossuppe oder Basmatireis an Rindfleischstreifen in Greifweite vorüberschwebt, bephilosophiere ich Ms. Columbo mit schwachbrüstigen Theorien.

Zum Beispiel mit jener über den mäßigenden Einfluss der Zivilisation auf die animalisch-vulkanische Kraft der Triebe, die es uns als einziger Spezies hienieden ermögliche, selbst bei akutem Hunger dem darbenden Mitmenschen einen Bissen abzugeben – sofern wir selbst überhaupt einen Bissen haben natürlich, aber da ist das „Flying Buffet“ ja vor.

Als alter Dialektiker streife ich natürlich pflichtgemäß auch Brechts brachialen Balladenvers „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, um auch die bei einer Verschärfung der Situation progressiv zunehmende Anfälligkeit der gepriesenen Triebzügelung nicht unerwähnt zu lassen.

Während unserer wenig engagierten und gedanklich immer wieder in Richtung Lachstatar abschweifenden Diskussion flackert mein Blick unruhig durch den Raum. Ich sehe viele zufrieden möfelnde Partygäste, die sicht- und hörbar an der Qualität der thailändischen Kokossuppe wenig auszusetzen haben.

Ich werde immer schwächer. Ms. Columbo überbrückt mit Mineralwasser, ich halte mich an den nahrhafteren Orangensaft – und urplötzlich, wie aus dem Schlaraffenland herbeigebeamt, steht ein Engel vor uns. Er ist weiblich, er lächelt, und er balanciert auf anmutigste Weise ein vieltelleriges Tablett. Wir entscheiden uns unisono für den Lachs, und von da an beginnt der Abend zu flutschen.

Der Engel vergisst uns hinfort nicht mehr, ja, er bekommt sogar Verstärkung. Kein Gang entgeht uns, das „Flying Buffet“ als Prinzip verliert nach und nach seinen Schrecken – bis zum nächsten Mal, an dem wir nach einem langen Bürotag hungrig zu einer Veranstaltung gehen, bei der die Methode der Futterversorgung im Ungewissen liegt.

Brecht jedenfalls war schon ein Guter, aber echt.

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02 September 2007

Schwensens Schraubstock und die Beine von Olivia

Ja, das ist ist so einer dieser Abende, an denen man betütert und betüddelt, becatert und umschwänzelt wird, obwohl man doch keinen Zweifel daran gelassen hatte, dass ein Artikel darüber nun nicht in Frage käme. Trotzdem: Man wollte uns. Und man bekam uns.

Es geht um „The Dome“, jenen säkularen Gottesdienst für zehntausend kreischbereite Teenager, die ihre Bravo-Stars nirgends sonst in derart großer Zahl leibhaftig auf den Altar gestellt bekommen.

„Heute stehen hier die Top 5 der Charts auf der Bühne!“, schwärmt ein Mensch des veranstaltenden Fernsehsenders von sich und seinem Fernsehsender, und wir nicken pflichtschuldig und mit jener dosierten Bewunderung, die in solchen Momenten dank Höflichkeit, Routine und guter Erziehung als mimische Möglichkeit spontan zur Verfügung steht. Das Catering wirkt ebenfalls nicht demotivierend.

Nach drei gemütlichen Stunden in der Loge werden wir in einem Bus zur Aftershowparty ins Edelfettwerk kutschiert, ein labyrinthisch verbautes Ex-Fabrikgebäude, wo wir nach einem verwirrenden Rundgang zufällig in der Lounge landen und – wie sich herausstellt – auch stranden.

Hier sitzt man gemütlich und gut, die Bar ist in Reichweite, und auch die Mit-VIPs verirren sich irgendwann im Lauf der Nacht verlässlich hierher, so dass wir uns fühlen wie im Zentrum des Geschehens. Eine Position, die entscheidende Erkenntnisse erlaubt.

Zum Beispiel die, dass es keins der Models, die heute Abend hier herumlaufen, mit den unglaublich weiblichen Stelzenbeinen der gefühlt drei Meter großen Dragqueen Olivia Jones aufnehmen kann. Dabei heißt Olivia eigentlich Oliver Knöbel, was die Sache noch erstaunlicher macht.

Sabrina Setlur, Co-Moderatorin von „The Dome“, reichte Herrn Knöbel wahrscheinlich nur bis an den Nabel, doch das bleibt Theorie, denn wir schaffen es nicht, sie unauffällig nebeneinander zu stellen.

Eine weitere Erkenntnis aus der Lounge: Ex-Kiezgröße Kalle Schwensen hat a) wirklich zwei Augen hinter der angewachsenen Sonnenbrille (wenn man nah genug ran kommt, erweist sie sich als halb durchsichtig) und b) einen Händedruck wie ein augehungerter Schraubstock, der schon lange nichts Anständiges mehr zwischen die Spannbacken gekriegt hat.

Dank Schwensen sorge ich mich sofort nach dem Abklingen des Schmerzes schon wieder um meinen Ring. Ich erwäge ihn hinfort links zu tragen; schließlich häufen sich zuletzt solche Vorfälle.

