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Die Rückseite der Reeperbahn

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Name: Matthias Wagner
Standort: Hamburg, Germany

Schreiberling




13 Juni 2008

Kein Curling auf Tuvalu



Nun gut, jetzt kommt es am kommenden Montag also wirklich zum entscheidenden Duell zwischen Deutschland und Österreich.


Wer nicht bis dahin auf den Spielausgang warten möchte: Erste Hinweise ergeben sich aus einem höchst aufschlussreichen Interview, das ich unlängst mit dem furiosen deutsch-österreichischen Komikerduo Stermann & Grissemann führte. Hier ein kleiner Ausschnitt:

U_mag
: Wie können Jogis Löwen Österreichs Pandabären schlagen, mit welcher Killertaktik?
Grissemann: Das wird auch ohne Taktik klappen, garantiert.
Stermann: Österreich gibt sich sehr viel Mühe, ein netter Gastgeber zu sein. Wieso sollte die deutsche Mannschaft also gegen Österreich gewinnen - um erneut das Bild des „hässlichen Deutschen“ abzugeben? Nein. Nach der WM, wo Deutschland der Welt ein neues, positives Gesicht gezeigt hat, muss es jetzt auch auf dem Platz Taten folgen lassen. Ausscheiden nach der Vorrunde muss es heißen, sonst waren alle schönen Worte während der WM nur schöne Worte.
U_mag: Vielleicht kommen wir eh gegen die überlegene Physis der Österreicher nicht an; immerhin können sie die ganze Saison über ihre geografischen Vorteile ausspielen – Stichwort: Höhentraining. Warum geht ihnen trotzdem immer direkt nach der ersten Halbzeit die Luft aus?
Grissemann: Das liegt wohl an der grundsätzlich zerbrechlichen Physis. Der Österreicher ist Künstler, kein Sportler: blass, vornübergebeugt und asthmatisch. Siehe André Heller.
Stermann: Höhentraining? Wovon reden Sie? Wir sind der Keller Europas, hat sich das nicht bis zu Ihnen nach Hamburg rumgesprochen ...? Viele, gerade Jugendliche, wachsen in Kellern auf, in denen man kaum aufrecht stehen kann! Und in den Bergen leben kaum mehr Österreicher, sondern nur noch ostdeutsche Gastarbeiter, die als Kellner und Liftwarte zu teuer gewordene Rumänen abgelöst haben. Deshalb wird es in ein paar Jahren auch wieder gute deutsche Skifahrer geben. The circle of life.
U_mag: Sollte man das Fußballspielen in den Alpen nicht generell verbieten? Immerhin spielt man auf Tuvalu auch kein Curling.
Grissemann: Gute Idee! Ich bin immer für Verbote.
Stermann: In den Bergen gibt es ja sehr wenige Fußballplätze. Dafür aber hat die Seitenwahl zu Beginn eines Spiels eine viel größere Bedeutung: Soll man in der ersten Hälfte bergauf oder bergab spielen?
U_mag: Ein solches Verbot hätte einen weiteren Vorteil: Man könnte es aufs voralpine München ausweiten und wäre schlagartig auch den FC Bayern los.
Stermann: Verbote ändern nichts. Durch Verbote kommen die Menschen überhaupt erst auf den Geschmack. Bevor es die Zehn Gebote gab, hätte niemand im Traum daran gedacht, sich die Nachbarin unter sexuellen Gesichtspunkten anzuschauen oder Gott zu malen. Aber kaum waren die Zehn Gebote da: nix wie rüber und zur Nachbarin unter die Decke. Würde man den FC Bayern verbieten, zehn neue FC Bayerns kämen.
U_mag: Herr Stermann, angenommen, Sie (als Deutscher) dürften einen Tag die Österreicher trainieren: Mit welchen Ad-hoc-Maßnahmen wäre der größte Schaden anzurichten?
Stermann: Ich habe zu meinem 40. Geburtstag von der Republik Österreich das Geschenk bekommen, ein Jahr lang die Nationalmannschaft trainieren zu dürfen. Es war eine schöne Zeit. Ich habe das Spiel ohne Ball forciert. Wir sind viel gereist, haben diskutiert, sind ins Kino gegangen und haben mit Erwin Wurm zusammen Kunstaktionen gemacht. Alle Spieler von damals sind heute an der Universität für Angewandte Kunst als Dozenten tätig oder haben Professuren an der Kunstakademie. Bildung und ein Hang zur Schöngeisterei hat noch niemandem geschadet. Gut, wir haben in der Zeit alle Spiele hoch verloren. Aber wie! Wunderschön … Als ich Teamchef der ÖFB-Elf war, sprachen wir nie über Elfmeter, aber viel über Hexameter. Wir sprachen auch nicht über Ecken, sondern über Rhomben. Einen Elfmeter „verwandeln“ – über diese Formulierung haben wir viel diskutiert. Wir haben dann mit Illusionisten zusammen Elfmeter
„verwandelt“: in Hühner, Wurst oder Riesenschnitzel. Das war durchaus politisch gemeint.

