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Die Rückseite der Reeperbahn

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Name: Matthias Wagner
Standort: Hamburg, Germany

Schreiberling




23 August 2008

Wischen und wedeln



Stammleser wissen, warum wir kein Auto mehr haben: Es wurde uns vor vielen Jahren gestohlen, das nahm uns alle Lust.

Nun fuhr ich unlängst mal wieder einen Leihwagen und hatte gleich Probleme. An der Tankstelle griff ich zunächst versehentlich nach einem Zapfhahn, den ein zu Recht verärgerter Automobilist gerade erst zurückgehängt hatte. Meine Tankfüllung wäre auf seine Rechnung gegangen. Irgendwie schien er meinem Entschuldigungswunsch nur unwillig zu entsprechen.

Schließlich stand ich doch noch mit der richtigen Pistole vorm Wagen, wusste aber nicht, wie bei diesem Leihwagen der Tankdeckel aufging. Es dauerte eine Weile, das Problem zu lösen, da ich mir nicht die Blöße geben wollte, einen Tankstellenangestellten um Hilfe zu bitten.

Vollends doof wurde es auf der Weiterfahrt. Es begann zu regnen, aber denkst du, ich hätte den Schalter für den Scheibenwischerdauerbetrieb entdeckt? Nein, jeden verdammten Einzelwischer musste ich manuell auslösen.

Beide Hände waren also dauerhaft ausgelastet, die eine steuerte, die andere schaltete und startete alle zwei Sekunden den Scheibenwischer. Manchmal auch zweimal pro Sekunde, denn zeitweilig pladderte es heftig. Ich konnte nur dann mal an der Mineralwasserflasche nippen, wenn der Regen etwas nachließ.

Diesen blamablen Nachmittag würde ich gern komplett dem Auto in die Schuhe schieben, doch dann versuchte ich gestern, mir im Aurel die Hände zu waschen.

Es kam allerdings kein Wasser aus dem Hahn. Zunehmend verzweifelt wedelte ich daran herum, denn ich wähnte ihn mit einem optischen Sensor ausgestattet. Vergebens.

Bis ich den kleinen Kippschalter an der Seite entdeckte.

Bei diesen ständigen Beweisen meiner Alltagstauglichkeit ist es wohl ganz nützlich, ausdrücklich zu erwähnen, dass mir, als ich das abgebildete Schild am Alten Wandrahm fotografierte, keine einzige Palette mit Perserteppichen auf den Kopf fiel.

PS: Die Blogolympiade läuft noch drei Tage.


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03 Januar 2008

Kneipenbesuch mit einem Rauchverbotsverbotsbefürworter

Der gestrige Beitrag hat mir viel Schimpf eingebracht. Obzwar ich dachte, mich sachlich geäußert und den Text nur hie und da mit einer feinen Prise Ironie gewürzt zu haben, halten mich nun selbst Menschen, die ich als bisher als wunderbar schätzen gelernt habe, für „kleinlich“, „niedrig“ oder gar einen „fanatischen Nichtraucher“.

Natürlich frage ich mich, ob man wirklich fanatisch nicht rauchen kann. Glaube ich eher weniger. Ich bin höchstens geradezu fanatisch kein Serienkiller. Doch solche semantischen Feinheiten spielen längst keine Rolle mehr in dieser aufgeheizten Situation.

Die Grundbereitschaft zur Hysterie bei den Rauchverbotsgegnern hat mich jedenfalls verblüfft. Dabei sind für die bisher bekannten Fälle von Militanz nach meinem Eindruck stets Raucher verantwortlich. Wahrscheinlich werden pöbelnde und marodierende Nichtraucher von der Presse einfach totgeschwiegen, deshalb …

Was mich bei der ganzen Diskussion so erstaunt: Wenn in der Kneipe jemand grundlos verprügelt wird, würdet ihr das (hoffentlich) missbilligen; wenn einem aber jemand in der gleichen Kneipe ein todbringendes Gasgemisch in die Lunge bläst, findet ihr das nicht nur tolerierbar, sondern fordert dieses Recht geradezu empört ein.

Beides aber, das Prügeln und das Paffen, meine Damen und Herrn, ist schlicht und einfach Körperverletzung – wobei Prügel die deutlich harmlosere dieser beiden Varianten darstellen.

Zum Glück aber fand heute im Aurel nichts davon statt. Als der ausgewiesene Rauchverbotsverbotsbefürworter GP und ich dort um 18 Uhr eintrafen, war die Kneipe von samtiger Frischluft erfüllt – und erstaunlicherweise voller als beim letzten Treff.

Natürlich halte ich das keineswegs für repräsentativ, bitte nicht missverstehen. Doch der von Raucherkassandras als Katastrophenszenario heraufbeschworene sofortige Kneipenkollaps hat zumindest heute in Ottensen noch nicht eingesetzt.