Übrigens muss sich jeder hereinschneiende Star vor der Logowand fotografieren lassen, und wir nutzen ein paar starlose Minuten, um dort Faxen zu machen. Hätte Mark ein Blog, sähe man mich dort wahrscheinlich einbeinig herumhüpfen; so aber muss Mark damit leben, quasi beim Knutschen mit Sabrina Setlur erwischt worden zu sein.

Von ihr wird hier schon bald mehr zu lesen sein, das drohe ich schon mal an.

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04 August 2007

Amputate in Plastikfolie

Unsere Nachbarn haben heute im Erdgeschoss einen schicken Laden für chinesische Möbel eröffnet. Er heißt „38 Geister“, was ein sehr geheimnisvoller Name ist – und hoffentlich den Flaneuren ausreichend vermittelt, worum es hier überhaupt geht.

Bei der Eröffnungsparty stieß ich nicht nur auf exotische Schränke und patinöse Plakate aus Post-Pu-Yi-Zeiten, sondern unvorbereitet auch auf eingeschweißte Hühnerfüße.

„Die gibt’s dort an jedem Imbiss“, winkte einer der Inhaber lässig ab. Dank des luftdichten Verschlusses sollen die wenig appetitlichen Amputate recht lange haltbar sein. Mich erinnern sie übrigens an Menschenhände.

Doch sie sind natürlich kleiner, und deshalb dürfte man beim Hühnerfußfuttern kaum richtig satt werden, wie mir auch das Betasten durch die Folie hindurch zu bestätigen schien. Reizvoll sind sie wohl nur für jene, die von einem Leben als Nager träumen oder eine Party in Schwung bringen wollen.

Ob es an chinesischen Imbissständen auch eingeschweißte Hundenasen oder Kuhschwanzquasten gibt? Das habe ich leider vergessen zu fragen.

Doch ich komme ja öfter vorbei. Geradezu täglich.


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03 Juni 2007

„There’s a critic in every crowd“

Am Montagabend sehen wir uns alle im Knust. Nicht wahr?!

Die texanische Songwriterlegende Tish Hinojosa spielt dort nämlich ab 21 Uhr ein Konzert, und die Tatsache, dass sie ebenso frisch wie überraschend mit meinem Freund Andreas verheiratet ist, wird sie zu besonderen Höchstleistungen beflügeln, das wage ich mal zu behaupten.

Obwohl Tish schon mehrfach in Hamburg spielte und sie sogar von Ms. Columbo und mir schon mal zum Blumengießen verdonnert wurde, wird das kurioserweise das erste Konzert von ihr sein, das ich leibhaftig besuchen werde.

Das muss gefeiert werden. Wer mit mir ein Bier trinken möchte: An meinem Hemd sollt ihr mich erkennen.

Heute probten Tish und ihr Gitarrist Marvin Dykhuis schon mal in unserem Wohnzimmer einige Songs, darunter das hier zu hörende „Rio Grande“.

Im Hintergrund – ihr hört richtig – quiekt ab und zu ein Baby. Der Kleine ist gute vier Wochen alt und will wohl selbst mal Sänger werden. Was wahrlich kein Wunder wäre: Er gehört Senait Mehari.



Link: sevenload.com

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26 Mai 2007

Der Tag nach der Nacht nach dem Aufstieg

„Ein 2:2, das reicht für Liga zwei
Nie mehr, nie mehr Liga drei!
Gar noch höher soll’s bald gehen,
bis Liga eins – und sei's mit Wehen!”


Wenn ich den Satz, den ich gerade anfange zu schreiben, sprechen sollte, klänge das ungefähr nach „Wnn ch dn Stz, dn ch grde nfönge zu schrbn, sprchn slltö …“ oder so ähnlich, jedenfalls käme ein ziemlich tieffrequentes, vokalarmes Krächzen dabei raus.

Zunächst nämlich verlor ich gestern Abend im Stadion die erste Hälfte meiner Stimme beim Runterbrüllen von „You’ll never walk alone“ und „Niemand siegt am Millerntooooor!“ und die andere Hälfte dann nachts im Drafthouse beim Versuch, mich gegen den Höllenlärm der fantastischen Hausband zu verständigen.

Als ich noch mit dem üblichen Bariton reden konnte – also vorm Spiel –, waren indes auch schon Ausfälle aufgetreten, allerdings eher geistiger Art. Nach einer verwirrenden Diskussion mit dem Franken am Imbissstand orderte ich „Zwei Thüringer mit Bratwurst, bitte“, was die Frau hinterm Tresen zu einer Nachfrage und den Franken zum hämischen Grölen bewog.

Wenn ich es recht bedenke, gab es auch nachmittags im Transmontana am Schulterblatt bereits Probleme im Dienstleistungsbereich. Ich verließ den Laden nämlich voll beladen, doch ohne zu bezahlen, und wunderte mich noch, warum mir die Barportugiesin so seltsam hinterherblickte.

Draußen fiel mir mein zechprellendes Gebaren auf, ich ging zurück und sagte: „Ich habe ja noch gar nicht bezahlt!“, und sie sagte: „Ganz genau!“, und zwar unverhohlen vorwurfsvoll. Aber vorher nur seltsam gucken, klar.

Drei Tische weiter von uns saß übrigens Michel Friedman, zusammen mit einem unstandesgemäßen Typen, der eine schwarze Lederkappe trug und wie ein obdachloser Schanzenhippie wirkte. Doch auch Friedman war nicht völlig korrekt gekleidet; über seinem (immerhin schneeweißen) Oberhemd fehlte das Jackett.