Und so ging das noch eine ganze Weile weiter. Wer die zur Hochform auflaufenden Komiker in voller Länge erleben möchte, ist hier an der richtigen Stelle.


Foto: Udo Leitner

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11 September 2007

Joe Zawinul: Hörst du den Space?

Joe Zawinul, legendärer Wiener Jazzer und einer der bedeutendsten Musiker unserer Zeit, ist heute morgen mit 75 gestorben. Vor zwei Jahren sprach ich für die Zeitschrift kulturnews mit dem Meister aller Tastenklassen. Von Malibu aus erklärte mir Zawinul das Geheimnis seines Stils. Eine Neuauflage als Nachruf – bye, bye, Joe.

Matt: Herr Zawinul, Sie leben im kalifornischen Malibu, also unter der Fuchtel Ihres Landsmanns Arnold Schwarzenegger.
Zawinul: Nein, nicht wirklich. Es ist okay hier.
Matt: Ihre Kompositionen gelten als saukompliziert. Wie biegen Sie einem Musiker eigentlich bei, dass er nicht gut genug ist – brutal oder schonend?
Zawinul: Wenn er nicht gut genug wäre, wäre er überhaupt nicht in der Band. Jeder, der in meine Band kommt, ist gut genug.
Matt: Muss er bei Ihnen vorspielen?
Zawinul: Nicht in der normalen Weise. Man hört herum, man sieht Leute, wie sie auf der Bühne stehen. Es sind nicht nur die Noten allein, die wichtig sind.
Matt: Haben Sie jemals vorgespielt?
Zawinul: Sure. Freilich.
Matt: Und: Sind Sie dabei mal durchgefallen?
Zawinul: Nein.
Matt: Der Jazz scheint in den letzten Jahrzehnten immer grooveorientierter zu werden, ihrer ja auch.
Matt: Meine Musik war vom Tag 1 an immer grooveorientiert. Immer. Als ich Volksmusik gespielt habe genauso wie jetzt. Nie ein Unterschied.
Matt: In den letzten Jahren kommen die Grooves häufig aus der Club- und Tanzmusik …
Zawinul: In meiner Musik?
Matt: Im Jazz allgemein.
Zawinul: Well, I don’t know. Ich bin kein Jazzhörer. Und auch kein Musikhörer im Allgemeinen.
Matt: Wie bitte: Sie sind kein Jazzhörer …?
Zawinul: Nein.
Matt: Was hören Sie denn dann?
Zawinul: Überhaupt nix.
Matt: Warum das nicht?
Zawinul: Ich höre meine eigene Musik, während ich’s mache. Ich habe keine Zeit in meinem Gehirn dafür. Die beste Musik ist keine Musik.
Matt: Woher kommt dann die Inspiration? Normalerweise setzt man sich doch auseinander mit anderen Künstlern.
Zawinul: Meine Inspiration kommt vom Sound. Ich weiß, wie man einen Sound kriegt, auf allen Instrumenten. Wenn ich einen Sound habe, dann habe ich Musik. Ich brauche keine andere Inspiration, verstehen Sie?
Matt: Haben Sie denn noch nie intensiv Musik anderer Künstler gehört?
Zawinul: Ich habe es so viele Jahre getan – und dann an einem Tag total damit aufgehört. Und ich bin nie wieder dazu zurückgekommen.
Matt: War das so, als ob man das Rauchen einstellt?
Zawinul: Das war überhaupt keine schwierige Entscheidung für mich. Ich habe so viele Stücke selbst gemacht, manchmal 20 am Tag. Da blieb kein Raum mehr im Gehirn.
Matt: Ein Stück auf ihrer neuen Platte heißt „Rooftops of Vienna“, und es klingt so übersprudelnd lebendig und hektisch, dass ich nicht gerade das beschauliche Wien vorm inneren Auge habe.
Zawinul: Es hat keine Hektik, es ist relativ relaxt, fast wie eine Ballade. Wenn der Zuhörer hektisch ist, klingt alles hektisch. Wenn Sie sich ruhig hinsetzen, ist es eines der relaxesten Stücke überhaupt. Es ist riesig schnell und hat viel Feuer, aber im Grunde genommen ist es unheimlich relaxt.
Matt: Wie kann das sein, wenn ein Stück so viele Beats pro Minute hat?
Zawinul: Yeah, es kommt drauf an, welchen space man vor sich hat, verstehen Sie?
Matt: Leider nein …
Zawinul: Wenn ich zum Beispiel ein Flugzeug am offenen Himmel vorbeifliegen sehe, hat es eine andere Geschwindigkeit, als würde ich es vorm Fenster vorbeifliegen sehen. Dasselbe in der Musik: Wie ich phrasiere, das hat unheimlich viel space. Natürlich: Wenn man sich nur an die Taktzahl hält, hört man es schneller.
Matt: Gut, ich werde versuchen …
Zawinul: Brauchen’s gar net versuchen! Nur entspannt Schultern runter und an eine Ballade denken. Das Tempo ist one … two … three … four.
Matt: Ein interessanter Einblick in meine Wahrnehmung des Stückes und …
Zawinul: … in die Wahrnehmung des space im Allgemeinen! Ich wohne ja hier auf einem großen rock, und vor mir das Meer. Ich sehe nix wie das Meer. Und das ist natürlich ein riesiger space.
(Foto: ESC)