GP übrigens ertrug die Tortur, seine (und meine) Lunge für eine Stunde mal nicht langzeitschädigen zu dürfen, tapfer wie ein Mann. Nicht alle Raucher sind also hysterische Memmen. Wieder was dazugelernt.

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20 April 2007

Wer brüllt, hat Unrecht

Zunächst muss ich GP im Aurel auslösen. Er hat – da als Erster eingetroffen – bereits für uns beide Bier bestellt, welches direkt am Tresen zu bezahlen ist; allerdings verfügt er zurzeit über keinen Cent Bargeld. Jetzt sitzt er da, wohlbeschirmt vom Argwohn der Barfrau. Schöner Anblick.

Eine sardonische Sekunde lang überlege ich, jede Bekanntschaft mit ihm entrüstet abzustreiten, doch die Zeit drängt: Wir müssen hoch in die Color Line Arena, wo Roger Waters uns auf einen monströsen Trip in die Vergangenheit schicken will. Und siehe da: Der alte Haudegen ist fast genauso gut wie die Pink-Floyd-Coverband, die ich vor einigen Jahren in der Großen Freiheit sah.

GP sitzt die ganze Zeit ruhig im psychedelischen Pathosdonner, während ich ihm zwischen den Stücken unnützes Fachwissen zubrülle. „Der Song war auf der ersten Floyd-Platte!“, schreie ich, „noch von Syd Barrett geschrieben!“

Er stiert mich an, als spräche ich hyperboräisch, und ich verfluche innerlich diesen ewigen Drang, der mich immer dann überkommt, wenn ich mich auf einem bestimmten Gebiet sachkundiger wähne. Auch Ms. Columbo sieht sich oftmals solchen Attacken ausgesetzt, erträgt sie allerdings mit einer Engelsgeduld, die ich als Liebesbeweis werten muss.

„Achtung, gleich kommt ein toller Solopart der Sängerin!“, brülle ich GP während „The great gig in the sky“ ins oropaxlose Ohr, und schon kommt ein toller Solopart der Sängerin. Nach der letzten Zugabe spricht GP von „einem der großartigsten Konzerte überhaupt“, was mich erfreut, aber auch wundert, denn zuvor hatte er keinerlei Anhaltspunkte für diese Einschätzung geliefert.

Er klärt mich auf: Allein die Tatsache, dass er nicht vorzeitig gegangen sei, müsse ich bereits als überschäumende Begeisterung werten. Ich entschuldige mich dafür, ihn während „Comfortably numb“ mit der gebrüllten Info erschreckt zu haben, dies sei schon immer mein Lieblingssong vom Album „The wall“ gewesen.

Insgesamt also ein toller Abend – wozu auch ein grauhaariges Waters-Groupie vor der Bühne beiträgt, das vor unseren Augen eine Ton-Bild-Schere aufführt. Die sehr rüstige Dame hüpft auf und ab und singt dabei lauthals: „We don’t need no education – teachers: leave us kids alone!“ Und das Merkwürdigste: Ihr scheint das alles überhaupt nicht merkwürdig vorzukommen.

Übrigens war der oben erwähnte Song gar nicht auf der ersten, sondern der zweiten Floyd-Platte, wie ich zu Hause feststelle, und Syd Barrett war auch nicht der Autor.


GP darf das nie erfahren.

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21 Februar 2006

Die wahren Psychopathen

„Sofort, als sie hereinkamen, wusste ich, dass es ein Fehler gewesen war, mich mit German Psycho und Pat Bateman zu verabreden. Bewusst hatte ich einen öffentlichen Treffpunkt vorgeschlagen, nämlich das Aurel in Ottensen. Hier war ich einst dem Dude begegnet, hier fühlte ich mich sicher.

Doch was da torkelnd und schreiend durch die Eingangstür hereinbrach wie zwei gleichzeitige Hurrikane über die Florida Keys, war in höchstem Maße beunruhigend. GP, den ich von einem gemailten Passfoto kannte, sah aus, als hätte er im Müllcontainer übernachtet. Sein Zegnahemd hing ihm aus den Baggypants, in den schulterlangen Dreadlocks hatten sich Stofffetzen verfangen, seine schneeweiße Wildlederhose war gesprenkelt mit roten Flecken irgendeiner Flüssigkeit, die sich an den Rändern bereits dunkel verfärbte; offenbar aufgrund eines Trocknungsprozesses.

Batemans hagere Gestalt hingegen wurde umflattert von einer ärmellosen Jeansjacke, darunter trug er ein vollkommen verdrecktes Hell's-Angels-T-Shirt, das lange parallele Risse aufwies – als hätte ihm jemand mit einer riesigen Gabel die Brust gefurcht. Oder war es eine verkrampfte, panische, mit langen spitzen Fingernägeln gespickte Hand gewesen? Auf seiner vollverspiegelten Dolce&Gabbana-Sonnenbrille schimmerte es öligbunt, die orangefarbenen Spandexleggings waren dunkelfleckig und mit Brandlöchern übersät.