German Psycho, der Friedman vor allem aus ästhetischen Gründen heillos bewundert („Er ist wahrscheinlich schon Mitte 50, aber wir müssen es beide zugeben: Er sieht jünger aus als wir!“), schnürte um seinen Tisch herum und bewunderte Friedmans feine Schuhe, fand aber nicht den richtigen Ansatz, den Mann dafür angemessen zu loben.

GP war auch nachts im Drafthouse dabei, als mir allmählich auch physisch die Lage entglitt. Da brüllt er dir was Unverständliches ins Ohr; du fragst dreimal nach, und am Ende entpuppt sich sein Gebrüll als simple Frage nach dem just zu hörenden Song: „IST DAS SLADE?“ Ich brülle korrigierend: „NEIN, AC/DC!“, nur um eine Halbsekunde später festzustellen, es ist doch Slade, und GP zuzubrüllen: „NEIN, ES IST DOCH SLADE!“

Wegen solcher Dinge sind Nächte wie diese für mich letztlich immer mit einer Hypothek belastet. Ausgerechnet bei „Summer of 69“ wurde ich kurz darauf von Terroristen aus meinem unmittelbaren Umfeld am Kragen des St.Pauli-T-Shirts gepackt und umstandslos auf die Tanzfläche gezerrt. Dort musste ich heftig hüpfen, wobei mir völlig zu Recht die Digitalkamera aus der Hosentasche flog und lautlos auf dem Boden zerschellte.

Na ja, immerhin hätte ich sonst diese ganzen Frauen nicht kennengelernt, die extra ihre ungleich geschmeidigeren Tanzaktivitäten unterbrachen und mir nacheinander die malträtierte Kamera, den Akku und die abgerissene Klappe des SIM-Schachtes reichten. Komischerweise funktioniert der Apparat seit dem Zusammenpuzzlen wieder tadellos.

Das Erste übrigens, was mir heute Morgen nach dem Aufwachen zustieß, war ein Wadenkrampf. Einer von den O-Säften letzte Nacht war wohl schlecht.

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Nie mehr dritte Liga, nie mehr!



Warum habe ich nur das dumpfe Gefühl, die Aufstiegsparty heute Nacht auf dem Kiez könnte – im Sinne des Kyoto-Protokolls – nicht völlig klimaneutral über die Bühne gegangen sein?

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24 Mai 2007

Hier alle Infos zum „Public Viewing“ St. Pauli gegen Dynamo Dresden!



Ja, kommt alle vorbei, die ihr mühselig und beladen seid – oder dir ihr Informationen über das morgen Abend stattfindende „public viewing“ auf dem Spielbudenplatz sucht.

(Ich konnte mit dem Wissen nicht mehr leben, dass die unzähligen „public viewing“-Googler frohgemut hier landen und dann wieder frustriert davonschlurfen müssen. Deshalb.)

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Heute blau

Wir hatten mal ein ältliches Paar im Haus, das kam oft spätnachts vom Kiezbummel zurück und brauchte zehn Minuten für drei Stockwerke. Dabei sang es im Treppenhaus.

„Hoide wlau un moijen wlau und üwermoijen wieda!“ So informierten die beiden uns Nachbarn über ihr Ideal von Freizeitgestaltung.

Inzwischen sind sie ausgezogen. Manchmal treffe ich die Frau – eine blondierte Mittfünfzigerin mit zuviel Kajal um die Augen, als dass es nicht nach Verzweiflung röche – an der Bushaltestelle. Dann höre ich sofort ihr Lied wieder vorm inneren Ohr: „… hoide wlau …


Davon ahnt sie nichts in ihrer verhärmten Ernsthaftigkeit, mit der sie auf den Bus wartet, denn sie erkennt mich nie. Ich habe einfach ein Durchschnittsgesicht, das ist das Problem.

Oder die Gnade.

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22 Mai 2007

Nur nicht drüber reden

Fußballcontent und kein Ende: Bloggerkollege Poodle hat zurzeit in Stuttgart das ernste Problem, von Meisterschaftswahnsinnigen umgeben zu sein.

Seine nicht ganz unwütende Beschreibung akuter schwäbischer Feierei gibt vielleicht einen kleinen Vorgeschmack auf das, was am kommenden Freitag hier auf dem Kiez geschehen könnte:

Sie ahnen ja nicht, wie unerträglich es geworden ist in dieser Stadt. Stellen Sie sich eine Million oszillierender Pappnasen vor, und zwar von der allerstrunzdümmsten Art – haben Sie das? Jetzt malen Sie sich bitte noch aus, wie die alle schweißgebadet auf einem Haufen stehen und mit hochrotem Kopf und heiserer Stimme fortgesetzt Beteuerungen ihrer Überlegenheit in den Himmel brüllen. Die ganze Million, alle auf einmal. Um sie herum ein Verhau, den als Müllkippe zu bezeichnen hieße, ihm zu schmeicheln – ground zero würde es besser treffen.