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02 September 2007

Keine alte Kuh

Für die Zeitschrift U_mag habe ich mich neulich mit der Frankfurter Rapperin Sabrina Setlur gestritten, während ihr Hund darauf bestand, von mir gekrault zu werden. Hier gibt’s einen kurzen Ausschnitt des Interviews mit der Kodderschnauze. Wer es komplett lesen will, muss schon an den Kiosk gehen, tja. Kostet aber nur zwei Euro. (Nein, mein Verleger hat mich NICHT zu diesem Beitrag gezwungen.)

Matt: Sabrina, ich möchte mich mit dir kabbeln.
Sabrina Setlur: Hmmhm … Dein gutes Recht.
Matt: Dein Album heißt ja auch „Rot“, immerhin die Farbe des Streits.
Setlur: Nicht nur! Rot ist auch die Farbe der Leidenschaft, der Liebe, der Intensität. Alarm, Hitze.
Matt: Kannst du dich daran erinnern, dass wir uns schon mal getroffen haben?
Setlur: Dunkel.
Matt: Das war 1997 – und eins der blödesten Interviews, die ich je hatte.
Setlur: Warum?
Matt: Du saßt wortkarg da, hast Kaugummi gekaut, MTV geguckt, und die meisten Fragen beantwortete dein Begleiter.
Setlur: Damals haben sich verschiedene Leute unheimlich verantwortlich gefühlt; daher diese Situation. Von mir war sie bestimmt nicht gewollt. Wenn ich wortkarg werden sollte, müsste ich schon eine Kieferoperation hinter mir haben.
Matt: Beim Rappen wäre das hinderlich.
Setlur: Rap hat nichts damit zu tun, wie man im Privaten redet. Ich rappe ja nicht den ganzen Tag. Ich sprech ja ganz normal mit dir.
Matt: Klingt so, ja.
Setlur: Glaub mir, ich spreche auf jeden Fall nicht in 135 bpm mit dir, wie auf dem Album.
Matt: Zumindest möchte ich darum bitten.
Setlur: Werden wir sehen. Wenn du dich artig benimmst.
Matt: Hast du die Texte deines Albums „Rot“ selber geschrieben?
Setlur: Zusammen mit Moses Pelham.
Matt: Hmm …
Setlur: Wir waren beide wirklich auf diesem Flash.
Matt: Du behandelst auf „Rot“ die klassischen Rap-Themen. Klingt alles immer noch teenagerhaft, aber du bist jetzt 33.
Setlur: Na und?
Matt: Wie lange kannst du das noch machen?
Setlur: Erstens: Das ist das Leben. Zweitens: Wie sollte sich denn eine 33-Jährige benehmen?
Matt: Sag du’s mir. Aber Partys feiern, immer wieder Beziehungen beenden …
Setlur: „Immer wieder“? Siehst du, du pauschalisierst!
Matt: … nachzutreten …
Setlur: Nee, das stimmt so nicht! Natürlich gibt es auf meiner Platte Balladen, die sich damit beschäftigen, dass eine Beziehung nicht klappt – aber ganz ruhig: Das ist überhaupt nichts Negatives! Und wenn wir von Partyliedern reden, dann geht es um das Gefühl des Zusammenseins, des Lebensbejahens – einfach der Freude. Das sind auch wieder so Klischees. Du hörst was und sagst: buff, buff, buff …!
Matt: Deswegen sprechen wir ja darüber.
Setlur: Zu dem Altersding: Mir wird immer bewusster, dass mir Leute aufdrücken wollen, ich sei eine alte Kuh – wogegen ich mich vehement wehre. Meiner Meinung nach ist man immer so alt, wie man sich fühlt.
Matt: Ein Klischee.
Setlur: Ein Klischee. Aber auch eine Gefühlsangabe.
Matt: Übrigens halte ich dich nicht für eine alte Kuh.
Setlur: Das wäre ja noch schöner!
Matt: Aber im Rap gibt es doch den Zwang, berufsjugendlich zu sein.
Setlur: Wenn das so ist, unterliege ich diesem Zwang nicht. Ich sag dir mal eins: Wenn ich mit 50 immer noch was zu sagen habe, dann wirst auch du mir nicht das Maul stopfen.
Matt: Werde ich wohl nicht schaffen.
Setlur: Nee, das schaffste nicht.
Matt: Beschreibt dich das Wort „Zicke“ eigentlich gut?
Setlur: Nein.
Matt: Hast du schon mal jemand eine runtergehauen?
Setlur: Ganz ehrlich: Ich habe immer Angst, dass ich mir mehr weh tue als dem, den ich schlage.
Matt: Was müsste ich tun, damit du mir eine langst?
Setlur: Mich körperlich angreifen.
Matt: Dann droht keine Gefahr.