Beide, mit den Armen über des anderen Schultern, grölten „Eat the rich“ und waren augenscheinlich völlig von Sinnen. Dennoch hätte dieser bizarre Auftritt mit etwas gutem Willen noch als hanseatische Exzentrik durchgehen können. Was aber die Gäste des Aurel – und mich – augenblicklich erstarren ließ, war die gewaltige Axt, die Bateman an seiner schwergliedrigen silbernen Halskette befestigt hatte und deren Stiel ihm fast bis an die Knie reichte. Vom einst chromblitzenden Keil tropfte eine rote Flüssigkeit, fleischartige Bröckchen säumten die Schneide, irgendetwas Furchtbares musste geschehen sein.

„Come on baby, eat the rich“, schrie Bateman, und GP antwortete: „Put the bite on the son of a bitch!“ Ich duckte mich hinter mein gottlob hoch aufragendes Halbliterglas Große Freiheit und hoffte, sie würden mich nicht entdecken.

Mir wurde schlagartig alles klar. Es war ein verdammter Fehler gewesen zu glauben, diese beiden hätten sich ihre psychopathischen Blogidentitäten nur zugelegt. Nein, alles, was GP und Bateman in ihren Blogs geschrieben hatten, alle blutigen Metzelfantasien, diese ganze scheinbar literarische Bret-Easton-Ellis-Mimikry war nichts weniger als wahr, wahr, wahr – und das zynische, gefühllose Schreiben darüber die beste Tarnung, die sich Psychopathen nur wünschen konnten.

Ich musste hier raus, musste diesen Irrsinn stoppen, sofort. Beide taumelten jetzt brüllend auf die Theke zu, der wild schlenkernde Axtstiel streifte einen Gast am Knie, doch der wagte nichts zu sagen, sondern stand geduckt auf und huschte zur Tür.

Meine Chance! Im Windschatten des Fliehenden schlüpfte ich hinaus, ich rannte wie wahnsinnig zum Bahnhof Altona, stürzte in ein Taxi, „Zur Davidwache!“, schrie ich, dort stolperte ich mit jagendem Puls die Treppe hoch, klammerte mich hechelnd an den Tresen und stammelte meine Geschichte.

Der Beamte schaute mich an. Dann lächelte er. Er glaubte mir kein Wort. Kein einziges.“


Ex cathedra: Die Top 3 der gefährlichsten Songs
1. „Careful with that axe, Eugene“ von Pink Floyd
2. „Don't fear the reaper“ von Blue Öyster Cult
3. „The killer in the rain“ von Paul K. & The Weathermen

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10 Oktober 2005

Der Obdachlose

Vor einiger Zeit ging ich an einem Verkäufer des Obdachlosenmagazins Hinz & Kunzt vorbei, es war vor der unteren Rolltreppe in der S-Bahnstation Reeperbahn. Plötzlich rief er mir vorbereitungslos zu mit geweiteten Augen: „Es hat geklappt mit der Wohnung!“

Ich wusste trocken und spontan mit einem „Herzlichen Glückwunsch!“ zu parieren. Und während ich lächelnd weiter mein Fahrrad Richtung Ausgang schob, rief er mir nach: „Und am 24. Dezember habe ich eine Frau!“


In diesem Augenblick schien jener sagenhafte Herzog'sche Ruck durchs Land zu gehen, die Rezession wurde schlagartig egal, alle Gläser waren dreiviertelvoll. Dieser Mann stand da und war glücklich. Der Optimismus hatte menschliche Gestalt angenommen.
Aber verdammt: Warum bin ich nicht umgekehrt, habe ihm die Hand geschüttelt und fünfzehn Hinz & Kunzt abgekauft? Verdammt!

Nun, es war eh nicht wahr, das alles. Er stand beim nächsten Mal wieder da und beim übernächsten Mal immer noch, und drei Wochen später auch. Keine Wohnung, keine Frau, nicht mal mehr ein Hinz & Kunzt.


Heute, als ich mit dem Schwaben, Kramer, C. und dem Franken nach der Arbeit vorm Aurel in Ottensen saß (im Oktober! In Südschweden! Es lebe der Treibhauseffekt!) und ein Feierabendbier trank, da kam eine schneidezahnlose Obdachlose vorbei, und ich kaufte ihr ein Hinz & Kunzt ab.


Die Entscheidung hatte irgendetwas mit dem Typen in der S-Bahnstation Reeperbahn zu tun. Ich weiß nur nicht genau was.

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