Und angeführt wird der ganze Pulk vom brutalstdrögen OB Dr. Schusterle und dem geschichtsklitternden Burschenschaftler Dr. Oettingerle – beide kurz vor dem Überschnappen, als ob jedes Atom des Erfolgs ausschließlich auf ihrem Mist gediehen wäre. Das ist alles so schrecklich, da darf man gar nicht mehr drüber reden, man darf einfach nicht.
Also schweigen auch wir hinfort davon. Und hoffen, hier auf St. Pauli möge es anders zugehen. Nein: Ich bin mir sogar sicher.

Denn mal ehrlich: ein Gefühl der Überlegenheit, auf St. Pauli? Nein, so was passt überhaupt nicht ins Viertel, das kriegt hier kein Asyl.


Foto: Mittelbayerische Zeitung

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01 Januar 2007

Ich hab's ja gesagt …


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31 Dezember 2006

Offener Brief zu Silvester

Liebe Krüppel vom Neujahrsmorgen,

schaut bitte jetzt noch mal an euch herab. Arme, Hände, Beine, Füße: Alles ist noch dran. Das ist gut. Noch.

Denn heute Nacht werdet ihr euch etwas wegsprengen. Ja, genau. Wahrscheinlich ein, zwei Finger, vielleicht auch eine Hand. Oder beide.

Manche von euch wird es noch schlimmer erwischen. Im Gesicht nämlich. Ihr werdet die Nase verlieren, den Unterkiefer, die Augen. Und einige von euch auch den Rest: euer Leben.

Alles ist momentan noch dran, wenn ihr an euch herabschaut. Das ist gut. Doch in den
Zeitungen vom 2. Januar werdet ihr auftauchen: als Beispiele für Dumm-, Blöd- und Bescheuertheit. Jedes Jahr stehen diese Beispiele in den Zeitungen vom 2. Januar. Und diesmal seid ihr es, die zu blöd wart, einen Böller ordnungsgemäß abzufackeln.

Euer ganzes Leben – wenn ihr es denn behaltet – wird danach ein völlig anderes sein. Wahrscheinlich verliert ihr eure Mobilität. Vielleicht könnt ihr euch danach nie mehr alleine die Zähne putzen. Vielleicht verliert ihr euren Job. Oder euren Partner. Vielleicht beides.

Und alles aus Blödheit.

Aber noch ist nicht Mitternacht. Noch könnt ihr es vermeiden, am 2. Januar in den Zeitungen als Beispiele für lebensgefährliche Blödheit aufzutauchen.

Wie wär’s? Ist eigentlich ganz leicht.

Aber ich habe wenig Hoffnung. Denn genau das definiert ja Blödheit: Sogar das eigentlich Leichte noch zu leicht zu nehmen.


Schaut bitte noch mal an euch herab.
Arme, Hände, Beine, Füße: Alles ist noch dran. Und jetzt sagt zu all dem bitte leise servus.

Melancholische Grüße,
Matt

Foto: Gruppe anschlaege.de

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11 Dezember 2006

Saturday Night Fever

Die Julklappparty bei unserem Freund GG begann turbulent. Schon nach einer Viertelstunde versuchte eins der herumtollenden Kinder, sich im Fallen an meinem Weinglas abzustützen. Der Gastgeber musste mir mit einem seiner Hemden aushelfen.

Nach einer neuen Unterhose wagte ich nicht zu fragen; ich hoffte einfach, der riesige dunkle Fleck in meinem Schritt bliebe dank des Schummerlichts verborgen. So war es wohl auch. Nehme ich mal an.

Mit C., einem Musikjournalisten aus Berlin, der Bob Dylan schon 60-mal live gesehen hat, geriet ich in einen kleinen Disput. Er behauptete, Dylan betrachte Studiofassungen seiner Songs immer nur als Anfang einer langen Weiterentwicklung, worauf ich ihm triumphierend entgegenwarf, die definitive Fassung zumindest von „Desolation Row“ sei ja wohl die im Studio entstandene, oder etwa nicht.

„Nein“, widersprach er kühl, „die definitive Version war Glasgow. Oder Aberdeen.“ Merke: Man hat keine Chance gegen einen, der schon 60 Dylan-Konzerte gesehen hat, während man selbst gerade mal fünf zusammenkratzen kann.

Dafür wusste C. nicht, wer „Quincy“ gespielt hat. Auch zwei in die Diskussion verwickelte Texaner konnten meine etwas unsicher vorgetragene Theorie („Jack Klugman?“) nicht verifizieren, und ich musste mindestens fünf Leute mit diesem Problem behelligen, ehe A. sie endlich bestätigte.

Aus dem Julklappsack fischte Ms. Columbo für uns eine Rolle Designerklopapier („Topi“, 3-lagig, 200 Blatt). Auf der Heimfahrt strich ich die Vorzüge dieser Ziehung heraus. Normalerweise muss man beim Julklapp damit rechnen, irgendetwas total Unbrauchbares mit nach Hause zu nehmen, was allenfalls dank eines weiteren Julklapps wieder vom heimischen Interieur subtrahiert werden kann. Eine Rolle Designerklopapier aber, so führte ich aus, löse sich über kurz oder lang restlos auf und sei somit ein Julklappgeschenk geradezu idealen Zuschnitts.

Ms. Columbo war inzwischen längst zu müde, um zu widersprechen.