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07 September 2006

Natascha Kampuschs Rückkehr ins unbekannte Leben

Natascha Kampusch dachte im Augenblick der Flucht mit Sorge an ihren Entführer, der für diesen Fall mit Selbstmord gedroht hatte. Sie dachte traurig an dessen Mutter und Freunde, deren Welt sie nun einstürzen lassen würde.

Und dann sprang sie doch über den Zaun, zurück in ein Leben, das sie überhaupt noch nicht kennengelernt hatte.

Wie Millionen anderer verfolgte ich heute Abend mit Ms. Columbo das erstaunliche und fesselnde Interview mit dieser Frau, von der bislang nur Kinderfotos existierten.

Wir starrten die ganze Zeit in dieses flackernde hübsche Teenagergesicht und konnten nicht umhin, die 18-Jährige zu bewundern – dafür, nach achteinhalb Jahren, in denen sie nur mit einem einzigen Menschen sprechen durfte, nun gefasst und bestimmt zu Millionen Menschen zu sprechen, ohne sich dabei in Luft aufzulösen.

Ein Abend, der Fernsehgeschichte schreiben wird. Hier ein knapp vierminütiger Ausschnitt aus dem TV-Interview.

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29 August 2006

Lemmy und die Häkeldamen

Gerade ist die neue Motörhead-Platte erschienen, und Zeitschriften, die schlau sind, haben ein Interview mit Bandboss Lemmy Kilmister (Foto) drin. Denn er ist für den wilden Rock das, was Michael Schumacher für die Formel 1 ist: eine lebende und sehr lebendige Legende. Auch ich habe Lemmy mal vorm Mikro gehabt. Das ist schon eine Weile her; der Text wurde damals in kulturnews gedruckt, wo diesen Monat wieder ein Interview mit ihm drin ist, logo. Als Hommage an den größten Rocker der Welt wärme ich das alte hier noch mal auf.

Lemmy beäugt die kulturnews mit einer gewissen Skepsis. „Kultur?”, krächzt er, „if I hear kultur, I pull my gun.“ Trotz des imposanten Patronengürtels, der einen Teil seines überlappenden Bauchs stabilisiert, fühle ich den Drang, Lemmys Meinung zu korrigieren.
„Ähm, Lemmy
, sage ich vorsichtig, „du bist doch ein Teil davon … irgendwie. Lemmy wirft zwei Eiswürfel in seinen Jack Daniel’s, den er in einem für die Brause ungünstigen Verhältnis mit Cola verdünnt hat, und zieht an der Kippe.

„Yeah“, sagt er, „irgendwie.“

Nach über einem Vierteljahrhundert Metalshouting für Hawkwind und Motörhead ist seine Stimme zu etwas geschrumpft, das klingt, als rutschte ein Schlitten über Sandpapier – der Preis des Ruhms. Würde man den Lemmy von heute nachmittag schockfrosten und in einem Hardrock-Café aufstellen, empörten sich die Gäste gewiss über die geballte Ladung Metal-Klischees, mit der das Denkmal ausstaffiert ist: aufgeknöpftes schwarzes Hemd mit hochgerollten Ärmeln, Kette mit eisernem Kreuz um den Hals, Tattoos an den Armen („Born to lose / Live to win
), pferdeaugengroße Totenkopfringe an den Pranken, eine zu enge Hose mit Schlag und dazu weiße Spitzstiefeletten, die dringend geputzt werden müssten.