Ex cathedra: Die 3 definitiven Studiofassungen von Dylan-Songs
1. „Desolation Row“
2. „Hurricane“
3. „I want you“

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09 September 2006

Lachhaft

Ja, es stimmt: Ms. Columbo und ich haben uns auf einer privaten Party mal dem Einfluss eines Lachyogi unterworfen. Vielleicht war es der gleiche, der gerade in Ottensen die Wände mit dem abgebildeten skurrilen Angebot beklebt.

Der Yogi begann also zu lachen, und einige in der Partyrunde ömmelten auch gleich mit, doch uns wollte die Erheiterung auf Kommando partout nicht gelingen. Ich versuchte angestrengt, dem Yogi immer auf die breit gebleckten Zahnreihen zu starren, um die Ansteckungsgefahr künstlich zu erhöhen, doch immer, wenn mein Blick hochrutschte, sah ich die Kühle in seinen Augen; ich sah, dass sein Lachen nur brillantes Handwerk war, und das verdarb mir alles.

Klar, der Mann war ein Profi. Er hätte jederzeit das Casting für „Deutschland sucht den Lachsackstar“ gewonnen, und das Produkt wäre ein Partyknüller geworden. Doch seine Kunst überzeugte eben nur akustisch; ihm dabei zuzusehen, verdarb mir buchstäblich den Spaß.

Dennoch würde ich es jedem Diabetiker gönnen, wenn er nach systematisch generierten Lachanfällen kein Insulin mehr zu spritzen bräuchte, das will ich hier mal klarstellen.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs übers Lachen
1. „The old laughing lady“ von Neil Young
2. „Wenn du so bist wie dein Lachen“ von Ina Deter
3. „The laughing gnome“ von David Bowie

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15 Juni 2006

Reeperwahn nachts um halb eins

An dieser Stelle muss jetzt mal German Psychos Ruf zerstört werden. Also: Er warf für uns heute nicht nur den Videobeamer an und projizierte das Spiel Deutschland-Polen auf eine eigens aufgehängte Leinwand; nein, er gewährte auch bereitwillig Zugang zu seinem Kühlschrank, in dem offenbar unerschöpfliche Astravorräte einer zweckdienlichen Verwendung entgegenbangten oder -fieberten; das weiß man bei Bier generell nicht so genau.

Seine zuvorkommende Art gipfelte im generösen Angebot, mir als Dauerleihgabe sein aussortiertes Nokiahandy zu überlassen, weil sich hinterm Display meines schraddeligen Siemensteils inzwischen derart viele Fusseln verfangen haben, dass ich mich wundere, wieso ich zu Hause überhaupt noch staubsaugen muss.


Kurz: German Psycho war ein vollendeter Gastgeber. Nur die direkt neben der Leinwand geparkte Chromaxt wirkte beunruhigend. Warum nur war sie so überaus blitzeblank gewienert …?

Als wir auf dem Heimweg die Reeperbahn erreichen, übersteigt der Trubel nach dem Sieg alle Vorstellungen. Tausende von Fans springen, hüpfen und singen auf der Meile herum, was einer Vollsperrung gleichkommt (das um 0:03 dokumentierte Bild der Kiezcam zeigt das nur sehr unzureichend). Dem Verkehr aus den Nebenstraßen bleibt nichts anderes übrig, als still zu verzweifeln. Und das war nur ein Vorrundenspiel …

Ein großer bulliger Mann in der Menge fasst plötzlich meine Hand und fragt: „Du Deutscher?“ Ich bejahe mit dem Konter „Und du bist Pole?“ Mit wehem Lächeln bestätigt er. „Tut mir Leid“, sage ich, eingedenk der polnischen Niederlage in letzter Sekunde. Er drückt meine Hand noch fester.

Weitaus merkwürdiger mutet indes der korpulente Typ unter unserem Balkon an, der um kurz vor halb eins an die Hauswand gegenüber schifft und dies mit einem dröhnenden „Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland!“ begleiten zu müssen glaubt; mit passablem Bariton übrigens.


Pissende Patrioten sind mir gleichwohl lieber als brandschatzende, weshalb ich die zag aufkeimenden Chromaxtfantasien recht erfolgreich niederkämpfen kann.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über fatalen Waffengebrauch
1. „Careful with that axe, Eugene“ von Pink Floyd
2. „If I had a rocket launcher“ von Bruce Cockburn
3. „The man who shot Liberty Valance“ von James Taylor

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12 Juni 2006

Schönheit kommt von außen

Nachdem wir gestern auf dem Fanfest noch einmütig die besondere Anmut der persischen Frauen gepriesen haben, die selbst von Niederlage und Tschador nicht zu beeinträchtigen war, ist Andreas heute hochverblüfft von der erstaunlichen Schönheitsquote unter den Ghanaerinnen.

Und ich auch.

Da ist die Welt schon mal zu Gast bei Freunden – und düpiert uns mit brutalstmöglicher Ästhetik. Morgen Abend wartet der nächste, ähem, Höhepunkt: die Brasilianierinnen (Foto: WM-Fankurve).

Ach, die WM müsste ewig währen!

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Schönheit
1. „Came so far for beauty“ von Leonard Cohen
2. „For the beauty of Wynona“ von Daniel Lanois
3. „Cylea“ von Christian Redl (Bonustrack)

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25 April 2006

Im Zelt mit den Red Hot Chili Peppers

Sonst spielen die Red Hot Chili Peppers vor 60 000 Leuten, heute nur vor 600. Ins Zirkuszelt an der Glacischaussee werden 200 Fans und 400 Gäste eingelassen, und der Promigehalt ist so hoch wie der Fettanteil in Gorgonzola.

Bassmann Flea (Foto) kann dem frischen Boxweltmeister Wladimir Klitschko praktischerweise persönlich gratulieren, Reinhold Beckmann hält glückselig und graumeliert Hof am Springbrunnen, als wüsste er genau, dass jeder, der sich an ihm vorbeidrängt, ihn um seine WM-Finalkarten beneidet. So ist es ja auch, verdammt …

Neben mir steht Sergej Barbarez und knipst mit seinem supertollen Fotohandy die Chilis, obwohl er von der Plattenfirma bestimmt sogar einen Mitschnitt auf DVD bekäme, bäte er nur darum. Einen Augenblick lang überlege ich, auf Barbarez mit den Worten zuzugehen: „Entschuldigen Sie, wissen Sie eigentlich, dass sie Sergej Barbarez verblüffend ähnlich sehen? Sie könnten Geld damit machen!“

Doch Peppers-Gitarrist John Frusciante lenkt mich ab, weil er sich obenrum gerade frei macht. Der Mann sieht aus wie ein Jesusfreak von 1970, und er ist die einzige Hühnerbrust unter lauter Testosteronbomben. Flea, Anthony Kiedis und Drummer Chad Smith müssen mindestens so viel Zeit mit Bankdrücken wie mit Komponieren verbringen, sonst kämen sie kaum auf diese gewaltig pulsierenden Muskelstränge unter den geschmacklosen Tätowierungen.

Im Garten, wo ich am zweiten Chardonnay des Abends nippe, tauscht Mousse T. gerade Handynummern mit einer jungen Frau, die garantiert nicht seine Gattin ist. Dietmar Beiersdorfer, das wird auf den ersten Blick klar, müsste mal zum Friseur. Aber Kiedis und Frusciante auch, ehrlich gesagt. Letzterer covert kurz vor Schluss den Bee-Gees-Heuler „How deep is your love“ – offenbar ein Konter gegen Fleas Soloversion von Neil Youngs „The needle and the damage done“, die Ex-Junkie Frusciante wohl persönlich genommen hat.

Der Bretterboden schwingt im Takt der Drums, man fühlt sich leicht, man schwebt, und plötzlich ist Kalifornien überall. Inzwischen bin ich so weit chardonnayisiert, dass ich meinen Barbarez-Ulk doch noch an den Mann bringen will, doch ich stoße nur immer wieder auf Beckmann. Er hat Finalkarten, verdammt …

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs von Neil Young
1. „Hurricane“
2. „On the beach“
3. „Out on the weekend“

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12 April 2006

Halbfinale


Hollerieth war unser Torwartmann,
Aus hielt er, bis der Schlusspfiff kam.
Er hat zwar verlorn, doch er trägt die Kron,
Er hielt für uns, unsre Liebe sein Lohn.

Gunesch flitzt übers Schlammgeviert,
Ballack ächzt, denn wer hier verliert,
Der fährt im Mai wohl überallhin,
Doch nicht nach Berlin, nach Berlin.

Hargreaves trifft früh, aus großer Distanz.
Hollerieth fliegt, doch es reicht nicht ganz.
Der Kampfgeist wächst, doch Lucio steht,
Und Ismaël bang nach den Angreifern späht.

St. Pauli stürmt vor, sogar mit Morena,
Ein tausendfach' Juchzen erfüllt die Arena.
Die Bayern, sie taumeln, sogar der Sagnol,
Doch Meggle verfehlt, und dann auch noch Boll.

Und die Fans mit Kindern und Fraun
Im Flutlicht schon das Ende schaun.
Und keuchend an Holler heran
Tritt alles: „Wie lang noch, Torwartmann?“
Der schaut nach vorn und schaut in die Rund:
„Noch dreißig Minuten … halbe Stund.“

Und die wilden Paulianer, bunt gemengt,
Bedrängen den Kahn, und der lenkt
Luz’ Kopfstoß zur Ecke, Bolls Schuss hintendrein –
Und Scharping verzweifelt: Der Ball muss doch rein!
Die Bayern, sie taumeln, Lahm läuft nicht rund.
Noch 15 Minuten … Viertelstund.

Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei,
Da klingt aus dem eig’nen Strafraum ein Schrei,
„Tor!“ war es, was da klang,
Ein Qualm aus Tribüne und Fankurve drang,
Es war eine Ecke, der Fuß von Pizarro …
Und nur noch sechs Minuten bis Ultimo.

St. Pauli zerbricht am Ende entzwei
Wieder Pizarro, es steht null zu drei.
Holler ist machtlos, doch lobt nicht nur ihn:
Denn heute verlor das bessere Team!

Hollerieth war unser Torwartmann,
Aus hielt er, bis der Schlusspfiff kam.
Er hat zwar verlorn, doch er trägt die Kron.
St. Pauli, St. Pauli: „You’ll never walk alone!“

(Foto: Spiegel online)

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25 Januar 2006

Saaaankt Paulihiiiiiiiii!