Und immer, wenn die Lemmy-Statue weibliche Cafégäste erblickte, würde sie „silly cow
röcheln. So nennt er jedenfalls (wenn sie grad nicht da ist) die Blonde von der Plattenfirma, die dafür sorgt, dass ihm Whiskey, Eis und Cola nicht ausgehen – in dieser Reihenfolge. Ich meine: Lemmy ist wirklich böse. Er hat kirschtomatengroße Warzen im Bartgesicht! Und Zottelhaare mit eisgrauen Strähnen drin.
Damals, 1975, war es seine Idee, Motörhead mit „ö” zu schreiben. Das sah irgendwie deutsch aus, und die Deutschen, Mann, sind für einen Engländer echt „mean”.

Wir vereinbaren ein Stichwortinterview, das schont seine Kehle. Let's go, starten wir mit der Anatomie.
Seine arme Stimme … ? „Hat sich zur Ruhe gesetzt.

Der Zustand seiner Ohren? „Ich hab genau verstanden, dass du mich das gefragt hast.

Ex-Duo-Partnerin Samantha Fox ( … the breast and the beast, haha): „Geschichte.

Britisches Rindfleisch? „Geschichte.

Drogen? „Naturgeschichte.

Techno? „Bald Geschichte.


Lemmy trinkt schnell, er raucht schnell, aber er denkt auch schnell.
Tanzen? „Ich tanze nicht. Except for the totentanz, hehehe.

Drei Dinge, die er am meisten hasst? „Politiker, organisierte Religion und – hmm – Intoleranz.

Gott? „Welchen? Gibt's einen? Ich glaube daran, dass wir unsere eigenen Entscheidungen treffen müssen. Es gibt keinen Ausweg namens Gott.

Alt zu sein? „Unvermeidlich.


Lemmy wirft Eis nach und füllt mit Whiskey auf. Es ist 16 Uhr 11 an einem Dienstag. Wir sind in einem Hotel an der Kieler Straße, das bevölkert ist von ältlichen Frauen. Der Häkelclub Hodenhagen in der Großstadt. Und in einem der Zimmer, davon wissen die Damen nichts, sitzt Lemmy Kilmister.

Der Melody Maker hält ihn für „radikal, roh, barbarisch und verrückt”. Was davon stimmt heute nicht mehr? „Nichts
, seufzt Lemmy, „alles stimmt.

Danke, das war's, sage ich. „Das war leicht
, sagt Lemmy. Sein Händedruck ist sehr fest, ich fühle den Totenkopfring. Im Foyer wuseln aufgeregte Häkeldamen herum. Wahrscheinlich wollen sie heute Abend ins „Phantom der Oper.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs von Motörhead
1. „God was never on your side“
2. „Eat the rich“
3. „Stand“

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30 Juli 2006

Post von Postel

Nach der Posse um Postel vom 25. Juli entspann sich eine kleine Mailkorrespondenz mit dem begabtesten aller Scharlatane, dem Hochstapler Gert Postel.

Diesen Schriftverkehr möchte ich dem Blogpublikum natürlich nicht vorenthalten. Schließlich werden darin weitere Heldentaten angekündigt, auf die wir uns schon freuen dürfen. Keep on going, Gert!

Der Dialog beginnt mit dem Ende meines oben erwähnten Blogeintrags, denn der Pseudopsychiater bezieht sich in seiner ersten Mail direkt darauf.

Matt: … Steckt etwa der in Marburg abgetauchte Postel selbst hinter den Anrufen und der Verfälschung von Wikipedia? Suchte er mal wieder nach einer Gelegenheit, seine Fingerfertigkeit unter Beweis zu stellen und sich anschließend ins Fäustchen zu lachen? Wenn ja, dann müsste man enttäuscht konstatieren: Der Mann hat schon größere Coups gelandet.

Postel: Danke für den schönen Artikel! Keine Sorge, die größeren Aktionen eignen sich nur nicht für eine Erörterung in der Öffentlichkeit …

Matt: Sie lernen wohl nicht dazu, was? ;-)

Postel: Ich lerne nur das nicht, was offenbar Sie zu lernen als notwendig erachten, mehr ist es nicht …

Matt: Ihre Spitzfindigkeit scheint mir eine andere Umschreibung für „nicht resozialisiert“ zu sein. Oder sogar für „nicht resozialisierbar“, was natürlich sehr schade wäre. Waren Sie das eigentlich mit der kleinen Manipulation des Wikipediaeintrags von Herrn Haußmann? Immerhin erörtern Sie ja nur die „größeren Aktionen“ nicht in der Öffentlichkeit; aber die hier war ja nun wirklich Pipifax.

Postel: Wissen Sie, mit Etikettierungen beweist man nichts als Denkfaulheit, oder, schlimmer noch, mangelnde Denkfähigkeit. Machen Sie das ruhig so: mir ist es vollkommen einerlei, ob Sie das Etikett „nicht resozialisierbar“ oder gerne auch „Sahnetorte“ verwenden. Das sagt ja gar nichts über mich aus, aber vielleicht etwas über Sie. Ich betrachte die Korrespondenz mit Ihnen als beendet. Wichtigere Dinge warten …

Matt: Gut, auf das Etikett „Gert Postel ist Sahnetorte“ können wir uns einigen. ;-) Ich wünsche Ihnen viel - ähem - Erfolg bei Ihren Unternehmungen. Und ein glücklicheres Leben.

Postel: Letzte Nachricht: Mein Leben könnte glücklicher kaum sein.

Matt: Wow … Damit haben Sie praktisch allen Menschen auf diesem Planeten etwas voraus. Wenn Sie vielleicht als letztes Geschenk an die Erdbewohner diese Glücksformel noch veröffentlichen würden? Das wäre überaus reizend, geradezu philantrophil. Ach ja: Meiner Frage nach dem Wikipediaeintrag sind Sie bisher ausgewichen, und ich möchte diese kleine Korrespondenz natürlich nicht abgeschlossen wissen, ohne Sie noch einmal danach gefragt zu haben (obgleich ich allen Grund hätte zu schmollen, schließlich haben Sie mir die Denkfähigkeit abgesprochen; aber ich bin zum Glück nicht nachtragend). Also: Wieso ist Ihnen dieser Tippfehler beim Namen „Haussmann“ unterlaufen? Eine solche Nachlässigkeit passt nicht zu Ihnen. Wo lag das Problem? Oder WOLLTEN Sie, dass man es bemerkt?

Postel: Ich bin nicht „ausgewichen“, sondern wollte gar nicht antworten. Lesen Sie heute in der taz Nordteil ne super Postel-Geschichte. ENDE.


Übrigens wurde der Haußmann-Eintrag bei Wikipedia inzwischen korrigiert.

(Foto: Eichborn)

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08 Februar 2006

Der Hantelhiphopper

In meinem Fitnessclub trainiert seit neustem Smudo von den Fantastischen Vier. Vielleicht tut er das schon länger, und wir haben uns einfach nie getroffen. Smudo trainiert mit Hanteln. Seine Vorbereitungen allerdings dauern recht lange, wie ich mit nicht unbeträchtlichem Amüsement beobachten konnte. Gerade das Hantieren am mitgebrachten Player (ob MP3 oder CD-Gerät, kann ich nicht sagen) will schließlich mit höchster Sorgfalt erledigt werden.

Smudo führt sich die Musik über Kopfhörer von einer Dimension zu, die manchen Vogelarten als Nester entschieden zu groß wären. Er wirkt damit fast ein wenig wie der Osterhase. Aber es ist ja auch bald Ostern.


Mir fällt ein, wie ich mal in Smudos Küche gesessen habe. Dorthin hatte die Plattenfirma mich bestellt, weil ich einen Künstler von Smudos Label interviewen wollte, nämlich Jan Plewka. Smudo wohnt in der Weidenallee, also direkt am Rande des Schanzenviertels. Er muss sich dort fühlen wie in Feindesland – ein Stuttgarter HipHopper im Hoheitsgebiet der Hamburger Schule. Seine üppig, aber keineswegs protzig ausgestattete Altbauwohnung schien ihn jedoch problemlos darüber hinwegzutrösten, denn er wirkte stillvergnügt.

Ich saß also mit Jan Plewka in Smudos Küche. Aber nicht alleine. Smudo war auch da. Er saß am Küchentisch, vor sich einen Laptop, und hackte locker vor sich hin. Vielleicht neue Reime, die später Zehntausende in die Arenen locken würden, kann ja sein. Vielleicht aber auch nur eine Mail an den Klempner wegen der verstopften Toilette.


Das ist nur ein Beispiel; ich weiß nicht, ob Smudos Toilette verstopft war, ich habe sie nicht benutzt. Ich weiß nur, was in seinem Flur hing, außer den ganzen holzgerahmten Goldenen Schallplatten (Foto): nämlich Madonnenbilder. Und ein Jesusbildchen mit güldnem Heiligenschein. Und in seiner Küche stand auf einem Sims der Papst. Der letzte, nicht der aktuelle. Er, der Papst, wirkte jung, er breitete lächelnd die Arme aus.