Natürlich wissen wir während des Spiels noch nichts vom sich anbahnenden größten Erfolg der Vereinsgeschichte. St. Pauli (Regionalliga) geht gegen Werder Bremen (Bundesliga) in Führung, kassiert aber wenig später ein Gegentor, was mich – kartenlos auf den Fernseher angewiesen – zu einer SMS ins Stadion bewegt („Ausgleich war abseits!“), die Andreas mit einem aufrichtigen „Verdammt!“ beantwortet.

Als es wahr ist, wirklich wahr, das endgültige, unglaubliche, undisputierbare 3:1, bleibt natürlich keine andere Möglichkeit: Ich muss mich bei Ms. Columbo entschuldigen und durch den Schnee in die Domschänke stapfen, um in Euphorie zu baden. Dort, in dieser an gewöhnlichen Tagen dumpf vor sich hin dämmernden Kneipe, ist jetzt gerade das pulsierende Herz der Republik, aber die Augsburger, Bitterfelder, Groß-Gerauer müssen samt und sonders mit der Tatsache ihres Nichthierseinkönnens leben, doch ich kann einfach hinüber gehen, es dauert keine fünf Fußminuten, und deshalb muss ich hin.

In den 80er Jahren ging ein Rekord durch die Presse, der Aufnahme ins Guinness-Buch fand: Ungefähr zwölf Leute (oder mehr) quetschten sich damals in eine Telefonzelle. Schade, dass sich heute Abend niemand aus der Guinness-Redaktion in der Domschänke aufhält. Denn das halbe Stadion ist da. Tohuwabohu! Halleluja! Glück tropft von der Decke!

Ich sehe Menschen, die während eines Handy-Telefonats lauthals einstimmen in den Kiezklassiker „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“, der aus der Musikbox donnert. Sogar Bremer Fans wanken herein. Sie singen „Ihr seid bessä / als der Ha-Ess-Vau“, womit sie bei den Domschänkensardinen mächtig punkten. Am Zigarettenautomaten, wo wir eine halbwegs passable Stelle des ungefährdeten Zusammengequetschtseins gefunden haben, treffe ich einen kugelrunden Dreitagebarttürken, der mir versichert, eigentlich nicht zu rauchen. Aber heute, nach diesem Sieg: Da muss es sein.

Er erklärt mir die neue deutsche Rechtschreibung: Weil St. Pauli im DFB-Pokal ausschließlich Städte besiegte, die mit B beginnen (Burghausen, Bochum, Berlin, Bremen), muss jetzt auch der Wettbewerb als ganzer umbenannt werden – in „Bokal“. Das erscheint mir vollkommen logisch.

Währenddessen spekuliert die Runde wild über den nächsten Gegner. Es kann uns ja, dem Gesetz der Serie folgend, nur Bayern oder Bielefeld zugelost werden; der letzte übriggebliebene Kandidat Frankfurt ist schließlich völlig B-los. Andreas argumentiert noch spitzfindiger: Da bisher jeder Gegner nominell stärker war als der letzte, muss nach Bremen natürlich Bayern kommen. Keinesfalls Bielefeld. Und wenn doch, dann hätte man ja vielleicht die Chance, gar das Halbfinale zu gewinnen, dann führe man zum Finale nach Berlin, und was immer dort geschähe: St. Pauli wäre im Uefa-Cup. St.Pauli.Im.Uefa.Cup. Gegen Inter Mailand oder so, man darf gar nicht drüber nachdenken.

In der Domschänke ist zügig das Astra ausgegangen. Die Menge hebt kurz die Augenbraue und steigt auf Jever und Holsten um. Irgendjemand hat „You’ll never walk alone“ gedrückt, und während ich aus voller Lunge mitsinge, wird mir klar, dass ich heute Abend sogar die Töne treffe, was mir sonst nie gelingt, weshalb ich diese Art der Artikulation gemeinhin sorgsam aus meinem Gefühlsäußerungsspektrum ausklammere. Jaja, der Zauber dieser Nacht!

Auf dem Rückweg sehe ich, wie die Fans den verschneiten Stadtteil verwandelt haben. Auf Windschutzscheiben und Kühlerhauben, auf Heckfenstern und Seitentüren, überall ist es zu lesen: „3:1“. Heute ist St. Pauli das Zentrum der Republik. Ach was: der Welt.

Und manchmal haben sie neben das „3:1” noch etwas anderes in den Schnee gemalt, mit bloßen Händen: ein Herz.


Ex cathedra: Die Top 3 der gößten Akustikgitarrensongs
1. „Caroline’s tune“ von John Renbourn
2. „Thrasher“ von Neil Young
3. „When poets dream of angels“ von David Sylvian

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01 Januar 2006

Der Morgen danach

Als ich gegen halb zwölf zum Brötchenholen gehe, ist für erstaunlich viele die Silvesterparty noch voll im Gange. Am Hamburger Berg sind die Kneipen überfüllt, Menschen quellen heraus auf den Gehweg, bestens versorgt mit Getränken, innen wie außen.

Die Kaschemmen erbrechen dumpfe Beats. Aus dem Roschinskys torkelt mir ein Paar vor die Füße; die grell geschminkte rothaarige Frau ist schwer angeschlagen, sie atmet prustend aus mit knatternden Lippen, als müsste sie sich in der nächsten Sekunde übergeben.