Smudo behackte also unter Johannes Pauls Blick stillvergnügt seinen Laptop, lauschte mit einem Ohr auf unser Interview, und manchmal schmunzelte er lautlos in sich hinein; vielleicht notierte er ja, was wir sagten, und machte daraus Reime, wer weiß. Ich müsste mir mal alle Fanta-Vier-Verse durchlesen, vielleicht stieße ich ja verklausuliert auf diesen Tag in Smudos Küche.

Ab und zu nippte er an einem gewaltigen, geradezu schüsselartigen Becher mit Milchkaffee, der im Durchmesser an seine Fitnessstudiokopfhörer gemahnte, aber das konnte ich damals ja noch nicht wissen.

Im Studio jedenfalls trainiert Smudo nur mit Hanteln. Kein Crosstrainer, keine Dehn- oder Bauchübungen (obwohl letztere, mit Verlaub, ihm nicht schaden würden). Und wie er so rücklings daliegt auf der Bank und die Gewichte mit beiden Armen über seinen Kopf Richtung Boden führt und wieder hoch, erst diese Hantel und dann die da (oder war es die da?), da sieht er wirklich ein wenig aus wie ein verschwitzter Osterhase.

Oder so, wie ich mir meinen Freund Harvey vorstelle.


Ex cathedra: Die Top 3 meiner liebsten Gitarrenpopsongs aus den 90ern
1. „Window pane“ von The Real People
2. „Lemon afternoon“ von The Dylans
3. „Faded glamour“ von Animals That Swim


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10 November 2005

Der Lindenberg

Interviewtermin im Hotel Atlantic mit einer wunderbaren Singer/Songwriterin. Plötzlich schreitet eine Sonnenbrille mit Hut vorbei und platziert sich mogulartig an der Bar. Natürlich ist es Udo Lindenberg; er bewohnt hier seit Jahren eine eigene Suite und suhlt sich in der Rundumversorgung eines Luxushotels.

Schwer zu sagen, was ihn diese Marotte pro Monat kostet. Vielleicht 10 000 Euro? Das wären im Jahr 120 000, in zehn Jahren 1,2 Millionen. Egal, Peanuts für Udo. Zumal er dazu neigt, an dieser Bar gezielt Likör auf Bierdeckel, Rechnungen und Atlantic-Notizblocks zu verschütten und die Pfütze sodann gedankenverloren mit wurstigen Fingern zu verschmieren.

Wenn alles trocken ist, nennt er das Ganze „Likörell“, stellt es aus und verkauft es, was ihm eine weitere Monatsmiete im Atlantic einbringt. Wie er allerdings die Feinjustierung der Farbästhetik hinbekommt, ohne die Sonnenbrille abzusetzen, ist mir schleierhaft.


Draußen senkt sich blau die Dämmerung über Alster, Enten und Bojen. Hinter den Totenschädelaugen einer Skulptur sieht das Atlantic gelassen der Novembernacht entgegen. An der Bar ist Udo wahrscheinlich schon beim zweiten Likörell.


Große Musik, die heute durch den iPod floss: „King of the mountain“ von Kate Bush, „Tomorrow never knows“ von Trouble und „Dream machine“ von Daniel Ash.


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30 Oktober 2005

Das Maffay-Missverständnis

In Gerhard Henschels hochamüsantem Roman „Der dreizehnte Beatle“ las ich heute den Satz: „Meine Zunge schmeckte wie ein Kniestrumpf“, und das erinnerte mich aus bestimmten Gründen an den Blog-Eintrag von gestern.

Die abgebildete Spinne verwehrte uns heute mit einem voluminösen Netz beinah den Ausstieg aus dem U-Bahn-Fahrstuhl am Rödingsmarkt, den wir nach dem Fitnesstraining gern benutzen, um uns nicht ächzend die vielstufigen Treppen hinanschleppen zu müssen.

Die Strecke der U3 führt von dort aus über nur drei Stationen nach St. Pauli, doch es gibt in ganz Hamburg keine schönere Fahrt. Es geht an der Speicherstadt entlang, dann ragt stolz die Kehrwiederspitze gen Himmel, auf der anderen Elbseite sehen wir das kühn geschwungee Musicalhaus für den „König der Löwen“, wir passieren zwei Prunkschiffe, die dauerhaft hier vor Anker liegen, die schneeweiße Cap San Diego und den moosgrün leuchtenden Segler Rickmer Rickmers, ehe wir an den Landungsbrücken nach rechts abknicken und mit einem Bild des alten Elbtunnels auf der Retina in die U-Bahnröhre eintauchen, die hochführt zur Reeperbahn.