Ich halte Sicherheitsabstand. Eine andere junge Frau läuft auf die Straße und lässt die Arme flattern wie ein Vogel; sie trägt eine ärmellose Bluse, die ihren Rücken fast gänzlich unbedeckt lässt, und quiekt: „Mir ist kalt!“ Ein Junge trottet ergeben hinter ihr her.


Über die Bürgersteige röhren schon unerbittlich die Reinigungsfahrzeuge, Passanten gehen unwillig beiseite. Überall liegen die Reste des Feuerwerks. Ihre Besitzer haben jegliches Interesse an ihnen verloren. Wenn man sie gestern Nacht aufgefordert hätte, die ausgebrannten Kartuschen, leeren Flaschen, die Scherben und zurückgebliebenen Raketenstöckchen wegzuräumen, sie hätten dich wahrscheinlich angeglotzt wie ein Alien. Wozu gibt es die Stadtreinigung?


Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Rapture“ von Antony & The Johnsons, „Maybe I wish“ von Embrace und „Milk and honey“ von Jackson C. Frank.


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09 Dezember 2005

Die Weihnachtsfeier

Das Gute an Weihnachtsfeiern? Temporär freie Kost und Logis sowie viel Zeit für die üblichen dummen Witze, aber ohne dass Arbeit liegen bleibt.

Heute Abend sitzt fast die ganze Welt – na gut, rund eine Drittelmilliarde Menschen – vor den Fernsehern und verfolgt die WM-Auslosung, während das Kollegium sich an Fischsuppe, Ziegenkäse im Speckgürtel und Ente auf Rotkohl mit Polenta und Bohnengemüse laben darf.
Der präventiv eingerichtete SMS-Service von zu Hause liefert zunächst unbefriedigende Ergebnisse – „Heidi Klum hat breitere Schultern als Reinhold Beckmann“ ist zwar eine interessante Beobachtung, aber nicht gerade die Neuigkeit, nach der die Fußball-Aficionados am Tisch sehnlichst gieren. Ich muss telefonisch eine zielgenauere Informationspolitik anmahnen, was auch fruchtet.

In der ersten Auslosungsphase hatte ich ein Ticket für das WM-Spiel am 15. Juni in Hamburg ergattert, und gegen 22.30 Uhr ist dann endlich klar, welches es sein wird: Costa Rica gegen Ecuador. Dabeisein ist alles, argumentiere ich präventiv offensiv, muss aber ohnmächtig erleben, wie dieses Ergebnis die Spottlust der fröhlichen Zechrunde kräftig befeuert. Selbstbewusst verbuche ich das als blanken Neid und ordere trotzig einen Marc de Provence, eine Art französischen Grappa.

Irgendwann stehen mehrere Kollegen gestikulierend im Raum, während sie mit offenbar nur noch vegetativ gesteuerten Reflexen in beiden Händen Weingläser unterschiedlich kolorierten Inhalts ausbalancieren.

Es wird Zeit zu gehen, nicht ohne die spinnenartige Deckenlampe des Restaurants La Provence auf die SIM-Karte zu bannen.


Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Love street“ von Nigel Kennedy, „Electric edwardians“ von In The Nursery und „Good times are back“ von TV Smith.


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02 Oktober 2005

Die Warnung

Wenn ich sonntagsmorgens zum Brötchenholen durchs Viertel radle, schaue ich nicht in die Ferne, auf die nächste Kreuzung oder den entgegenkommenden Verkehr. Nein, mein Blick klebt am Asphalt.

Nach dem ortsüblichen Fieber der Samstagnacht nämlich sind die Straßen erschöpft und wie erschlagen, und obwohl die Besenwagen schon seit Sonnenaufgang durch St. Pauli kriechen, sind noch überall die Spuren der Ekstase und Ernüchterung zu sehen.


Vor allem die kunterbunte Vielfalt der Scherben zwingt Radfahrer zum starren Blick aufs Terrain unmittelbar vorm Vorderrad. Ich fahre Slalom die Seilerstraße hinunter, biege rechts ab in die Hein-Hoyer-Straße, überquere die Simon-von-Utrecht- und Clemens-Schulz-Straße, hole mir dank akrobatischer Fahrkünste KEINEN Platten und parke vor der Konditorei Rönnfeld.

Der kleine Familienladen trotzt wacker den Attacken von Ketten wie Kamps & Co. und ist sonntags erste Wahl. Dann nämlich steht die alte Frau Rönnfeld höchstselbst im Laden; sie geht auf die 80 zu, ist auf ansteckende Weise kreuzfidel, begrüßt einen mit Namen und hat die üblichen vier Sesambrötchen schon griffbereit zurückgelegt.

Heute lobt sie völlig zurecht das Wetter, das uns nachmittags in den Park Planten & Blomen treibt. Mit seinen Wasserspielen, Waldpfaden und vergnügten Enten macht er fast vergessen, dass wir mitten in einer Millionenstadt leben. Und seine Schilder warnen saisonal unabhängig vor Gefahren – zum Beispiel vor gefährlich dünnen Eisdecken (Foto).

Heute, an diesem glorios sonnigen Oktobertag, wollen wir von so was aber rein gar nichts wissen.

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