Apropos Cap San Diego: Dort verbrachte ich mal einen denkwürdigen Abend, den ich ob seiner Denkwürdigkeit bereits einmal bei den höflichen Paparazzi geschildert habe. Doch leider fiel er einem gewaltigen Servercrash zum Opfer, wovon sich die verdienstvolle Website noch immer nicht recht erholt hat. Deshalb gibt es die Story jetzt exklusiv in diesem Blog:

Es herrscht Trubel auf dem Museumsschiff Cap San Diego im Hamburger Hafen. Peter Maffay präsentiert sein neues Album, eingespielt mit Menschen aus aller Welt, darunter der US-amerikanische Blues-Musiker Keb' Mo'. Vom Management habe ich telefonisch die lose Zusage, mit Maffay ein Interview führen zu können, alleine, „so irgendwann ab 22 Uhr“. Nun, nach Präsentation und Buffet, gilt es, im Tohuwabohu den richtigen Menschen zu erwischen, der mit mir Maffay findet.

Irgendwann finde ich eine hochblonde Mitarbeiterin seines Büros. Vielmehr: Sie findet mich. Ob ich noch einen Wunsch hätte, fragt sie.
Ja, ich suche Peter Maffay. Der ist noch oben, sagt sie, und wird am Tisch von Keb' Mo' erwartet, kommen Sie, ich bringe Sie zum Tisch von Keb' Mo'. Wir gehen hoch, am Tisch kein Keb' Mo', kein Maffay. Warten Sie, sagt sie, ich hole Keb' Mo'. Entschuldigung, nicht nötig, sage ich, ich möchte sowieso Peter Maffay sprechen.

Sag mal, fragt sie einen Kollegen, weißt du, wo Keb' Mo' ist? Wahrscheinlich im Salon, sagt er. Kommen Sie, flüstert sie, wir gehen hoch in den Salon. Im Salon gedämpfte Stimmung und kein Keb' Mo'. Aber Peter Maffay, gerade im Interview.
Klappt ja wunderbar. Ich nehme Platz im Vorraum und warte, dass ich drankomme.

Die Blonde trollt sich.
Ich verfolge zufrieden den Aufmarsch der Kollegen, die nach mir dran sein werden. Nach zehn Minuten kommt sie zurück, in heller Aufregung. Wild gestikuliert sie vom Treppenabsatz herüber. Kommen Sie! Kommen Sie! brüllt sie flüsternd, ich habe Keb' Mo'! Ich stehe auf, gehe einige Schritte auf sie zu, sage: Entschuldigung; aber sie läuft erregt die Treppe hinab, weiter wie von Sinnen winkend – klar, schließlich hat sie Keb' Mo'!

Zögernd gehe ich zum Absatz, bange um den Platz in der Schlange. Ich bin der nächste bei Maffay, flüstere ich hinunter, ich darf meinen Platz in der Schlange nicht aufgeben. Sie: Keb' Mo' ist hier unten, kommen Sie, ich setze mich solange auf Ihren Platz! Aber ich möchte Keb' Mo' nicht sprechen, barme ich, ich will nur Peter Maffay sprechen!


Sie bleibt stehen. Ihr Winken gefriert, sie erstarrt geradezu, Erkenntnis bahnt sich ihren Weg, wenngleich mühsam. Ja, drei Meter entfernt von mir ist jetzt alles schiere blonde Fassungslosigkeit. Aber vorhin, heult sie, wollten Sie doch noch Keb' Mo'! Nein, flüstere ich verzweifelt treppab, ich wollte Maffay, immer nur Maffay! Sie hebt die Arme, wirft sie durch die Luft und jault im Abdampfen diesen Satz, den ich nie mehr vergessen werde: Ich mache dieses Spielchen nicht mehr mit!


Immerhin ist mein Platz noch frei, ein Glück. Ich habe weitere zehn Minuten Zeit, über die Tücken menschlicher Kommunikation nachzudenken, ohne freilich zu letzten Schlüssen zu kommen. Ah, jetzt ist Maffay frei, er stellt sich an die Theke zu seinen Mitarbeitern für einen Sekt zwischen zwei Interviews. Ich stelle mich dazu, warte auf die Chance, ihn zum Gespräch zu bitten, ohne dem Freundeskreis unhöflich in die Parade zu fahren.

Plötzlich beugt sich sein Manager zu mir herüber und flüstert: Sagen Sie, woran ist eigentlich das Gespräch mit Keb' Mo' gescheitert … ?

Später, auf dem Weg zu Fuß nach Hause in die Seilerstraße, fühle ich mich echt schlecht. Keb' Mo' wahrscheinlich auch.


Große Musik, die heute durch den iPod floss: „Space travel is boring“ von Sun Kil Moon, „San Francisco“ von Caterina Valente und „57th minute of the 23rd hour“ von Galliano.

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